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EUROPÄISCHER FLÜCHTLINGSRAT
EUROPEAN COUNCIL ON REFUGEES AND EXILES


STELLUNGNAHME
zur
FUNKTIONSWEISE DES VERTRAGES
ÜBER DIE EUROPÄISCHE UNION
IN BEZUG AUF DIE ASYLPOLITIK

(Stand: März 1997)
(ohne Anmerkungen)

    Einführung

  1. ECRE hat im Juni 1995 eine Stellungnahme „Zur Funktionsweise des Vertrages über die Europäische Union in Bezug auf die Asylpolitik und im Hinblick auf die Regierungskonferenz zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union“ abgegeben. Darin hat ECRE auf die Unzufriedenheit aufmerksam gemacht, wie sie von allen großen Institutionen der Europäischen Union hinsichtlich Effektivität und Zulänglichkeit der 3. Säule des Maastrichter Vertrages ausgedrückt wurde.
  2. ECRE setzte sich bei den Institutionen der Gemeinschaft und bei den Regierungen der Mitgliedstaaten dafür ein, die Chance der Regierungskonferenz von 1996 zu nutzen und eine Reform der Institutionen vorzunehmen, um die Zusammenarbeit und Effektivität zu verbessern, Transparenz zu gewährleisten und die gerichtliche und demokratische Kontrolle aller Entscheidungen des Rates, die sich mit Asyl und Flüchtlingen befassen, zu sichern.
  3. ECRE möchte im Folgenden einen weiteren Beitrag zu den Diskussionen der Konferenz leisten, der sich auf die Entwicklungen seit Juni 1995 bezieht.
  4. TEIL I:
    Allgemeine Bemerkungen zur Struktur der Institutionen

    In der Erwägung

  5. daß ein anerkannter Bedarf für ein gemeinsames Vorgehen der Union und für eine bessere Zusammenarbeit unter den Mitgliedsstaaten bei Flüchtlings- und Asylrechtsfragen vorliegt;
  6. daß die Mitteilung der Kommission zum Thema Zuwanderungs- und Asylpolitik von 1994 einen brauchbaren Rahmen für ein umfassendes Angehen der Flüchtlingsthematik bietet und auf eine konstruktive Strategie über das derzeitige, zwischensstaatlich bestimmte Vorgehen hinaus abhebt, das derzeit auf eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners hinauszulaufen scheint;
  7. daß die Mitteilung der Kommission zu Artikel K.9 sich korrekterweise für die gründliche Revision der 3. Säule innerhalb des Rasters der Regierungskonferenz statt über die evt. Anwendung von Artikel K9 einsetzt;
  8. daß in Artikel G der Allgemeinen Skizze für einen Änderungsvorschlag der Verträge, entwickelt von der Irischen Präsidentschaft für die Regierungskonferenz, diese festlegt, daß es der Konferenz obliegt, die Rolle der Institutionen und der Entscheidungsprozesse unter Titel IV zu beraten;
  9. daß der Rat im November 1995 zugestimmt hat, die verabschiedeten Gesetze und andere Schriftstücke im Asyl- und Einwanderungsbereich im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften zu veröffentlichen, daß aber der während des Entstehens der Gesetze ein Zugang zu den Informationen für alle daran interessierten Parteien (d.h. das Europäische Parlament, nichtstaatliche oder zwischenstaatliche Organisationen) nach wie vor nicht garantiert ist;
  10. daß es von größter Bedeutung ist, alle Diskussionen im Bereich des Rates, besonders innerhalb des Informations-, Reflexions- und Austauschzentrums für Asylfragen (CIREA) einer öffentlichen Überprüfung zugänglich zu machen.
  11. dringt ECRE

  12. darauf, daß die Konferenz ihre Arbeit zur Übertragung der Kompetenz für Flüchtlings- und Asylangelegenheiten auf die Europäische Gemeinschaft selbst mit der Möglichkeit voller demokratischer und gerichtlicher Kontrolle fortsetzt;
  13. oder, falls die og. Übertragung politisch nicht durchsetzbar ist, man sich wenigstens darauf einigt, daß für Entscheidungen des Rates in allen Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten innerhalb der 3.Säule qualifizierte Mehrheitsentscheidungen vorgesehen werden. Dabei sollten die unter Art. K.3(2) vorgesehenen Formen und Verfahren als geeignete Grundlage und als Voraussetzung für eine Verbesserung der Entscheidungsprozesse betrachtet werden;
  14. ist ECRE der Auffassung, daß die Kommission ein ausschließliches, nicht mit den Mitgliedsstaaten zu teilendes Initiativrecht unter den von der irischen Präsidentschaft vorgeschlagenen Optionen haben soll. Damit könnte der bei den Mitgliedsstaaten unvermeidlichen Tendenz begegnet werden, vorrangig im nationalen Interesse zu handeln;
  15. ist ECRE der Meinung, daß der Gerichtshof im Asyl- und Einwanderungsbereich in vollem Umfang zuständig sein soll und zwar durch eine Änderung von Artikel L des Vertrages über die Europäische Union. Damit würde eine übernationale Rechtsprechung für die Abweichungen erreicht, wie sie sich in diesem Bereich derzeit unter den Mitgliedsstaaten bei der Auslegung und Anwendung von Vorschriften ergeben;
  16. begrüßt ECRE den Bezug in Art. 192a des Änderungsentwurfs auf Zugang zu den Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, wobei dies auch für Dokumente im Entwurfsstadium gelten sollte. Die Zugangsbedingungen sollten auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben.
  17. empfiehlt ECRE als Alternative zu CIREA (Informations-, Reflexions- und Austauschzentrum für Asylfragen) die Schaffung einer unabhängigen Flüchtlingskommission, zu der neben den Vertretern der Mitgliedsstaaten auch die von nichtstaatlichen und zwischenstaatlichen Organisationen einschließlich des UNHCR und außerdem Experten gehören sollen. Diese Kommission wäre verantwortlich für Untersuchungen und Analysen zu den Herkunftsländern;
  18. ist ECRE der Auffassung, daß die bisher bei der 3. Säule anliegenden wichtigen Themen und beschlossenen Rechtsinstrumente unter den genannten demokratischen Voraussetzungen und unter Einbeziehung von UNHCR völlig neu verhandelt werden sollen. Sie dürfen in ihrer jetzigen Form nicht einfach auf die 1. Säule übertragen werden;
  19. ist ECRE der Meinung, daß die jeweils beste Praxis im Asylbereich, verankert in den Werten von Demokratie und Menschenrechten, Bezugspunkt für all diese Verhandlungen sein soll.
  20. TEIL II:
    Aussagen zu weiteren wichtigen Themen

    In der Erwägung

  21. daß in Artikel C der Allgemeinen Skizze für einen Änderungsvorschlag der Verträge Einwanderungs- und Flüchtlingsfragen erstmals als Bereiche einer Vergemeinschaftung einer gründlichen Behandlung unterzogen wurden;
  22. daß der Rat die Konferenz gebeten hat, den Vorschlag aufzugreifen, die Verträge dahingehend zu ändern, daß gemäß einem eindeutigen Prinzip kein Gemeinschaftsbürger in einem anderen Mitgliedsstaat Asyl beantragen kann;
  23. begrüßt ECRE

  24. die gründliche Behandlung der Flüchtlings- und Asylthematik in Sektion 1, Kapitel 2 der Allgemeinen Skizze für einen Änderungsvorschlag der Verträge, besonders den Umstand, daß Artikel C.2 sich mit Personen befaßt, die internationalen Schutzes bedürfen ohne unter die Genfer Flüchtlingskonvention zu fallen.
  25. weiterhin den ausdrücklichen Bezug auf einen „zeitweiligen Schutz“ und die „Lastenverteilung“/ das Teilen der Verantwortung in Artikel C.2;
  26. ist ECRE der Auffassung, daß dringender Bedarf für die Klärung der Bedeutung des Begriffs „Einstufung von Drittausländern als Flüchtlinge“ besteht, wie er sich unter Punkt 1c in Artikel C des Änderungsvorschlags findet. Dieser Punkt scheint sich auf Artikel 1 der Genfer Flüchtlinskonvention zu beziehen, mithin auf eine Verpflichtung aus einem internationalen Vertrag, die als solche innerhalb von Vorschlägen für die Revision der Verträge über die Europäische Union nicht zur Debatte stehen kann.
  27. daher dringt ECRE darauf, daß der Gemeinsame Standpunkt des Rates von 1966 über die harmonisierte Anwendung des Begriffs „Flüchtling“ in Artikel 1 nicht bindendes Recht wird.
  28. drückt ECRE die Sorge hinsichtlich der Uminterpretierung bestehender Vertragsverpflichtungen aus, und zwar solcher, die die sozialen und wirtschaftlichen Rechte anerkannter Flüchtlinge betreffen, wie sie in der Genfer Konvention festgelegt wurden; für solche Interpretationen sind die nationale und internationale Gerichtsbarkeit und UNHCR zuständig;
  29. ECRE unterstützt den Widerspruch des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) zum Vorschlag des Europäischen Rates, EU-Bürgern das Recht zu verweigern, in einem anderen Mitgliedsstaat politisches Asyl zu beantragen und hält diesen für gefährlich und aus folgenden Gründen für unannehmbar:
    1. Eine Annahme dieses Vorschlages würde dazu führen, daß jeder Mitgliedsstaat gegen internationales Recht verstößt. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention, wie sie von jedem Mitgliedsstaat ratifiziert wurde, ist jeder Staat verpflichtet festzustellen, wer im eigenen Land als Flüchtling gilt, und zwar unabhängig vom Herkunftsland.
    2. Bei der Suche nach einer automatisch wirkenden Schranke zur Verhinderung von Asylverfahren aufgrund des Herkunftslandes würde der Änderungsvorschlag eine geographische Begrenzung in der Anwendung des Flüchtlingsbegriffs nach Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention einführen. Dies stellt eine Verletzung des New Yorker Protokolls dar. Außerdem ist sie unvereinbar mit Artikel 3 der Genfer Flüchtlingskonvention, wonach die Unterzeichnerstaaten die Vorschriften der Konvention ohne Unterscheidung etwa nach Herkunftsländern anzuwenden haben. Artikel 42 verbietet die Einschränkung bestimmter Vorschriften einschließlich der in Artikel 1 und 3.
    3. ECRE ist der Auffassung, daß das Recht auf Freizügigkeit, das allen Bürgern in den Mitgliedsstaaten der EU zukommt, in der Praxis nicht ausreicht, um Flüchtlingen ausreichenden Schutz zu gewährleisten, wenn sie diesen über eine Einreise und Niederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat suchen. Flüchtlinge könnten zur Rückkehr in das Heimatland gezwungen werden (Refoulement). Dies wäre eine direkte Verletzung von Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention oder von Artikel 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, und zwar für den Fall, daß sie nach der Richtlinie 64/221 EWG unter eine Ausweisung oder nach der Auslieferungskonvention von 1996 unter eine Auslieferung fallen würden.
    4. Der Änderungsvorschlag ist zum Teil von der Absicht bestimmt, Terroristen vom Recht auf Asyl auszuschließen. ECRE verweist darauf, daß mit Artikel 1F (a) der Genfer Flüchtlingskonvention bereits eine Ausschlußregelung vorliegt.
    5. Der Änderungsvorschlag beruht fälschlicherweise auf der Annahme, daß die Entwicklung bei den Menschenrechten in den europäischen Staaten für alle Zukunft vorhersehbar ist. ECRE betont, daß kein Land gegen politische und soziale Instabilität und den daraus resultierenden Verletzungen der Menschenrechte gefeit ist. Auch bleiben Situationen außer Betracht, die sich im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen Union ergeben könnten.

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