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TAG DES FLÜCHTLINGS 1996

Illegalität fällt nicht vom Himmel

Hermann Uihlein

Der Europäische Rat nimmt mit Befriedigung Kenntnis von den Ergebnissen, die in den Bereichen illegale Einwanderung von Staatsangehörigen dritter Länder, Rückübernahmeklauseln sowie Kontrolle der illegalen Einwanderung und Beschäftigung erzielt worden sind und ersucht den Rat, die Arbeiten in diesem Bereich fortzusetzen«‘.

Kurz und knapp liest sich die Reaktion der europäischen Regierungschefs auf die geleistete Arbeit der Justiz- und Innenminister. Lob für die Architekten und Bauherrn der Festung Europa. Und die betroffenen Menschen? Erstickt im Container, ertrunken in der Oder, erfroren im Kühlwagen zwischen Schweinehälften: Solche Nachrichten führen zu einem eingespielten Ritual. Empörung über die gewissenlosen Schleuser, denen das Handwerk gelegt werden müsse. Und gleichzeitig der Ruf nach schärferen Gesetzen und besserer Ausstattung der Grenzpolizei.

Solche »unvermeidbaren Unfälle« lenken für einen Augenblick das Interesse der Öffentlichkeit auf eine immer größer werdende Gruppe von Menschen: die Ausländer ohne legalen Aufenthaltsstatus. So spektakulär gelegentlich der illegale Grenzübertritt erscheint, es ist nicht der typische Zugang zur Illegalität. Die meisten kommen nicht illegal, sie werden es erst hier durch unsere Gesetze. Der Student, der nach Ablauf seines Studiums hier bleibt ebenso wie die Südamerikanerin, deren Visum abgelaufen ist. Gleiches gilt für den abgetauchten abgelehnten Asylbewerber oder die Großmutter aus der Türkei, die ihren Lebensabend bei den Kindern und Enkeln in Deutschland verbringen will. Kein Gesetz wird sie hindern können, hier zu bleiben. Sie »braucht« keinen Aufenthaltsstatus, sie lebt unauffällig in der Familie.

Schwieriger ist da die Situation der jungen Menschen, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben die Perspektivlosigkeit ihres Heimatlandes verlassen haben. Sie sind auf Verdienst angewiesen, nehmen jede Arbeit zu jedem Preis an. Zielsicher geraten sie in die Hände profitgieriger Ausbeuter. Ihr größtes Problem ist ihre Rechtlosigkeit. Schutzlos sind sie ihren Arbeitgebern ausgeliefert, können noch nicht einmal ihren spärlichen Lohn einfordern. Pech gehabt, wenn sie krank werden.,

Die Sozialarbeit tut sich bislang noch schwer mit diesem Personenkreis. Angst, selbst illegal zu handeln, verhindert, daß lösungsorientierte Konzepte in der Sozialarbeit entwickelt und erprobt werden. Dabei ist die Gefahr, durch die Arbeit mit diesem Personenkreis selbst straffällig zu werden, äußerst gering. Professor Gerhard Robbers, Trier, hat in einem sehr hilfreichen Gutachten wertvolle Hinweise gegeben, was bei der Arbeit mit statuslosen Ausländern zu beachten ist. (Veröffentlicht in: Beiheft zu „caritas“, 1/1995, Seite 41 ff.) Eine Umfrage des Deutschen Caritasverbandes unter 1.000 Dienststellen hat gezeigt, daß lösungsorientierte Sozialarbeit mit diesem Personenkreis möglich ist. Von den 310 Dienststellen, die statuslose Ausländer beraten haben, konnten 49 Stellen eine Legalisierung des Aufenthalts erreichen, 39 Stellen haben eine Rückkehr oder Weiterwanderung ermöglicht und 29 Stellen ermöglichten eine medizinische Versorgung.

Von ihrem Selbstverständnis her können sich die Wohlfahrtsverbände der Not dieser Menschen nicht verschließen. Die Menschenwürde ist nicht vom Besitz eines Aufenthaltstitels abhängig. Der Schutz der menschlichen Würde ist aus ethischer Sicht wichtiger als die Erfüllung des geschriebenen Rechts. In der Sozialarbeit gilt es, im Interesse der Betroffenen den Schutz der Menschenwürde mit den Anforderungen der gesetzlichen Realität in Einklang zu bringen. Handlungsmöglichkeiten gibt es dabei auf verschiedenen Ebenen:

• Die direkten Hilfen

Zu denken ist dabei an Bereiche wie Ernährung, Gesundheit, Wohnen, Begleitung zu Behörden, Hilfen in arbeitsund aufenthaltsrechtlichen Fragen.

• Anwaltschaftlicher Einsatz

Die Not dieser Menschen ist meist verborgen. Es ist wichtig, die Öffentlichkeit und die Politiker auf die herrschenden Mißstände und auf mangelhafte gesetzliche Regelungen aufmerksam zu machen. Nicht die Menschen gilt es zu bekämpfen, sondern die Umstände, die zu diesen illegalen Situationen führen. Hierzu gehört vor allem, ständig auf die Beseitigung unsinniger und Illegalität provozierender gesetzlicher Bestimmungen zu drängen.

• Drängen auf Ursachenbekämpfung

Es ist offensichtlich, daß die Ursachenbekämpfung der beste Lösungsansatz ist. Die Komplexität der Ursachen illegaler Wanderung, die weitgehend identisch sind mit den allgemeinen Fluchtursachen, lassen viele Engagierte mutlos werden. Dennoch ist es wichtig, immer wieder durch Öffentlichkeitsarbeit und öffentliche Aktionen auf diese Ursachen hinzuweisen: auf die mörderischen Kriege und Bürgerkriege, an denen die Industriestaaten so gut verdienen; auf die totalitären Regime, die oft über Gebühr hofiert werden; auf die ungerechte Weltwirtschaftsordnung, von der wir alle ganz gut leben; auf die ökologischen Katastrophen, die diejenigen am meisten treffen, die am wenigsten dazu beitragen. Auch wenn der einzelne gegen die Auslöser von Flucht und Migration wenig tun kann: Es ist wichtig, das Bewußtsein über diese Zusammenhänge wachzuhalten. Nur so können politische Entscheidungen für wirkliche Ursachenbekämpfung erreicht werden. Illegale Wanderungsbewegungen fallen nicht vom Himmel. Sie sind selbst gemacht. Wir alle wirken daran mit – und sei es nur durch unser Schweigen.


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