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TAG DES FLÜCHTLINGS 1996

Grußwort zum Tag des Flüchtlings 1996

Seit zehn Jahren gibt es in Deutschland nun den Tag des Flüchtlings. Ebenfalls vor zehn Jahren erfolgte die Gründung von PRO ASYL. In dieser relativ kurzen Zeitspanne hat sich die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL großes Ansehen erworben. In Deutschland gilt sie heute als eine der energischsten und wichtigsten Sachwalterinnen für die Rechte und Interessen von schutzbedürftigen Flüchtlingen in Deutschland. Aber auch im Ausland steht der programmatische Name der Organisation für eine engagierte Lobbyarbeit zugunsten von Menschen, die vor Verfolgung, Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen fliehen mußten.

Seinen guten internationalen Ruf verdankt PRO ASYL nicht zuletzt einer fleißigen Öffentlichkeitsarbeit. Der Tag des Flüchtlings und eine stete Medienpräsenz sind zwei Beispiele, wie intensiv auf diesem Gebiet in den letzten zehn Jahren gearbeitet wurde. PRO ASYL hat es verstanden, sich mit klaren, mitunter auch scharfzüngigen Formulierungen Gehör zu verschaffen. Wer so unmißverständlich Stellung bezieht, verschafft sich nicht nur Freunde. In einer harten, auch emotionalisierten politischen Grundsatzdiskussion hat sich PRO ASYL niemals gescheut, ein möglichst liberales Asylrecht zu verteidigen oder seinerseits Gesetzesänderungen heftig zu attackieren.

In der Arbeit von PRO ASYL spiegelt sich letztendlich auch die Leidenschaft, mit der in Deutschland über das Asylgrundrecht und damit über die Aufnahme von Flüchtlingen gestritten wurde. Polemik blieb ebensowenig aus wie Bitternis. Angesichts dessen ist es kaum verwunderlich, daß auch das Verhältnis von UNHCR zu PRO ASYL in all den Jahren nicht immer von Harmonie geprägt war.

Bequem wollte PRO ASYL niemals sein – auch nicht gegenüber UNHCR. Umso erfreulicher ist es, daß zweifellos vorhandene Meinungsunterschiede niemals dazu geführt haben, den gegenseitigen Respekt in Frage zu stellen. Das Verhältnis hat sich von den Gründungstagen bis heute als tragfähig erwiesen. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ausschlaggebend ist wohl das gegenseitige Wissen um die Ernsthaftigkeit, mit der in beiden Organisationen ein gemeinsames Ziel verfolgt wird: den nationalen wie internationalen Schutz von Flüchtlingen zu erhalten bzw. wiederherzustellen und ihn auch für die Zukunft zu gestalten. Deshalb ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die PRO ASYL nach der Änderung des Artikel 16 Grundgesetz getroffen hat, die Öffnung nach Europa. Seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation haben sich in der europäischen Flüchtlingsarbeit die Rahmenbedingungen geändert. Bereits in den frühen 80er Jahren begann die Ausformung restriktiver Asylgesetze, doch erst in diesem Jahrzehnt entfalteten sie unter der Furcht vor unkontrollierter Zuwanderung aus dem Süden und Osten ihre volle Wirkung. Auch im Bereich der Asyl- und Einwanderungskontrollpolitik wurden deshalb die Koordinierungsbemühungen zwischen den westeuropäischen Aufnahmestaaten verstärkt und zum Teil in die Praxis umgesetzt.

Wer sich angesichts dieser Entwicklung für die Institution des Asyls einsetzt, wird seinen Blick über die Grenzen des eigenen Landes richten müssen. Die internationale Ausrichtung der PRO ASYL-Aktivitäten ist eine sinnvolle Ergänzung für die Inlandsarbeit, der sie zudem neue Impulse verleihen kann. Die verstärkte aktive Einbindung in die Arbeit des Europäischen Flüchtlingsrates ECRE ist hierfür ein hervorragendes Beispiel. Ebenso ist bereits deutlich geworden, daß die europäische Vernetzung von PRO ASYL für die Flüchtlingsarbeit nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) in anderen europäischen Staaten von großem Nutzen ist.

In der internationalen NGO-Familie nimmt PRO ASYL dabei in gewisser Weise eine Sonderstellung ein. Anders als z. B. in der Schweiz, Dänemark oder Großbritannien gibt es in Deutschland bekanntlich keinen nationalen Flüchtlingsrat, der als Dachorganisation der in der Flüchtlingsarbeit tätigen Organisationen und Institutionen auftreten könnte. PRO ASYL wollte eine solche Funktion nicht ausüben, hat sie dennoch zumindest in den Augen der Öffentlichkeit teilweise erfüllt.

Dies wäre ohne das persönliche Engagement und die Kompetenz jener Personen nicht gelungen, die vor zehn Jahren die Arbeitsgemeinschaft gegründet haben. Sie und all jene, die in den letzten Jahren zu PRO ASYL gefunden haben, können allen Frustrationen zum Trotz stolz sein auf ihre Leistung. Eine zivile Gesellschaft muß ein solch unbequemes Engagement nicht nur aushalten, sondern würdigen – als Dienst an der Demokratie.

Dr. Judith Kumin

Vertreterin der Hohen Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik Deutschland


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