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TAG DES FLÜCHTLINGS 1997

Wer Menschenrechte vergisst, vergisst sich selbst

Grußwort zum
Tag des Flüchtlings 1997

»Wer Menschenrechte vergißt,vergißt sich selbst«. Der diesjährige Tag des Flüchtlings steht unter einem Motto, das gewiß mehrere Deutungen erlaubt. Ich jedenfalls muß dabei besonders an jene Frauen denken, die in ihrem Heimatland allein aufgrund ihres Geschlechts durch staatliche und gesellschaftliche Maßnahmen gezielt ausgegrenzt werden. Die Verletzung ihrer individuellen Menschenrechte wurde so zur gesellschaftlichen Norm erhoben.
Viele dieser Frauen müssen aus Angst vor Mißhandlungen und Bestrafungen auf das Einfordern ihrer Menschenrechte verzichten. Allzu viele haben sich dabei selbst aufgegeben. Wer seine Menschen würde bewahren bzw. wiederfinden will, sieht oftmals keine andere Alternative als die Flucht.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß in den letzten Jahren der besonderen Problematik von Flüchtlingsfrauen in Staaten mit einer langen Asyltradition zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dies gilt auch für Deutschland. Allerdings steht das dabei offenbar gewordene öffentliche Mitgefühl hierzulande jedoch in einem krassen Mißverhältnis zu der rechtlichen Berücksichtigung frauenspezifischer Fluchtgründe im Asylverfahren – dies ungeachtet der Tatsache, daß in den letzten Jahren die politische Entwicklung in mehreren Ländern darauf hinauslief, Frauen insgesamt aus dem gesellschaftlich-öffentlichen Leben auszugrenzen. Darüber hinaus wurde Gewalt gegen Frauen gerade in Kriegs- und Konfliktgebieten gezielt als besonders perfides Mittel der Verfolgung des jeweiligen Gegners eingesetzt.

In der Asylpraxis wird allzu oft vergessen, daß Frauen andere Fluchtgründe als Männer haben können. Denn Vergewaltigungen, Zwangssterilisationen und erzwungene Schwangerschaften verletzen nicht nur die körperliche Integrität von Frauen, sondern treffen auch die Identität der ethnischen, religiösen oder politisch orientierten Gruppe, der sie angehören. Darüber hinaus müssen Frauen vor Verfolgung in ihrer Heimat fliehen, weil sie dort gesellschaftliche Normen übertreten haben, die nur für Frauen gelten. Von rigiden Kleidervorschriften über generelle Arbeits- und Ausbildungsverbote bis hin zur Tötung von Frauen aus Gründen der Familienehre gibt es eine Unzahl von schockierenden Maßnahmen und entwürdigenden Praktiken.

In zwei Resolutionen des UNHCR-Exekutivkomitees aus den Jahren 1985 und 1993 wurden die Staaten aufgefordert, die asylrechtliche Relevanz frauenspezifischer Fluchtgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anzuerkennen. Gemessen an diesen Beschlüssen ist die deutsche Asylpraxis zurückgeblieben. Dies hat verschiedene Ursachen, die z. T. grundsätzlicher Natur sind. So sind schutzsuchende Frauen im Asylverfahren praktisch chancenlos, wenn sie eine sog. nicht-staatliche Verfolgung geltend machen. Denn immer mehr Gerichte urteilen nach dem Grundsatz: Wo kein Staat, da keine asylrelevante Verfolgung. Selbst die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung, die zumindest einen Abschiebeschutz nach der Europäischen Menschenrechtskonvention rechtfertigen müßte, wird in diesem Zusammenhang zunehmend bestritten.

Defizite im Asylverfahren gibt es allerdings auch bei der Bewertung von Verfolgungsmaßnahmen gegen Frauen, die man staatlichen Behörden zuordnen muß. Sexuelle Mißhandlung durch Soldaten oder Polizisten wird allzu oft nur als eine gewöhnliche Straftat bewertet. Hingegen wird kaum geprüft, ob Frauen in ihrem Heimatland überhaupt staatlichen Schutz gegen solche Übergriffe in Anspruch nehmen können.

Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, daß die Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL und der Deutsche Frauenrat in diesem Jahr gemeinsam eine Informationskapagne zum verbesserten Schutz verfolgter Frauen gestartet haben. Auch mir scheint ein Umdenken in der rechtlichen Würdigung frauenspezifischer Fluchtgründe im Asylverfahren notwendig zu sein. Denn die Anerkennungspraxis ist mit der Lebensrealität schutzsuchender Frauen kaum in Einklang zu bringen. Angesichts ihrer bedrückenden Erfahrungen haben sie einfach mehr Gerechtigkeit verdient. Wer die Menschenrechte von Flüchtlingsfrauen nicht vergessen will, wird sich der Forderung nach einem verbesserten Schutz nicht verschließen können.

Dr. Judith Kumin
Vertreterin der Hohen Flüchtlingskommissarin
der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik
Deutschland

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