Skandal im Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
Rassistische Formulierung bagatellisiert Folter
PRO ASYL fordert Konsequenzen
Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL wirft dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Bagatellisierung von Folter und die Verwendung rassistischer Formulierungen vor.
Ein am 1. Juli 1996 ergangener Bescheid des Bundesamtes belegt erneut den Vorwurf von PRO ASYL, in Bundesamtsentscheidungen werde Folter bagatellisiert. Eine Tunesierin, die angegeben hatte, der gemäßigten Islamistenbewegung al-Nahda nahegestanden zu haben, erhielt einen ablehnenden Bescheid mit folgenden Formulierungen: „In Tunesien wird grundsätzlich keine Folter praktiziert. Übergriffe und Folterungen durch einzelne Beamte sind aber nicht auszuschließen. Sie werden von Tunesiern nicht in gleichem Maße wie von Europäern als Eingriff in persönliche Rechte empfunden. So fanden 1991 zwei Inhaftierte den Tod.” (Az.: F 2117198-285)
Dazu der Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL, Heiko Kauffmann: „Diese Formulierung ist nicht nur Ausdruck eines eurozentrischen Menschenbildes, sondern Beleg für einen offenen Rassismus. Wer so denkt und schreibt, gehört nicht an eine Stelle, wo er Gelegenheit hat, über die Schicksale anderer Menschen zu entscheiden.”
Kauffmann wies darauf hin, daß PRO ASYL bereits bei früheren Gelegenheiten die Leitung des Bundesamtes aufgefordert habe, Bundesamtsbedienstete zu suspendieren, die für ihre Aufgabe ungeeignet seien. Eine Reaktion habe es nicht gegeben. Der Leiter des Bundesamtes könne sich keinesfalls darauf zurückziehen, daß die Entscheider im Rahmen der konkreten Einzelfallentscheidungen weisungsungebunden seien. Als Dienstherr müsse er dafür sorgen, daß die Regeln einer ordentlichen Sachverhaltsermittlung und Entscheidungspraxis eingehalten würden. Rassistische Bemerkungen dürften deshalb nicht gedeckt werden.
Auch hinsichtlich der konkreten Situation in Tunesien sei das Bundesamt offensichtlich nicht auf Stand. Tunesien erhalte auf der Basis amtlicher Auskünfte der Auswärtigen Amtes einen Rabatt in Sachen Menschenrechte. So weise das Bundesamt darauf hin, daß Tunesien als erstes arabisches Land das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 unterzeichnet habe. Aus Berichten von Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international, aber auch aus der Tagespresse, werde jedoch klar erkennbar, daß in Polizeistationen und Gefängnissen seit langem systematisch gefoltert wird. Auch während der Untersuchungshaft werden durch Mißhandlungen und Folterungen Geständnisse erzwungen. Tunesische Richter nehmen es gar nicht zur Kenntnis, wenn hiergegen Beschwerde eingelegt wird, selbst wenn Wochen oder Monate nach der Verhaftung noch Spuren von Folter vorgewiesen werden können, so amnesty international in einem Bericht vom 2. November 1995.
Auch nach einer Rangliste über die Verwirklichung politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten in den Staaten der Welt, die die amerikanische Menschenrechtsorganisation Freedom House führt, steht Tunesien fast am Ende der Skala.
„Das Beispiel zeigt, daß die Leitung des Bundesamtes sowohl bei der Auswahl als auch bei der Weiterbildung von Entscheidern versagt. Wenn Bundesamtsbedienstete immer wieder selektiv veraltete Quellen zitieren, obwohl das Bundesamt über eine umfangreiche Dokumentation verfügt, dann muß dies Konsequenzen haben“, so Heiko Kauffmann abschließend.