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TAG DES FLÜCHTLINGS 1993

Jugoslawien

Der Krieg im zerfallenden Jugoslawien und den entstehenden neuen Staaten hat Millionen von Flüchtlingen hervorgebracht. Zum Teil bleiben sie in der Region. So leben Hunderttausende von Flüchtlingen in Kroatien, Tausende in Mazedonien. Zum Teil fliehen sie in andere europäische Länder, wo viele von ihnen Verwandte haben, so auch nach Deutschland. Lediglich etwa 10.000 Personen hat die Bundesrepublik bis Ende März 1993 als Kontingent aufgenommen. Viele andere, nur Schätzungen sind möglich, kamen auf eigene Faust, bzw. konnten einreisen, weil hierzulande lebende Bürger eine Kostenübernahmeerklärung nach § 84 Ausländergesetz abgegeben haben. Die schrecklichen Fernsehbilder von belagerten Städten, Heckenschützen, Gefangenenlagern und verzweifelten Menschen haben eine große Hilfsbereitschaft ausgelöst.

Dem steht die Hartherzigkeit der deutschen Regierung gegenüber, die eine unbürokratische, visumsfreie Einreise von Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina nicht zuläßt. Inzwischen machen auch andere Länder die Grenzen dicht.

Für Flüchtlinge, die Deutschland erreicht haben, sind die bürokratischen Probleme nicht zu Ende. Viele Sozialämter drängen die Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aus Kostengründen dazu, einen Asylantrag zu stellen, womit die Kostenträgerschaft auf das jeweilige Bundesland übergeht und dieses auch die Unterkunft zu stellen hat. Im Asylverfahren jedoch fühlen sich die Betroffenen fehl am Platz. Sie unterliegen den harten Bedingungen des Asylverfahrensgesetzes, werden oftmals von Verwandten getrennt und haben zudem relativ geringe Anerkennungschancen im Verfahren. Gleichzeitig blockiert die große Zahl von Asylantragstellern aus dem ehemaligen Jugoslawien Verwaltungs- und Rechtswege.

Anknüpfend an die obergerichtliche Rechtsprechung zum Verhältnis von Bürgerkrieg und Asyl, wie sie sich am Beispiel der Tamilen aus Sri Lanka entwickelt hat, verweigert das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sogar den Asylantragstellern aus Bosnien-Herzegowina, die Opfer sogenannter „ethnischer Säuberungen“ geworden sind, die Anerkennung als Asylberechtigte. Wie die Statistik zeigt, betrug die Anerkennungsquote im Monat Februar 1993 lediglich 0,9%.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat in einem Schreiben vom 4. März 1993 seine Besorgnis über diese Praxis ausgedrückt und klargestellt, daß sie weder mit der Genfer Flüchtlingskonvention noch mit Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 GG übereinstimmt. In dem Schreiben heißt es:

„Auf Grund der Besorgnis unseres Amtes über zahlreiche Ablehnungen von Asylantragstellern aus Bosnien-Herzegowina – mitunter sogar als ,offensichtlich unbegründet‘ -, beziehen sich die folgenden Anmerkungen vor allem auf die Ausführungen des Berichterstatters zur Lage in Bosnien- Herzegowina. Der von Herrn Mazowiecki erstellte Bericht enthält jedoch auch detaillierte Darstellungen zur Lage in anderen ,Nachfolgestaaten‘ bzw. Landesteilen des ehemaligen Jugoslawien, insbesondere zur Lage im Kosovo, die im Hinblick auf zu treffende Asylentscheidungen von Bedeutung sind.

Auch der vorliegende, dritte Bericht des UN-Berichterstatters macht in seinen zentralen Passagen deutlich, daß gegenwärtig im ehemaligen Jugoslawien Personen Opfer von Rechtsgutbeeinträchtigungen werden, die eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben darstellen und angesichts der berichteten Praxis der ,ethnischen Säuberung‘ in Bosnien-Herzegowina auf bestimmte, an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ,Rasse, Religion oder Nationalität‘ anknüpfende Merkmale der Genfer Flüchtlingskonvention gerichtet sind. Im Hinblick auf die vielfach berichteten Massenvergewaltigungen von Frauen in Bosnien-Herzegowina führt der Berichterstatter beispielsweise zutreffend aus:

,Zahlreiche Frauen haben außerhalb von Bosnien-Herzegowina Zuflucht gesucht. Obgleich jeder Asylantrag gesondert behandelt werden sollte, muß jedoch klar zum Ausdruck gebracht werden, daß eine wohlbegründete Furcht vor Vergewaltigung eine wohlbegründete Furcht vor, Verfolgung‘ gemäß der Flüchtlingsdefinition im Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge darstellt, wenn die Verfolgung auf der ,Rasse‘ oder der ,Nationalität‘ des Opfers beruht. Dies ist sicherlich der Fall, wo diese dazu benutzt wird, um ,ethnische Säuberungen‘ voranzutreiben. Flüchtlinge, die in der Tat Opfer von Vergewaltigungen in Zusammenhang mit ethnischen Säuberungen gewesen sind, sollten in Asylländern eine entsprechende medizinische und psychologische Betreuung erhalten.

Artikel 27 § 2 der Vierten Genfer Konvention stellt fest: ,Die Frauen werden besonders vor jedem Angriff auf ihre Ehre und namentlich vor Vergewaltigung, Nötigung zur gewerbsmäßigen Unzucht und jeder unzüchtigen Handlung geschützt.‘ Vergewaltigung in diesem Kontext stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Vierte Genfer Konvention (Art. 147) dar und als solcher ein Kriegsverbrechen (Zusatzprotokoll I).‘

Die hier vom Berichterstatter vertretene Auffassung deckt sich insoweit mit der Rechtsposition unseres Amtes.

Zur Verdeutlichung der sich daran anschließenden Frage, ob die bezeichneten Maßnahmen lediglich ,militärischen Charakter‘ haben oder vielmehr auf die physische Vernichtung von nach ,asylerheblichen‘ Merkmalen bestimmten Personen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes abzielen, erscheinen die folgenden Anmerkungen des Berichterstatters aufschlußreich:

,Die vielfachen und vorsätzlichen Zerstörungen von Häusern können nicht als eine Aktion gegen ,militärische Ziele‘ gerechtfertigt werden. In einigen Fällen wurden die Häuser der von der ethnischen Säuberung betroffenen Personen zerstört, um eine Rückkehr derselben zu verhindern, in anderen Fällen wurden sie vorsätzlich zerstört, um die Bewohner zur Flucht zu zwingen. Die Schwere der Beweise spricht gegen die serbischen Streitkräfte, was die Mehrzahl dieser Handlungen angeht, für die zudem zuverlässige Berichte darüber vorliegen, daß solche Zerstörungen in allen unter serbischer Kontrolle stehenden Gebieten von Kozarac im Westen bis Jajce in der Mitte und Bratunac im Osten durchgeführt wurden. Alle an dem derzeitigen Konflikt beteiligten Parteien sind für die nach ethnischen Gesichtspunkten vorgenommene Zerstörung der Häuser verantwortlich. Zum Beispiel wurden Berichten zufolge im Juli 1992 serbische Häuser in dem Dorf Bratina durch Regierungs-/kroatische Streitkräfte und Häuser von Muslimen in Prozor im Oktober 1992 durch kroatische Streitkräfte abgebrannt.‘

[…]

Darüber hinaus sind u.E. die überwiegend von vorwiegend serbischen Streitkräften begangenen Verfolgungsmaßnahmen in Bosnien-Herzegowina als ,politisch‘ im Sinne des Artikels 16 Abs. 2 Satz 2 GG zu bezeichnen, unabhängig davon, daß mangels ,asylrechtlicher Verantwortlichkeit‘ diese Maßnahmen natürlich nicht dem Staat Bosnien-Herzegowina zugerechnet werden können. Nach dem vom BVerfG ebenfalls im ,Tamilen-Urteil‘ dargelegten Maßstäben handelt es sich nämlich dann um eine ,politische‘ Verfolgung, wenn ,sie im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um die‘ Gestaltung und Eigenart der allgemeinen Ordnung des Zusammenlebens von Menschen und Menschengruppen steht, also – im Unterschied etwa zu einer privaten Verfolgung – einen öffentlichen Bezug hat und von einem staatlichen Träger überlegener, in der Regel hoheitlicher Macht ausgeht, der der Verletzte unterworfen ist´.“ Den genozidartigen Charakter der Gruppenverfolgung von Muslimen in Bosnien-Herzegowina durch bosnische Serben erkennt auch das VG Freiburg in einem Urteil vom 21. Januar 1993 (AZ: A 9 K 11694/92) an, das auch auf die im jugoslawischen Krieg besonders deutlich gewordene Problematik der gezielten sexistischen Gewalt gegen Frauen hinweist (siehe: ai-Rechtsprechungsübersicht 3/93/11).

Flüchtlinge kommen aber nicht nur aus Bosnien-Herzegowina, sondern auch in großer Zahl aus der zur Republik Serbien gehörenden Provinz Kosovo, in der die ethnischen Albaner in ihrem Autonomiestreben seit langem mit größter Härte unterdrückt werden. Es muß befürchtet werden, daß der Krieg im ehemaligen Jugoslawien aus dem geringsten Anlaß heraus auf Kosovo übergreifen kann. In der Provinz Kosovo im Süden Serbiens leben zu 90% Albaner. Im Jahre 1990 löste das serbische Parlament Regierung und Parlament von Kosovo auf. Im selben Jahr trat in Serbien eine neue Verfassung in Kraft, durch die Kosovo einen Großteil seiner Autonomie verlor. Seitdem bestreiten die meisten Kosovo-Albaner die Legitimität der serbischen Verwaltung.

Zu den durch Benachteiligung und Diskriminierung schwierigen Existenzbedingungen der Albaner in Kosovo, die wir im Heft zum Tag des Flüchtlings 1992 beschrieben haben, kommen zunehmende Menschenrechtsverletzungen. amnesty international beschrieb die Lage im März 1993 so:
„amnesty international ist in großer Sorge um Albaner in der Provinz Kosovo, die Berichten zufolge von Polizisten, die in ihren Häusern nach Waffen suchten, schwer mißhandelt worden sind. Nach diesen Durchsuchungen wurden die Albaner auch in Polizeigewahrsam mißhandelt. Zu diesen Vorfällen kommt es in bestimmten von der Polizei für Razzien ausgewählten Dörfern immer häufiger.

Die in der Provinz Kosovo lebenden Albaner geben an, daß nicht nur Männer körperlich mißhandelt, meist geschlagen, werden, sondern auch Frauen und Kinder von der Polizei terrorisiert werden und die Polizisten während der Durchsuchungen vorsätzlich Möbel und andere Gegenstände zerstört haben. Obwohl einige illegale Waffen gefunden wurden, wurden laut Angaben der Albaner in den meisten Fällen Waffen entdeckt, die sich legal im Besitz der Albaner befanden. Die Besitzer der Waffen sind in den meisten Fällen von der Polizei gezwungen worden, die Waffen auszuhändigen. Es liegen sogar Berichte über Fälle vor, in denen Kosovo-Albaner, die von der Polizei bedrängt wurden, Waffen gekauft haben, um sie in der Hoffnung, weiteren Mißhandlungen und Schikanierungen entgehen zu können, der Polizei zu übergeben. Den Angaben der Albaner zufolge dienen die Durchsuchungen nicht in erster Linie dazu, Waffen zu finden, sondern die Bevölkerung einzuschüchtern. Außerdem geben die Albaner an, dass die örtliche serbische und montenegrinische Minderheit von Angehörigen der hauptsächlich serbischen Polizei und der Streitkräfte in Kosovo bewaffnet werden. Ihre Befürchtungen wurden noch verstärkt, nachdem die in Kosovo lebenden Serben im Dezember 1992 Zeljko Raznatovic, der auch unter dem Namen ,Arkan‘ bekannt ist, ins serbische Parlament wählten. Zeljko Raznatovic ist der Führer einer serbischen. paramilitärischen Gruppe, die sowohl in Kroatien als auch in Bosnien-Herzegowina operiert und häufig mit Greueltaten in Verbindung gebracht wird.

amnesty international liegen zahlreiche Berichte über Mißhandlungen von Albanern durch die Polizei während Waffenrazzien vor.“
(Quelle: ai-Index EVR 70/02/93)

Das VG Freiburg hat in einer Entscheidung vom 1. Dezember 1992 (Az: A8 K 10381/92) die Gruppenverfolgung von Kosovo-Albanern als gegeben angesehen. Aus der Begründung:

„Nach diesen Maßstäben und Grundsätzen steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der vorliegenden Erkenntnisquellen fest, daß Albanern aus dem Kosovo im Falle ihrer Rückkehr dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung in Form der Gruppenverfolgung droht. Die Gruppe der Albaner in der Provinz Kosovo in Serbien ist als solche das Opfer einer unmittelbaren staatlichen Verfolgung durch den serbischen Staat, der in Anknüpfung an die ethnische Abstammung die Mitglieder dieser Gruppe mit den Mitteln umfassender, massiver und menschenrechtswidriger Repressionen mit dem Ziel verfolgt, sie endgültig aus dem Kosovo zu verdrängen und zu vertreiben.
[…]
Die Auswertung dieser Erkenntnisquellen ergibt, daß der serbische Staat gezielt durch zahlreiche willkürliche Mißhandlungen unbeteiligter Kosovo-Albaner auf offener Straße, durch die Entlassung nahezu aller Albaner von ihren Arbeitsplätzen und die damit verbundene Vernichtung der materiellen Existenz sowie durch die Unterdrückung der albanischen Sprache und Kultur mittels Verboten albanischer Musik, Zeitungen, Fernsehsendungen, Medien, den umfassenden Ausschluß der albanischen Schüler und Studenten aus dem staatlichen Bildungssystem, durch die gezielte Ansiedlung von Serben im Kosovo und Vertreibung von Albanern aus ihren Wohnungen diese Volksgruppe aus seinem Staatsgebiet allein wegen ihrer ethnischen Abstammung vertreibt.

Diese staatliche Vertreibungspolitik wird dabei durch das bereitwillige Ausstellen serbischer Reisepässe für Kosovo-Albaner und ungehindertes Passierenlassen von Reisebussen aus dem Kosovo noch flankiert. Durch die Bewaffnung von serbischen Zivilisten im Kosovo mit Waffen der jugoslawischen Bundesarmee werden schließlich die ersten Ansätze dazu unternommen, dort gegenüber den Albanern ähnlich wie bereits in den anderen Kriegsgebieten im ehemaligen Jugoslawien mit den Mitteln des Völkermords euphemistisch als ,ethnische Säuberungen‘ bezeichnete Aktionen auszuführen.
[…]
Von Schnellrichtern werden nach dem serbischen Verwaltungsstrafgesetz kurzfristige Freiheitsstrafen bis zu 60 Tagen in großer Zahl selbst für marginale Ordnungswidrigkeiten gegen ethnische Albaner verhängt.
[…]

Der Bericht von Rullmann im Menschenrechtsreport Nr. 1, Februar 1991, zitiert den serbischen Innenminister, der schon am 18.10.1988 in einem Zeitungsinterview offiziell zugab, dass bereits in den Jahren 1981 bis 1988 insgesamt (von den ca. 1,6-2 Millionen Albanern) 584.000 Albaner mit Anklagen, Strafmaßnahmen und sonstigen Sanktionen belegt wurden (d.h. ca. 1/4 bis 1/3 der Bevölkerung ist in 7 Jahren sanktioniert worden).
[…]
Diese Rechtsgüter werden durch folgende, in großem Umfang und Stil gegenüber der albanischen Bevölkerung durchgesetzte Maßnahmen der serbischen Behörden verletzt:

    a) die massenweisen Entlassungen von Albanern aus ihren Arbeitsverhältnissen die diesen die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzieht, da solche Entlassungen keinerlei staatliche Unterstützung oder Fürsorgeleistung erhalten;

    b) der völlige Entzug der gesundheitlichen Versorgung für die albanische Bevölkerung, der sich für jeden Albaner im Falle seiner Erkrankung als eine Körperverletzung durch Unterlassen aus politischen Gründen darstellt und im Falle schwangerer Albanerinnen gezielt einen Rückgang der Geburtenrate durch erhöhte Kindersterblichkeit verursacht;

    c) die massenweise Schließung der Schulen und Universitäten für albanische Schulkinder und Studenten, verbunden mit der Entlassung aller albanischen Lehrer und eines überwiegenden Teils der albanischen Professoren und Hochschuldozenten, sowie die damit verbundene Unterbindung privaten Ersatzunterrichts, was sich insgesamt ebenso wie das Verbot albanischsprachiger Printmedien, Nachrichten und Radiosendungen sowie das Verbot des Besitzes albanischer Musikkassetten als Anschlag auf das kulturelle Minimum der albanischsprachigen Bevölkerung darstellt;

    d) schließlich ist die Verdrängung der Albaner aus ihren Wohnungen zugunsten von Serben und anderen Volkszugehörigen zu nennen, die im Rahmen groß angelegter Siedlungsprogramme gezielt zu Lasten der albanischen Bevölkerung im Kosovo angesiedelt werden sollen. Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 16.9.1992 sind von ehemals 183.000 im Kosovo beschäftigten Albanern über 100.000 entlassen worden. Nach Auskünften des Auswärtigen Amtes sind es mittlerweile so gut wie alle.


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