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06.01.1998

Kanther verlangt schärfere
Kontrollen von Häfen und Fähren

Bundesinnenminister rügt Italien,
Griechenland und die Türkei / Flucht
von Kurden als „Bedrohung“ bezeichnet

Frankfurter Rundschau (Seite 1)
Von Ferdos Forudastan


Im Streit über das Verhalten gegenüber kurdischen Flüchtlingen schlägt die Bundesregierung immer schärfere Töne an. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) warf den „südeuropäischen Partnern“ vor, sie hätten „erheblichen praktischen Nachbesserungsbedarf“ bei der Anwendung des Schengener Systems.

BONN, 5. Januar. Kanther forderte am Montag vor allem von Italien und Griechenland „wesentlich stärkere Maßnahmen gegen illegale Zuwanderung“. Die Konferenz der Polizeiexperten am Donnerstag in Rom müsse praktische Ergebnisse hervorbringen, sagte er. Deutschland behalte sich vor, andernfalls eine Sonderkonferenz der Schengen-Staaten gegen die illegale Zuwanderung zu fordern. Das Schengener System regelt die Abschottung einer Reihe europäischer Länder nach außen und den Wegfall der Grenzkontrollen im Inneren.

Die Tatsache, daß die Zahl kurdischer Flüchtlinge nach Europa gewachsen ist, bezeichnete der Bundesinnenminister als „bedrohliche Situation“, in der sich Westeuropa als „Sicherheitsgemeinschaft“ verstehen müsse. Unter anderem verlangte er, daß die Türkei, Italien und Griechenland Häfen und Fähren weit stärker auf illegale Zuwanderung kontrollierten als bisher. Außerdem solle es verstärkt Straßenkontrollen in Italien geben. In der Türkei und Griechenland müßten Ausreisekontrollen in Richtung Balkanroute eingeführt werden. Gegen See- und Lufttransportunternehmen, die illegale Flüchtlinge beförderten, solle die Schengen-Gemeinschaft, einheitlich vorgehen. Außerdem forderte Kanther, alle Länder bräuchten das gleiche Fingerabdrucksystem für Flüchtlinge.

Der Frage, ob etwa Italien seine Vertragspflichten aus dem Schengener Abkommen verletze, indem es in den vergangenen Tagen rund 1000 Kurden aus der Türkei, Irak und Iran habe einreisen lassen, wich der Sprecher des Bundesinnenministers, Detlef Dauke, aus. Ebenfalls nicht konkretisieren wollte er die Drohung Kanthers, Italien müsse mit Konsequenzen rechnen, wenn es kurdische Flüchtlinge nicht an der Grenze Italiens abfange und an der Weiterreise nach Deutschland mit allen Mitteln hindere.

Die Forderung des niedersächsischen Innenministers Gerhard Glogowski (SPD), das Schengener Abkommen vorübergehend auszusetzen, bis Italien die Vereinbarungen richtig umsetze, wies Kanthers Sprecher jedoch zurück. Er sagte, es gehe vielmehr darum, „innerhalb des Systems Maßnahmen zum Stopp der Wanderungsbewegung zu ergreifen“.

Zu dem Vorhaben der italienischen Regierung, Kurden aus der Türkei und Irak generell politisches Asyl zu gewähren, sagte Dauke, das sei ihm nicht bekannt. Er bestätigte, daß ein in Italien asylberechtigter Flüchtling nach dem Schengener Abkommen in die Bundesrepublik einreisen und bis zu 90 Tagen hier bleiben dürfe.

Die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), bezeichnete Kanthers Äußerungen als „blanken Zynismus“, wie Agenturen ergänzend berichteten. Sie erklärte in Berlin, die türkische Armee führe ihren Kampf gegen die Kurden vor allem mit Waffen aus Deutschland und den USA. Das einzig sinnvolle Vorgehen gegen die Flüchtlingsproblematik sei die Beseitigung der Ursachen, also die Beendigung des Krieges. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft „Pro Asyl“ kritisierte, Kanthers „Kampagne“ bekämpfe nicht die Ursachen und die Verursacher von Flucht, sondern die Opfer.


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