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TAG DES FLÜCHTLINGS 1999

Nichtstaatliche Verfolgung
und die Genfer Flüchtlingskonvention

Anja Klug

Materialheft zum Tag des Flüchtlings am 1. Oktober 1999

Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
mit freundlicher Unterstützung von: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e. V., Deutscher Caritasverband e. V., Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Ev. Kirche in Deutschland, durch den ABP, Land Hessen

Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger/ Interkulturellen Woche (26. September bis 2. Oktober 1999) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.

INHALT

Nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist ein Flüchtling eine Person, die sich aus einer begründeten Furcht vor Verfolgung außerhalb ihres Herkunftslandes befindet und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will. Über den Urheber der Verfolgung trifft die GFK keine Aussage.

Schon der Wortlaut der Konvention zeigt daher, daß für die Flüchtlingseigenschaft nicht entscheidend ist, vom wem die Verfolgungsmaßnahmen ausgehen, sondern wichtig ist, ob sich der Schutzsuchende erfolgreich auf den Schutz seiner Regierung berufen kann. Wortlaut, Sinn und Zweck der GFK zielen darauf, Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die in ihrem Herkunftsstaat keinen Schutz bekommen können, unter internationalen Schutz zu stellen.

Können sich Schutzsuchende aus Ländern, in denen es keinen Zentralstaat gibt oder der Staat nicht in der Lage ist, Verfolgungsmaßnahmen von Dritten wirksam zu unterbinden, nicht auf den Flüchtlingsschutz berufen, wird die Möglichkeit, als Flüchtling anerkannt zu werden, kleiner je größer das politische Chaos in einem Land ist und je schwerwiegender die Menschenrechtsverletzungen sind. Zudem hinge die Flüchtlingsanerkennung dann von der schwierig zu beurteilenden Frage ab, ob der Verfolger als staats- bzw. staatsähnliche Gewalt angesehen werden kann, ohne daß hierbei die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen berücksichtigt wird. Eine solche Auslegung kann nicht das Ziel der Verfasser der GFK gewesen sein und berücksichtigt nicht den Zusammenhang zwischen Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz.

In den meisten Staaten ist daher eine Flüchtlingsanerkennung auch möglich, wenn die Verfolgungsmaßnahmen nicht von staatlicher Seite ausgehen, sofern der Asylsuchende den Schutz seines Herkunftsstaates nicht in Anspruch nehmen kann. Während diese Auslegung insbesondere in den Staaten des angelsächsischen Rechtskreises (Großbritannien, USA, Kanada) schon immer gängige Praxis war, erfolgte selbst bei den Staaten, die noch vor einigen Jahren für die Flüchtlingsanerkennung das Vorliegen staatlicher Verfolgung forderten, mittler weile eine Liberalisierung der Anerkennungspraxis. In Schweden und Norwegen wurde dies gesetzlich bzw. durch Richtlinien klargestellt, in den Niederlanden, Frankreich und Italien ist die Rechtsprechung bzw. Anerkennungspraxis in dieser Hinsicht großzügiger geworden.

Lediglich in der deutschen Anerkennungspraxis ist gegenwärtig in dieser Frage keine Bewegung ersichtlich. In mehreren Grundsatzurteilen, die darauf zielten, Personen aus Bürgerkriegsgebieten weitgehend von der Möglichkeit des Flüchtlingsschutzes auszuschließen, hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes in den 90er Jahren seine Auffassung zementiert, daß sich der Schutz Verfolgter auf den Schutz vor staatlicher Verfolgung beschränkt. Dabei hat das BVerwG in ständiger Rechtsprechung bis in die 80er Jahre entschieden: »Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß auch von nichtstaatlichen Stellen politische Verfolgung ausgehen kann, wenn der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, den Betreffenden gegen Übergriffe Dritter zu schützen.«

Die restriktive Auslegung des Flüchtlingsbegriffs wird auch damit begründet, daß eine liberalere Interpretation des Flüchtlingsbegriffs zu einer Massenflucht nach Deutschland führen würde und daß dies die Belastungsgrenze des Staates überschreiten könne. Dem ist zunächst zu entgegnen, daß sich die Schutzbedürftigkeit von Opfern von Menschenrechtsverletzungen nicht nach der Anzahl der Personen richtet, die gezwungen sind, ihr Herkunftsland zu verlassen.

Anzumerken ist weiterhin, daß nach wie vor die meisten Asylsuchenden vor staatlicher Verfolgung fliehen. Unter den 10 Hauptherkunftsländern im Monat Februar ist nur eines, in dem das Problem der nichtstaatlichen Verfolgung in größerem Umfang relevant wird, Afghanistan. Hier ist zudem darauf hinzuweisen, daß die Taleban in allen anderen westeuropäischen Staaten als (de- facto-) staatliche Verfolger betrachtet werden und sich daher die Frage nach der Einbeziehung nichtstaatlicher Verfolgung in den Flüchtlingsbegriff im Falle Afghanistans gar nicht erst stellt.

Auch nach Aufgabe der Beschränkung des Flüchtlingsbegriffs auf die staatliche Verfolgung muß der Flüchtling eine individuell gegen ihn gerichtete asylrechtserhebliche Rechtsverletzung aus einem der in der GFK genannten Gründe Rasse, Religion, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Überzeugung geltend machen. Dies wird in der Regel nicht zu einer massenhaften Anerkennung führen, was auch durch die Anerkennungsstatistiken der anderen westeuropäischen Staaten deutlich wird.

Menschen, die vor Verfolgung fliehen, sei es staatliche oder nichtstaatliche, haben ein Recht auf Schutz vor diesen Menschenrechtsverletzungen. Dies haben die Staaten nicht nur in der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern in vielen Verträgen zum Schutz der Menschenrechte anerkannt. Zur Durchsetzung eines effektiven Schutzes für Opfer nichtstaatlicher Verfolgung hält UNHCR eine Öffnung der deutschen Anerkennungspraxis für dringend erforderlich, sei es durch eine Änderung der obersten Rechtsprechung oder durch eine entsprechende gesetzliche Klarstellung. Es sollte unzweifelhaft sein, daß Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz zu den wesentlichen Errungenschaften der Zivilgesellschaft gehören.

Anja Klug ist Beigeordnete Rechtsberaterin, UNHCR Bonn.

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