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TAG DES FLÜCHTLINGS 1995

Justizlotto am Flughafen

Seit dem 1. Juli 1993 gilt das sogenannte Flughafenverfahren gemäß § 18a AsylVfG für neuankommende Asylsuchende, die auf Flughäfen ankommen. Durch die große Zahl der internationalen Flüge wird der Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt zu einem Kristallisationspunkt der mit dieser Neuerung verbundenen Probleme. Ankommende Flüchtlinge werden in einem gesonderten, ausbruchsicheren Gebäude interniert und vom Bundesgrenzschutz (BGS) rund um die Uhr bewacht. Dies ist der äußere Ausdruck dafür, daß sie im Flughafenverfahren zu bloßen Objekten staatlichen Handelns werden.

Um das neue Verfahren am Flughafen zu realisieren, wurde kein Aufwand gescheut. Die Kapazitäten des BGS wurden um ein Vielfaches erhöht, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit einer Außenstelle am Flughafen angesiedelt. Das zuständige Verwaltungsgericht Frankfurt erhielt für dieses Verfahren drei zusätzliche Kammern mit neun Richtern samt des zugehörigen Verwaltungsapparates.

Nach Einführung des Flughafenverfahrens Mitte 1993 stellten im zweiten Halbjahr 1993 1582 Personen Asylanträge auf den deutschen Flughäfen. Von diesen wurde 1381 Personen die Einreise gestattet. Lediglich 175 Personen wurden nach einer Statistik des Bundesinnenministeriums zurückgewiesen. Im ersten Halbjahr 1994 stellten 1168 Personen Asylanträge auf dem Frankfurter Flughafen. Einreisen durften 1047 Personen, 77 Personen wurden zurückgewiesen.

Bereits vor dem Hintergrund dieser Zahlen stellt sich die Frage, ob dieses aufwendige Verfahren gerechtfertigt ist. Mit immensem materiellem und personellem Aufwand wurden schließlich, legt man die Zahlen des ersten Halbjahres 1994 für den Frankfurter Flughafen zugrunde, 1,4% der Asylantragssteller ausgesondert und zurückgewiesen. Diese Menschen zu einem regulären Asylverfahren in einer sog. Erstaufnahmeeinrichtung zuzulassen, wäre eine einfache und unproblematische Verfahrensweise.

Schlimmer als der unvernünftige Aufwand des Schnellverfahrens auf dem Flughafen ist jedoch die schlechte Qualität der Entscheidungen des Bundesamtes und der Gerichte, die unter Zeitdruck arbeiten müssen. So haben Frankfurter Rechtsanwälte allein dreizehn Fälle dokumentiert, in denen das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Anträge als» offensichtlich unbegründet« abgelehnt hat mit der Folge, daß das Grenzschutzamt eine Zurückweisung verfügt hat. Am Ende des gerichtlichen Verfahrens stand dann jedoch in allen diesen Fällen die Asylanerkennung als Asylberechtigter. In mindestens elf weiteren Fällen sind Anerkennungen zu erwarten, da die Betroffenen nach der Rechtsprechung des Verwaltungs gerichts Frankfurts einer Gruppenverfolgung unterliegen.

In mindestens zehn weiteren Fällen lehnte das Bundesamt die Asylanträge ebenfalls als »offensichtlich unbegründet« ab. Die Zurückweisungsverfügung des BGS hatte jedoch im gerichtlichen Verfahren keinen Bestand. Die betroffenen Flüchtlinge erhielten aufgrund drohender Gefahren für Leib und Leben zumindest den Abschiebeschutz des § 53 AuslG.

Dies könnte so verstanden werden, daß die Richter die Garanten des Rechtsschutzes am Flughafen sind. Auch sie sind jedoch in vielen Fällen von den Bedingungen des Flughafenverfahrens überfordert. So wurde ein Iraker vom Bundesamt als »offensichtlich unbegründet«abgelehnt. Das Verwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Durch das Bundesverfassungsgericht mußte das Grenzschutzamt im Eilverfahren verpflichtet werden, die Einreise .zu gestatten. Wenige Monate später entschied dieselbe Kammer des Verwaltungsgerichtes, die den Flüchtling fast dem Verfolgerstaat ausgeliefert hätte, daß dem Betroffenen das Asylrecht zu gewähren sei. In einem ähnlich gelagerten Fall gewährten wiederum dieselben Richter, die zuvor die Zurückweisungsentscheidung des BGS bestätigt hatten, den Abschiebungsschutz des § 53 AuslG.

Im Fall des kurdischen Jounalisten Levent Yanlik vervielfachten sich solche Absurditäten. Ihm war nach Ablehnung seines Asylantrages als »offensichtlich unbegründet« die Einreise durch das Grenzschutzamt verweigert worden. Die großenteils auf Zweifel an der Identität des Journalisten gestützte Entscheidung wurde auch durch das Verwaltungsgericht in Frankfurt bestätigt. Eine Verfassungsbeschwerde blieb zunächst erfolglos. Das Bundesverfassungsgericht regte jedoch an, einen neuen Antrag auf Abänderung der Entscheidung beim Verwaltungsgericht zu stellen. Kaum gestellt, wurde dieser jedoch wieder abgelehnt. Daß Yanlik Zeugen benennen konnte, spielte keine Rolle. Erst auf eine zweite Verfassungsbeschwerde hin wurde dem Betroffenen die Einreise durch das Bundesverfassungsgericht gewährt. Eine Entscheidung über das Asylrecht steht noch aus. Zu ergänzen bleibt: Als profilierter kurdischer Journalist wäre Yanlik bei einer Zurückweisung höchst gefährdet gewesen. Keiner der mit dem Fall befaßten Richter hat Yanlik jemals ins Auge geschaut: Entscheidung nach Aktenlage. Ein engagierter Anwalt und weitere Unterstützer in Deutschland haben das Schlimmste in letzter Minute verhindern können.

Daß die Entscheidungen der Gerichte häufig völlig unberechenbar sind, zeigt auch das Schicksal einer Gruppe von Kurden, die aus der Türkei auf dem Flughafen Rhein-Main eintraf. Die Asylanträge von fünf Personen aus dieser Gruppe wurden vom Bundesamt als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Das Grenzschutzamt verweigerte auch in diesen Fällen die Einreise. Im Eilverfahren hatten sich dann drei verschiedene Kammern des Verwaltungsgerichtes Frankfurt mit den Fällen zu befassen. Resultat: Drei völlig verschiedene Ergebnisse – bei im übrigen wenig verschiedenen Sachverhalten.

Ping-Pong mit Menschen

Geradezu zynisch erscheint der Umgang mit Menschen, die nach Auffassung des Bundesamtes bzw. der Gerichte bereits Sicherheit in Drittstaaten gefunden haben. Flüchtlinge, die aus einem Heimatland mit unmenschlichen Verhältnissen durch ein anderes Land fliehen und dort kaum bessere Verhältnisse vorfinden, werden ohne große Skrupel in diese Länder zurückgeschickt. Ob die Betroffenen in den Drittländern tatsächlich ankommen und was ihnen dort passiert, scheint nicht zu interessieren. So wurde ein Somalier, der über den Jemen nach Deutschland kam, dorthin zurückgeschoben. Die jemenitischen Behörden verweigerten die Einreise und schickten den Flüchtling zurück. Ein zweiter Abschiebeversuch scheiterte schließlich am Flugpersonal, das sich weigerte, den Betroffenen unter diesen Umständen mitzunehmen. Vorläufige Endstation: Abschiebehaft.

Ähnliches Ping-Pong mit Menschen wurde auch in Fällen der angeblich sicheren Drittstaaten Äthiopien und Sudan gespielt. Zum Teil waren die Opfer Schwangere und Kinder. Auch die Gerichte haben in diesen Fällen die Situation im Drittland oder die Weigerung der jeweiligen Drittländer, die zurückgeschickten Flüchtlinge aufzunehmen, nicht zur Kenntnis nehmen wollen. In einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes heißt es sinngemäß, zwar werde höchstwahrscheinlich eine Rückführung an der Weigerung der äthiopischen Behörden scheitern, so daß wiederum eine Zurückschiebung nach Deutschland zu erwarten sei, dies sei aber kein Problem, da der Betroffene hierdurch »nicht beeinträchtigt«werde.

Geheimverfahren in Deutschland

Das Flughafenverfahren trägt Merkmale eines Inquisitionsprozesses. Dem Betroffenen wird weder der Verfahrensablauf erklärt, noch ist die Prozedur der Einholung von Beweismitteln durchsichtig. Das Verfahren so schnell wie möglich abzuschließen, war erklärte Absicht des Gesetzgebers. Das damit verbundene Risiko trägt der Flüchtling. Auf sichere Entscheidungsgrundlagen wird zugunsten dieser Schnelljustiz häufig verzichtet. Entscheidungen werden dann auf die angebliche Unglaubwürdigkeit des Asylantragstellers gestützt. Damit entzieht man sich der Notwendigkeit, das Vorgetragene weiter inhaltlich zu bewerten und durch die Einholung von Auskünften u.a. zu überprüfen.

Eine nicht weniger problematische Praxis der Gerichte: Die Einzelrichter holen telefonische Auskünfte über die Verhältnisse im Heimatland der Flüchtlinge bei amnesty international oder Sachverständigen ein. Die Betroffenen und ihre Rechtsanwälte erfahren davon entweder gar nichts oder erhalten nur minimale Zeit zur Stellungnahme. Um zu verstehen, was dies bedeutet, stelle man sich vor, ein Richter würde in einem Strafverfahren das Urteil ohne mündliche Verhandlung nach telefonischem Zwiegespräch mit den Zeugen fällen. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Praxis den Rechtsstaat karikiert. Die Anwälte können nicht mehr kontrollieren, welche Frage dem Gutachter gestellt wurde und welche Antwort er im Detail gegeben hat. In einem Fall ergaben Recherchen des Anwalts, daß der vom Gericht im Ablehnungsbeschluß wiedergegebene Inhalt eines Telefongespräches mit einem Sachverständigen von diesem nicht bestätigt wurde. Zu spät: Der betroffene Flüchtling war längst auf dem Rückflug.

Das Gesetz gibt den Gerichten die Möglichkeit, ihre Entscheidungen ohne Begründung zu erlassen. Aber diese Entscheidungen sind Grundlage für den Vollzug der Zurückweisung. Die Zurückgewiesenen sitzen im Flugzeug, ohne die Gründe der gerichtlichen Entscheidung überhaupt zu kennen.

Kurzer Prozeß

Das Asylverfahrensgesetz sieht für die Einlegung von Rechtsmitteln im Flughafenverfahren eine Frist von drei Tagen vor. Dies führt dazu, daß die Betroffenen manchmal nicht in der Lage sind, Anwälte für ihre Verfahren zu finden. Diese Dreitagesfrist ist im deutschen Rechtssystem einmalig. Gelingt es, einen Anwalt einzuschalten, so wird er es in der Regel nicht schaffen, in der kurzen Zeit den Mandanten zu sprechen, die notwendigen Informationen z. B. zur Situation im Herkunftsland zu beschaffen, seinen Schriftsatz zu verfertigen und an das Verwaltungsgericht zu senden. Übernimmt ein Rechtsanwalt einen solchen Fall, so bedeutet dies in der Praxis: Der ganze sonstige Kanzleibetrieb ruht. Das kann sich kaum ein Rechtsanwalt auf Dauer leisten.

Wie drastisch den Betroffenen der Rechtsweg abgeschnitten wird, das zeigt ein weiteres Beispiel: Wenn Flüchtlinge im Einzelfall die Rechtsmittel ohne Anwälte einlegen und beantragen, ihnen durch die Gewährung der Prozeßkostenhilfe einen Anwalt beizuordnen, weil sie allein nicht in der Lage sind, das Verfahren zu betreiben, so werden sie aufgefordert, ihren Eilantrag zuvor zu begründen, damit die Erfolgsaussicht geprüft werden kann. Die Gerichtssprache ist deutsch, so heißt es in den entsprechenden Bescheiden weiter. Die Praxis der Prozeßkostenhilfe, deren Gewährung an die Erfolgsaussicht im Verfahren gebunden ist, wird so zur unüberwindbaren Hürde.

Für das Flughafenverfahren sind in jedem Fall hochspezialisierte Anwälte erforderlich. In den meisten Fällen müssen Gutachter eingeschaltet und Recherchen im Ausland durchgeführt werden. Da die fluchtauslösenden Vorgänge häufig erst kurz vor der Ausreise liegen, können die Anwälte nicht nur auf Dokumentationsstellen zurückgreifen. Innerhalb der Dreitagesfrist sind jedoch genauere Ermittlungen in Entwicklungsländern zu Detailfragen von Deutschland aus kaum durchführbar.

Der zu Anfang genannte hohe Prozentsatz von Menschen, die trotz des Flughafenverfahrens schließlich einreisen durften, kann nicht beruhigen. Jeder Mensch, der in Länder zurückgeschickt wird, wo ihm Verfolgung, Folter oder im Extremfall Tod drohen, ist einer zuviel. Richter, die ihr Gewissen mit der Statistik beruhigen, müssen sich sagen lassen: Das Beunruhigende ist die Existenz einer solch unfairen Schnelljustiz und ihre überwiegend willfährige Mitwirkung daran. Über den Einzelrichtern ist durch den Wegfall der gerichtlichen Beschwerdeinstanz nur noch der »blaue Himmel der Rechtspflege«. D.h. es gibt keine Korrektur von Fehlentscheidungen, wenn sich nicht das Bundesverfassungsgericht zuständig fühlt. Bei der zuständigen Kammer des zweiten Senats waren im Februar 1995 rund 800 Verfassungsbeschwerden zum neuen Asylrecht anhängig. Dies ist ein deutliches Signal für den Gesetzgeber: Nicht nur beim Flughafenverfahren bleiben sowohl die Menschenwürde als auch die Rechtsstaatlichkeit auf der Strecke.


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