23.06.1998
Neue Dienstanweisung des Bundesamtes
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge:
Asylentscheider werden nun in Haftanstalten tätig
Erkennungsdienstliche Behandlung und
Asylanhörung in Personalunion
PRO ASYL: Unabhängige Entscheiderinnen und
Entscheider werden zu Verwaltungs- und
Vollzugspersonal degradiert
Ein völlig neues Berufsverständnis müssen die Einzelentscheider des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge seit kurzem entwickeln. Erfahren sie von einem in einer Haftanstalt gestellten Asylantrag, so beginnt eine bislang nicht zu ihrem Berufsbild zählende Prozedur. Die Einzelentscheider packen ein Köfferchen mit allen Utensilien für die erkennungsdienstliche Behandlung, die bislang von Verwaltungskräften durchgeführt wurde. In den Haftanstalten (Untersuchungs-, Justizvollzugs- oder Abschiebehaftanstalten) angekommen nehmen die Asylentscheider den Asylbegehrenden zunächst die Fingerabdrücke ab, fotografieren sie in der für die erkennungsdienstliche Behandlung vorgeschriebenen Weise, füllen dann Anträge auf Paßersatzpapiere für die jeweiligen Botschaften der Herkunfts- und damit potentiellen Verfolgerstaaten aus. Nachdem die Asylsuchenden bis dahin den Eindruck haben müssen, es handele sich um Vertreter der Polizei und fast regelmäßig in Panik geraten, wenn sie sehen, daß Formulare ihrer Heimatbotschaften ausgefüllt werden, wendet sich das Blatt. Die Entscheider wechseln nun in ihre eigentliche Berufsrolle und beginnen mit der Asylanhörung. In dieser Funktion sind sie dann plötzlich hinsichtlich der Asylentscheidung weisungsungebundene Bedienstete des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.
PRO ASYL kritisiert die beschriebene Verfahrensweise als „schizophren“. Die Indienstnahme von Bundesamtsentscheidern für die ed-Behandlung und Paßbeschaffung untergrabe jedes Vertrauen der Betroffenen in ein faires Asylverfahren. Dessen Voraussetzungen sei nämlich eine Anhörungssituation, in der sich Asylsuchende angstfrei zu ihren Fluchtgründen äußern könnten. Asylsuchende fühlten sich aber verunsichert und bedroht, wenn dieselbe Person in polizeiähnlicher Funktion Fingerabdrücke und Fotos nehme, gar mit der Botschaft des Herkunftslandes korrespondiere und Minuten später in die Rolle eines weitgehend unabhängigen Entscheiders wechsele. Die als Hilfspolizisten und Vollzugsbüttel mißbrauchten Entscheider – unter ihnen auch Juristinnen und Juristen – sehen sich in eine inakzeptable Rolle gedrängt. In der PRO ASYL seit kurzem vorliegende Dienstanweisung heißt es u.a.: „Sofern die ed-Behandlung zeitgleich mit der Anhörung – ggf. durch den EE (Einzelentscheider / Anm. PRO ASYL) erfolgt, ist eine evt. `Treffermeldung´ bei der Entscheidung zu berücksichtigen.“ Die Entscheider werden darüber hinaus angewiesen, „anläßlich der Anhörung“ Paßbeschaffungsmaßnahmen einzuleiten, wenn dies zuvor noch nicht geschehen ist.
Als „verfassungsrechtlich höchst bedenklich“ bezeichnet PRO ASYL Sprecher Heiko Kauffmann die in der neuen Dienstanweisung vorgenommene Vermischung von hoheitlichen Exekutivfunktionen mit der judikativen Unabhängigkeit der Einzelentscheider.
Rechtlicher Hintergrund der jetzigen Vorgänge ist eine zum 1. November 1997 in Kraft getretene Änderung des Asylverfahrensgesetzes. Seitdem gilt, daß bei einer Asylantragstellung aus einer Haftsituation heraus Abschiebungshaft aufrechterhalten oder angeordnet werden kann. Die Abschiebungshaft endet spätestens vier Wochen nach Eingang des Asylantrages beim Bundesamt. Sie kann weiter angeordnet oder aufrecht erhalten werden, wenn der Asylantrag als „unbeachtlich“ oder „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wird. Mit der jetzt bekannt gewordenen Dienstanweisung regelt das Bundesamt die Zusammenarbeit mit den Haftanstalten und das Tätigwerden von Bediensteten des Bundesamtes in Haftanstalten.
Bei Asylverfahren außerhalb von Haftanstalten nehmen in der Regel Verwaltungskräfte (auch räumlich getrennt) von den Anhörern/Entscheidern die erkennungsdienstliche Behandlung vor.