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TAG DES FLÜCHTLINGS 1987

„Möchten Sie das Los eines Flüchtlings…?“

Rita Martin‑Tan, IAF‑Marburg

„Lose, Lose …Ziehen Sie ein Los!
Greifen Sie zu! Heute kostenlos.“

So hallte es am 3.10.1986, dem „Tag des Flüchtlings“ vom Heumarkt in der Marburger Altstadt. An zwei Infotischen und mehreren Stellwänden wurden Informationen zum Thema Flucht und Asyl weitergegeben. Doch das Besondere der Kampagne war die Losaktion.

Die Idee der Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen (IAF) mit einer außergewöhnlichen Methode auf die Situation von Flüchtlingen, insbesondere in der Bundesrepublik, aufmerksam zu machen, fand die Unterstützung der an der „Woche der ausländischen Mitbürger“ beteiligten Gruppen, von denen auch mehrere bei der Durchführung mithalfen.

Doch bevor es soweit war, gab es alle Hände voll zu tun. Zunächst fanden zwei Vorbereitungstreffen speziell zum „Tag des Flüchtlings“ statt, bei denen neben der allgemeinen Organisation, die Besprechung der Inhalte, d. h. der Lostexte und der Texte auf den Stellwänden im Vordergrund stand. Als nach so manchem Kopfzerbrechen endlich feststand, was wo stehen sollte, konnte mit der Herstellung der Lose und der Beschriftung der Wandzeitungen begonnen werden. Dabei mußten 1500 Lose gefaltet und zusammengeheftet werden.

Mit beginnendem, geschäftlichen Treiben am 3.10. waren auch wir präsent. Verteilt über den Heumarkt standen wir mit unseren Plastikeimern voller Lose. Um sie an die Bevölkerung zu bringen, genügte es nicht, nur herumzustehen. Nein, es galt die Neugier der Menschen zu wecken. Ein besonderer Umstand verhalf uns zu reißendem Absatz. Viele dachten zunächst, es sei ein Gag der Stadt, die gerade 25 Jahre Städtepartnerschaft feierte, und möglicherweise sei eine Reise zu gewinnien. Die Überraschung war dann groß, denn sie hätten das Los eines Flüchtlings gezogen.

Beispiele:

Sie sind Asylbewerber:

Ab sofort dürfen Sie 2 Jahre nicht arbeiten, sonst verstoßen Sie gegen das Ausländergesetz!

Sie sind Asylbewerber:

Ab sofort dürfen Sie die Stadtgrenze von Marburg nicht überschreiten, sonst verstoßen Sie gegen das Ausländergesetz!

Sie sind Asylbewerber:

Ab sofort sind Sie in einem Sammellager untergebracht, Ihr privater Lebensbereich ist für längere Zeit auf 5 m² beschränkt!

Sie sind Asylbewerber:

Wegen der Quotenregelung wurde Ihre Familie auf das gesamte Bundesgebietverteilt untergebracht. Wenn Sie Ihre Mutter, Ihren Bruder… besuchen wollen,brauchen Sie die Genehmigung der zuständigen Ausländerbehörde!

Die Betroffenheit blieb nicht aus. Alle hatten sie materielle, egoistische Interessen, wollten gewinnen, und dann folgte die Konfrontation mit dem Schicksal von Asylsuchenden. Überraschend viele, die dabei waren, durch die Marburger Ober-Stadt zu hasten, hielten inne und suchten das Gespräch. Dabei zeigten sich die meisten erstaunt darüber, daß sie, obwohl ständig über „Asyl“ gesprochen wird, so wenig Bescheid wissen.

Die Erfahrung dieses und der letzten Jahre hat gezeigt, daß Diskussionsveranstaltungen nur von bereits Interessierten besucht wurden und auch dies in abnehmendem Maße. Mit unserer Straßenaktion konnten wir die unterschiedlichsten Personengruppen ansprechen: Hausfrauen und Geschäftsleute, Beamte und Arbeitslose… und Schüler, die ein großes Interesse hatten, mehr zu erfahren. Besonders beeindruckend für sie waren die Schilderungen und Argumente eines Betroffenen, eines Asylsuchenden.

Allein die zahlreichen Gespräche, die den meisten einen Anstoß zum Nachdenken gaben, haben uns von der Wirksamkeit dieser Aktions‑ und Informationsform überzeugt.

Um aber nicht im Ansatz zu verharren und um auf breiterer Basis zu arbeiten, hat sich mittlerweile als Resultat ein Arbeitskreis Asyl gebildet.

Rita Martin‑Tan, IAF‑Marburg

Kontakt: Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen (IAF) Bundesgeschäftsstelle, Mainzer Landstraße 147, 6000 Frankfurt, Tel. 69/37 78 98


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