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14.05.1996

Staatsräson vor Menschenrecht
PRO ASYL fordert sofortige Aussetzung der Drittstaatenregelung


Im Konflikt zwischen Staatsräson und Grundrecht hat sich Karlsruhe für die Staatsräson entschieden. Die Abschottungsideologie des neuen Asylrechts ist vom Bundesverfassungsgericht in den Grundzügen bestätigt worden. Offensichtlich ist der Druck aus konservativen Kreisen zu stark für die Richter gewesen. Der Verlauf der mündlichen Verhandlung hätte nach Ansicht vieler Experten eine deutliche Korrektur des Asylrechts erwarten lassen.

Verfassungen wurden geschaffen zum Schutz des einzelnen gegenüber dem Staat. Nach der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist das Grundrecht auf Asyl zum Abwehrrecht des Staates gegenüber dem einzelnen Flüchtling geworden.

Neu ist der Begriff des „sicheren Viertstaates“, den das Verfassungsgericht in die Diskussion einbringt. Danach muß nicht nur der Drittstaat, sondern auch der sog. Viertstaat, durch den ein Flüchtling einzureisen versucht, sicher sein. Ist dieser Viertstaat nicht sicher, ist es auch der Drittstaat nicht, weil die Kettenabschiebung droht. Demnach ist Polen kein sicherer Drittstaat. 63 afghanische Flüchtlinge wurden am 8. Mai 1996 von Polen in den Viertstaat Litauen zurückgeschoben. In Litauen ist nicht gewährleistet, daß das Rückschiebeverbot von Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention eingehalten wird. Ähnliches gilt für andere Nachbarstaaten Polens.

PRO ASYL fordert die sofortige Aussetzung der Drittstaatenregelung. Das Konzept der sicheren Drittstaaten ist nur vertretbar in einem Europa, das sich an den Prinzipien der Genfer Flüchtlingskonvention und deren Erfordernissen an ein Verfahren orientiert. Dies setzt eine individuelle umfassende Prüfung des Asylbegehrens, Rechtsberatung und Rechtsbeistand, die Einlegung von Rechtsmitteln mit aufschiebender Wirkung und nicht zuletzt eine menschenwürdige Behandlung und Unterbringung von Flüchtlingen voraus. In den gegenwärtig zur Diskussion stehenden Drittstaaten sind diese Kriterien nicht gewährleistet, in den sog. „Viertstaaten“ von Litauen bis hin zu Ungarn vielleicht erst in 10 Jahren.

PRO ASYL kritisiert, daß das Bundesverfassungsgericht an die Sicherheit von sog. „Viertstaaten“ jedoch geringere Anforderungen stellt als an die von Drittstaaten. Das Verfassungs-gericht läßt somit zu, daß sich der Rechtsschutz für Flüchtlinge zu den Rändern Europas hin auf einer Treppe nach unten befindet.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist nun Bonn wieder am Zug. Der Bundestag ist gefordert, im Asylverfahrensgesetz zu fixieren, welche Mindeststandards in Bezug auf den sicheren Drittstaat gelten sollen. PRO ASYL fordert, daß die Bundesregierung die Beschlüsse des Exekutivkomitees des UNHCR zugrundelegt, die sie selbst mitgefaßt hat.

(Günter Burkhardt,Geschäftsführer)
(Rechtsanwalt Hubert Heinhold, Vorstandsmitglied)


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