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Süddeutsche Zeitung
21. September 1998

Kein großer Tag für die Kleinen

Trotz aller Appelle werden Rechte der Kinder mit Füßen getreten

Heidrun Graupner

Die Kinderkarawane zieht nicht mehr weiter. Seit dem 1. Juni zog sie durch das Land, um die Rechte für Kinder einzufordern. Ihre Werbetour ist nun zu Ende. Nach einem 8981 Kilometer langen Weg durch Deutschland ist die Karawane in Berlin angekommen. Vor dem Roten Rathaus wurde am Sonntag ein großes Fest gefeiert – 300 000 Menschen kamen zusammen.

Weltkindertag war am Sonntag. Doch Anlaß zum Feiern gab es nicht. Die Lage der Kinder hat sich nicht verbessert, seit die Vereinten Nationen 1954 das erste Mal den Weltkindertag in 130 Ländern veranstalteten. Sie ist auch seit 1989, seit der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention, schlechter geworden.

„Kinderrechte – Menschenrechte“ hieß der Weltkindertag 1998, und die Appelle der vergangenen Tage zeigen, wie sehr die Rechte von Kindern mit Füßen getreten werden, weltweit und auch in Deutschland. Jedes Jahr sterben in der Dritten Welt drei Millionen Kinder an Durchfall, vier Millionen an Atemwegserkrankungen – Kinder verhungern, sie werden in Kriegen getötet. Die internationalen Hilfsorganisationen stellen den 191 Staaten, welche die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet haben, ein vernichtendes Zeugnis aus. Kinder in der Dritten Welt, so kritisierte Terres des Hommes, erhielten von den reichen Nationen zu wenig billige lebenswichtige Medikamente und zu viele unnütze Arzneimittel, die ihnen schadeten.

Das Kinderhilfswerk Unicef beklagt, daß es vor allem in den Krisengebieten Afrikas und Asiens 300 000 Kindersoldaten gebe, auch zehn- und zwölfjährige, sie würden zum Minensuchen, Spionieren, Töten und Foltern gezwungen. Diese Kinder würden psychisch und physisch zerstört. Unicef forderte ein Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention, das für Soldaten ein Mindestalter von 18 Jahren festlegt.

Flüchtlingskinder, die allein nach Deutschland kommen, würden, so die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl, gegen ihren Willen, ohne kindgemäße Beratung und Begleitung abgeschoben. „Die Bundesregierung“, sagte der Sprecher von Pro Asyl, Heiko Kauffmann, „hat in der zu Ende gehenden Legislaturperiode absolut nichts getan, um die Rahmenbedingungen zur Integration und zum Schutz von Flüchtlingskindern zu verbessern.“ Eine Anpassung des deutschen Asyl- und Ausländerrechts an die UN-Kinderrechtskonvention aber habe der UN-Ausschuß schon 1995 gefordert. Eine Gesellschaft, die Kinder rechtlich und sozial ausgrenze, „verliert den Anspruch, sich als gerecht, human oder sozial zu bezeichnen“.

Daß Kinder in Deutschland nicht sozial ausgegrenzt werden, daß es keine Kinderarmut gibt, wie dies die Bundesregierung bei der Vorstellung des ungeliebten Kinder- und Jugendberichts erklärte, weisen Wissenschaftler, Wohlfahrtsverbände und Kirchen zurück. Sie fordern konkrete Maßnahmen zur Verringerung der relativen Armut von Kindern. Mit der Sozialhilfe werde ein Abgleiten in Armut nicht verhindert, gerade Kinder und Jugendliche lebten am Rand der Gesellschaft, hieß es auf dem Bundeskongreß für Soziale Arbeit in Dresden. Nach einer Studie des Deutschen Kinderschutzbundes arbeiten acht Prozent der Kinder etwa zehn Stunden in der Woche, weil ihre Eltern Geld brauchen, vor allem aber, weil sie unter ihren Freunden nicht benachteiligt sein wollen – Kinderarbeit gegen Kinder.


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