Hintergrund zur Presseerklärung vom 19.01.1996
WANN IST EIN ASYLANTRAG „OFFENSICHTLICH UNBEGRÜNDET“?
Dazu sagt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes: wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhaltes (…) zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des VG (Verwaltungsgericht) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand der Rechtssprechung und Lehre) sich die Abweisung der Klage dem VG geradezu aufdrängt.“ (Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 01.03.1979 und weitere Entscheidungen)“.
Das Bundesverfassungsgericht hat dies für den Bereich des Bundesamtes so formuliert: Danach darf das BA (Bundesamt) nur solche Asylanträge als offensichtlich ungründet ablehnen, die sich ihm bei richtiger Rechtsanwendung als eindeutig aussichtslos darstellen. Ob dies im Einzelfall so liegt, hat das Bundesamt durch umfassende Würdigung der ihm vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihm vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel zu entscheiden. (… ) Die Entscheidung des Bundesamtes muß in ihrer Begründung klar erkennen lassen, weshalb der Antrag nicht als (schlicht) unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.“ (BVerfG, Beschluß v. 02.05.1984)
Im Flughafenverfahren führt die Entscheidung als „offensichtlich unbegründet‘, falls sie vom Verwaltungsgericht bestätigt wird, zur Zurückweisung des Asylsuchenden, der während seines Aufenthalts im Transit als noch nicht eingereist gilt.
Nach Ansicht von PRO ASYL und nach dieser Rechtssprechung sind die oben genannten Voraussetzungen für die Ablehnung des Nigerianers im Flughafenverfahren nicht gegeben. Das Bundesamt hat die möglichen und zugänglichen Erkenntnismittel nicht ausgeschöpft und eine umfassende Würdigung der ihm vorgetragenen Sachverhalte nicht vorgenommen.
Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention entfaltet in Fällen drohender Folter als Abschiebungsverbot Wirkung. Auch in Artikel 3 Absatz 1 der UN-Folterkonvention wird das Folterverbot als Ausweisungs-, Abschiebungs- und Auslieferungshindernis präzise festgeschrieben. In deutsches Recht ist die drohende Folter in § 53 Absatz 1 Ausländergesetz als zwingendes Abschiebungshindernis übernommen worden.
ZUR KOMPETENZ DER ENTSCHEIDER DEM BUNDESAMTES
Die Entscheider des Bundesamtes sind bei Entscheidungen über das Asylrecht (Artikel 16a GG) sowie das sogenannte „Kleine Asyl“ (§ 51 Ausländergesetz) keinen Weisungen unterworfen. Dies gilt nicht für die Entscheidungen über Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 Ausländergesetz, dessen Absatz 1 lautet: „Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die Gefahr besteht, der Folter unterworfen zu werden.“
Obwohl PRO ASYL in mindestens drei Fällen nachweisen kann, daß Folterschilderungen nicht nachgegangen worden ist (zwei nigerianische, ein sudanesischer Flüchtling), sind Konsequenzen gegenüber den beteiligten Entscheidern nicht bekannt geworden. Trotz der Weisungsungebundenheit der Entscheider in asylrechtlicher Hinsicht besteht eine Verpflichtung des Bundesamtes, im Rahmen der Fachaufsicht Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen, wenn einige Entscheider die ihnen obliegenden Pflichten in grober Weise verletzen. Dies ist auch ohne Einflußnahme auf den konkreten Fall möglich. Im übrigen kann das Bundesamt ungeeignete Entscheider mit anderen Aufgaben betrauen.
Die Qualität der Entscheider des Bundesamtes, von denen viele keinerlei juristische Ausbildung haben, ist in den letzten Jahren durch die große Zahl der Neueinstellungen, ungenügende Ausbildung und den Mangel an Kontrolle sehr problematisch geworden.