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30.08.1996

Auch nach Einreiseentscheidung des
Frankfurter Verwaltungsgerichts:
Afghanische Flüchtlinge immer noch von Abschiebung bedroht
Auswärtiges Amt rät grundsätzlich davon ab,
nach Afghanistan zu reisen
PRO ASYL: Moralischer Doppelstandard
bei der Bewertung der Gefährdungslage nicht akzeptabel


Zwei afghanischen Familien, denen das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main vor 2 Wochen unter Berufung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Einreise nach Deutschland gestattet hatte, droht weiter die Abschiebung. Zwar hatte das VG entschieden, daß ein längeres Festhalten der Familien im Transit des Flughafens nicht mehr zulässig sei, jedoch entgegen dem klaren Wortlaut des Asylverfahrensgesetzes auch darauf hingewiesen, daß dies nicht zugleich die Aussetzung der Abschiebung bedeute. Nachdem eine Wochenfrist für die freiwillige Ausreise bereits verstrichen ist, droht den Familien, die sich mit einer Hungerstreikaktion im Juli gegen ihre Zurückschiebung aus dem Transit des Frankfurter Flughafens in Transitländer zur Wehr gesetzt hatten, erneut die Abschiebung. Rechtsmittel sind in beiden Fällen eingelegt. Im Fall der Familie S., die mit drei Kindern im Alter von 8 bis 12 Jahren nach Moldawien abgeschoben werden soll und vom Gericht auf einen 5.000 km langen Landweg nach Afghanistan verwiesen wurde, werden diese auch damit begründet, daß die Abschiebung eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellen würde. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts wird in Kürze erwartet.

Obwohl das Auswärtige Amt in seinen Länderberichten für die Verwaltungsgerichte die Auffassung vertritt, Nordafghanistan sei relativ sicher (Sicherheitslage „uneinheitlich“), rät es deutschen Touristen grundsätzlich davon ab, nach Afghanistan zu reisen. Der für Sicherheitshinweise für Touristen zuständige Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes erteilt potentiellen Touristen die Auskunft, es würden an den verschiedenen Orten im Land immer wieder Kämpfe ausbrechen, die medizinische Versorgung sei katastrophal, es gebe vielen Straßenkontrollen, das Land sei vermint, eine Justiz gebe es praktisch nicht. Bei einem falschen Schritt abseits des Weges sei „die Reise zu Ende“. Zu der von der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt immer wieder zitierten Flugverbindung über Indien ins belagerte Kabul, bei der rückkehrende Afghanen angeblich bei einer Zwischenlandung in Jalalabad aussteigen könnten, meinte der Vertreter des Auswärtigen Amts, dann müsse man auf dem Landweg mit dem Bus weiterreisen, das sei aber zu gefährlich. PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann zu diesen interessanten Auskünften: „Hier herrscht offensichtlich ein moralischer Doppelstandard: Touristen nein – Flüchtlinge ja.“

Weit aufwendiger gestalteten sich die Recherchen von PRO ASYL, wie denn die Familie S. den ihr vom Verwaltungsgericht nahegelegten Landweg ab Moldawien durch mindestens 4 weitere Länder nutzen könne. Das Grenzschutzamt Frankfurt hatte selbst in einer Stellungnahme an das Verwaltungsgericht darauf hingewiesen, daß die Antragsteller nur 450,- US$ an Barmitteln besitzen. Selbst wenn man davon ausgehe, daß die erste Reiseetappe als zwangsweiser Gratistransport nach Moldawien erfolge, so könne eine 5-köpfige Familie von diesem Betrag nicht einmal die bloßen Reisekosten bestreiten. Wenn es der Familie gelänge, Kiew (Ukraine) zu erreichen, so koste allein ein Linienflug auf der Teilstrecke Kiew-Taschkent (Usbekistan) zwischen 342,- und 420,- DM pro Person. Damit sei die Familie noch nicht einmal an der afghanischen Grenze. Nach Auskunft der Botschaft der Republik Usbekistan ist die früher mögliche Zugreise auf der Trans-Kaspischen Linie über Baku (Aserbaidschan) und Turkmenistan zur Zeit nicht möglich, weil zu gefährlich. Auf dem Weg nach Baku müßte u.a. Tschetschenien durchquert werden. Über Reisedauer und Preise auf der zur Zeit wohl noch befahrbaren Trans-Turanischen Eisenbahnlinie durch Kasachstan konnte PRO ASYL trotz Recherchen bei Botschaften und Spezialreiseveranstaltern nichts in Erfahrung bringen. Der für die Sicherheitshinweise zu Usbekistan im Auswärtigen Amt zuständige Mitarbeiter erklärte jedoch, es sei grundsätzlich in der Region nicht ratsam, allein weite Strecken mit der Bahn zu fahren.

Das Resümee aus diesen Recherchen zieht Heiko Kauffmann: „Die Ausländerbehörde, die die Familie S. schließlich nach Moldawien schickt, muß wissen, daß die psychisch ohnehin angeschlagenen Menschen keine Chance haben, da anzukommen, wo das Verwaltungsgericht sie haben will. Es ist nicht zu verantworten, auch die drei Kinder diesem voraussehbaren Scheitern einer Reise ins Ungewisse auszusetzen. Das Handeln deutscher Verwaltungsbehörden muß deshalb hinter dem Kindeswohl zurückstehen. Die Familie darf nicht abgeschoben werden.“

Kauffmann verwies abschließend darauf, daß diese Forderung sich auch aus der von Deutschland unterzeichneten Kinderrechtskonvention begründe. Art. 3 Abs. 1 dieser Konvention regele, daß bei allen „Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel, ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden“, das Kindeswohl ein Gesichtspunkt sein muß, der vorrangig zu berücksichtigen ist.


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