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TAG DES FLÜCHTLINGS 1991

Grußwort des Vertreters des
Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen

Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge schützen

Sie gilt als „Magna Charta“ des internationalen Flüchtlingsrechts. Vor vierzig Jahren, am 28. Juli 1951, wurde sie von einer UN-Bevollmächtigtenkonferenz verabschiedet: Die Rede ist von der Genfer Flüchtlingskonvention. Bis heute von 107 Staaten unterzeichnet, bietet dieses Abkommen einen international akzeptierten Katalog von Rechten und Pflichten eines Flüchtlings in seinem Aufnahmeland. Dieser reicht von der Ausstellung eines Reisedokuments über integrationsfördernde Maßnahmen bis hin zur Regelung der Arbeitsaufnahme.

Neben einer völkerrechtlich bindenden Definition des Begriffs „Flüchtling“ verpflichtet die Konvention darüber hinaus die Unterzeichnerstaaten, keinen Flüchtling in Staaten abzuschieben, „in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde“.

Es liegt in der inneren Logik dieses sogenannten Refoulementverbots, nicht nur dem bereits in den Zufluchtsstaat gelangten, sondern auch dem Einlaß begehrenden Flüchtling Schutz zu gewähren. Diese Bestimmung ist mithin das Kernstück des Abkommens. Sie weitet dessen Schutzfunktion auch auf den noch nicht formell anerkannten Flüchtling aus. Mit anderen Worten: Das Abschiebungsverbot der Genfer Flüchtlingskonvention festigt den Anspruch von Zufluchtsuchenden auf ein faires und gründliches Asylverfahren.

Warum dieser Hinweis? In den letzten Jahren ist die Genfer Flüchtlingskonvention zunehmend in Frage gestellt worden. Sie sei, so die Kritik, nicht mehr zeitgemäß. Ihr individueller Flüchtlingsbegriff stehe im Widerspruch zu der Realität. Ohne Zweifel ist unsere Gegenwart geprägt von Massenfluchtbewegungen. Deren Ursachen wiederum sind in einer unseligen Verknüpfung von Kriegen, Bürgerkriegen, Hungersnot, ökologischen Katastrophen und sozialer Verelendung zu suchen.

Eine Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs steht also zur Diskussion. Als Vorbild dient dabei die Flüchtlingskonvention der Organisation für Afrikanische Staaten (OAU) aus dem Jahre 1969. Dort werden ausdrücklich Bürgerkrieg und innere Unruhen als Fluchtgründe benannt. Zudem räumt die OAU-Konvention die Möglichkeit ein, den Flüchtlingsstatus nicht nur individuell, sondern für ganze Gruppen anzuerkennen. Unter dieser Voraussetzung wurde es UNHCR in Afrika erheblich erleichtert, sein Mandat für den- Rechtsschutz von Flüchtlingen wahrzunehmen.

Es gibt mithin plausible Gründe, die für eine Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs sprechen. Für deren weltweite Durchsetzung – dies zeigte sich bereits in der Vergangenheit – bestehen in der internationalen Staatengemeinschaft allerdings kaum Erfolgsaussichten.

Zudem wird in diesem Zusammenhang oft nicht genügend berücksichtigt, welche Möglichkeiten in der Genfer Flüchtlingskonvention bei entsprechender Auslegung vorhanden sind. Denn mit der Unterzeichnung dieses Abkommens haben die Staaten im Rahmen ihrer Souveränität den Flüchtlingen einen Rechtsstatus eingeräumt, der weit mehr als das bloße Nichtabschieben bedeutet.

Ziel einer humanitären Flüchtlingspolitik muß es deshalb zunächst sein, der Genfer Flüchtlingskonvention möglichst in allen Staaten der Welt Geltung zu verschaffen – und zwar in vollem Umfang, ohne) jeglichen Vorbehalt. Darüber hinaus kann die Konvention zum internationalen „burden-sharing“ beitragen, wenn ihre bislang von Staat zu Staat unterschiedliche Handhabung zugunsten einheitlicher Kriterien aufgegeben werden. Freilich: Diese Vereinheitlichung darf nicht auf dem niedrigsten Level geschehen.

Insofern sind auch die Staaten der Europäischen Gemeinschaft – doch nicht nur diese – gefordert, bei ihren Bestrebungen nach Harmonisierung des Asylrechts auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention liberale Maßstäbe anzulegen. Eine großzügige Interpretation könnte auch dazu beitragen, das Problem der sog. de-facto-Flüchtlinge aus einer rechtlichen Grauzone herauszuführen. Den Betroffenen würde statt Agonie eine Lebensperspektive eröffnet.

Zu einer humanitären und effektiven Flüchtlingspolitik gehört indes nicht nur ein funktionstüchtiges, internationales Flüchtlingsrecht. In der Bekämpfung von Fluchtursachen liegt eine weitere politische Herausforderung. Die komplexe Problematik der Flucht- und Migrationsbewegungen ist ein politischer Gestaltungsbereich, der weit über das juristisch fixierte Instrumentarium des Asylrechts hinausgeht.

Flüchtlings- und Entwicklungshilfe sind nur ungenügend aufeinander abgestimmt worden. Ebenso fehlt es an außen- und sicherheitspolitischen Strategien, die auf die Bekämpfung der Fluchtursachen abzielen. Dabei steht an erster Stelle die Beantwortung einer drängenden Frage: Wie kann die systematische Verletzung von Menschenrechten in zahlreichen Ländern dieser Welt beendet werden? Die Wiederherstellung und weltweite Achtung akzeptabler Menschenrechtsstandards darf nicht eine Utopie bleiben, sondern muß zur Realpolitik werden. Ein Versagen auf diesem Gebiet hat unweigerlich neue Flüchtlingsströme zur Folge.

Auch aus diesem Grunde geht es nicht an, das Prinzip der nationalen Souveränität gegen humanitäre Anforderungen auszuspielen. So gesehen, erfüllen die Unterzeichnerstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention eine Aufgabe, die über die Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen hinausgeht: „Der Umgang mit Flüchtlingen“, so die hohe Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen, Sadako Ogata, „ist für jeden Menschen und jede Regierung ein Test für deren Bekenntnis zu den Menschenrechten“.

Walter Koisser
Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik Deutschland

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