OLG Frankfurt am Main: Langzeitinternierung von Flüchtlingen
im Transit des Flughafens ist rechtswidrige Freiheitsentziehung
PRO ASYL fordert: Alle Dauerinsassen des Transits sofort freilassen!
In einer heute bekannt gewordenen Grundsatzentscheidung vom 5. November 1996 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (20. Zivilsenat, AZ: 20 W 352/96) festgestellt, daß die Dauerunterbringung eines im Asylverfahren abgelehnten Inders im Transitbereich des Frankfurter Rhein-Main-Flughafens eine rechtswidrige Freiheitsentziehung darstellt, weil sie nicht auf einer richterlichen Anordnung beruht.
Der Flüchtling war am 12. Februar 1996 aus Delhi kommend in Frankfurt gelandet, Zurückschiebungsversuche nach Ende des Asylverfahrens gescheitert. Seitdem war der Inder – ohne als „eingereist“ zu gelten – mit seinen eingelegten Rechtsmitteln gegen diesen Zustand bislang erfolglos geblieben. Nach mehr als 8 Monaten im Transit psychisch zermürbt, wurde er vor kurzem in die Psychiatrie eingeliefert.
Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL begrüßte am Mittwoch die Entscheidung des Oberlandesgerichts, weil sie einen unhaltbaren Zustand beende. Die faktische Langzeitinhaftierung von Flüchtlingen ohne richterlichen Beschluß sei so nicht mehr möglich. In jedem Einzelfall werde nun ein Richter zu prüfen haben, ob Zurückweisungshaft im Sinne des Ausländergesetzes überhaupt verhängt werden dürfe.
PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann forderte die sofortige Freilassung aller Langzeitinhaftierten im Flughafen-Transit. In Frankfurt sind dies zur Zeit 8 Menschen. „Der Bundesgrenzschutz hat allein in den Jahren 1995/96 in mehr als 200 Fällen diese rechtswidrige Freiheitsentziehung praktiziert. Damit muß jetzt Schluß sein.“ PRO ASYL unterstützt deshalb in sieben Fällen vergleichbare Klagen anwaltlich bislang nicht vertretener Transithäftlinge.
Weitere Einzelheiten aus der Begründung des OLG-Beschlusses: Das Oberlandesgericht hatte sich erstmalig mit der Materie zu befassen. Es stellt in seiner wegweisenden Entscheidung fest, daß die Unterbringung des Betroffenen auf dem Flughafen eine nicht auf richterlicher Anordnung beruhende Freiheitsentziehung ist. Weder Amtsgericht noch Landgericht hatten den Antragsteller persönlich angehört. Die Räumlichkeiten im Transitbereich seien abgeschlossen und so eng begrenzt, daß sie als Hafträume im Sinne des Gesetzes anzusehen seien, in denen die Bewegungsfreiheit des Betroffenen durch staatliche Maßnahmen beschränkt sei. Die Unterbringung während des Flughafenverfahrens sei jedoch auf maximal ca. 19 Tage beschränkt. Eine Verlängerung für den Fall der erfolglosen Zurückweisung sehe das Gesetz nicht vor.
Nach Auffassung des OLG-Senats darf der Bundesgrenzschutz einen Ausländer, der nicht ohne Verzögerung zurückgewiesen werden kann, nicht ohne richterliche Anordnung einer Freiheitsentziehung auf dem Gelände des Rhein-Main-Flughafens unterbringen. Jede andere Sicht stelle den Betroffenen rechtlos und widerspreche der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Erläuterung zur 19 Tage-Frist: Nach dem Wortlaut des Asylverfahrensgesetzes darf die Unterbringung auf dem Flughafengelände nach Stellung des Asylantrags nur maximal 19 Tage dauern. Nach Ablauf dieser Frist muß entweder die Einreise des Flüchtlings zugelassen oder eine Zurückweisung vollzogen werden. Eine kurzfristige Verlängerung des Flughafenaufenthalts kann sich vor Stellung des Asylantrages durch die vorausgehende Befragung durch den Bundesgrenzschutz ergeben. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung zum Flughafenverfahren vom 14. Mai 1996 die Frist zur Begründung von Rechtsmitteln um 4 Tage verlängert, die der 19 Tage-Vorgabe aus dem Asylverfahrensgesetz hinzugerechnet werden müssen. In der Regel hat daher nach Auffassung von PRO ASYL eine länger als 23 bis 26 Tage andauernde Unterbringung im Transitbereich keine Rechtsgrundlage.