Sprachanalyse bei Asylsuchenden in Deutschland bereits im Gange
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge: Probelauf
Gutachter/innen bleiben anonym
PRO ASYL: Ein Hauch von Inquisition
Wie jetzt bekannt wurde, werden bereits seit Juli 1997 Sprachanalyseverfahren in drei Außenstellen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Bayreuth, Landsberg/Lech und Zirndorf eingesetzt, mit dem Ziel, den Herkunftsstaat von Asylsuchenden zu ermitteln, bei denen Zweifel an der angegebenen Staatsangehörigkeit bestehen. PRO ASYL hatte in einer Presseerklärung vom 31. Oktober 1997 enthüllt, daß im Haushaltsentwurf des Bundesinnenministeriums für das Jahr 1998 2,4 Millionen DM für die flächendeckende Einführung solcher Sprach- und Textanalysen veranschlagt sind, die in der Schweiz, Schweden, den Niederlanden und Belgien bereits durchgeführt werden. Das Bundesinnenministerium hat bislang weder diese Planung noch die von seiten des Bundesamts in der internen Zeitschrift „Wir vom BAFl“ als „Probelauf“ bewertete Praxis kommentiert.
PRO ASYL liegt inzwischen ein erster Fall vor, in dem die Tonbandaufnahme des Gespräches mit einem nach seinen Angaben aus dem Sudan stammenden Asylsuchenden vom Bundesamt an die Sprachsektion „Eqvator“ beim staatlichen Einwandereramt in Stockholm zur Durchführung einer Sprachanalyse übersandt worden ist. Was als angebliche Sprachanalyse aus Schweden nach Deutschland zurückkam und ins Asylverfahren einging, bestärkt PRO ASYL in der Auffassung, daß es sich um pseudowissenschaftliche Verfahren handelt. Obwohl drei Gutachter/innen das Tonband abhörten und kommentierten, reduziert sich der analytische Gehalt im wesentlichen auf die Behauptung, der Sprechende habe ein für Westafrika charakteristisches zischendes „t“ beziehungsweise ein typisch westafrikanisches „th“ ausgesprochen.
Neben der dürftigen vierzeiligen Methodendarstellung bestätigen weitere Eigentümlichkeiten der Gutachten die Befürchtung von PRO ASYL, hier werde mit einer Schrumpfform der Sprachwissenschaft Schindluder getrieben: Die Gutachter/innen, deren Qualifikation ohnehin in keiner Weise bekannt gemacht wird, bleiben anonym. So heißt es in den PRO ASYL vorliegenden Gutachten z.B.: „Ich, der Analytiker, stamme selbst aus dem Sudan.“ oder: „Ich, der ich dieses Tonband angehört habe, komme selber aus Ghana.“
Heiko Kauffmann, Sprecher von PRO ASYL, kommentiert die Geheimnistuerei: „Es weht ein Hauch von Inquisition durch das Bundesamt. Der anonym bleibende Gutachter stellt die Wiederkehr des Mittelalters im deutschen Asylrecht dar.“
PRO ASYL weist darauf hin, daß eine im Streitfall erforderliche Überprüfung der Gutachten vor den Verwaltungsgerichten nur möglich sei, wenn die persönliche Qualifikation des/der Sachkundigen, die verwendeten Methoden und deren Anwendung auf den Einzelfall offen zu Tage lägen und damit eventuell widerlegt werden könnten.
In den bislang bekannt gewordenen Fällen hätten nach Einschätzung von PRO ASYL die falschen Angaben zum Herkunftsland auch von den mit der Prüfung der Asylgründe beauftragten Beamten enthüllt werden können. Daß jemand nicht aus München stamme, der das Hofbräuhaus nicht kennt, liege genauso auf der Hand wie die Tatsache, daß ein/e Asylantragsteller/in, der oder die in Freetown (Sierra Leone) gelebt haben will, nicht von dort stammt, wenn er/sie behauptet, die Stadt liege nicht am Meer. Hierzu bedarf es keiner teuren pseudowissenschaftlichen Gutachten.
Die Erwartungen deutscher Asylbehörden an die neue Methode gehen allerdings offenbar über das hinaus, was andere Länder durch die Anwendung dieser Verfahren zu erreichen glauben. So kann nach einer Darstellung der schweizerischen Fachstelle LINGUA „einem Probanden keine Staatsangehörigkeit zugeordnet werden.“ Es könne lediglich festgehalten werden, daß eine Herkunftsregion oder ein Herkunftsland in Frage kommen könne. Erwartung der deutschen Auftraggeber für solche Gutachten sei es aber, die Abschiebung in den angeblichen Herkunftsstaat verwirklichen zu können.
Daß die Methode in den meisten Fällen, wo Zweifel an der Staatsangehörigkeit bestehen, nicht greifen kann, ergibt sich nach Auffassung von PRO ASYL zum Beispiel aus der Tatsache, daß allein in Nigeria 434 Ethnien mit mehr als 50 Sprachen vertreten seien, von denen es viele auch außerhalb des Landes gebe. Die künstlich gezogenen Grenzen aus der Kolonialzeit seien überwiegend keine Sprachgrenzen. Kein/e ernstzunehmender Wissenschaftler/in könne deshalb behaupten, im ethnischen Puzzle Westafrikas eine bestimmte Staatsangehörigkeit anhand der Sprache mit der notwendigen Sicherheit feststellen zu können. Aber auch im sehr viel sprachenärmeren Europa mit seinen älteren Nationalstaatsgrenzen gebe es keine wissenschaftliche Möglichkeit, von der Sprache auf die Staatsangehörigkeit zu schließen.
Ziel der vom Bundesamt betriebenen Einführung der Sprachanalysen sei es also, pseudowissenschaftliche Verfahrensweisen zunächst einmal zu etablieren und dann zu hoffen, daß die Ergebnisse der Gutachten den Botschaften der überwiegend betroffenen afrikanischen Staaten als Ergebnis seriöser europäischer Wissenschaft dargebracht werden können und von ihnen akzeptiert werden. Dies ordnet sich in das bereits seit längerem von der Bundesregierung angedachte Konzept einer künftigen „Abschiebung in Regionen“ – also nicht mehr in einzelne Nationalstaaten ein.
Wie PRO ASYL bei seinen Recherchen erfuhr, beteiligen sich auch Wissenschaftler/innen deutscher Universitätsinstitute an sprachanalytischen Gutachten für die Asylbehörden der Schweiz. PRO ASYL fordert diese namentlich bislang nicht bekannten Wissenschaftler/innen auf, aus dem Schatten zu treten und für die Wissenschaftlichkeit der von ihnen verwendeten Methoden mit ihrem Namen in der Öffentlichkeit einzustehen.