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TAG DES FLÜCHTLINGS 1991

Resignation ist keine Alternative:

Zu den Ursachen des internationalen Flüchtlingsproblems

Peter J. Opitz

Sieht man einmal von den komplizierten methodischen Problemen ab, die die Abgrenzung eines wissenschaftlich tragfähigen und international akzeptierten Flüchtlingsbegriffs aufwirft, und betrachtet man als „Flüchtling“ jeden, der infolge von Bedrohung von Leib und Leben seine Heimat verläßt – wobei es unerheblich ist, ob er auf seiner Flucht die Grenzen seines Landes überschreitet oder lediglich in anderen Regionen dieses Landes Zuflucht sucht – so sind im wesentlichen vier zentrale Ursachenkomplexe von Fluchtvertreibung sichtbar geworden: 1. Kriege und Bürgerkriege; 2. repressive gesellschaftliche Strukturen und Systeme totalitärer und autoritärer Natur; 3. wirtschaftliche Probleme; 4. die Belastung und Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen.

Kriege und Bürgerkriege

Vergegenwärtigt man sich, daß seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als 170 Kriege und Bürgerkriege stattgefunden haben – die weitaus größte Zahl davon in den Regionen der Dritten Welt -, so wird die zentrale Bedeutung dieses Ursachenkomplexes unübersehbar. Die meisten dieser Konflikte lassen sich bei näherer Betrachtung einer Reihe langfristiger historischer Prozesse zuordnen. Nachdem in den 60er und 70er Jahren viele der gewaltsamen Konflikte und der sie begleitenden Flüchtlingsbewegungen im Umfeld der zerfallenden europäischen Kolonialreiche entstanden waren, rückten in den 80er Jahren zunehmend Auseinandersetzungen in den Vordergrund, die sich aus der äußeren und inneren Konsolidierung der neugebildeten Staaten ergaben. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß sich die Zahl der Staaten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahezu verdreifacht hat.. Abgesehen davon, daß damit die Zahl der internationalen Akteure und die Länge der zwischenstaatlichen Grenzen erheblich gewachsen ist, war für den rapiden Anstieg der Konflikte von Bedeutung, daß viele der neuen Staaten in ihrer Zusammensetzung völlig heterogen sind. Denn in der Mehrzahl der Fälle entstanden sie innerhalb von Grenzen, die von den früheren Kolonialmächten, ohne Rücksicht auf ethnische, religiöse oder traditionelle politische Strukturen festgelegt worden waren.

Während die Entzündung des zwischen den einzelnen Nationalitäten lagernden Konfliktpotentials in der Kolonialzeit von den kolonialen Ordnungskräften zumeist verhindert worden war, kam es nach der Unabhängigkeit mit dem nun einsetzenden Wettlauf um politische Macht und wirtschaftliche Ressourcen zum Ausbruch. Eine Kettenreaktion von Kriegen und Bürgerkriegen setzte ein, die bis heute andauert. Dabei ergaben sich – und ergeben sich bis heute – zwei Typen von Konflikten: zwischenstaatliche Kriege um kontroverse Grenzziehungen und innerstaatliche Konflikte. Ein frühes Beispiel für den ersten Typus bildete der Krieg zwischen Äthiopien und Somalia um den Ogaden; ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist die Annexion Kuwaits durch den Irak. Angesichts des Aufstiegs neuer regionaler Hegemonialmächte ist zu befürchten, daß dieser Konflikttypus in der Zukunft noch weiter zunehmen wird.

Erheblich häufiger als zwischenstaatliche Kriege sind allerdings innerstaatliche Konflikte, in denen einzelne Nationalitäten gegen Unterdrückung und Ausbeutung aufbegehren und um einen eigenen Staat kämpften. Spektakuläre Beispiele sind im Nahen Osten die Kurden und Palästinenser, in Afrika die Sahrauis und die Einwohner von Eritrea und Tigre, in Asien die Kaschmiris und Sikhs, die Tamilen und die Tibeter.

Einen völlig neuen Problemfall stellt seit Ende der 80er Jahre die Sowjetunion dar. Sollte der sowjetischen Führung keine friedliche Lösung der schwelenden Nationalitätenkonflikte gelingen, so droht sowohl im baltischen Raum wie in der Ukraine und im kaukasischen Bereich der Ausbruch gewalttätiger Konflikte. Schon Anfang 1990 gab es in der Sowjetunion infolge blutiger Nationalitätenkonflikte ungefähr eine halbe Million interne Flüchtlinge. – Ein weiterer gefährlicher Konfliktherd dieses Typus besteht außerdem auf dem Balkan, wo ein Auseinanderbrechen Jugoslawiens immer wahrscheinlicher wird. Doch auch in anderen Staaten Südosteuropas, die sich auf den Territorien des nach dem Ersten Weltkrieg aufgelösten Osmanischen Reichs und der Habsburger Donaumonarchie bildeten, schwelen noch immer ungelöste Nationalitäten-Konflikte.

Totalitäre und autoritäre Systeme

Berichte internationaler Menschenrechtsorganisationen lassen erkennen, daß noch immer in vielen Teilen der Welt Menschenrechte massiv verletzt werden. Verursacher sind zumeist totalitäre und autoritäre Regime, die die politische und wirtschaftliche Macht monopolisiert haben und gewaltsam gegen das Streben nach partizipatorischen und pluralistischen Strukturen, nach Gerechtigkeit und Menschenrechten vorgehen. Die gewalttätige Repression geht dabei ebenso häufig von zivilen Regimen wie von Militärjuntas aus.

Von rückläufiger Bedeutung als fluchtauslösende Ursachen sind seit Mitte der 80er Jahre totalitäre Regime, nachdem sie in ihren faschistischen und kommunistischen Varianten seit den 30er Jahren dieses Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte der 80er Jahre eine wichtige fluchtauslösende Rolle gespielt hatten. Wichtigste Ursache dafür ist der Zusammenbruch sozialistischer Regime in Mittel- und Osteuropa sowie die Desavouierung der ihnen zugrunde liegenden Ordnungsvorstellungen und ihre Ersetzung durch Ordnungsprinzipien liberaldemokratischer Prägung. Allerdings droht inzwischen in der Sowjetunion die Gefahr, daß dieser Prozeß gestoppt und wieder rückgängig gemacht wird. Über die Ereignisse in Europa sollte ferner nicht vergessen werden, daß die Dominanz totalitärer Systeme in großen Teilen Ostasiens zwar wirtschaftlich erschüttert, politisch jedoch ungebrochen ist. Das gleiche gilt für einige Staaten in Afrika und in der Karibik. Doch selbst wenn die Demokratisierungsprozesse in Osteuropa auch auf jene Gebiete übergreifen, würde dies nur langfristig zu einer allgemeinen Verbesserung der Menschenrechtssituation führen. Kurzfristig wäre zunächst eine Verhärtung der Repression und damit ein Anschwellen von Flüchtlingsbewegungen die Folge; die blutige Niederschlagung der chinesischen Demokratie-Bewegung im Juni 1989 liefert ein warnendes Beispiel.

Eine neue Variante totalitärer Herrschaft zeigt sich inzwischen in einer Reihe islamischer Staaten, in denen sich ein religiöser Fundamentalismus durchsetzt. Opfer sind dabei vornehmlich jene Teile der einheimischen Eliten, die sich durch ihre Offenheit gegenüber westlichen Ideen und Lebensstilen verdächtig gemacht haben und als potentielle Gegner einer Re-Islamisierung angesehen werden. Wichtigste Beispiele sind noch immer der Iran und der Sudan. Die religiöse Unduldsamkeit kann sich aber auch gegen Angehörige anderer Religionen richten, etwa gegen Christen oder Hindus. So hat im vergangenen Jahr aus Furcht vor gewalttätigen Übergriffen militanter Muslims ein verstärkter Exodus von Hindus aus Kaschmir eingesetzt. Sofern es nicht gelingt, diesen Konflikt einzudämmen, ist als Gegenreaktion ein Anwachsen eines Hindu-Fundamentalismus in Indien zu befürchten – mit gefährlichen Folgen für die ca. 90 Millionen in Indien lebenden Muslime. 1947 war es bei der Teilung Indiens zu einer der größten Fluchtbewegungen der Geschichte dieses Jahrhunderts gekommen – mit Millionen von Toten. Ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen Hindus und Muslimen würde nicht weniger fatale Folgen haben.

Während die Bedeutung totalitärer Regime im Zuge der Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa zurückgegangen ist, hält die Bedrohung durch autoritäre Regime in vielen Teilen der Welt weiter an. Zwar greifen diese in der Regel weniger tief und direkt in die individuelle Lebenssphäre der Menschen ein, doch ahnden sie Aktivitäten auf eine Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Machtstrukturen nicht minder rigide. Mit zunehmender Ausbreitung demokratischer Vorstellungen droht damit der Ausbruch von Bürgerkriegen zwischen den Vertretern des „ancien regime“ und den demokratischen Bewegungen. Ballungen autoritärer Staaten finden sich u. a. im südlichen Vorfeld der USA, in Zentralamerika und in der Karibik, wobei die strategische Absicherung dieses Vorfelds gegen innere und äußere Bedrohungen von Washington unterstützt wird; im Nahen Osten und Nordafrika. In Europa selbst ist nach dem Zusammenbruch der autoritären Regime an den Rändern (Griechenland, Spanien, Portugal) nur noch die Türkei geblieben. Im Falle eines Bürgerkriegs in der Türkei könnten die Flüchtlingsströme nach Westeuropa schlagartig anschwellen.

„Armutsflüchtlinge“

Daß der wirtschaftliche Niedergang von Staaten, Regionen und Kontinenten Menschen zur Flucht und zur Suche nach besseren Lebensbedingungen veranlaßt, ist seit langem bekannt. So haben zwischen 1500 und 1960 schätzungsweise 60 Millionen Europäer aus allen Teilen Europas die „alte Welt“ verlassen,

um für sich und ihre Familien in Übersee ihr Glück zu suchen. Viele von ihnen mag die Hoffnung auf Reichtum und Abenteuer angezogen haben, doch die Mehrzahl von ihnen floh vor Arbeitslosigkeit, Armut und blanker Hoffnungslosigkeit. Es waren „Armutsflüchtlinge“ im wahrsten Sinne dieses Wortes, an dem lange niemand etwas Ehrenrühriges fand. Inzwischen ist das Wort nicht nur erneut in Mode gekommen, sondern vor allem in Mißkredit geraten. Es bezeichnet jene Millionen von Menschen, die auf der Flucht vor bitterster Armut und Arbeitslosigkeit die Elendsgebiete der Dritten Welt verlassen, um zunächst in anderen Regionen – vor allem in den Städten des eigenen Landes – später aber in den Ländern des reichen „Nordens“ Arbeit und finanzielles Auskommen suchen.

Die Ursachen, die den wirtschaftlichen Verfall vieler Regionen der Dritten Welt und der Verelendung von Hunderten von Millionen Menschen zugrunde liegen, sind seit langem bekannt – auch wenn die besondere Gemengelage dieser Ursachen von Land zu Land verschieden sein mag: interne Faktoren wie ein rapides Bevölkerungswachstum, verbreitetes Analphabetentum, ausbleibende Agrarreformen, falsche Wirtschaftspolitik und fehlende Sozialpolitik, Kapitalmangel, Überrüstung sind darin ebenso enthalten wie externe Faktoren: verfallende Rohstoffpreise, verzögerte Umschuldungsprogramme, ein zu geringer Kapitalzufluß, vor allem aber durch Protektionismus versperrte Märkte.

Nachdem lange Zeit das Gros der „Armutsflüchtlinge“ aus den Regionen der Dritten Welt kam, droht seit Mitte der 80er Jahre nun eine Massenwanderung von Ost nach West – die Zahlen schwanken zwischen zwei und 25 Millionen. Obwohl die Ursachen höchst unterschiedlich gelagert sind, spielt auch hier die rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in vielen Teilen Mittel- und Osteuropas, vor allem aber in der Sowjetunion, eine zentrale Rolle – neben den schon genannten Nationalitätenkonflikten und der Furcht vor erneuter politischer Repression.

Umweltflüchtlinge

Als eine vierte Kategorie von Flüchtlingen rückten zu Beginn der 80er Jahre zunehmend jene Menschen ins Zentrum internationaler Aufmerksamkeit, die sich aufgrund einer schwerwiegenden Verschlechterung der Lebens- und Umweltbedingungen gezwungen sahen, ihre Wohngebiete vorübergehend oder dauerhaft zu verlassen. Wie bei den „Armutsflüchtlingen“, so werden auch bei den Umweltflüchtlingen die Motive der Flucht immer wieder in Frage gestellt und ihnen der Status eines „Flüchtlings“ verweigert.

Der Flucht aus Umweltgründen liegen – sieht man einmal von „natürlichen“ Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüchen, Erdbeben oder Überschwemmungen ab – vornehmlich drei Typen von Ursachen zugrunde: Eine erste Art bilden von Menschen bewußt vorgenommene Eingriffe in die Natur. Zu ihnen gehören der Bau von Staudämmen, durch die die Lebensgrundlagen ganzer Regionen verändert und Tausende von Menschen zur Aufgabe ihrer traditionellen Wohnsitze gezwungen werden, die Abholzung großer Waldgebiete wie der Hänge des Himalayas, die eine verstärkte Bodenerosion zur Folge haben oder die Ableitung immenser Wassermengen aus Flüssen zur Bewässerung von Spezialkulturen. Im Gebiet des Aral-Sees hat dies zu großflächiger Verwüstung und Versalzung geführt, wodurch die Lebensgrundlagen von einigen Millionen Menschen zerstört wurden.

Einen zweiten Typus bilden Umweltzerstörungen aufgrund von Unfällen wie etwa Reaktorkatastrophen oder bewußte „ökologische Kriegsführung“. Die Einleitung großer Mengen von Erdöl in den Persischen Golf und die mutwillige Entzündung Hunderter von Ölquellen während des Golfkrieges sind abschreckende Beispiele aus jüngster Vergangenheit, deren Folgen noch gar nicht absehbar sind. Einen dritten Typusstellen schließlich Schädigungen der globalen Umwelt durch die modernen Wirtschaftsformen dar, zum Beispiel die längerfristige Erwärmung der Erde durch die Erhöhung des Kohlendioxydgehalts der Atmosphäre infolge einer verstärkten Nutzung von vielen Energieträgern („Treibhauseffekt“). Als Folgen einer absehbaren Veränderung des Erdklimas drohen einerseits die Ausdehnung von Trockenzonen, andererseits die Überflutung der dichtbesiedelten, tiefliegenden Küstengebiete und Stromtäler. Dadurch verursachte Flucht- und Migrationsbewegungen würden zu Kriegen und Konflikten größten regionalen Ausmaßes führen.

Noch scheint dieses Katastrophenszenario weit in der Zukunft zu liegen – doch die Zukunft hat schon begonnen, und sollten sich die Umweltzerstörungen in den 90er Jahren mit derselben Geschwindigkeit ausdehnen wie in den 80er Jahren, so wird sie schneller über uns sein, als wir es heute ahnen. Schon jetzt wird nicht nur eine auffällige Zunahme von Stürmen und Überschwemmungen registriert, die weltweit riesige Schäden anrichten, sondern auch ein

bedrohliches Vorrücken der Wüsten. So verwandelten sich in den 80er Jahren jährlich ca. 200 000 Quadratkilometer fruchtbares Land in Wüsten.

Konsequenzen

Wenn die Freilegung der Ursachen der weltweiten Flüchtlingsbewegungen nicht zu einem akademischen Selbstzweck verkommen soll, stellt sich die Frage nach praktischen Konsequenzen der bisherigen Forschungsergebnisse. Was muß, was kann getan werden, um die erkannten Ursachen zu bekämpfen oder zu isolieren? Der hier zur Verfügung stehende Raum reicht zu nicht mehr als zu einigen skizzierenden Anmerkungen. Präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Fluchtbewegungen – und nur auf sie beziehen sich die folgenden Bemerkungen, nicht auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der schon vorhandenen Flüchtlinge – müssen an den vier oben dargestellten Problemkomplexen ansetzen.

An erster Stelle steht dabei das System kollektiver Friedenssicherung. Nachdem der Ost-West-Konflikt, der den UN-Sicherheitsrat über viele Jahrzehnte lahmgelegt hatte, viel von seiner einstigen Brisanz verloren hat, sind nun wichtige politische Voraussetzungen dafür gegeben, daß sich der Sicherheitsrat schneller mit aufbrechenden Konflikten befaßt und sich energischer um die Durchsetzung seiner Beschlüsse bemüht. Daß er dazu in der Lage ist, haben die Initiativen, Resolutionen und Aktionen gegen den Irak gezeigt. Allerdings haben diese Aktionen auch die Notwendigkeit sichtbar gemacht, daß der Sicherheitsrat die Kontrolle über das Geschehen in der Hand behält und glaubwürdig dem Eindruck entgegenwirkt, von einer einzelnen Macht dominiert und instrumentalisiert zu werden. Dazu dürfte es notwendig sein, nicht nur das in der UN-Charta vorgesehene Instrumentarium endlich bereitzustellen, sondern dieses auch effizienter zu gestalten.

Letzteres gilt insbesondere für Verfahren zu einer nicht-militärischen Bewältigung von Konflikten. So müßte sowohl das UN-Monitoring-System zwecks rechtzeitiger Informationsbeschaffung über drohende Konflikte, ausgebaut wie auch Kompetenzen des UN-Generalsekretärs für konfliktverhindernde Aktionen im diplomatischen Vorfeld verstärkt werden. Da viele der militärischen Konflikte in den Regionen der Dritten Welt stattfinden, außer China aber keines der wichtigen Dritte-Welt-Länder zu den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates gehört, ist es dringend geboten, Mechanismen zu ihrer stärkeren Einbindung zu entwickeln. Ohne eine solche Integration dürfte in einer sich ständig stärker multipolar entwickelnden Welt das friedenssichernde Potential der Vereinten Nationen ständig abnehmen. Darüber hinaus empfiehlt sich – sozusagen als Gegengewicht zum Sicherheitsrat – der Aufund Ausbau stärker an das UN-System angebundener regionaler Sicherheitssysteme, die wirksam vor Ort tätig werden könnten.

Verstärkten Ausbau verdienen zweitens die dem engeren Bereich militärischer Friedenssicherung vorgelagerten Systeme und Mechanismen zur besseren Sicherung und Durchsetzung der Menschenrechte. Denn nur mit ihrer Hilfe ist es möglich, die menschenverachtenden totalitären und autoritären Systeme zu disziplinieren und langfristig zu transformieren. Diese Aufgabe ist insofern noch schwieriger als die vorherige, als das Prinzip der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates bis heute zu den wichtigsten Grundsätzen internationaler Politik gehört, und auch Bestandteil der UN-Charta ist. Dennoch scheinen auch hier im UN-Bereich Verbesserungen möglich, z. B. durch die Schaffung des Amts eines Hohen Kommissars für Menschenrechte mit erweiterten Aufsichts- und Entscheidungsbefugnissen sowie durch eine Aufwertung des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen, in dessen Verantwortlichkeit die Überwachung der Menschenrechte liegt. In diesem Zusammenhang wird es ferner notwendig sein, die Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte als Voraussetzung für die Gewährleistung und den Genuß der politischen Menschenrechte stärker als bisher zu berücksichtigen.

Drittens: Daß das Problem der „Armutsflüchtlinge“ aus „Süd“ und „Ost“ nicht durch eine noch so liberale Einwanderungspolitik zu lösen sein wird, ja daß es durch sie nicht einmal gemildert werden kann, ist angesichts der riesigen Zahl der Menschen, um die es sich dabei handelt, evident. Eine liberalisierte Einwanderungspolitik könnte den Ausreiseländern sogar schaden, birgt sie doch die Gefahr, daß gerade die am besten qualifizierten Arbeitskräfte abwandern und ein solcher „brain drain“ die wirtschaftlichen Probleme der betreffenden Länder noch verschärft. Helfen kann langfristig nur eine Verbesserung der internationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere ` der Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse für Importe aus Entwicklungsländern, die Forderung eines von Marktkräften geleiteten Flusses von Investitionen und eine Entschärfung der Schuldenproblematik. In den Entwicklungsländern selbst wird es vor allem darauf ankommen, den Staatseinfluß zurückzudrängen und durch die Einführung gewaltenteilender Systeme zu kontrollieren, die wirtschaftliche Kreativität des einzelnen freizusetzen und durch marktwirksame Lenkungsmechanismen in die richtigen Bahnen zu leiten, die menschlichen Ressourcen stärker zu entwickein, etwa durch Förderung der Ausbildung, das Bevölkerungswachstum zu verringern und die Rüstungsausgaben zu senken – um nur einige der Maßnahmen zu nennen.

Die langfristig wichtigste Aufgabe ist – viertens – zweifellos, der Zerstörung der natürlichen Umwelt Einhalt zu gebieten. Gelingt dies nicht, so werden auch die besten internationalen und nationalen Entwicklungsstrategien scheitern, die natürlichen Grundlagen des Lebens für eine ständig wachsende Weltbevölkerung zu sichern. Die Armut wird sich dann weiter ausdehnen, die Rivalitäten und Konflikte innerhalb und zwischen den Ländern und Regionen der Welt werden zunehmen, die Zahlen der Flüchtlinge und Migranten werden weiter steigen – und die Unterscheidung zwischen „politischen Flüchtlingen“, „Armutsflüchtlingen und „Umweltflüchtlingen“ wird noch unsinniger und irrelevanter werden, als sie es ohnehin schon ist.

So wichtig es daher auch ist, weiterhin für ein liberales Asylrecht einzutreten, für eine verbesserte finanzielle Ausstattung des UNHCR, für eine Entlastung der Flüchtlings-Aufnahmeländer, für mehr Mittel zur Repatriierung und Reintegration rückkehrwilliger Flüchtlinge in ihre Heimatländer – sofern nicht gleichzeitig die anderen oben aufgeführten Aufgaben angegangen werden – so lange wird weltweit die Zahl der Flüchtlinge und Migranten weiter zunehmen. Die Aufgaben, die sich somit stellen, sind sehr vielfältig. Jede einzelne von ihnen ist wiederum so gigantisch, daß Resignation eine nur allzu verständliche Reaktion wäre. Denn jede einzelne Aufgabe greift weit über den engen Flüchtlingsbereich hinaus und übersteigt die Kräfte jedes einzelnen Landes. Deshalb verspricht letztlich nur der Einsatz aller Mittel im Rahmen einer international akzeptierten und koordinierten Strategie langfristigen Erfolg. Das aber spricht dafür, daß wir uns noch viel stärker auf das UN-System konzentrieren, das dafür allerdings grundlegender Verbesserung bedarf. Ob wir zur Bewältigung der vor uns stehenden Herausforderungen die politische Kraft und die geistige Kreativität aufbringenden, bleibt abzuwarten. Doch die Zeit drängt. Resignation ist keine Alternative.


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