Kritiker geißeln „Vertreibung durch Aushungern“
Zahlreiche Prominente und Initiativen wenden sich gegen Einschnitte ins Asylvbewerberleistungsgesetz
Frankfurter Rundschau
Wenige Tage vor der Beratung im Bundestag wächst die Kritik an der geplanten Streichung von Sozialhilfe für manche Flüchtlinge. Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsinitiativen, Bischöfe und Intellektuelle wenden sich gegen die Pläne.
FRANKFURT A.M.,20. März (epd/kann/ dpa/pit). Als „Vertreibung durch Aushungern“ bewerten rund 50 Persönlichkeiten aus Kirche, Kultur und Wissenschaft die beabsichtigte Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes. In einem offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten schrieben sie am Freitag, die Streichung der Sozialhilfe würde für die Menschen Verelendung und Obdachlosigkeit bedeuten und ihre Gesundheit gefährden. Zu den Unterzeichnern zahlen der Kabarettist Dieter Hildebrandt, der Pfarrer Friedrich Schorlemmer, der Verleger Klaus Wagenbach und Otto Rosenberg, Vorsitzender des Landesverbandes deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg. Auch die evangelischen und katholischen Bischöfe Norddeutschlands haben in einem offenen Brief gegen die Pläne protestiert. Werde das Gesetz in der vorliegenden Form beschlossen, „wird es zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Hunderttausende Menschen geben, die vor dem sozialen Nichts stehen“, argumentieren sie. Unabhängig von den Gründen ihrer materiellen Not hätten Menschen Anspruch auf menschenwürdige Versorgung. Den Brief haben die evangelischen Bischöfe Maria Jepsen, Hans Christian Knuth und Karl Ludwig Kohlwage sowie deren katholische Amtskollegen Ludwig Averkamp und Hans-Jochen Jaschke unterzeichnet.
Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, amnesty international, kirchliche Gruppen und Flüchtlingsunterstützer hatten bereits Anfang März in ihrem „Berliner Aufruf“ massive Einwände vorgebracht. Die Betroffenen könnten vielfach nicht in ihre Heimat zurück, da ihnen dort »erneute Vertreibung oder existentielle Notlagen in Kriegs- und Krisengebieten“ drohten.
Von einem „Anschlag auf die Menschenwürde“ sprach am Freitag „Pro Asyl“. Die Flüchtlingsinitiative warnte vor einem „Hauruckverfahren“. Der Bundesrat hatte den Gesetzentwurf, den Berlin eingebracht hatte, im Februar beschlossen. Der Bundestag berät am nächsten Donnerstag in erster Lesung über das Vorhaben; die Bundesregierung unterstützt es.
Vorgesehen ist, die Ansprüche für geduldete und ausreisepflichtige Flüchtlinge radikal einzuschränken. Die Bundesregierung sagt zur Begründung, sie wolle gegen „Illegale“ vorgehen. Tatsächlich gehören zu den Betroffenen jene, bei denen das Bundesamt lür die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Abschiebehindernisse festgestellt hat, etwa weil ihnen in der Heimat Folter droht oder Lebensgefahr besteht. Zu den größten Gruppen zahlen Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, Flüchtlinge aus Kosovo und ehemalige DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam. Schätzungen über die Zahl der Betroffenen reichen von 200.000 bis 600.000. Sie sollen künftig Leistungen nur erhalten, soweit dies im Einzelfall unabweisbar geboten ist. Nach der bisherigen Praxis umfasse dies „häufig nur eine Rückfahrkarte sowie Zehrgeld für die Rückreise“, stellt der Paritätische Wohlfahrtsverband fest.