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23.03.1998

Juristen lehnen Bonner Plan ab

„Streichung bei Flüchtlingen wäre verfassungswidrig“

Frankfurter Rundschau
Von Pitt von Bebenburg


Fachleute halten die geplante Verschärfung des Asylbewerber-Leistungsgesetzes nicht für Rechtens: Sie würde gegen übergeordnetes nationales und internationales Recht verstoßen, argumentieren sie.

FRANKFURT A. M., 23. April. Der in Bonn geplante Entzug jeglicher Sozialleistungen für bestimmte Flüchtlingsgruppen würde das Grundgesetz verletzen. Dies geht aus einem der FR vorliegenden Rechtsgutachten hervor, das von Bernd Schulte vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht in München gemeinsam mit der Ausländerrechtlerin Sibylle Röseler erarbeitet wurde; den Auftrag dazu hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege vergeben.

In dem Gutachten heißt es, die geplante Neuregelung verstoße gegen Artikel 1 des Grundgesetzes (Menschenwürde) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Artikel 20, „da sie dazu führt, daß das aus diesen Grundsätzen hergeleitete Existenzminimum unterschritten werden kann“. Zudem sei es unzulässig, Sozialämter entscheiden zu lassen, wessen Leistungen „auf die nackte Existenz reduziert“ werden. Es sei zu befürchten, „daß sich eine regional unterschiedliche Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis ausbildet“, und das sei in einem Kernbereich des Rechts nicht erlaubt.

Nach Auffassung der Internationalen Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren (Fian) wäre die geplante Gesetzesverschärfung auch ein Verstoß gegen internationale Abkommen, die die Bundesrepublik unterzeichnet hat. Die Organisation verwies am Donnerstag auf den Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, der das Menschenrecht auf Nahrung festschreibe. „Eine Politik, die die Androhung von Hunger als Mittel gegen Flüchtlinge einsetzen würde, wäre eine Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung und ein eindeutiger Verstoß gegen das Völkerrecht“, erklärte Fian. Die Organisation weist darauf hin, daß sie bisher das Recht auf Nahrung in Ländern Afrikas, Asiens und Amerikas einklagen mußte und sich nun erstmals gezwungen sehe, „gegen eine drohende Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung in Deutschland“ zu protestieren.

Dem Gesetzentwurf zufolge sollen Flüchtlinge, die in Deutschland geduldet werden, jeden Anspruch auf Grundleistungen wie Lebensunterhalt, Wohnung oder Medizin verlieren. Betroffen wären 300 000 Menschen, vor allem Bosnienflüchtlinge. Der Vorstoß war vom Bundesrat ausgegangen; im Bundestag werden in der nächsten Woche Experten angehört.


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