TAG DES FLÜCHTLINGS 1992
Grußwort de Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen
Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge schützen
INHALT
- Grußwort des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen
- Warum sind Menschen auf der Flucht?
- Türkei
- Iran
- Afghanistan
- Sri Lanka
- Somalia
- Jugoslawien
- Rumänien
- Zwischenbilanz zum Thema Europa und Asylrecht
- Hetze, Missbrauch, Angst und Mitleid
- Was Sie tun können?
- Auszeichnung für PRO ASYL
Der Tag des Flüchtlings steht in diesem Jahr unter dem Motto „Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge schützen“. Beide Themen sind als gleichrangige Aufgaben zu verstehen. Sie bedingen sich gegenseitig und sind nicht voneinander zu trennen.
UN – Flüchtlingskommissarin Sadako Ogata sieht in der Forderung präventiver Maßnahmen zur Beseitigung von Fluchtursachen im Herkunftsland eines der wichtigsten Elemente einer umfassenden. internationalen Flüchtlingspolitik. Prävention kann dabei nicht mit der Errichtung neuer Barrieren gleichgesetzt werden, um potentielle Flüchtlinge von vornherein an der Flucht zu hindern.
Dies ist ein wichtiger Hinweis, um die notwendige Diskussion über die Bekämpfung von Fluchtursachen nicht in einem falschen Licht erscheinen zu lassen. Wer bei diesem Thema ausschließlich über Fragen der Grenzsicherung oder Visakontrolle nachdenkt, verkennt die Dimension der Flüchtlingsproblematik und ihre zunehmende Dynamik. Eine Lehre können wir aus der Vergangenheit sicherlich ziehen: Mauern werden Menschen in existentieller Not nicht davon abhalten zu fliehen.
Vor über 40 Jahren wurde mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Gründung von UNHCR ein internationales System aus der Taufe gehoben:, das von seinem Ansatz her nicht darauf gerichtet war, Flüchtlingsströme zu verhindern, sondern den Aufenthalt von Flüchtlingen im Aufnahmeland sicherzustellen. Gleichzeitig sollte dieser besondere Schutz dazu beitragen, Flüchtlingen so rasch wie möglich eine Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben zu schaffen.
Man darf über die Diskussion um die Verhinderung von Flüchtlingsströmen nicht vergessen, daß Millionen von Menschen weiterhin darauf angewiesen sein werden, Schutz außerhalb ihres Heimatlandes zu finden. Deshalb plädiert UNHCR für eine liberale Asylpolitik mit einer großzügigen Handhabung der Genfer Flüchtlingskonvention als einem unverzichtbaren Bestandteil flüchtlingspolitischer Konzeptionen.
Wer ernsthaft die Beseitigung von Fluchtursachen als politisches Ziel anstrebt, muß sich einer gigantischen Aufgabe stellen. Ein internationales System zum Schutz der Menschenrechte und eine Überbrückung des Wohlstandsgefälles zwischen Ost und West sowie der Wohlstandskluft zwischen Nord und Süd sind hierbei die entscheidenden Stichworte.
Wie dies bewerkstelligt werden soll, ist eine der großen Fragen der internationalen Politik. Dafür gibt es viele mögliche Antworten. Die internationale Staatengemeinschaft ist jedoch gerade erst dabei, deren Tauglichkeit zu prüfen. Von einer naheliegenden Lösung der Flüchtlingsproblematik kann deshalb zur Zeit keine Rede sein. Zunächst geht es vor allem um Ansätze für deren angemessene Behandlung.
So zeigen die immer noch wachsenden Flüchtlingszahlen, daß die Welt trotz der Beendigung des Ost-West-Konflikts von einem befriedigenden Schutz der Menschenrechte und der Minderheiten noch weit entfernt ist. Menschenrechtsverletzungen können jedoch von der internationalen Staatengemeinschaft nicht stillschweigend hingenommen werden, will man Fluchtursachen bekämpfen. Auf dem Prüfstand steht deshalb das Recht auf humanitäre Intervention, dessen Befürworter davon ausgehen, daß Menschenrechtsverletzungen eine innere Angelegenheit der Staatengemeinschaft als Ganzes sind.
Wie diese Auffassung mit dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates in Einklang gebracht wird, ist von entscheidender Bedeutung für die Ausgestaltung eines zukünftigen internationalen Systems zum Schutz der Menschenrechte.
Ebenso aber wird man sich in den wohlhabenden Industriestaaten mit der Tatsache mehr als bisher vertraut machen müssen, daß der wachsende Zuwanderungsdruck aus dem Süden und dem Osten nicht zuletzt das Ergebnis eines weltweiten Wandels der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen ist. Dieser wurde vom Westen ebenso gefordert wie gefördert.
Es ist deshalb nicht nur gegenüber schutzsuchenden Flüchtlingen ungerecht, dem wachsenden Zuwanderungsdruck lediglich mit einer restriktiven Asylpolitik zu begegnen. Es ist darüber hinaus auch wenig erfolgversprechend. Globale Entwicklungen lassen sich nicht auf dem Verwaltungsweg stoppen.
Hier ist mehr politische Phantasie und Verantwortung gefordert. Realpolitik im ausgehenden 20. Jahrhundert muß das klassische Ressortdenken überwinden. Das ausschließliche Denken in innenpolitischen Kategorien ist ebenso anachronistisch wie eine Außenpolitik, die als Wettbewerb von Konkurrenten betrieben wird. Fluchtursachen beseitigen – dies geht nur über den oft mühsamen Weg internationaler Verständigung und Zusammenarbeit, über das Bekenntnis zur gemeinsamen Verantwortung für unsere eine Welt. Denn, so Sadako Ogata: „Stabilität bekommt man nicht, wenn man seine Türen vor dem Elend verschließt.“
Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik Deutschland