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15.06.1998

SPD-Länder und CDU/CSU
wollen Leistungsgesetz für Asylsuchende
nochmals verschärfen

Vorwegnahme der großen Koalition:
FDP scheint keine Rolle mehr zu spielen

Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL appelliert an die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, bei der anstehenden Novellierung des Leistungsgesetzes für Asylsuchende „die Koalitionskarte zu ziehen“ und sich der in dieser Woche im Bundestag anstehenden Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes zu verweigern. PRO ASYL betrachtet die von CDU/CSU und den SPD-Ländern ausgehandelten Verschärfungen als Vorwegnahme der großen Koalition. Die beiden großen Parteien versuchten sich offensichtlich über die FDP hinweg zu verständigen. In ihren Planungen scheine die FDP keine Rolle mehr zu spielen, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Die CSU habe in dieser Legislaturperiode mit dem Hinweis auf den Koalitionsvertrag eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts verhindert. Mit gleicher Argumentation könne die FDP die große Koalition gegen Flüchtlinge noch stoppen. „Hätte die FDP in der Staatsbürgerrechtsfrage mit der Opposition gemeinsame Sache gemacht, wäre dies längst der Koalitionsbruch gewesen.“

PRO ASYL fordert nicht nur die FDP-Fraktion, sondern auch die Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf, bei den morgen anstehenden Fraktionsberatungen dieses Gesetz zu stoppen. Wenn Menschen, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten und nicht abgeschoben werden können, selbst minimale Leistungen entzogen würden, so sei dies ein „sozialpolitischer Kahlschlag“. Damit würde der sozialpolitische Grundkonsens in der Bundesrepublik Deutschland, daß Hilfsbedürftigen ein Leben in Würde ermöglicht werden soll, vollends verlassen, urteilte PRO ASYL. Weitaus schlimmer als jedes Wahlergebnis der extremen Rechten sei es, wenn ihr Gedankengut von den großen Volksparteien umgesetzt werde.

Trotz der fundierten Kritik von Sachverständigen, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Menschenrechtsorganisationen in der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß im Deutschen Bundestag wurde nun der Gesetzesentwurf in Teilen nochmals verschärft:

  • Flüchtlinge, die „sich unerlaubt in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist“. UNHCR hat entschieden vor solch einer Änderung gewarnt, da damit internationales Völkerrecht in Deutschland unterlaufen werden würde.
  • Flüchtlinge sollen faktisch ausgehungert werden: Nach dem Gesetzentwurf sollen Flüchtlinge, „die nicht freiwillig ausreisen, obwohl ihre Ausreise in den Herkunftsstaat oder einen anderen zur Aufnahme bereiten Staaten keine tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen“, Leistungen nur „soweit dies im Einzelfall nach dem Umständen unabweisbar geboten ist“, erhalten. Darunter fallen auch Flüchtlinge, die eine Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG haben, z.B. derzeit viele Flüchtlinge aus dem Kosovo, Somalia und Afghanistan. Was aus außenpolitischen und rechtlichen Gesichtspunkten nicht erreicht werden kann, soll nun sozialpolitisch durchgesetzt werden, urteilte PRO ASYL: Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten, die nicht abgeschoben werden können (z.B. keine Flugverbindung), sollen durch einen weitgehenden Entzug der Sozialhilfe zur Ausreise gezwungen werden.
  • In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es: „Da rechtliche Hindernisse nur der Abschiebung, nicht aber der freiwilligen Ausreise entgegenstehen können, wird in Nummer 3 nur darauf abgestellt werden, daß der freiwilligen Ausreise keine tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen.“
  • De facto-Internierungslager: Denjenigen, denen die Leistungen entzogen werden, droht die Unterbringung in De facto-Internierungslagern. Nur in Nuancen unterscheiden sich SPD und CDU/CSU. Im Schreiben des niedersächsichen Innenministeriums an die SPD-Bundestagsfraktion vom 20. Mai 1998 heißt es:
    „Als Rechtsfolge hatte der BMI vorgeschlagen, in das Gesetz eine zwingende Unterbringung der betroffenen Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft mit Vollverpflegung aufzunehmen. Ich habe dies als einen zu weitgehenden Eingriff in die Organisationshoheit der Länder abgelehnt und den Vorschlag des Bundesrats verteidigt, da er eine flexible, auf den Einzelfall bezogene Leistungsgewährung ermöglicht. Die konkrete Umsetzung der Leistungseinschränkung könnte in Abstimmung mit dem BMI darin bestehen, daß die Betroffenen vorrangig in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, das Taschengeld erheblich gekürzt oder ganz gestrichen wird und Bargeld nur noch als letzte Möglichkeit zugelassen wird.“
  • Streichung des Taschengeldes in Abschiebehaft: Durch die Novelle wird das – gesetzlich gerade erst ab 1. Juni 1997 auf 56,- DM pro Monat gekürzte – Taschengeld in der Abschiebehaft vollständig gestrichen, da Ausländer in Abschiebehaft regelmäßig keine Duldungen mehr besitzen. Kontaktaufnahme zu Anwälten (Telefonkosten, Porto etc.) sowie die elementare Befriedigung persönlicher Bedürfnisse wird verhindert. Damit sind Abschiebehäftlinge schlechter gestellt als Strafgefangene.

Dieses Gesetz soll ab 1. Januar 1999 in Kraft treten und trifft dann entgegen allen öffentlichen Beteuerungen auch Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina.

PRO ASYL fordert alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, diesem Gesetzesentwurf die Zustimmung zu verweigern. Dieses Gesetz sei Ausdruck einer „Ausländer raus-Politik mit den Mitteln des Sozialhilferechts“.


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