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TAG DES FLÜCHTLINGS 1999

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof am 5. Februar 1999:
Kein Vernichtungsprogramm im Kosovo

Verfolgungswahrscheinlichkeit zurückkehrender Kosovo-Albaner beträgt 1,7%

»Der beschließende Senat ist (…) aufgrund (…) der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen zu der Überzeugung gelangt, daß die Kläger als albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo weder im Zeitpunkt ihrer Ausreise noch im Falle ihrer jetzigen Rückkehr einer asylerheblichen Gruppenverfolgung ausgesetzt waren bzw. wären (1.1.) und daß ihnen – bezogen auf die beiden vorgenannten Zeitpunkte – auch keine politische Verfolgung aus individuellen Gründen drohte bzw. drohen würde (1.2.). (…)

Die gegenwärtige Situation läßt sich als eine solche vorläufiger, aber äußerst labiler Deeskalation charakterisieren… (…)

Die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gebotene Würdigung der zur Situation der albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo getroffenen Feststellungen hat den Senat nicht hinreichend davon zu überzeugen vermocht, daß alle Kosovo- Albaner oder wenigstens ein sachlich oder persönlich begrenzter Kreis von ihnen als Zielgruppe eines – landes- oder kosovoweit oder begrenzt auf Teilgebiete des Kosovos angelegten – staatlichen Verfolgungsprogramms gruppenverfolgt sind. Denn die gewonnenen Erkenntnisse lassen für die Zeit von 1990 bis heute den Schluß auf das Bestehen eines entsprechenden staatlichen Verfolgungsprogramms, das bereits verwirklicht wird oder dessen Verwirklichung mindestens alsbald bevorsteht, nicht zu.

Das Vorliegen eines staatlichen Verfolgungsprogramms kann nur festgestellt werden, wenn Eckpunkte eines zumindest in Ansätzen koordinierten und organisierten Vorgehens, für das eine gewisse Regel- oder Gleichmäßigkeit kennzeichnend ist, sichtbar sind, wenn dieses Programm auf einem entsprechenden Willensakt staatstragender Stellen oder Personen beruht und wenn die geplanten Maßnahmen darauf abzielen, die in den Blick genommene Bevölkerungsgruppe in ihrer Gesamtheit physisch zu vernichten, gewaltsam zu vertreiben oder sonst asylerheblich zu beeinträchtigen (…). Der Senat hat sich nicht davon überzeugen können, daß alle diese Voraussetzungen in bezug auf die albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo oder eine Teilgruppe von ihnen seit 1990 vorgelegen haben oder jetzt vorliegen. (…)

Hinreichend gesicherte Anhaltspunkte für die Annahme eines staatlichen Programms mit dem Ziel einer physischen Vernichtung, gewaltsamen Vertreibung oder sonst asylerheblichen Beeinträchtigungen der gesamten oder eines sachlich oder persönlich begrenzten Teils der albanischen Bevölkerung im ganzen Kosovo oder in Teilgebieten davon bestehen demgegenüber nicht … (…)

Denn zum einen haben sich die Diskriminierungs- und Verfolgungsformen in den letzten Jahren zumindest außerhalb der von den seit Ende Februar/Anfang März 1998 zu verzeichnenden bewaffneten Auseinandersetzungen betroffenen Gebiete in qualitativer Hinsicht nicht maßgeblich verändert; vielmehr ist eine Stagnation der Repression auf hohem Niveau bei im wesentlichen unveränderter politischer Zielsetzung seit etwa 1989/ 90 festzustellen (…). Auch die asylrelevanten Übergriffe der serbischen Sicherheitskräfte im Verlaufe der bewaffneten Auseinandersetzungen seit Ende Februar/Anfang März 1998 stellen sich nach der Erkenntnislage zur Überzeugung des Senats nicht als Ausdruck und begonnene Umsetzung eines Verfolgungsprogramms im vorgenannten Sinne dar, weil das auf die Abwehr von gewaltsamen Sezessionsbestrebungen der UCK gerichtete Vorgehen der serbischen Sicherheitsbehörden – in dessen Gefolge die fraglichen Übergriffe verübt worden sind – dem Grunde nach legitim ist und es zu den allein asylerheblichen überschießend harten Maßnahmen jedenfalls weder generell gekommen ist noch hinreichende Anzeichen dafür vorliegen, daß derartige Maßnahmen generell beabsichtigt (gewesen) sind, (…).

Und zum anderen beläßt der serbische Staat den Kosovo-Albanern nach wie vor den Raum, den sie benötigen, um ihre existenziellen Grundbedürfnisse zu decken; insbesondere geht er nicht systematisch gegen die entstandenen Parallelstrukturen vor, ohne daß dafür zwingende Hinderungsgründe ersichtlich wären … (…)

Nicht unerhebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Umstand zu, daß die albanischen Volkszugehörigen im Kosovo keine Minderheit, sondern die weit überwiegende Bevölkerungsmehrheit darstellen mit der Folge, daß sie selbst – nicht zuletzt durch ihren Zusammenhalt im Widerstand gegen die serbischen Behörden – das moralische, religiöse und gesellschaftliche Klima prägen oder wenigstens erträglicher gestalten können … (…)

Kann danach von der für 1994 mit 25.000 Menschenrechtsverletzungen angegebenen Höchstzahl ausgegangen werden, weil diese (…) bei der Ausblendung der untypischen Spitzen auch 1998 nicht überschritten worden ist, und setzt man diese zu der weiter oben (…) ermittelten kleinstmöglichen Zahl der kosovo-albanischen Bevölkerung von gut 1,5 Millionen in Beziehung (…), so ergibt sich für jeden kosovo-albanischen Volkszugehörigen im Kosovo lediglich eine statistische Wahrscheinlichkeit von knapp 1,7% pro Jahr, von einem asylrelevanten Verfolgungsschlag getroffen zu werden … (…)

… (…) Die Wahrscheinlichkeit, in einem überschaubaren Zeitraum nicht von solchen Maßnahmen betroffen zu werden, war und ist für KosovoAlbaner – und zwar auch für Angehörige in Betracht zu ziehender Teilgruppen – seit 1990 bis in eine absehbare Zukunft vielmehr deutlich höher als die gegenteilige.«

Das Urteil ist rechtskräftig. AZ: 7 UE 587/ 98. A (Hervorhebungen von PRO ASYL)

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