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Schengen Romantik

Herbert Leuninger, PRO ASYL

Beitrag (Fotoserie) zur
„Karawane (Caravan) für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“
am 12.9.1998 in Frankfurt/Main

INHALT

„Karawane“ (Caravan) für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“

Anmerkung: der Link-Verweis zum Beitrag auf der Internetseite vom Human Rights ist nicht mehr gültig

Dieser Tage habe ich eine Flasche Wein zum Geschenk erhalten. Auf dem Etikett steht „Chateau de Schengen, Schloß Schengen“. Es zeigt eine romantische Anlage, der Schlossturm ist von Weinreben umrankt. Symbol eines gehobenen Lebensstils und gesteigerter Lebensfreude, zumindest für eine privilegierte Kaste.

Das Schengener Abkommen, dessen Besitzstand ab 1999 in die EU übernommen wird, verspricht den Bürgerinnen und Bürgern von Schengenland eine neuartige Lebensfreude mit interner Grenzenlosigkeit, der Befreiung von Pass- und Zollkontrollen und einer unbeschränkten Reisefreiheit. Dafür ist aber ein Preis zu zahlen, ein sehr hoher Preis und diesen Preis bezahlen MigrantInnen und Flüchtlinge. Denn Schloss Schengen als europäischer Raum der Freizügigkeit wird an den Aussengrenzen als Festung ausgebaut.

Diese Festung hat weit draussen umfangreiche Vorwerke, tiefe Gräben und hohe Wallanlagen:

Schengen, das bedeutet
Visumszwang für über 130 Länder, und gerade für die Länder, aus denen möglicherweise Flüchtlinge kommen können.

Schengen, das bedeutet
hohe Strafen für Fluglinien, wenn sie es wagen sollten, Flüchtlinge zu befördern, die über keine, über unzureichende oder gar gefälschte Reisedokumente verfügen.

Die Nachbarländer werden als Torwachen eingesetzt, um bereits an ihren Grenzen mögliche Asylbewerber zurückzuweisen oder festzunehmen. Schengenland ist ihnen in jeder Weise behilflich, die eigene Grenzüberwachung und -befestigung zu verstärken. Sogar die Türkei soll von der EU als Fluchtverhinderungsstaat einbezogen und ausgerüstet werden.

Schengen, – das heisst Niemandsland.
Dazu werden die Transitzonen der Flughäfen für Flüchtlinge erklärt, das gilt vor allem für den grossen internationalen Flughafen Frankfurt. Wenn dort Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsländern oder mit unzulänglichen Ausweisen eintreffen, werden sie festgenommen und interniert. Sie gelten noch nicht als eingereist, werden in isolierter Lage, vielleicht sogar über Monate wie in einem Gefängnis gehalten mit der ständigen Furcht in das Heimatland zurückgebracht zu werden.

Die Festung Schengen ist mit dicken Mauern und Wehrtürmen umgeben.

Schengen, heisst
fast lückenlose Überwachung mit Hubschraubern, Nachtsichtgeräten, Schnellbooten und ganzen Staffeln deutscher Schäferhunde. Auch Geräte, um menschliche Ausdünstungen in Container-Verstecken aufzuspüren, gehören mittlerweile zum Alltag der Grenzschützer. Die Oder-Neisse-Grenze gilt als Europas bestbewachte Grenze.

Schengen, das bedeutet
auch das Schengener Informationssystem mit seinem sekundenschnellen Datenaustausch. Der Zentralcomputer enthält hunderttausende Einträge über Menschen, die an der Grenze zurückzuweisen sind.

Schengen, das bedeutet
Hunderte Menschen, die den Versuch nach Westeuorpa zu gelangen mit dem Leben bezahlen. Sie ertrinken in Grenzflüssen, kentern auf seeuntüchtigen Schiffen und Booten vor den Küsten, ersticken in Zwischenböden von Lastzügen, verunglücken, von der Polizei verfolgt, in überladenen Kleinlastern.

Schloss Schengen,
das ist auch Überwachung innerhalb der Festung.
1994 erhielt der BGS die Befugnis im Hinterland der Grenze in einer 30km-Zone ohne Anlaß oder Verdacht Ausweiskontrollen vorzunehmen, Häuser und Wohnungen ohne richterliche Genehmigung zu betreten, verdeckte Foto- und Videoüberwachung zu installieren.

Taxifahrer werden verurteilt, weil ihre Fahrgäste illegal in die Bundesrepublik gekommen sind. Die Bevölkerung wird in das Jagdszenario einbezogen. Der Observierungswahn der früheren DDR feiert fröhliche Urständ.

Künftig kann der BGS auch in Zügen sowie auf Bahnhöfen und Flughäfen ohne konkreten Verdacht Menschen überprüfen.

Die Frage der Inneren Sicherheit wird hochgespielt und ihr werden immer mehr Bürger- und Menschenrechte geopfert. Vor allem werden Flüchtlinge und MigrantInnen in Bedrohungsvorstellungen einbezogen, Sie werden in einem Atemzug mit Drogenhandel, transnational arbeitender Mafia und Schmugglerbanden genannt.

Flüchtlinge und MigrantInnen gehören zum neuen Feindbild. Und wenn es um die Produktion eines solchen Bildes geht, dann gehören auch alle Formen der Entrechtung und Herabsetzung hinzu. Hierzu zählen das Bündel der Rechtsverschlechterungen, der Ausgrenzung und Entwürdigung für asylsuchende Menschen.

Das Weinetikett vom Chateau de Schengen ist nach einem Bild des französischen Dichters Victor Hugo entworfen worden. Er mußte im letzten Jahrhundert nach der Errichtung des Zweiten Kaiserreiches fliehen und lebte 19 Jahre im Exil auf einer Insel vor Frankreichs Küste. Dort hat er auch seinen berühmten Roman „Les Miserables“ „Die Elenden“ geschrieben, Grundlage des gleichnamigen Musicals. In diesem Romanwerk ist der Satz enthalten, den ich zum Nachdenken an den Schluss setze.

„Ja, eine Gesellschaft, die das Elend, eine Religion, die die Hölle, eine Humanität, die den Krieg zulässt, erscheinen mir als minderwertige Gesellschaft, Religion und Humanität“.

Und ich füge hinzu, ein Europa, daß zu einer Festung gegen Flüchtlinge und MigrantInnen wurde, ist ein minderwertiges Europa. Und ein solcher Europa, ein solches Schengen-Schloss wollen wir nicht!


Schengen Romantik (Folien)


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