TAG DES FLÜCHTLINGS 1993
Sri Lanka
INHALT
- Grußwort des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR)
- Auf dem Weg nach rechts
- Der Engel von Marseille
- „Hört auf, vom Mißbrauch des Asylrechts zu reden“
- Fehlentscheidungen des Bundesamtes – Korrektur durch Gerichte
- In die Flucht geschlagen: Warum Menschen fliehen
- Kirchenasyl
Seit Anfang der 80er Jahre suchen Tamilen aus Sri Lanka in der Bundesrepublik Zuflucht. Einen Höhepunkt erreichte diese Fluchtbewegung nach den Pogromen in Sri Lanka im Jahre 1983. Im Jahre 1984 erreichten 8.063 Flüchtlinge aus Sri Lanka die Bundesrepublik; diese Zahl stieg 1985 auf 17.380. Durch die drastischen Verschärfungen der Asylgesetzgebung (Visabestimmungen, Bestrafung der Fluggesellschaften etc.) gelingt es jedoch immer weniger Menschen, aus Sri Lanka zu entkommen.
Insgesamt hielten sich zum 1.1.1992 im gesamten Bundesgebiet 40.517 Tamilen aus Sri Lanka (Geschäftsleute, Asylbewerber, Asylberechtigte etc.) auf.
Trotz der Verfolgungssituation werden nur sehr wenige Tamilen als politisch Verfolgte gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG anerkannt. Die Anerkennungsquote lag 1991 unter 4%. Die Begründungen der Gerichte hören sich in der Regel sehr zynisch an. So heißt es in der Begründung eines Urteils des Oberlandesgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. März 1991: „Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Maßnahmen des Staates in einem Bürgerkrieg, die typisch militärisches Gepräge aufweisen und lediglich auf die Rückeroberung eines Gebietes gerichtet sind, stellen im allgemeinen keine politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG dar; denn Voraussetzung für eine vom Staat ausgehende oder ihm zurechenbare Verfolgung ist, daß er die effektive Gebietsgewalt im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit innehat. Daran fehlt es, wenn er im umkämpften Gebiet nur mehr als Bürgerkriegspartei in Erscheinung tritt.“ Nach Auffassung des Gerichts könne im Fall eines Bürgerkriegs nur dann eine politische Verfolgung i.S.d. Art. 16 GG bejaht werden, wenn die Maßnahmen der staatlichen Kräfte „auf die physische Vernichtung auf der Gegenseite stehender oder ihr zugerechneter, nach asylerheblichen Merkmalen bestimmter Personen gerichtet ist, obwohl diese keinen Widerstand (mehr) leisten oder an dem militärischen Geschehen nicht (mehr) beteiligt sind, oder wenn die staatlichen Zugriffe gar in die gezielte physische Vernichtung oder Zerstörung der ethnischen, kulturellen oder religiösen Identität des gesamten aufständischen Bevölkerungsteils umschlagen.
Diese Ausnahmesituation komme jedoch nach Einschätzung des Gerichts bei tamilischen Asylbewerbern nicht zum Tragen. Da der Guerilla-Kampf mit brutalen Mitteln geführt werde, seien ebensolche Methoden auch staatlicherseits gerechtfertigt, da sie nicht als bloßer Gegenterror, sondern als Teil des militärischen Kampfes zur Wiederherstellung der staatlichen Gebietshoheit einzustufen seien. Es wird zwar eingeräumt, daß es sich dabei „um eine recht fragwürdige Methode handle, die kaum mit humanitären und rechtsstaatlichen Grundsätzen zu vereinbaren ist und die für die unmittelbar beteiligte zivile tamilische Bevölkerung Gefahren mit sich bringt und zu einer großen Verunsicherung führt“. Dennoch sei all dies nicht als politische Verfolgung zu qualifizieren. Selbst Tamilen, die vom Bundesamt und z. T. auch von den Gerichten als Asylberechtigte anerkannt wurden, stießen in der Mehrzahl der Fälle auf den Widerstand des Bundesbeauftragten, der gegen die positiven Bescheide – meist mit Erfolg – Rechtsmittel einlegte. Anders wird die politische Verfolgungssituation z. B. in Frankreich gesehen, wo in den ersten 9 Monaten des Jahres 1991 über 70% der tamilischen Asylbewerber aus Sri Lanka anerkannt wurden.
Angesichts des Bürgerkriegs in Sri Lanka hatten bisher einige Bundesländer zunächst Abschiebestoppverfügungen erlassen (mit Ausnahme von Bayern). Der Großteil der tamilischen Flüchtlinge lebte demnach als sog. de-facto Flüchtlinge mit dem äußerst unsicheren Duldungsstatus, der maximal auf 6 Monate befristet und dann jeweils verlängert werden kann. Zudem hat der Großteil der Bundesländer einer Stichtagregelung zugestimmt, nach der alle abgelehnten Asylbewerber aus Sri Lanka, die bis zum 31.12.1988 in das Bundesgebiet eingereist sind, eine Aufenthaltsbefugnis erhalten. In Bayern wurde dieser Stichtag jüngst als sog. Härtefallregelung eingeführt. Abgelehnte Asylbewerber, die vor diesem Stichtag eingereist sind, werden nicht in die Heimat zurückgeführt, wenn sie in hohem Maße integriert sind.
Inzwischen hat der Bundesinnenminister mitgeteilt, daß die Lage in Sri Lanka keinen Abschiebestopp mehr rechtfertige. Er stützt sich dabei auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23. Juni 1992. Hierzu äußert der UNHCR in einem Schreiben vom 15. Juli 1992 an den Bundesinnenminister seine Bedenken: „… Wie wir Ihnen bereits im Schreiben vom 15. Juni 1992 dargelegt haben, halten wir die Situation in Sri Lanka für unverändert problematisch und daher scheint uns eine Änderung der generellen Praxis (bislang gültiger Abschiebestopp, Anm. d. Red.) nicht als gerechtfertigt.
Diese Einschätzung der (unveränderten) Lage vor Ort wird sowohl im zitierten Bericht des Auswärtigen Amtes als auch von unserer Zentrale in Genf und durch unser Amt in Sri Lanka bestätigt. In allen uns vorliegenden Auskünften wird darüber hinaus hingewiesen, dass derzeit keine Aussicht auf eine politische Lösung des Konflikts bestünde… Aber selbst wenn man davon ausgeht, unter Hinzuziehung einer, wie im Lagebericht des Auswärtigen Amtes dargestellten, unterschiedlichen Sicherheitslage in den einzelnen Regionen Sri Lankas (insbes. im Raum Colombo), daß eine Rückkehr von abgelehnten Asylbewerbern in die Süd- bzw. Zentralregion grundsätzlich möglich wäre, so sollte doch folgendes beachtet werden.
Eine Rückkehr von abgelehnten Asylbewerbern in diese Region sollte nur dann erfolgen, wenn die betreffende Person aus dieser Region stammt… Die überwiegende Anzahl der (abgelehnten) Asylbewerber fallen in die Gruppe der jungen Tamilen mit Herkunftsort aus den Tamilenregionen im Norden und Osten des Landes. Dieser Personenkreis ist zum einen dadurch gefährdet (wie u. a. in der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Juni 1992 ausgeführt…), daß ,für junge, insbesondere männliche Tamilen das Risiko besteht, im Zusammenhang mit Anti-LTTE-Fahndungsaktionen zwecks Vernehmung verhaftet zu werden‘. Wie bereits ausgeführt, hat unsere Zentrale in Genf am 24. Juli 1992 alle Regierungen, die an den ,Informellen Konsultationen‘ teilnehmen, dahingehend in Kenntnis gesetzt, daß Rückkehrer, deren Herkunftsort nicht in dieser Region (Süden/Mitte) liegt, nicht damit rechnen können, in Sicherheit und Würde zurückzukehren, und gebeten, den Menschen aus humanitären Gründen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren‘.“
Der Bundesinnenminister und die Innenminister der Länder ignorieren die Warnungen und kritischen Lageberichte der verschiedenen Organisationen und machen sich somit schuldig an der Gefährdung für Leib, Leben und Freiheit der abgeschobenen Flüchtlinge.
PRO ASYL fordert die sofortige Wiedereinführung der Abschiebestoppregelung für Tamilen.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe erkannte in seinem Urteil vom 15.10.1992 die verschärfte Verfolgungssituation für männliche Tamilen seit Juli 1990 an und verpflichtete das Bundesamt, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen: „… Danach drohe zumindest männlichen Tamilen im Alter von 11 bis 41 Jahren, die nach Ablehnung ihrer Asylanträge nach langjährigem Aufenthalt (der Kläger reiste im Frühjahr 1989 in die Bundesrepublik ein) in der Bundesrepublik nach Sri Lanka zurückkehren müßten, jedenfalls dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, wenn sie für einen Aufenthalt in singhalesischen Gebieten über keinen stichhaltigen Grund in Gestalt dauernder Arbeits- und Wohnstelle verfügen. Die Sicherheits- und Verfolgungssituation habe sich für diese Personen seit dem Juli 1990 deutlich verschärft…“
Daß die Anerkennungsquote von Flüchtlingen aus Sri Lanka zum ersten Mal seit 1986 wieder über der 20%-Marke liegt, ist auch der intensiven Arbeit von Experten und Unterstützern zu verdanken, die eine Fülle von Fakten zusammengetragen haben, die für eine Gefährdung rückkehrender Flüchtlinge sprechen. Auch das Bundesamt erkennt sog. objektive Nachfluchtgründe. Was das bedeutet, wird aus einer Entscheidung des Bundesamts vom 21.9.1992 deutlich, die wir in der Zusammenfassung von amnesty international zitieren:
„In der Nordostprovinz herrsche eine Bürgerkriegssituation im Sinne des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10.7.1989 (2 BvR 502/86). Nach diesem Beschluß verlören staat- liche Maßnahmen in einer solchen Krisensituation den Charakter asylrechtlich erheblicher Verfolgung, auch wenn sie völkerrechtswidrig seien. Allerdings könne auch in derartigen Situationen eine politische Verfolgung gegeben sein, wenn die Handlungen der staatlichen Kräfte zur Bekämpfung des Bürgerkriegsgegners über das Maß hinausgingen, das zur Wiederherstellung der Friedensordnung erforderlich sei. Das treffe insbesondere zu, wenn die Handlungen auf die physische Vernichtung von auf der Gegenseite stehenden und nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen gerichtet seien, obwohl diese keinen Widerstand mehr leisten wollten oder könnten oder am militärischen Geschehen nicht oder nicht mehr beteiligt seien.
Nach den vorliegenden Berichten bestehe in der Nordostprovinz eine derartige Situation, so daß dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach Sri Lanka politische Verfolgung drohen würde. Diese Situation sei nach der Ausreise des Antragstellers eingetreten und stelle daher einen objektiven Nachfluchttatbestand dar.
In Colombo bestünde für den Antragsteller trotz der Tatsache, daß sein Vater dort lebe, keine inländische Fluchtalternative. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23.6.1992 bestünde zwar im Raum Colombo für zurückkehrende Tamilen, die nicht Mitglieder oder Unterstützer des LTTE seien und gültige Einreisepapiere hätten, unter reinen Sicherheitsgesichtspunkten kein Anlaß zu Befürchtungen. Für junge, insbesondere männliche Tamilen bestünde jedoch das Risiko, im Zusammenhang mit Anti-LTTE-Fahndungsaktionen zwecks Vernehmung verhaftet zu werden. Da der Antragsteller nach seiner glaubhaften Darstellung bereits vor seiner Ausreise in Colombo verhaftet worden sei, könne nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, daß ihm in Sri Lanka bei einer Rückkehr politische Verfolgung drohe.“
Weitere Informationen zur Lage in Sri Lanka bieten das Faltblatt von PRO ASYL „Keine Abschiebung von Tamilen nach Sri Lanka“ und die Zeitschrift „Südasien“ (Bezug: Große Heimstraße 58, 44137 Dortmund).