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TAG DES FLÜCHTLINGS 1995

Grußwort zum Tag des Flüchtlings 1995

5OJahre sind seit Gründung der Vereinten Nationen vergangen. In ihrer Charta heißt es gleich zu Beginn, »die Völker der Vereinten Nationen sind fest entschlossen, künftige Geschlechter von der Geißel des Krieges zu befreien«.

Man kann kaum sagen, daß die Menschheit nach einem halben Jahrhundert dem Traum von einer friedvollen Welt näher gerückt ist. Zuletzt hat der Fall des eisernen Vorhanges entsprechende Hoffnungen geweckt, die jedoch längst der Ernüchterung gewichen sind. Im letzten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts erleben immer mehr Menschen den Schrecken des Krieges als ihre alltägliche Realität.

Vor 50 Jahren herrschte unter den Staaten Aufbruchstimmung. Die UN-Charta ist ein Spiegelbild dieser optimistischen Grundhaltung. Heute steht die Welt mitten im Umbruch. Noch ist unklar, welcher Weg in die neue Weltordnung führt. Düstere Zukunftsprognosen stehen dem Fortschrittsglauben gegenüber.

Anders als vor 50 Jahren finden bewaffnete Konflikte heute fast ausschließlich innerhalb von Staatsgrenzen statt. Auch wenn deren Ursachen vielfältig und komplex sind, die kämpfenden Parteien definieren sich zumeist über ihr Bekenntnis zu einer bestimmten Volksgruppe, Religion oder Nationalität.

Diese Bürgerkriege offenbaren auf dramatische Weise, wie schwierig es für die internationale Staatengemeinschaft ist, tiefgreifende Widersprüche zu überwinden. Auf der einen Seite stehen notwendige soziale, politische und ökonomische Emanzipationsprozesse, in deren Mittelpunkt für viele Staaten und Völker das Recht auf Selbstbestimmung steht. Dieses berechtigte Interesse birgt jedoch gleichzeitig ein spannungsträchtiges Konfliktpotential gerade dort in sich, wo innerhalb territorialer und staatlicher Grenzen verschiedene Volksgruppen leben. Das Recht auf Selbstbestimmung muß dann allzu oft dem brutalen und willkürlichen Recht des Stärkeren weichen. Und allzu oft müssen wir erleben, daß politische Lösungen im Sinne demokratischer Emanzipation und friedlichen Zusammenlebens das Nachsehen haben, wenn nach dem Zusammenbruch autoritärer Ordnungen und Strukturen das Gespenst des Nationalismus und Chauvinismus erwacht.

Das 20. Jahrhundert bleibt so auch an der Jahrtausendwende mitgeprägt von der Zerstörungsgewalt des Krieges und dem Elend seiner Opfer, zu denen das Millionenheer von Flüchtlingen und Vertriebenen gehört. Ihr Schicksal ist nicht nur eine humanitäre Tragödie. Es zeugt auch von den immer noch begrenzten Möglichkeiten einer internationalen Politik, die sich zunehmend als Krisenmanagement versteht. Dabei wird nicht immer entschieden und einmütig, vor allem vorausschauend, auf die Vermeidung von potentiellen bzw. die Beilegung von ausgebrochenen Konflikten hingearbeitet.

Welche Gründe hierfür auch immer eine Rolle spielen mögen, diese Problematik unterstreicht, wie unverzichtbar die Institution des Asyls weiterhin bleibt. Es gehört zu der Geschichte des internationalen Flüchtlingsschutzes im 20. Jahrhundert, daß es als Reaktion auf Massenfluchtbewegungen infolge des Ersten und Zweiten Weltkrieges substantiell ausgeformt wurde. Epochale Veränderungen der Weltordnung begünstigten mithin internationale Initiativen in diesem Bereich. Es ist deshalb nun an der Zeit, an diese Entwicklung anzuknüpfen und die Grundlagen für ein reformiertes internationales Flüchtlingsschutzsystem der Zukunft zu schaffen.

Die Hohe Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen Sadako Ogata plädiert in diesem Zusammenhang für eine neue Agenda des Flüchtlingsschutzes. Die herkömmlichen Instrumente reichen nicht mehr aus. Neue, flexiblere Ansätze sind notwendig. Deutlich wird dies zum Beispiel bei der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen. Ihre Schützbedürftigkeit ist unbestritten. Hingegen haben sie oft kaum Aussichten, in einem Aufnahmeland einen positiven Rechtsstatus zu erhalten. Kurzfristige Duldungen zu erteilen, ist gewiß besser als schutzbedürftige Flüchtlinge abzuweisen. Was aber, wenn der Krieg in ihrem Heimatland über Jahre fortdauert, wenn internationale Friedensbemühungen scheitern? Die humanitäre Konsequenz kann nur lauten, Bürgerkriegsflüchtlingen eine verfestigte Aufenthaltsmöglichkeit zu geben, die den Betroffenen und dem Aufnahmestaat eine Perspektive ermöglicht.

Ebenso wichtig wird es sein, der Herausforderung des Flüchtlingsschutzes mit einem neuen, erweiterten Verständnis im Hinblick auf die Herkunftsländer gerecht zu werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Verantwortung dieser Staaten gegenüber ihren Bürgern, die sich in der Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechte ausdrückt. Diese sicherzustellen, bleibt auch im 50. Jahr ihres Bestehens ein Hauptanliegen der Vereinten Nationen. Ohne deren Achtung wird es keine neue, stabilere Weltordnung geben. Wer das Flüchtlingsproblem als Bedrohung für die internationale Sicherheit ansieht, sollte nicht der Gefahr unterliegen, Opfer mit Tätern zu verwechseln. Es sei daran erinnert: Nach der UN-Charta ist es ein wesentliches Ziel internationaler Politik, »…die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen«.

Es sind nicht zuletzt die Millionen von Flüchtlingen dieser Welt, die darauf hoffen, daß dieses Ziel in ihrer Heimat erreicht wird. Bis dahin haben sie zumeist keine andere Wahl als anderswo Zuflucht zu suchen, um jenen Schutz finden zu können, der ihnen im Namen der Menschenrechte zusteht.

Dr. Judith Kumin
Vertreterin der Hohen Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik Deutschland

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