Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors

Süddeutsche Zeitung
19.10.1998
Feuilleton

„Schily con carne“

Wie einer auszog, Innenminister zu werden

REINHARD KREISSL

Rotgrüner Bundesinnenminister

Die passende Retusche:

„Radikaler der Neuen Mitte“

(Die rechte Schulter nach oben ziehen!)

„Verfechter des grossen Lauschangriffs“

(Vergrößeren Sie die Ohrmuscheln)

„Anwärter auf den Manfred-Kanther-Gedächtnispreis“

(Mundwinkel nach unten ziehen!)

„Staatsverliebter Ordnungsfetichist“

(Mittelscheitel legen!)

„Lordsiegelbewahrer der rechtsstaatlichen Ordnung“

(Nasenspitze nach unten ziehen! )

nahtloser Übergang??

Wir sind um eine Hoffnung ärmer, eine Erfahrung reicher. Die Koalitionsvereinbarungen zur Innenpolitik liegen vor. Man wußte, daß der Spielraum nicht groß sein würde. Um so mehr richtete sich das Interesse auf jene Politikbereiche, in denen es darum geht, wie diese Gesellschaft, dieser Staat es miteinander halten. Die Innenpolitik bietet viel Raum für symbolisch wirksames Handeln. Ob ein Staat bei seinen Bürgern den Eindruck erweckt, daß er ihnen nachspioniert, ob er sie mit düsteren Szenarien vom organisierten Verbrechen einschüchtert oder ob er das alles nicht tut, macht einen gewichtigen Unterschied. Ob er sich von Feinden umringt sieht und waffenstarrend in Verteidigungshaltung geht, oder ob er den innenpolitischen Herausforderungen der globalen Unordnung mit demokratischem Mut, politischer Klugheit und legislativer Phantasie begegnet, wird einen Einfluß auf das politische Klima des Landes haben.

Die Kohl-Kanthersche Trutzburgmentalität hätte ersetzt werden können durch eine zivile Innenpolitik. Statt dessen finden wir ein Programm, das wie eine Resteverwertung der früheren Innenund Sicherheitspolitik gelesen werden kann. Es bleibt beim Lauschangriff, bei den umfassenden Kontrollrechten der Polizeiorgane. Drogenpolitik, Strafvollzug, Strafrecht werden nicht oder mit nichtssagenden Floskeln behandelt, und Europol harrt noch immer einer gesetzlichen Kontrolle.

Die Verantwortung dafür dürfte der designierte Innenminister Otto Schily haben. In ihm vermischen sich Biographisches und Historisch-Politisches zu einer Figur, die das Zeug zu einem rot-grünen Phänotyp hat. Demnach ließe sich Schily als Radikaler der Neuen Mitte bezeichnen. Insofern ist sein Weg vom profilierten Verteidiger Gudrun Ensslins über den Abgeordneten der Grünen zum Anwärter auf den Manfred-Kanther-Gedächtnispreis nur konsequent.

Den Beweis liefert ein Engagement, das sowohl den Strafverteidiger als auch den Innenpolitiker befeuert. Schily ist eine Art staatsverliebter Ordnungsfetischist. Mit dieser Haltung hat er sich für die Angeklagten der RAF ebenso eingesetzt wie jetzt für den Lauschangriff. Ihm standen damals als Verteidiger eines rechtsstaatlichen Verfahrens bei der Prozeßführung der Bundesanwaltschaft in Stammheim die Haare zu Berge. Das erklärt seine frühere Rolle. Aber die politische Kritik der frühen RAF am Modell Deutschland hat er sicherlich nie geteilt. Jetzt jedoch sieht er den Staat und die Rechtsordnung wieder bedroht, diesmal allerdings durch Kanthersche Schimären. Er agiert auch in seiner neuen Rolle wie der Lordsiegelbewahrer der rechtsstaatlichen Ordnung. Zugleich materialisiert sich in ihm aber auch ein historisches Trauma der Sozialdemokraten. Als „vaterlandslose Gesellen“ stigmatisiert, buhlen sie notorisch um vaterländische Anerkennung, auch dann, wenn sie selbst regieren.

Schily repräsentiert diese Haltung aufs trefflichste. Er verteidigt die Herrschaft des Gesetzes, rechtsstaatliche Verhältnisse, und greift dafür zu jedem Mittel. Allerdings läuft er dabei Gefahr, jegliches Augenmaß zu verlieren. Solange er im Dienste der Regierung steht, wird er kompromißlos alles tun, was sein Ordnungssinn von ihm verlangt. In diesem Sinne ist er unbestechlich. Dies gilt leider auch für überzeugende Gegenargumente.


Nach oben