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TAG DES FLÜCHTLINGS 1991

Harmonisierungsmaßnahmen von Asylpolitik
und Asylrecht innerhalb EG – Europas

Michael Maier-Borst

Mitte der achtziger Jahre war mit Harmonisierungsbestrebungen zwischen den EG-Staaten begonnen worden. Die Schengener Verhandlungen zwischen Frankreich, der Bundesrepublik und den Beneluxstaaten wurden im Juni 1990 nach Verzögerungen wegen der deutschen Wiedervereinigung endgültig abgeschlossen. Italien trat dem Schengen-Kreis am 27. November 1990 nachträglich bei.

Vor dem Ratifizierungsprozeß der umstrittenen Verträge durch die nationalen Parlamente wurden von ai in den beteiligten EG-Staaten Abgeordnete und Parteien um Stellungnahmen gebeten. Die ai-Gruppen in der Bundesrepublik verschickten Anfragen mit den Bedenken gegen die Abkommen an die jeweiligen Bundestagsabgeordneten ihres Kreises und versuchten über diesen Kontakt eine Diskussion in Gang zu bekommen. Der angetroffene Informationsstand der Volksvertreter/-innen über Gegenstand, Inhalt und Auswirkungen der Verträge war dürftig, und die Folgen der Verträge für den Asylbereich waren selten bekannt. Antworten in Form von Einheitsbriefen aus der SPD-Fraktion, Bedenken wegen „Asylmißbrauch“ und „Flüchtlingsschwemme“ von der CDU, keine Antworten von den GRÜNEN und Zusicherungen der FDP, das Problem weiter zu verfolgen, belegten dies.

Parallel zu den schon vorangeschrittenen Schengener Verhandlungen beschlossen die für Einwanderung zuständigen Minister aller zwölf EG-Staaten Ende 1989, zwei Konventionen auszuarbeiten, die zusammengenommen ein Abbild der „kleinen“ Schengen-Lösung sind: Die „Asylkonvention“, die im Juni 1990 in Dublin unterschrieben wurde, befindet sich schon im nationalen Ratifikationsprozeß, während die „Konvention zu Grenzübertritt und einheitlichen Visumsbestimmungen“ bis jetzt noch nicht unterschrieben ist. Die beiden Konventionen unterscheiden sich von den Schengener Abkommen weder in Struktur noch in Zielen und sind bis in einzelne Formulierungen hinein mit dem Schengener Abkommen identisch. Die Ergebnisse der Schengener Vereinbarungen sollen offensichtlich in nächster Zukunft für ganz EG – Europa durchgesetzt werden. Für ai wird es darum gehen, die beiden Konventionen als Fortsetzungen der Schengen-Strategie zu problematisieren. Sie wurden – wie die Schengener Abkommen – sowohl unter Ausschluß des Europäischen Parlaments als auch der nationalen Volksvertretungen ausgearbeitet. Die Informationen über Gegenstand, Inhalt und Stand der Verhandlungen blieben mangelhaft, was eine notwendige öffentliche Diskussion hemmte oder auf Vermutungen anwies. Zudem stellt der Inhalt der beiden Vereinbarungen insgesamt eine Fortsetzung der nationalen Strategien dar, die von ai immer wieder kritisiert wurden:

  • Die Politik der Einreiseverhinderung durch Visumzwang und Sanktionen für Beförderungsunternehmen, die Passagiere ohne Visum transportieren, wird für alle EG-Staaten festgeschrieben.
  • Da in Zukunft jeweils nur ein Staat, über den die Einreise des Flüchtlings erfolgte, für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig sein soll („Verursacher-Prinzip“), ist eine Konkurrenz der Abschottungsstrategien unter den Staaten zu erwarten.
  • Der Hinweis auf die Zuständigkeit eines anderen Konventionstaates wird das „Verursacher-Prinzip“ an die Stelle des Imperatives der Schutzgewährung rücken. Das erste Anliegen der zuständigen Behörden wird nicht mehr die Schutzbedürftigkeit des Flüchtlings sein, sondern die Feststellung der möglichen Zuständigkeit eines anderen Staates.
  • Diese Strategie führt auch dazu, daß Flüchtlinge ihr Asylland nicht mehr aufgrund der besseren Anerkennungschancen in einem bestimmten EG-Staat werden auswählen können. Tamilische Flüchtlinge z. B., die in Frankreich noch anerkannt werden, während sie in der Bundesrepublik selten eine Asylberechtigung erhalten, haben fast keine Chance mehr, in das für sie „asylfreundlichere“ Frankreich zu gelangen, wenn ihnen der direkte Weg dorthin versperrt ist.
  • All diese Regelungen stehen der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Bundesrepublik entgegen, die sich aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 und Art. 19 Abs. 4 GG ergibt. So ist die Einführung des „Verursacher-Prinzips“ die ein Asylverfahren verbieten könnte, ebenso wenig mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG zu vereinbaren wie eine Einreiseverhinderung – und damit der Zugang zum Asylverfahren – aufgrund des Fehlens eines Visums mit Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Entsprechend wird in den Attacken von CDU/CSU und SPD gegen den Asylrechtsartikel im Grundgesetz zunehmend mit seiner Unvereinbarkeit mit der EG-Harmonisierung argumentiert -fälschlicherweise übrigens, da alle Verträge bisher in einem „nationalen Vorbehalt“ den Staaten freistellen, Asylanträge auch dann zu prüfen, wenn eigentlich ein anderer Staat zuständig wäre.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß eine neue Orientierung der Asylpolitik innerhalb der EG umgangen wird. Nationalstaatliche Interessen wie die wirksame Begrenzung des Zugangs von Flüchtlingen werden einer Verbesserung der Rechte von Asylbewerber/-innen übergeordnet. EG-Asylpolitik scheint die koordinierte Summe der restriktiven Asylpolitiken der Mitgliedstaaten zu sein.

Michael Maier-Borst, amnesty international, Berlin

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