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17.10.1995

BGS schiebt sudanesischen Flüchtling entgegen
der Gerichtsentscheidung in sein Heimatland ab
PRO ASYL: Sudanesen-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
hat Hemmschwellen herabgesetzt


Wie jetzt erst bekannt wurde, hat der Bundesgrenzschutz (BGS) am Frankfurter Flughafen in der letzten Woche einen Sudanesen nach Khartoum abgeschoben, obwohl weder die Entscheidung des Bundesamtes noch die des Verwaltungsgerichtes Frankfurt dies erlaubten.

Der dem Volk der Nuba angehörende Flüchtling hatte sich nach Bedrohung und Folter im Sudan mehrere Jahre lang in anderen arabischen Staaten aufgehalten. Nachdem er dort Hinweise auf eine mögliche Auslieferung erhalten hatte, floh er und beantragte am Flughafen Frankfurt/Main Asyl. Sein Antrag wurde am 21. September 1995 abgelehnt, weil er in seinem letzten Aufenthaltsstaat sicher gewesen sei. Die Entscheidung des Bundesamtes läßt allerdings nur die Abschiebung in den Libanon zu. Wörtlich heißt es dort: „Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, wird er in den Libanon abgeschoben.“

Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt hat mit Beschluß vom 5. Oktober 1995 die Bundesamtsentscheidung bestätigt. Auch in dieser Entscheidung wird lediglich von einer Zurückweisungsmöglichkeit in den Libanon ausgegangen. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Es sind von daher keine Gründe ersichtlich, die gegen eine Verfolgungssicherheit des Antragstellers im Libanon sprechen. Abschiebungshindernisse (…) sind ebenfalls nicht ersichtlich. Festzuhalten ist insoweit, daß dem Antragsteller – ausschließlich – in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes die Abschiebung in den Libanon angedroht wurde. Dem Antragsteller droht jedoch im Libanon weder politische Verfolgung noch gibt es (…) Anhaltspunkte dafür, daß der (…) Antragsteller in den Sudan weitergeschoben würde.“

Was das Gericht dem Libanon nicht zutraute, erledigte der BGS. Der Flüchtling wurde am 10. Oktober 1995 nach Khartoum abgeschoben.

Da der BGS am Frankfurter Flughafen bei allen wesentlichen Entscheidungen in enger Abstimmung mit dem Bundesinnenministerium handelt, stelle sich erneut die Frage, welche Absicht Bundesinnenministerium und Bundesregierung mit ihrem Kurs verfolgten, den sudanesischen Diktatoren Flüchtlinge frei Haus zu liefern, so Volker Maria Hügel für die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL. Den Bundestagsinnenausschuß forderte Hügel weiter auf, seiner Wächterfunktion nachzukommen und festzustellen, auf wessen Schreibtisch die flagrante Verletzung des Zurückschiebungsverbotes der Genfer Flüchtlingskonvention abgesegnet worden sei, die nicht als „Panne“ abgetan werden könne. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Falle der am 12. September 1995 abgeschobenen Sudanesen, mit dem das sudanesische Regime als verläßlicher Vertragspartner aufgewertet worden sei, habe offensichtlich gleichzeitig die Hemmschwellen des BGS herabgesetzt.

Abschiebungen von Angehörigen des Volkes der Nuba seien schon vor dem Hintergrund der Tatsache nicht zu verantworten, daß die Nuba seit vielen Jahren Opfer von Zwangsrekrutierungen und Versklavung, von Zwangsumsiedlungen und Vernichtungskampagnen sind. Die Gesellschaft für bedrohte Völker und andere Menschenrechtsorganisationen haben die Situation als Völkermord bezeichnet.

17. Oktober 1995

Brief von PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann

Frau Dr. Hertha Däubler-Gmelin
Fraktion der SPD
Bundeshaus
53113 Bonn

Liebe Frau Däubler-Gmelin,

ich bedanke mich ganz herzlich für Ihren Brief, der uns – gerade in der jetzigen Phase – bestärkt und ermutigt hat.

In der Beurteilung der Vorwürfe gegenüber dem Bundesinnenministerium haben Sie meine und unsere volle Zustimmung. PRO ASYL hatte von Anbeginn des Flüchtlingsdramas der Sudanesen am Frankfurter Flughafen an das Bundesinnenministerium, das Bundesamt und den Bundesgrenzschutz um Gespräche für eine menschliche Lösung -jenseits und unter Hintanstellung jeder öffentlichen Auseinandersetzung darum – gebeten. Die Reaktion bestand aus Nichtbeachtung und jeweils bewußt abgestufter Eskalierung – über Einschüchterung der Flüchtlinge, Zugangsverbote für Betreuer und Medien bis hin zur Diskreditierung des Hungerstreiks und der perfiden Unterstellung gegenüber Flüchtlingsorganisationen und Bundesverfassungsgericht, durch diesen Verfahrensablauf der Gefahr „des ständigen organisierten Mißbrauchs“ des Asylrechts Vorschub zu leisten (vgl. insbesondere die BMI-Erklärung vom 24. August 1995, Seite 3).

Der Vorwurf der „hundsgemeinen Kampagne“ entpuppt sich vor diesem Hintergrund als Bumerang, dessen Wirkung leider durch die Nebelherren des „Stern“ und das politische Eigentor der GRÜNEN – mit verheerenden Folgen für die politische Bewertung und öffentliche Meinung – nicht nur nicht zur Geltung kam, sondern ihn, Kanther, in diesem Tiefpunkt unserer Rechtskultur noch als strahlenden Sieger erscheinen ließ.

Der eigentliche Kern des Skandals ist dadurch noch mehr in den Hintergrund getreten: Die Abschiebung der sieben Sudanesen nach den „erfolgreichen“ Bemühungen der Bundesregierung um „Zusicherungen“ eines Folterregimes und die Anerkennung dieser Zusicherungen durch das höchste deutsche Gericht vor sorgfältiger Sachaufklärung und Durchführung eines regulären Verfahrens in der Bundesrepublik!

Dies wieder in den Mittelpunkt der notwendigen Debatte – auch in der Öffentlichkeit – zu rücken, sind wir derzeit durch die Vorbereitung der Dokumentation eines Einzelfalles in Zusammenarbeit mit den Rechtsanwälten bemüht.

Wir wären Ihnen, liebe Frau Däubler-Gmelin, sehr verbunden, wenn Sie uns nach Ihrer Genesung bei der Aufarbeitung dieses Lehrstücks des neuen Asylrechts in der „Bonner Arena“ behilflich sein könnten, gerade im Zusammenhang mit Ihren von uns mit Freude zur Kenntnis genommenen Absicht, zusammen mit Kolleginnen und Kollegen auch anderer Fraktionen für eine Überprüfung und Verbesserung der geltenden Asylgesetze einzutreten.

Ihren Vorschlag für ein persönliches Treffen möchten wir dabei gerne aufgreifen. Da ich an diesem Wochenende einen bereits mehrfach verschobenen Kuraufenthalt antreten muß, käme uns ein Termin in der zweiten November-Hälfte / Anfang Dezember sehr gelegen.

Meine Kollegen und Kolleginnen würden mich in der Zwischenzeit über eventuelle Terminvorschläge Ihrerseits informieren und stehen Ihnen jederzeit für weitere Informationen im Fall der sieben sudanesischen Flüchtlinge zur Verfügung.

Wir werden Ihnen die erwähnte Dokumentation sowie unsere weiteren Pressemeldungen dazu so bald wie möglich übermitteln.

Ihnen, liebe Frau Däubler-Gmelin, nochmals herzlichen Dank für Ihre deutliche Parteinahme für ein menschliches Recht. Weiterhin möchte ich Ihnen eine gute und schnelle Genesung und dabei geduldige Nachsicht mit den eigenen Kräften wünschen.

Mit herzlicher Verbundenheit und bestem Gruß

Ihr Heiko Kauffmann Sprecher von PRO ASYL – nach Diktat verreist –

Abschiebungen von Angehörigen des Volkes der Nuba seien schon vor dem Hintergrund der Tatsache nicht zu verantworten, daß die Nuba seit vielen Jahren Opfer von Zwangsrekrutierungen und Versklavung, von Zwangsumsiedlungen und Vernichtungskampagnen sind. Die Gesellschaft für bedrohte Völker und andere Menschenrechtsorganisationen haben die Situation als Völkermord bezeichnet.


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