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TAG DES FLÜCHTLINGS 1997

»Gib dem Herrn die Hand,
er ist ein Flüchtling!«

Wenn wir hier in der Begegnungsstätte Alte Synagoge von unserer Arbeit in der Abschiebehaft berichten, wollen wir versuchen, einen Bezug zu diesem Ort hier zu finden. Vor einem halben Jahr gab es hier in Wuppertal, organisiert von der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, eine eindrucksvolle Veranstaltung mit dem Titel »Exil ohne Ende«. Es war sehr berührend, die eingeladenen Dichter und Schriftsteller zu erleben. Menschen mit ihren Erfahrungen aus dem Widerstand, aus Konzentrationslagern und aus dem Exil.
Ein Widerspruch blieb auf dieser Tagung aber unerwähnt und ist möglicherweise nicht vielen aufgefallen: Die Veranstaltung im Von-der-Heydt-Museum wurde u.a. begrüßt von der Oberbürgermeisterin und der Wissenschaftsministerin. Beide hörten zu – sicher mit dem gleichen Respekt wie die anderen Gäste – , als die ehemals Exilierten berichteten, wie sie mit gefälschten Pässen und falscher Identität in ihren Zufluchtsländern und zum Teil im Untergrund überlebten. Zur selben Zeit saßen – und sitzen noch – Menschen in der gleichen Stadt und anderswo in Untersuchungs- und Abschiebehaft, denen genau das vorgeworfen wird, nämlich falsche Papiere und Namen benutzt zu haben, um nach Deutschland zu gelangen und um hier zu leben. Sicher sind die Gefahren in den Herkunftsländern nicht einfach mit denen in Nazi-Deutschland zu vergleichen. Manche flohen vor Elend und Hunger, andere vor Krieg und Bürgerkrieg, manche vor Verfolgung und Folter. Ihre Fluchtgeschichte und vor allem die deutsche und europäische Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen läßt ihnen oft keine andere Möglichkeit, als illegal und manchmal auch mit gefälschten Papieren hier zu leben, wenn sie in Deutschland Zuflucht suchen. Die Oberbürgermeisterin steht für eine Stadtverwaltung, die Ministerin für eine Landesregierung, die verantwortlich sind für Maßnahmen, mit denen Flüchtlinge inhaftiert und kriminalisiert werden.

Zum Vergleich Erlebnisse aus dem Exil von Günther Anders (1):

»Jeder von uns (die Ausnahmen sind kaum der Rede wert) hatte erst einmal zu versuchen, sein Lebensminimum zu erjagen, als da sind: ein Bett, Arbeitserlaubnis, Geld, Essenskarten, Schwarzarbeit, vor allem aber seine (›Aufenthaltserlaubnis‹ genannte) Lebenserlaubnis. Und die Jagd auf diese Lebenserlaubnis (die zumeist im Warten auf Korridoren bestand) war, da wir aus dem Regen ja nicht etwa in Gutwetter gekommen waren, sondern wiederum in Regen (nämlich aus einer Welt der Arbeitslosigkeit in andere Welten der Arbeitslosigkeit), eigentlich aussichtslos. In manchen Fällen war der Schnörkel des Infernalischen besonders sinnig: die Jagd nämlich bei strengster Strafe (Rücktransport zur Grenze) untersagt – was darauf hinauslief, daß man uns gewissermaßen amtlich dazu zwang, die Gesetze zu umgehen, nämlich schwarz zu arbeiten, weil uns ohne diese Schwarzarbeit, abgesehen von dem Kleingeld, das man nun einmal braucht, um aus der Hand in den Mund zu leben, auch das größere Geld gefehlt hätte, das für die Aufenthaltserlaubnis verlangt wurde. In anderen Worten: Offiziell gefordert waren Zahlungen von Beträgen, deren Erwerb ebenso offiziell untersagt war. (Daß es Tausenden von uns trotzdem gelungen ist, das Unmögliche durch Unermüdlichkeit durchzusetzen bzw. durchzustehen, ist heute kaum mehr begreiflich. Damals jedenfalls galt jeder Erfolg als die Ausnahme. Aber es muß unzählige Ausnahmen gegeben haben: Kafka hätte wahrscheinlich vermutet, daß das Durchbrechen der Regel die administrativ vorgesehene Regel gewesen sei, und damit hätte er auch recht gehabt.)«

Oder Georg Mosse beschreibt (2):

»Wie man reiste? Wir hatten türkische Freunde, meine Mutter und mein Bruder waren also Türken, mein Vater hatte einen Paß aus Costarica oder so ähnlich, aber ich kann mich heute nicht genau daran erinnern. Man nahm jeden Paß, wo immer man ihn finden konnte. Ich hatte einen Paß aus Luxemburg, der vom Ministerpräsidenten persönlich gefälscht war. Den habe ich mir bis heute aufgehoben.«

Wenn hier Parallelen zu heute nicht gezogen werden, steckt darin auch ein Stück Verdrängung der Vergangenheit und Mißachtung der Erfahrungen derer, die aus Deutschland fliehen mußten. Exil und Asyl in bezug zueinander zu setzen, dazu wollen wir mit Berichten zur Abschiebehaft in der Alten Synagoge einen Beitrag leisten.

Im Grundgesetz fand sich immerhin eine Konsequenz der Erfahrung, welche lebensrettende Bedeutung die Bereitschaft des Auslands hatte, Hunderttausende Exilierter aufzunehmen. In Artikel 16 hieß es »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«. Dies gilt nicht mehr. Nach einer ungeheuren Debatte in den Medien, den Parlamenten und an den Stammtischen über »Asylantenflut« und »Überfremdung«, begleitet von Gewalttaten gegen Ausländerinnen und Ausländer, wurde im Asylkompromiß der Art. 16a beschlossen, dessen Umsetzung wir heute u.a. in den Abschiebegefängnissen erleben.

Wir können noch einmal und noch weiter zurückgehen in die Geschichte und darin einer anderen Haltung gegenüber Flüchtlingen begegnen (3):

»Im Dezember1837 protestierten Professoren der Universität Göttingen gegen einen Verfassungsbruch, begangen von ihrem königlichen Landesherrn. Diese „Göttinger Sieben“, unter ihnen die Brüder Wilhelm und Jacob Grimm, wurden unverzüglich aus der Universität geworfen, drei von ihnen zusätzlich mit Ausweisung innert drei Tagen „bestraft“ – heute würde man sagen, sie mußten Hals über Kopf ins Exil. Zu den Ausgewiesenen gehörte Jacob Grimm, und was ihm nach Verlassen des Königreichs Hannover auf kurhessischem Boden widerfuhr, hat er mit einem knappen Satz berichtet:
„Gib dem Herrn die Hand, er ist ein Flüchtling, sagte eine Großmutter zu ihrem Enkel, als ich am 16. Dezember die Grenze überschritten hatte.“ Von den politischen Meinungen und Taten des Professors Jacob Grimm wird die alte Bauersfrau kaum etwas gewußt haben …
Um Grimm zu ehren, genügte ihr, daß er ein Flüchtling war…«

Dazu möchten auch wir auffordern.

Rede von Annette Windgasse im Rahmen einer Veranstaltung des Arbeitskreises Abschiebehaft in der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal zum Anti-Rassismus-Tag am 21. März 1995.

(1) Günther Anders: Lebenserlaubnis. Aus: Der Emigrant. In: MERKUR, Heft 7, 1962 zitiert nach: Verbannung – Aufzeichnungen deutscher Schriftsteller im Exil, Hg.: E. Schwarz, M. Wegner, Hamburg 1964

(2) I. Runge, U. Stellring: Georg Mosse: »Ich bleibe Emigrant«. Berlin 1991

(3) Hans-Albert Walter: »… wo ich im Elend bin« oder »Gib dem Herrn die Hand, er ist ein Flüchtling«. Frankfurt 1992


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