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03.04.1998

5. April: Sechs Jahre Kinderrechtskonvention
PRO ASYL und National Coalition unterstützen
bundesweite Aktion für „Neshe“
Umgang mit Flüchtlingskindern widerspricht Völkerrecht

„Auch sechs Jahre nach der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen befindet sich das deutsche Ausländer- und Asylrecht noch immer nicht im Einklang mit den Völkerrechtsnormen für Flüchtlingskinder!“ Dies erklärte PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der „National Coalition“ für die Umsetzung der UN-Kinderrechts-konvention am Freitag in Bonn.

Die Bundesregierung und die deutschen Behörden würden ihrer Verpflichtung zum besonderen Schutz von Flüchtlingskindern nicht gerecht. „Dies führt dazu, daß viele der durch Flucht, Menschenrechtsverletzungen und Krieg oft schwer traumatisierten Kinder keine ausreichenden Hilfen in Deutschland erhalten“, so Kauffmann weiter. Immer häufiger komme es auch zu Abschiebungen von minderjährigen Flüchtlingskindern durch deutsche Behörden, ohne daß zuvor eine genaue Prüfung der Lebensverhältnisse, der Betreuungsmöglichkeiten und „einer dem Kindeswohl entsprechenden gesicherten Lebensperspektive“ im Herkunftsland stattgefunden habe. Dies verstoße nicht nur gegen alle Regeln des Kinder- und Jugendschutzes, es sei auch als schwerwiegende Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention zu bewerten.

Aus diesem Anlaß unterstützen die in der National Coalition zusammengeschlossenen ca. 100 Verbände, darunter PRO ASYL, die Solidaritätsaktion der „Initiative Neshe“ aus Heidelberg, die am 6. Jahrestag der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention eine bundesweite Postkarten- und Unterschriftenaktion für das am 9. Juli des vergangenen Jahres in die Türkei abgeschobene kurdische Mädchen gestartet hat.

Kauffmann: „Neshes Schicksal ist besonders tragisch, der Vater starb kurz vor ihrer Geburt bei Auseinandersetzungen mit dem türkischen Militär. Die Mutter wurde mißhandelt und ist seitdem ein Pflegefall. Als Neshes volljähriger Bruder in Deutschland als Flüchtling anerkannt wurde, folgte sie ihm nach Heidelberg. Das Sorgerecht wurde ihm übertragen; erstmals fand Neshe („Neshe“ heißt „die Fröhliche“ – so wird sie von ihren Mitschülern genannt) ein sicheres Zuhause, war voll integriert und bei allen beliebt.“

Obwohl die Stadt Heidelberg sich aus humanitären Gründen für den Verbleib des Mädchens ausgesprochen und auch die deutsche Botschaft in Ankara vor einer Abschiebung gewarnt hätten, sei Neshe – trotz aller Proteste – gegen ihren Willen abgeschoben worden. Seitdem lebe sie bei einem Lehrer-Ehepaar im Umfeld der deutschen Botschaft.

Mit der Postkarten- und Unterschriftenaktion appellieren die Unterzeichner an Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel und an den Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Dr. Thomas Schäuble, eine humanitäre Lösung für Neshe im Sinne des Kindeswohls herbeizuführen.

„Der Fall von Neshe zeigt exemplarisch, daß die in der deutschen Behörden- und Verwaltungspraxis geltende Vorrangigkeit eines als ‚Fremdenabwehrrecht‘ falsch verstandenen Asyl- und Ausländerrechts in Einzelfällen immer wieder zu unerträglichen Härten führt“, sagte Kauffmann. Tatsächlich müsse hier eine kindeswohlbezogene Abwägung zwischen sicherer Lebensperspektive einerseits und möglicher Verwahrlosung und Verlassenheit im Falle der Rückkehr andererseits getroffen werden.

PRO ASYL appelliert an Verbände, Eltern, Lehrer und Schüler, durch ihre Teilnahme an dieser beispielhaften Aktion die Politik wachzurütteln und ihr ein deutliches Signal zu geben.


Der UN-Ausschuß für die Rechte des Kindes hat in seinem Bericht vom 18. Dezember 1995 große Sorge über die Situation in Deutschland geäußert:


„Der Ausschuß ist weiterhin darüber im Zweifel, ob die besonderen Bedürfnisse und Rechte von Asylbewerber- und Flüchtlingskindern genügend berücksichtigt werden. Verwaltungsvorschriften für Asylbewerberkinder, besonders bezüglich der Familienzusammenführung, der Abschiebung in sichere Drittstaaten und der ‚Flughafenregelung‘, geben Anlaß zur Sorge. Diesbezüglich stellt der Ausschuß fest, daß die Sicherheiten der Artikel 2, 3, 12, 22 und 37(d) der Konvention offensichtlich nicht garantiert werden und man sich nicht genügend bemüht, die Artikel 9 und 10 anzuwenden. Der Ausschuß stellt auch mit Besorgnis fest, daß die medizinische Versorgung von Asylbewerberkindern nicht den Vorschriften der Artikel 2 und 3 der Konvention entspricht. (…) Ebenso müssen die Regelungen über die Abschiebung von Kindern in sichere Drittstaaten, über Familienzusammenführung und die ‚Flughafenregelung‘ mit den Vorschriften und Grundsätzen der Konvention, insbesondere der Artikel 2, 3, 5, 9 §3, 10, 12, 22 und 37, in Übereinstimmung gebracht werden.“

(aus: Schriftenreihe „RASSISMUS (INTER) NATIONAL, Band 1 „Rassismus am Pranger – Internationale Organisationen klagen an“, Hg. Aktion Courage e.V. – SOS Rassismus, Bonn, Januar 1998)
Das künftige Schicksal von Neshe liegt in Ihren Händen!

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