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TAG DES FLÜCHTLINGS 1999

Grusswort des UNHCR
zum Tag des Flüchtlings
am 1. Oktober 1999

Materialheft zum Tag des Flüchtlings am 1. Oktober 1999

Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
mit freundlicher Unterstützung von: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e. V., Deutscher Caritasverband e. V., Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Ev. Kirche in Deutschland, durch den ABP, Land Hessen

Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger/ Interkulturellen Woche (26. September bis 2. Oktober 1999) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.

INHALT

Menschen werden aus ihren Häusern getrieben. Man nimmt ihnen Besitz und Eigentum. Ihre Papiere landen im Feuer. Eingepfercht in Eisenbahnwaggons und Bussen müssen sie ihre Heimat unter dem Hohngelächter ihrer Unterdrücker verlassen. Die schrecklichen Bilder stammen nicht aus einem Film. Es ist die Realität des Jahres 1999. Im Kosovo, mitten in Europa, werden Hunderttausende von Menschen Opfer von ethnischer Vertreibung.

Die Ereignisse im Kosovo haben mit fast betäubender Wirkung der Weltöffentlichkeit ins Gedächtnis gerufen, daß am Ende dieses Jahrhunderts immer noch möglich ist, was längst überwunden schien: Die menschliche Würde ist ausweisbar. Auf bedrückende Weise wurde so auch noch einmal bestätigt, daß viele Argumente für eine restriktive Asyl- und Flüchtlingspolitik nun endlich neu überdacht werden müssen.

Dazu gehört vor allem die weitverbreitete These, die Genfer Flüchtlingskonvention sei veraltet, ein Produkt des Kalten Krieges und als Bezugspunkt für die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingsproblematik ungeeignet. Kurz: Die heutigen Fluchtursachen seien grundverschieden zu jenen vor knapp 50 Jahren, als die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet wurde.

Diese Auffassung ist historisch unhaltbar. Die Auflösung von Vielvölkerstaaten und innerstaatliche Auseinandersetzungen sind kein neues Phänomen. Im Gegenteil: Die wichtigen epochalen Einschnitte des 20. Jahrhunderts sind durch den Zusammenbruch von Imperien und die daraus resultierenden gewalttätigen politischen und ethnischen Konflikte gekennzeichnet. Das internationale Flüchtlingsrecht hat sich im Schatten des Ersten Weltkrieges entwickelt, der den Zusammenbruch des Russischen wie des Osmanischen Reiches verursachte bzw. beschleunigte. In den 20er Jahren wurden daraufhin zwischenstaatliche Vereinbarungen getroffen, um Aufnahme und Schutz bestimmter Flüchtlingsgruppen sicherzustellen. Sie galten z. B. für russische und armenische Flüchtlinge, später für spanische, österreichische und deutsche Flüchtlinge – Menschen also, die ihr Heimatland vor dem Hintergrund sich auflösender Vielvölkerstaaten, Bürgerkrieg, religiös, ethnisch oder politisch motivierter Verfolgung verlassen mußten.

Die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges verstärkte das Bewußtsein, daß diese Regelungen nicht ausreichten. Vor diesem Hintergrund ist die Genfer Flüchtlingskonvention zu sehen. Mit ihrem allgemeingültigen, individuellen Flüchtlingsbegriff steht sie in engem Zusammenhang mit den internationalen Menschenrechtsdokumenten, die nach 1945 den Schutz der Rechte des Individuums zu einer internationalen Aufgabe erklärten.

Die Kosovo- Tragödie zeigt: Die Behauptung, die Flüchtlingskonvention biete nicht den geeigneten Rahmen für Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisensituationen, ist schlichtweg irreführend. Die Realität spricht eine andere Sprache: Kriegführung und die dadurch erzeugte Gewalt können Mittel einer religiös, eth nisch oder politisch motivierten Gewalt sein. Sinn und Zweck der Konvention war und ist es, Menschen, die in ihrem Heimatland keinen Schutz vor Verfolgung finden, ersatzweise internationalen Schutz zu gewähren, solange dieser erforderlich ist.

Gewiss: Nicht jeder Bürgerkriegsflüchtling kann die Konvention für sich in Anspruch nehmen. Aber wenn, wie im Kosovo, die gezielte Vertreibung von Menschen, nur weil sie einer bestimmten Volksgruppe angehören, praktisch oder erklärtermaßen zum Kriegsziel erhoben wird, dann können sich Zufluchtsuchende auf den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention berufen. Daß potentiell viele Personen hiervon betroffen sind, macht die Verfolgung nicht weniger »individuell«.

Ein Umdenken ist also erforderlich, um dem Flüchtlingsschutz und damit der Institution des Asyls seinen moralisch unabdingbaren Stellenwert in einer angemessenen rechtlichen Interpretation zum Ausdruck zu bringen. Das Schicksal der Kosovo- Flüchtlinge solte hierfür Mahnung genug sein.

Jean-Noël Wetterwald
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) Vertreter in der Bundesrepublik Deutschland

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