TAG DES FLÜCHTLINGS 1995
Lageberichte des Auswärtigen Amtes:
Verharmlosung von
Menschenrechtsverletzungen
INHALT
- Grußwort der Vertreterin der Hohen Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen (UNHCR) in der Bundesrepublik Deutschland
- Kriegsflüchtlinge brauchen eine Lebensperspektive
-
GRENZEN: LAND, WASSER, LUFT
- Justizlotto am Flughafen
- Kein faires Verfahren für nigerianische Flüchtlinge
- Datenschutz ist Flüchtlingsschutz
- Ein natürlicher Tod
- Deutsche Ufer – Tod an der Grenze
- Festung Europa: Die Odyssee eines Deserteurs aus Kosova
- Verhaftet, gefoltert, verschwunden – wenn deutsche Behörden abschieben
- Lageberichte des Auswärtigen Amtes: Verharmlosung von Menschenrechtsverletzungen?
- Zweierlei Wahrnehmungen: Behördliche Auskünfte und die Realitäten vor Ort
IN DEN HERKUNFTSLÄNDERN
Wie erstellt das Auswärtige Amt seine Lageberichte? Wie ist die Qualität der Auskünfte, die im Asylverfahren eine große Rolle spielen? Spiegeln die Texte des Auswärtigen Amtes diplomatische Rücksichtnahme oder können sie für bare Münze genommen werden? Diese Fragen sind wichtig für Flüchtlinge, ihre Anwälte und Menschenrechtsorganisationen, die immer wieder feststellen müssen, daß die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom Bundesamt, vielen Gerichten, aber insbesondere von den Innenministerien, als die wichtigste und oft entscheidende Quelle genutzt werden. Dabei ist klar: Je größer das Land, je schwieriger die Verkehrsverhältnisse, je chaotischer die Situation, je geringer die personelle Besetzung der jeweiligen deutschen Auslandsvertretung, desto schwieriger wird es sein, Sachverhalte überprüfen zu können. Was sind die Auskünfte des Auswärtigen Amtes tatsächlich wert?
Das Auswärtige Amt selbst ist sich über die Bewertungsschwierigkeiten seiner eigenen Lageberichte, die zur Zeit für etwa 50 Länder erstellt werden, durchaus im klaren. Dies berichtete der zuständige Referatsleiter im Auswärtigen Amt, Dr. Bahn, bei einem Vortrag im Katholischen Büro im Dezember 1994. Es handele sich um eine regierungsamtliche Position zur Sicherheitslage. Wegen diplomatischer Rücksichtnahme stellten diese Berichte nur einen einzelnen Baustein, eine Entscheidungshilfe unter anderen dar – keinesfalls die alleinige Entscheidungsgrundlage für Bundesamt und Gerichte. Wolfgang Grenz, Leiter des Referats für politische Flüchtlinge und Asylrecht der deutschen Sektion von amnesty international, greift die Problematik der Auskünfte des Auswärtigen Amtes in einem Aufsatz in der Vierteljahreszeitschrift für Sicherheit und Frieden Nr. 4/94, den wir gekürzt abdrucken, an Beispielen auf:
Argumentationsmuster gegen das Vorbringen der Asylbewerber
Beispiele aus jüngster Zeit zeigen aber, daß das Auswärtige Amt in seinen Auskünften für die Asylverfahren bemüht ist, Menschenrechtsverletzungen zu verharmlosen und Vorträge von Asylsuchenden schlechthin als unglaubwürdig darzustellen. Zum anderen ist zu beobachten, daß die Auskünfte des Auswärtigen Amtes sich immer öfter nicht mehr als objektive Berichte zur Menschenrechtssituation in den Herkunftsländern verstehen, sondern wie ein Schriftsatz der beteiligten Partei Bundesrepublik Deutschland gegen die (möglichen) Argumente von Asylbewerbern abgefaßt sind. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Nigeria vom 22.03.1994. In diesem Bericht verläßt das Auswärtige Amt den Rahmen eines objektiven Berichts zur Menschenrechtssituation und baut den Bericht als Argumentationsmuster gegen Behauptungen von Asylsuchenden auf.
Es führt aus, daß viele Asylbewerber vortrügen, wegen schriftlicher oder mündlicher regimekritischer Äußerungen verfolgt zu werden. Diese Einlassungen stimmten mit der Wirklichkeit nicht überein. Die Presse- und Meinungsfreiheit werde in Nigeria weitgehend respektiert. Allerdings muß das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht drei Sätze später selbst einräumen, daß das Regime General Abachas vereinzelt mit Festnahmen reagiere, wenn es der Auffassung sei, daß bestimmte Grenzen überschritten würden. Mitte Januar 1994 seien mehrere Personen wegen Verbreitung regimekritischer Schriften vorübergehend festgenommen worden. Daß das Regime General Sani Abachas tatsächlich gegen Regimekritiker vorgeht, belegen auch die Vorfälle vom Juni 1994, die in der urgent action (Eilaktion) von amnesty international vom 8.6.1994 dokumentiert sind. Danach forderten ehemalige Mitglieder des Senats den Militärmachthaber General Sani Abacha in einer Erklärung auf, von seinem Amt als Staatsoberhaupt zurückzutreten. Die Erklärung erschien nach einem geheimen Treffen am 30. Mai 1994, an dem etwa zwei Drittel des 91 Mitglieder zählenden früheren Senats teilgenommen hatten. Am 2. Juni 1994 wurde Ameh Ebute, der ehemalige Präsident des Senats, festgenommen, weil er die geheime Zusammenkunft einrufen hatte. Am 3. Juni 1994 wurde Olusegun Osoba, ein ehemaliger Gouverneur, festgenommen. Die Festgenommenen wurden des Hochverrats angeklagt. In Nigeria ist Hochverrat ein Delikt, auf das die Todesstrafe steht. Die Sicherheitspolizei verfolgt derzeit weitere Personen, die sich für die Demokratie ausgesprochen haben.
Zaire: Verharmlosung von Menschenrechtsverletzungen
Zur Menschenrechtssituation in Zaire vertritt das Auswärtige Amt in seinem ergänzenden Lagebericht vom 9.3.1994 die Auffassung, es treffe trotz aller in Zaire festzustellenden Verstöße nicht zu, »daß Repression von seiten staatlicher Organe, wie verschiedentlich behauptet wird, seit dem Beginn des Demokratisierungsprozesses signifikant zugenommen habe«. Hierzu ist festzustellen, daß zwar in Zaire schon vor Einleitung des Demokratisierungsprozesses schwere Menschenrechtsverletzungen vorgekommen sind, aber das Ausmaß der Übergriffe während der vergangenen drei Jahre besonders stark angewachsen ist. Tausende von Anhängern der Opposition sind ermordet, gefoltert, vergewaltigt worden oder »verschwanden«. Bürger wurden zur Gewalt gegen andere Bürger, die Präsident Mobutu Sese Seko nicht unterstützten, aufgestachelt. Tausende wurden bei Übergriffen getötet, wenn Soldaten zu Plünderungen auszogen. Journalisten wurden verhaftet und die oppositionelle Presse ist immer wiederbehindert worden. Diese Feststellungen werden im übrigen nicht nur von amnesty international getroffen, sondern ebenso vom UN-Generalsekretär und der angesehenen französischen Menschenrechtsorganisation »Federation Internationale des Droits de l’Homme« (FIDH) in Berichten und Stellungnahmen an die UN-Menschenrechtskommission.
Das Auswärtige Amt behauptet, unmittelbare wie mittelbare politische Verfolgung durch staatliche Kräfte fänden in Zaire nicht statt. Zairische Parteien könnten ungehindert arbeiten. Diese Behauptung trifft, soweit sie sich auf die Opposition gegen Staatspräsident Mobutu bezieht, nicht zu. So sind zwischen dem 25. und dem 27. März 1993 acht Mitglieder der wichtigsten Oppositionspartei »Union pour la Democratie et le Progres Social« (UDPS) in Kinshasa von Angehörigen des Geheimdienstes verhaftet und in Haftanstalten des Geheimdienstes inhaftiert worden. An verschiedenen Tagen im April 1993 wurden bis zu 30 Personen, die Mitglieder von in der »Union Sacree« zusammengeschlossenen Oppositionsparteien waren, nachts in Kinshasa von Angehörigen des Geheimdienstes festgenommen. Sie waren Folterungen sowie anderer grausamer unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt. Mindestens fünf Menschen, darunter der UDPS-Funktionär Emile Nkombo, gelten als »verschwunden«, seit sie am 4. Juli 1993 im Sportstadion von Kinshasa eine UDPS-Versammlung abhalten wollten. Sie wurden von Angehörigen der Sicherheitskräfte verhaftet. Die Sicherheitskräfte töteten bei dieser Aktion mindestens vier Männer und einen elfjährigen Jungen. Am 20. Januar 1994 sind 440 Mitglieder des» Parti Lumumbiste Unifie« (PALU) nach einer friedlichen Kundgebung in Kinshasa durch die »Garde Civile« festgenommen und in deren Hauptquartier in Kinshasa in Haft gehalten worden. Sie sollen geschlagen und gefoltert worden sein. Diese aufgeführten Beispiele, die sich noch fortsetzen lassen, belegen die Behinderung und Verfolgung der gegen Präsident Mobutu gerichteten Opposition.
Von daher ist ihrer Intention nach auch der Aussage des Auswärtigen Amtes, »oppositionelle Akte« seien legal, entschieden zu widersprechen. »Legal« im Sinne einer formaljuristischen Zulassung sind die zairischen Oppositionsparteien tatsächlich, doch wird anhand der oben dargelegten Beispiele deutlich, daß mit dem Mittel der Festnahme, Inhaftierung, Folterung und Rechtsbeugung gegen die in Opposition zu Präsident Mobutu stehenden Parteien vorgegangen und gezielt darauf hingewirkt wird, »oppositionelle Akte« im Keim zu ersticken oder gänzlich zu unterbinden.
Die Gewalttaten der Sicherheitskräfte an unbewaffneten Zivilisten werden durch das Auswärtige Amt mit den Bemerkungen zu relativieren versucht, es handele sich hierbei um Akte »durch meist in Uniform auftretende – aber nicht notwendigerweise den Sicherheitskräften zuzurechnende -Kräfte«, und es könne von »einer zentralen Steuerung der vom Militär verübten Gewalttaten nicht die Rede sein«. Nicht nur das Militär verübt Gewalttaten, sondern auch vor allem Angehörige der Präsidialgarde (DSP), der Zivilgarde, des militärischen Geheimdienstes und des» zivilen« Geheimdienstes (SNIP). Diese Organe unterstehen dem persönlichen Kommando Präsident Mobutu Sese Sekos und werden als die loyalsten Stützen seiner Herrschaft bezeichnet. Seit 1990 haben sich die Gewalttaten der Sicherheitskräfte und anderer Anhänger Mobutus noch gesteigert.
Verharmlosung von Folterungen
An einer anderen Stelle heißt es im Lagebericht des Auswärtigen Amtes: »Besonders von amnesty international wird in letzter Zeit in immer kürzer werdenden Abständen der Vorwurf erhoben, es käme zu Tausenden von außergerichtlichen Hinrichtungen. Für oben genannte Behauptung fehlen bislang Beweise.« Hier wird einiges durcheinander geworfen. In ihren Berichten spricht amnesty international davon, daß seit 1990 insgesamt Tausende unbewaffneter Bürger durch Angehörige der Sicherheitskräfte ermordet worden sind und nicht, wie das Auswärtige Amt mit seiner Formulierung suggeriert, immer wieder von neuen Vorfällen mit Tausenden von Opfern. Belege für die Behauptung von amnesty international sind bereits oben genannt worden, unklar sind die Gründe, die das Auswärtige Amt zu dieser undifferenzierten Unterstellung veranlaßt haben.
Das Auswärtige Amt räumt in seinem Lagebericht zumindest ein: »Körperliche Mißhandlungen in Gefängnissen sind nicht auszuschließen«. Diese Darstellungsweise kommt nach den Erkenntnissen von amnesty international einer Verharmlosung gleich, denn es darf nicht verschwiegen werden, daß Folterungen und Mißhandlungen in den zairischen Gefängnissen weit verbreitet sind. Berichten zufolge wurden Häftlinge mit Elektroschocks gequält, ausgepeitscht und vergewaltigt.
Das Auswärtige Amt führt weiter aus, daß »nach Zaire heimkehrende Asylbewerber nicht gefährdet sind« und »die Stellung eines Asylantrags keine Folgen als Regimegegner nach sich zieht«. Eine Beantwortung der Frage nach der Gefährdung von Rückkehrern ist sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Amnesty international z. B. liegt eine Reihe von Berichten vor, denen zufolge zairische Staatsangehörige, die im Ausland erfolglos ein Asylverfahren betrieben hatten, bei ihrer Rückkehr nach Zaire festgenommen wurden. In vielen dieser Fälle war es jedoch nicht möglich, diese Berichte von einer zweiten unabhängigen Quelle bestätigen zu lassen. Doch selbst wenn die Berichte über die Festnahme rückkehrender Asylantragsteller bestätigt würden, wird ein Nachweis, daß staatliche Verfolgungsmaßnahmen allein wegen der Asylantragstellung eingeleitet wurden, nicht zu erbringen sein. In vielen Fällen ist es nicht möglich, im Nachhinein eine genaue Unterscheidung zu treffen, ob die Verhaftung des Rückkehrenden allein aufgrund der Asylantragstellung und/oder wegen der politischen Aktivitäten im In-und Ausland erfolgte. Aus diesen Gründen beschränkt sich amnesty international darauf, die für zairische Staatsangehörige bestehende Gefährdung aufgrund der Asylantragstellung einschätzend, aber nicht faktisch zu beschreiben. Wenn hingegen das Auswärtige Amt diese Frage deutlich verneint, wirft dies die Frage auf, ob diese Aussage auf Informationen beruht, der eine Beobachtung und Weiterverfolgung des Schicksals der Zurückgekehrten vorausgegangen ist oder ob allein der Umstand, daß kein entsprechender Fall »bekannt« geworden ist, zur Grundlage des generellen Ausschlusses einer Gefährdung für Rückkehrer gemacht worden ist. Wenn das Auswärtige Amt seine Aussage über die fehlende Verfolgungsgefahr für zurückkehrende Asylantragssteller in einen Begründungskontext stellt, der die ausführlich dargelegte Verfolgung, Inhaftierung und auch Folterung von Oppositionellen als» Behinderung und Bedrohung von Regimegegnern« darstellt, die zudem »nur sehr vereinzelt« vorkommt, oder die von den Sicherheitskräften begangenen extra legalen Hinrichtungen und andere ungesetzlichen Tötungen als die »Taten krimineller Elemente« ausgibt, obwohl die Verantwortung Staatspräsident Mobutus für die ihm unterstehenden Sicherheitskräfte nicht zu leugnen ist, dann rufen die Aussagen des Auswärtigen Amtes gerade dann Zweifel hervor, wenn es um Fragen geht, die, wie diejenige nach der Gefährdung für rückkehrende Asylantragsteller, nur schwer oder oftmals auch nicht eindeutig zu klären sind.
Zusammenfassung
Während die Verwaltungsgerichte immer mehr dazu übergehen, Auskünfte anderer Stellen gleichwertig zu berücksichtigen, zeigt die Praxis des Bundesamtes, der Ausländerbehörden und der Innenminister der Länder, daß der Glaube an die Richtigkeit der amtlichen Auskünfte des Auswärtigen Amtes nach wie vor ungebrochen ist. Vielfach wird sogar damit argumentiert, daß das Auswärtige Amt im Gegensatz zu den anderen Stellen zur Wahrheit verpflichtet sei und deshalb seine Auskünfte auf jeden Fall verläßlicher seien als die anderer Institutionen. Daß die Auskünfte des Auswärtigen Amtes aber nicht immer verläßlich sind, haben die aufgezeigten Beispiele mehr als deutlich gezeigt. Auch das Bundesverfassungsgericht kommt zu dem Ergebnis, daß die Auskünfte anderer sachverständiger Stellen detaillierter, aussagekräftiger und verläßlicher als die des Auswärtigen Amtes sein können. Eine unvoreingenommene und gleichwertige Berücksichtigung der Auskünfte anderer sachverständiger Stellen neben denen des Auswärtigen Amtes könnte die Qualität der Asylentscheidungen verbessern und mit dazu beitragen, sachlich falsche Entscheidungen zu vermeiden und sicherzustellen, daß Menschen nicht in Länder abgeschoben werden, in denen sie von Menschenrechtsverletzungen konkret bedroht sind.