Algerien: Lagebericht des Auswärtigen Amt unbrauchbar
PRO ASYL fordert Abschiebestopp
Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention
erhalten in Deutschland keinen Schutz
„Als unbrauchbar für eine sachgerechte Entscheidung über einen Abschiebestopp nach Algerien“ bezeichnete Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL, den jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Algerien. Kommende Woche wird die Innenministerkonferenz über einen Abschiebestopp beraten. Einige Innenminister haben ihre Entscheidung von der Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes abhängig gemacht. In seinem jüngsten Lagebericht vom 30. September 1997 schreibt das Auswärtige Amt:
„Die Informationsbeschaffung im menschenrechtlichen Bereich ist durch die Sicherheitslage besonders erschwert; es gibt außerhalb der staatlichen Verwaltung, von der objektive Auskünfte im Grenzfall nicht zu erwarten sind, kaum Gesprächspartner. Selbst die kritischste algerische Menschenrechtsorganisation, die unter Algeriern nicht ganz unumstrittene Ligue algérienne de la défense des droits de l’homme, ist für die Botschaft Algier noch immer nicht wieder regelmäßig zugänglich; viele Kontaktversuche sind fehlgeschlagen.
Die personelle Lage der Botschaft Algier bleibt, ebenfalls wegen krisenbedingt extremer Ausdünnung, in kaum vertretbarer Weise angespannt. Einschneidende Bewegungsbeschränkungen aufgrund der terroristischen Gefährdung hindern die Bediensteten an Augenscheinnahmen vor Ort, insbesondere außerhalb des Zentrums der Hauptstadt.“
„Mit diesen Einschränkungen ist der gesamte Lagebericht des Auswärtigen Amtes wertlos. Die Botschaft sitzt hinter Panzerglas. Eine seriöse Gefahrenabschätzung, was mit Zurückgeschobenen passiert ist nicht möglich“, erklärte Burkhardt. In dem genannten Lagebericht kam die Botschaft trotz der oben zitierten Einschränkungen zu dem Urteil :
„Zurückgeführte Algerier sind keiner höheren Bedrohung ausgesetzt als andere, in ihrer Heimat verbliebene. Die Intensität akuter Gefährdung schwankt je nach Wohnort und Gegend. Nach Algerien ausgewiesene oder abgeschobene algerische Staatsangehörige werden bei der Einreise in Polizeigewahrsam genommen, das mehrere Tage dauern kann … Das Auswärtige Amt hat keine Hinweise darauf, daß es bei diesen Verfahren zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist.“
PRO ASYL fordert die Innenministerkonferenz auf, sich die Lageeinschätzungen des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen und internationaler Menschenrechtsorganisationen zu eigen zu machen. Ein Abschiebestopp sei die einzige Möglichkeit, an Leib und Leben bedrohte Algerierinnen und Algerier zu schützen:
Im Jahr 1996 wurden von 3159 Asylsuchenden aus Algerien nur 37 als politisch verfolgt anerkannt. Bei weiteren 21 wurde die Notwendigkeit eines Schutzes nach § 51 Ausländergesetz, der den Schutzbestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, gesehen.
Einer der Gründe für diese äußerst geringe Anerkennungsquote ist, daß in der Rechtsprechung unterstellt wird, die Verfolgung gehe nicht vom Staat, sondern von islamistischen Gruppen aus. Diese nicht-staatliche Verfolgung wird – entgegen der Auffassung des UNHCR – als nicht politische im Sinne des deutschen Asylrechts gewertet. Damit gibt es auch keinen Abschiebungsschutz im Einzelfall gemäß § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. So stellt sich etwa das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Rechtsauslegung zum Abschiebungsschutz gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Art. 3 EMRK soll nach dieser Auffassung nur dann schützen, wenn die Verfolgung „von einem Staat oder einer staatsähnlichen Organisation herrührt“.
Die Innenminister verweisen gerne auf die individuelle Prüfung der Verfolgung nach § 53 Abs. 6 AuslG. Doch auch diese Prüfung endet meist negativ. Beispielhaft sei hier ein Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1997 zitiert:
„Weder mit der Zahl der Toten in den letzten fünf Jahren noch mit der Zusammenstellung von Opferzahlen aus jüngsten Presseberichten wird eine individuell konkrete Gefährdung des einzelnen Ausländers, der abgeschoben werden soll, dargelegt, weil ein Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nicht hergestellt wird.“
„Flüchtlinge aus Algerien fallen regelmäßig durch die Maschen des Asylrechts. Im Moment ist ein Abschiebestopp nach Algerien die einzige Möglichkeit ihnen Schutz zu gewähren. Hinweise auf Berichte des Auswärtigen Amtes können die Innenminister nicht von ihrer Verantwortung entbinden“ erklärte Burkhardt.
Abschiebungsstopp nach § 54 Ausländergesetz für algerische Flüchtlinge Brief an die Innenminister 06.11.1997