TAG DES FLÜCHTLINGS 1990
Schnellverfahren an der Grenze?
INHALT
- Grußwort des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (1990)
- Grußwort der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (1990)
ANALYSEN
- Der gläserne Flüchtling – Gespräch mit Prof. Dr. Spiros Simitis
- Europäische Asylpolitik
- Was garantiert das Grundgesetz? – Zur Diskussion über Asylsuchende und Aussieder
- Behebung der Fluchtursachen
- Flüchtlinge im „Karlsruher Loch“
- Schnellverfahren an der Grenze
FLÜCHTLINGSSCHICKSALE
- Rückblick auf ein Jahrzehnt der Flucht
- „Ich fühle mich wie ein Mann, der mit seinen zwei Beinen in zwei verschiedenen Booten steht“
- „Alles wegen eines Weihnachtsbaumes“
BEISPIELE UND ANREGUNGEN
- Grundregeln der Pressearbeit
- Begrüßungsgeld für Flüchtlinge
- Aufnehmen oder Ausliefern? -Text für eine Meditation
- „Wir suchen Asyl in Ihrer Kirche“
- Aussiedler, Übersiedler, Flüchtlinge: die gleiche Betroffenheit
- Asylantrag als Eintrittskarte
- Umfrage in der Fußgängerzone
- „Bettelmarsch“ gegen drohende Abschiebung
STATISTIK
Grenzschutzbeamte als Schnellrichter bei Asylsuchenden? Ein Verdacht, der sich aufdrängt, seit Flüchtlinge im Frankfurter Flughafen in abgeschlossenen Räumen ohne Kontakt nach draußen untergebracht werden. Es gibt Hinweise, daß sich Grenzschutzbeamte in diesem rechtsfreien Raum zu einer Art Schnellrichter in Sachen Asyl aufschwingen.
„Wir erfüllen nur die uns zugewiesenen Aufgaben, wir handeln korrekt nach Recht und Gesetz“, so die Auskunft des Bundesgrenzschutzes. Doch Verwaltungsgericht und Rechtsanwälte sind anderer Meinung. Von rechtswidrigen Entscheidungen des BGS ist die Rede. Seit Frühjahr, seit die Flüchtlinge in einem eigenen Gebäude abgeschirmt von der Öffentlichkeit untergebracht werden, fragt der BGS sehr detailliert nach den Gründen der Flucht und entscheidet dann über Aufnahme oder Zurückweisung. Der BGS fungiert also als Schnell- oder Grenzrichter. „Die detaillierten Fragen nach Person, Herkunft, politischer Situation und Fluchtgründen steht dem Bundesgrenzschutz nicht zu“, sagt Volker Morawitz vom Frankfurter Flüchtlingsbeirat.
Da dort am Flughafen im Gebäude C 183 ein rechtsfreier Raum besteht, das heißt, es gibt keinerlei Beratung, es gibt keine Anwälte, die ständig dort sind und die Flüchtlinge in rechtlichen Fragen beraten können, hat der Bundesgrenzschutz am Flughafen die Möglichkeit, ohne Kontrolle zu agieren und sein Machtmonopol in der Hinsicht auszunutzen.
Dazu ein Beispiel: Man legt den verängstigten, den oft gefolterten Flüchtlingen die Frage vor: „Welche Erwartungen stellen Sie an Ihren Aufenthalt hier in der Bundesrepublik?“ Die Antwort ist in der Regel: „Ich suche Schutz, will dem Staat aber nicht zur Last fallen: Ich will arbeiten“. Bei dem Satz „Ich will arbeiten“ schnappt die Falle zu. Aha, Wirtschaftsflüchtlinge, also abweisen. Dies passierte einem Iraner. Obwohl es kein Telefon gibt, keine Kontaktmöglichkeit nach draußen, fand er einen Rechtsanwalt. Das Verwaltungsgericht stoppte die rechtswidrige Ablehnung durch den BGS.
Zweites Beispiel: Die Ehefrau eines nigerianischen Bürgermeisters landete mit zwei Kindern. Ihr Mann war von der Opposition entführt worden, Morddrohungen auch gegen sie und die Kinder, deswegen floh sie. Für den BGS war dies kein ausreichender Asylgrund. Auch nicht für das Lagezentrum des Bonner Innenministeriums. Die Frau sollte zurückgeflogen werden. Sie wehrte sich, brach zusammen, wurde in die Flughafenklinik gebracht, mit Beruhigungspillen vollgestopft. Einer, der dies beobachtete, informierte einen Rechtsanwalt. Das sind Zufälle. Die Frau selbst hatte gar keine Möglichkeit zu telefonieren, Hilfe zu holen. Der Rechtsanwalt stellte die notwendigen formgerechten Anträge, hatte auch eine Vollmacht der Frau. Dennoch wurde er vom BGS nicht angehört, der weiterhin darauf bestand, die Frau und die Kinder zurückzuschicken. Nur weil es kein Flugzeug an diesem Wochenende gab, scheiterte der Plan des BGS und der Rechtsanwalt setzte sich unter der Drohung, das Gericht einzuschalten, durch. Dem HR gegenüber sagte der BGS, dies sei ein ganz normaler Fall. Gegen jede Entscheidung könne man Rechtsmittel einlegen.
Niemand weiß, wieviele Menschen bei ihrer Ankunft in Frankfurt zurückgewiesen werden. Niemand hat Zugang in diesen Bereich. Fehlentscheidungen, rechtswidrige Entscheidungen werden nur durch Zufall bekannt. Deswegen Volker Morawitz:
Wenn am Flughafen seitens des Grenzschutzes nichts zu verstecken wäre, dann müßte man bereit sein, den Bereich C 183 zu öffnen in der Form, daß Initiativen, Organisationen die Möglichkeit gegeben werden muß, die Flüchtlinge dort zu beraten, ihnen Informationen zu geben über die weiteren Maßnahmen, die getroffen werden hier im Aufnahmeland. Es muß auch die Möglichkeit gegeben sein, Rechtsanwälte zu konsultieren und sich von Rechtsanwälten in Fragen des Asylrechts beraten zu lassen.
Diese Forderung wird wohl kaum erhört, denn man will ja die Zahl der Flüchtlinge verringern.