TAG DES FLÜCHTLINGS 2000
Fragen und Antworten
zum Thema Asyl
Herausgegeben zum Tag des Flüchtlings am 29. September 2000
Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge mit freundlicher Unterstützung von: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e.V., Deutscher Caritasverband e.V., Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirche in Deutschland durch den ABP, Land Hessen.
Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger/Interkulturellen Woche (24. bis 30. September 2000) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.
INHALT
- Grußwort des UNHCR-Vertreters in der Bundesrepublik Deutschland
- Recht statt Willkür
- Fragen und Antworten zum Thema Asyl
- Nichtstaatliche Verfolgung als Asylgrund
- Bosnische Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland
- Härtefallregelungen im Ausländergesetz – längst überfällig und dringend nötig
- Bad Grund – statt Mitgefühl Stigmatisierung
- » … wir sollen euch davon nichts sagen … «
- Von der Krankheit zum Tode – ein Sondereinsatzkommando erschießt einen Flüchtling
Beispiele und Anregungen
- Umtauschbilanz 1999
- »Sie denken, dass wir Bettler sind«
- Gelebte Demokratie
- Größtmögliche Gemeinheit
- Die Fluchtwohnung
- »Langer Atem«
- Das längste Kirchenasyl in Niedersachsen ging nach 941 Tagen zu Ende
- Protest gegen die Verweigerung von Abschiebungsschutz für eine Kranke
- Rage against Abschiebung
- Denkzettel
- Schüler setzen sich für Flüchtlingsfamilie ein
- Flugblatt
- Medizinische Flüchtlingshilfe erhält Preis
- Betreuung ohne Krankenschein
- »In diesem Garten kann ich reisen«
- Rückkehrdruck à la Bayern
- »Wie Schlachthof oder Leichenhalle«
- Eltern haften ohne ihre Kinder
- Von Deutschland in den türkischen Folterkeller
Warum fliehen Menschen?
Ob Kriege, religiöse, politische oder ethnische Verfolgung: Auch 50 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Menschenrechtserklärung gibt es immer noch viel zu viele Gründe, die zu Opfern von Vertreibung machen oder zur Flucht aus ihrer Heimat zwingen. Weltweit über 30 Bürgerkriege und eine Vielzahl weiterer schwelender Konflikte tragen dazu ebenso bei wie massive Menschenrechtsverletzungen in zahlreichen Staaten. Allein 1999 waren nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats weltweit mindestens 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Von ihnen kamen die wenigsten nach Europa, vielmehr blieb die große Mehrzahl in den armen Ländern des Südens. So leben zum Beispiel einige Millionen afghanische Flüchtlinge teils seit Jahren und unter äußerst schwierigen Bedingungen in iranischen und pakistanischen Flüchtlingslagern. Somalische Flüchtlinge bleiben überwiegend in Äthiopien, im Jemen und in Kenia, Flüchtlinge aus Burundi in Ruanda, Sambia, Tansania oder der Demokratischen Republik Kongo. (Quelle: UNHCR)
Hauptherkunftsländer
Etwa 100.000 Flüchtlinge beantragen derzeit jährlich in Deutschland Asyl, wobei die Zahlen rückläufig sind. Von diesen 100.000 kommt seit Jahren etwa die Hälfte aus nur vier Ländern: aus Jugoslawien (vor allem Kosovo), aus der Türkei, dem Irak und aus Afghanistan. Die vier Länder haben etwas gemeinsam: Sie werden von schweren, inneren Spannungen erschüttert, die teils bürgerkriegsähnliche Ausmaße angenommen haben. Die Folge: massive Menschenrechtsverletzungen und systematische Verfolgung einzelner ethnischer Gruppen.
Jugoslawien
1999 stellten über 31.000 jugoslawische Staatsbürger einen Asylantrag in der Bundesrepublik. Fast alle von ihnen waren Kosovo-Albaner, die vor dem Krieg zwischen Nato und Jugoslawien sowie vor den massiven Vertreibungen und Massakern durch serbische Sicherheitskräfte flohen. Vorausgegangen war eine jahrelange systematische Unterdrückungs- und Verfolgungspolitik Belgrads gegenüber den rund 1,8 Millionen Kosovo-Albanern, der der Westen tatenlos zugesehen hatte.
Unter den Flüchtlingen aus Jugoslawien waren und sind auch Serben, die dem Belgrader Regime kritisch gegenüberstehen. Viele von ihnen haben den Militärdienst verweigert und sind deshalb in Serbien von politischer Verfolgung bedroht. Darüber hinaus mussten nach dem Ende des Kosovo-Kriegs zunehmend auch Roma fliehen, weil sie immer massiveren ethnischen Übergriffen ausgesetzt waren.
Türkei
Fast 10.000 Asylanträge wurden 1999 von türkischen Staatsbürgern gestellt. Bei ihnen handelt es sich überwiegend um Kurdinnen und Kurden, die in der Türkei systematischer Verfolgung ausgesetzt sind: Mehr als 10.000 Menschen sitzen in der Türkei gegenwärtig aus politischen Gründen, vor allem wegen ihres Eintretens für kurdische Interessen, hinter Gittern – und darunter sind keineswegs nur militante Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK, sondern auch Gewerkschafter, Künstler, Journalisten und Mitglieder legaler kurdischer Parteien. Folter in Haft ist weit verbreitet. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen die PKK haben die türkischen Streitkräfte seit Anfang der 80er Jahre über 3.500 Dörfer im Osten der Türkei zerstört, weit über 30.000 Menschen sollen getötet und mehrere Millionen vertrieben worden sein.
Irak
Fast ebenso viele Kurden aus dem Irak suchten 1999 in Deutschland Zuflucht und Asyl. Denn auch im Irak sieht sich die kurdische Bevölkerung, die im Norden des Landes lebt, massiver Unterdrückung und Verfolgung gegenüber. Zum Sinnbild für die Vernichtungskampagne Bagdads wurde der Giftgasangriff auf die Stadt Halabja 1988, bei dem rund 12.000 Kurden starben. Das irakische Militär – hochgerüstet mit westlichen Waffensystemen – zerstörte innerhalb weniger Jahre über 4.000 kurdische Dörfer und Städte, verminte große Teile der Region und verschleppte hunderttausende Menschen, deren Schicksal bis heute unbekannt ist. Nach der Niederlage Iraks im Golfkrieg 1991 und einem gescheiterten Aufstand der Kurden richtete der Westen eine »Schutzzone« ohne völkerrechtlich garantierten Sta- tus im Nordirak ein, die den Menschen allerdings kaum Schutz bietet. Blutige Zerwürfnisse der irakisch-kurdischen Parteien untereinander und regelmäßige Invasionen der türkischen Armee ha- ben Terror, Rechtlosigkeit und Gewalt zum Alltag der Kurden im Nordirak gemacht.
Afghanistan
Etwa 5.000 Afghanen suchen alljährlich in Deutschland Zuflucht und stellen einen Antrag auf Asyl. Die Herrschaft der radikalislamischen Taliban in weiten Teilen des zentralasiatischen Landes hat vor allem zehntausende Frauen fast völlig entrechtet: Für sie gelten nicht nur Ausbildungs- und Arbeitsverbote, sie sind auch in ihrer Bewegungsfreiheit derart eingeschränkt, dass sie faktisch Gefangene in ihren Wohnungen und Häusern sind. Folter in Haft gilt im Herrschaftsbereich der Taliban als die Regel, darüber hinaus werden Körperstrafen wie Auspeitschen und Amputationen praktiziert. Alle kriegführenden Parteien verfolgen politisch Missliebige unerbittlich und schrecken vor Morden nicht zurück.
Wer erhält Asyl in Deutschland, wer nicht?
Die meisten Flüchtlinge hier zu Lande seien »asylunwürdig« und lediglich »Wirtschaftsflüchtlinge«, behauptete Ende vergangenen Jahres Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und versuchte, die demagogische Parole mit verkürzten Zahlenangaben zu untermauern. Richtig ist: Zwar erkannte das zuständige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Jahre 1999 tatsächlich nur rund 4,5 Prozent der Antragsteller als Asylberechtigte an; das heißt aber keines- wegs, dass die übrigen 95,5 Prozent nicht verfolgt sind. Vielmehr attestierte das Bundesamt weiteren 6,6 Prozent ein Schutzbedürfnis und gewährte ihnen das so genannte »kleine Asyl« (§ 51 des Ausländergesetzes). Weitere 2,3 Prozent durften bleiben, weil sie bei einer Abschiebung Folter, Todesstrafe oder Ge- fahr für Leib und Leben ausgesetzt gewesen wären (§ 53 Ausländergesetz). Das heißt: Schon das sehr strenge Bundesamt bescheinigt jedem zehnten Antragsteller, dessen Verfahren zur Entscheidung kommt, dass er Schutz vor Verfolgung braucht. Noch einmal die gleiche Zahl der Asylbewerber bekommt schließlich durch Klagen vor dem Verwaltungsgericht ein Recht auf Asyl oder zumindest einen Abschiebeschutz.

Hauptherkunftsländer – Länderanteile
Quelle: Bundesamt; Grafik: PRO ASYL
Und auch die übrigen 80 Prozent sind keineswegs »Asylbetrüger«. Vielmehr verbergen sich dahinter große Grup- pen von Flüchtlingen, die das strenge deutsche Asylrecht von vornherein ausschließt.
Flüchtlinge aus Afghanistan oder Somalia etwa haben in Deutschland kaum Chancen auf Asyl, weil es nach deutscher Lesart in ihren Heimatländern keine funktionierende Staatsmacht gibt: Wo kein Staat, da keine politische Verfolgung, so die zynische Argumentation deutscher Gerichte. Andere europäische Staaten sind da schon weiter und haben ihre Anerkennungspraxis entsprechend geöffnet.
Kurden aus der Türkei werden ebenfalls häufig abgewiesen und zurückgeschickt – obwohl zahlreiche Fälle bekannt sind, in denen Abgeschobene nach ihrer Ankunft in der Türkei festgenommen, schwer gefoltert und wegen ihres Eintretens für kurdische Interessen zu Haftstrafen verurteilt wurden. Besonders kritikwürdig ist das vom Bundesinnenministerium forcierte so genannte Konsultationsverfahren: Dabei sichert Ankara im Vorfeld von Abschiebungen auf Anfrage zu, dass der Rückkehrende nicht verfolgt wird. Diese Praxis muss beendet werden, denn Selbstauskünfte menschenrechtsverletzender Staaten dürfen keine Grundlage für Abschiebe-Entscheidungen sein.
Auch Flüchtlinge aus dem Kosovo oder Bosnien-Herzegowina fallen in der Bundesrepublik durch das Raster des strengen Asylrechts, obwohl viele von ihnen teils brutaler Verfolgung ausgesetzt waren. Einen besonders perfiden Trick ließ sich das Bundesinnenministerium während des Kosovo-Kriegs im Frühjahr 1999 einfallen: Auf dem Höhepunkt des Nato-Bombardements und der ethnischen Vertreibungen wurden Entscheidungen über Asylanträge von Kosovo-Flüchtlingen kurzerhand ausgesetzt – vielleicht, weil man sonst zu viele Anerkennungen hätte aussprechen müssen?
Schließlich: Auch Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts in vielen Staaten der Welt besonders gefährdet sind, finden hier zu Lande selten Schutz. Frauenspezifische Verfolgung ist als Asylgrund immer noch nicht anerkannt, trotz einer entsprechenden Aufforderung durch den Deutschen Bundestag schon im Jahr 1990.
Wer nimmt Flüchtlinge auf in Europa?
Weil Deutschland EU-weit die meisten Flüchtlinge aufneh- me, fordert die Bundesregierung gern und immer wieder eine »gerechte Lastenverteilung« in Europa. Tatsächlich aber gehört Deutschland, gemessen an seiner Bevölkerungszahl, keineswegs zu den Hauptaufnahmeländern in Europa. Nach einer Statistik des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) liegt die Bundesrepublik mit einem aufgenommenen Asylbewerber pro 830 Einwohnern sogar nur an neunter Stelle. Die Schweiz (170) nimmt im Verhältnis die meisten Flüchtlinge auf, es folgen Luxemburg (250), die Niederlande (340), Belgien (460), Norwegen (520) und Österreich (580). 1994 stellten noch 50 Prozent der Asylbewerber, die nach Europa kamen, ihren Antrag in Deutschland – heute sind es nur noch 28 bis 30 Prozent.
Wie ist die Asylpraxis anderer europäischer Staaten?
Es wird behauptet, das deutsche Asylrecht sei besonders großzügig und ziehe damit Flüchtlinge an. Es mag einmal so gewesen sein. Seit langem jedenfalls ist die Praxis der Asylgewährung in Deutschland eher engherziger als in anderen europäischen Staaten. Auch Staaten, bei denen der Rechtsweg weniger ausgebaut ist als in Deutschland, sind in der Entscheidungspraxis z. T. großzügiger. Das betrifft nicht nur die Anerkennungsquoten, sondern auch die Frage, wer jeweils nach dem Asylrecht dieser Staaten überhaupt den Flüchtlingsstatus erhalten kann. Während alle europäischen Staaten grundsätzlich Asylsuchende anerkennen, wenn sie durch ihren Herkunftsstaat verfolgt werden, weist die Praxis frappierend große Unterschiede auf, wenn es um Verfolgung durch nichtstaatliche Gruppen und Organisationen geht oder wenn – etwa in einem Bürgerkrieg – kein Staat mehr existiert. In der Frage der nichtstaatlichen Verfolgung befindet sich Deutschland in der Minderheit. Belgien, Dänemark, Finnland, Irland, die Niederlande und Schweden gewähren Schutz auch im Falle nichtstaatlicher Verfolgung, Großbritannien, Italien und Österreich zumindest unter bestimmten Voraussetzungen. Belgien, Großbritannien, die Niederlande und Schweden erkennen Asylsuchende auch dann an, wenn es z. B. in einer Bürgerkriegssituation keinen Verfolgerstaat im eigentlichen Sinn mehr gibt. Insbesondere in Großbritannien und den Niederlanden haben in den letzten Jahren Personen Asyl oder zumindest das Bleiberecht erhalten, die aus Deutschland weitergeflohen sind, weil ihnen hier die Abschiebung drohte. Auch Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung finden in anderen europäischen Staaten oftmals eher Schutz als in Deutschland.

Hauptherkunftsländer
Quelle: BMI; Grafik: PRO ASYL
Welche Sozialleistungen erhalten Asylsuchende in Deutschland?
In Deutschland Asylbewerber zu sein, macht keineswegs reich. Im Gegenteil. Menschen, die hier einen Asylantrag stellen und viele andere Flüchtlinge aus Kriegsgebieten erhalten wesentlich weniger Hilfen als andere Menschen, zu wenig, um menschenwürdig leben zu können. Für sie gilt nicht das Bundessozialhilfegesetz, sondern das wesentlich strengere Asylbewerberleistungsgesetz. Damit bekommen sie fast 30 Prozent weniger Unterstützung als andere und diese fast nur in Sachmitteln; ärztliche Behandlung wird ihnen sogar nur bei akuten Krankheits- und Schmerzzuständen gewährt. Seit der letzten Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1998 kürzen viele Sozialämter Leistungen auf das »unabweisbar Gebotene« oder verweigern sie sogar ganz, indem sie unterstellen, die Flüchtlinge seien nur des Geldes wegen gekommen oder behinderten – etwa durch Vernichtung des Passes – »aufenthaltsbeendende Maßnahmen«.
Die Schlechterbehandlung wird mit dem Argument begründet, der Gesetzgeber müsse der Tendenz gegensteuern, dass Flüchtlinge das Asylrecht missbrauchen, um in Deutschland Sozialhilfe zu beziehen. Wirft man einen genaueren Blick auf die vom Asylbewerberleistungsgesetz Betroffenen, wird aber klar: Es zielt mit voller Wucht auf diejenigen, die vorher schon an den hohen Hürden des deutschen Asylrechts gescheitert sind. Denn neben Flüchtlingen mit noch laufendem Asylverfahren fallen auch Kriegsflüchtlinge (etwa aus Bosnien-Herzegowina oder dem Kosovo) unter das AsylbLG – ebenso wie Flüchtlinge, deren Verfolgungsschicksal in Deutschland nur zu einer Duldung reicht (zum Beispiel viele Afghanen und Kurden). Diese Menschen werden durch das Gesetz generell dem Verdacht des Asylmissbrauchs ausgesetzt. Genau das haben Kirchen und Wohlfahrtsverbände wiederholt scharf verurteilt, weil davon eine verheerende Signalwirkung ausgehe: Flüchtlinge als Verdächtige. Die Verbände stufen die Verschärfung des AsylbLG von 1998 außerdem als verfassungswidrig ein, denn sie verstoße gegen das Gebot der Menschenwürde.
Kindergeld, Erziehungsgeld, Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und viele andere Sozial- leistungen erhalten Asylsuchende nicht.
Wie sieht es in anderen europäischen Ländern mit Sozialleistungen aus?
Des öfteren behaupten Politiker, viele Flüchtlinge kämen insbesondere wegen der Sozialhilfe oder anderer sozialer Leistungen nach Deutschland, die es in anderen europäischen Ländern nicht gebe. Die Sozialleistungen für Flüchtlinge sind im Rahmen einer Studie im Auftrag des Bundesamtes für Flüchtlinge der Schweiz mit dem Titel »Sozialhilfe für Asylsuchende im europäischen Vergleich« untersucht worden. Eine umfassende Sicherung des Lebensunterhaltes für Asylsuchende gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz sowie weitgehend in Großbritannien. Außerhalb der in der Studie untersuchten Länder kommen z. B. auch Norwegen und Schweden hinzu. Insgesamt ergibt sich ein Nord-Süd-Gefälle, das in den meisten Staaten auch dem Standard der Sozialleistungssysteme für Inländer entspricht. Dass etwa Italien und Griechenland, die Sozialhilfe in unserem Sinne auch für Einheimische nicht kennen, Asylsuchenden solche Leistungen nicht gewähren, liegt auf der Hand. Allerdings ist in den südeuropäischen Staaten oftmals die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit – legale oder illegale – durchzuschlagen, größer als in den Staaten nördlich der Alpen. Viele derjenigen Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren z. B. in Italien ankamen, entschlossen sich deshalb, keinen formellen Asylantrag zu stellen, sondern hofften, ihren Aufenthalt nach einigen Jahren legalisieren zu können. Sie tauchen dann zwar nicht als Asylsuchende in den Statistiken auf, halten sich jedoch im Lande auf.
Warum dürfen Flüchtlinge nicht arbeiten?
Seit dem 15. Mai 1997 gibt es ein Arbeitsverbot für alle neu ankommenden Asylsuchenden. Das noch auf Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) zurückgehende Verbot wird bisher auch von der rot-grünen Bundesregierung aufrecht erhalten. Hinzu kommt, dass auch Flüchtlinge mit einer Duldung häufig keine Beschäftigung aufnehmen dürfen. Begründung in beiden Fällen: Der angespannte Arbeitsmarkt dürfe nicht zusätzlich belastet werden. Eine Politik mit fatalen Folgen: Sie macht Flüchtlinge abhängig von öffentlichen Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und schürt damit das verbreitete Vorurteil, dass sie »uns nur auf der Tasche liegen«.
Seit geraumer Zeit regt sich allerdings Widerstand gegen das generelle Arbeitsverbot: Einige Sozialgerichte haben es als rechtswidrigen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen eingestuft, und auch einige Bundesländer sähen es gern gelockert, weil so die Länderfinanzen entlastet werden könnten. Ohnehin trifft das Argument nicht, Ausländer drohten einheimische Kräfte von ihren Arbeitsplätzen zu verdrängen: Allgemein gilt, dass Menschen von außerhalb der EU einen Arbeitsplatz erst dann bekommen, wenn das Arbeitsamt sechs Wochen lang geprüft hat, ob nicht ein Deutscher oder ein EU-Ausländer dafür in Frage kommt. Untersuchungen haben außerdem ergeben, dass das Arbeitsverbot keineswegs einheimische Beschäftigte schützt, aber auf der anderen Seite Flüchtlinge in die Schwarzarbeit drängt.
Warum leben Menschen illegal in Deutschland?
Wie viele Menschen in Deutschland ohne jede Aufenthaltserlaubnis leben, ist unklar; grobe Schätzungen gehen von etwa 500.000 aus. Der Stempel »Illegal« löst schnell Assoziationen wie »Kriminell« und »Mafia« aus – tatsächlich aber sind die meisten derjenigen, die hier ohne Aufenthaltsrecht leben müssen, irgendwann einmal legal eingereist und hatten einen legalen Aufenthaltsstatus. Der Abstieg in die »Illegalität«, die man besser als umfassende Rechtlosigkeit beschreiben sollte, ist nicht selten eine Folge des strengen deutschen Ausländerrechts, das Menschen aus der Legalität herausdefiniert. Er bedroht viele – zum Beispiel
- v Bürgerkriegsflüchtlinge, die irgend- wann keine Duldung mehr erhalten.
- v Ausländische Ehefrauen ohne eigenes Aufenthaltsrecht: Wenn sie ihren deutschen Mann verlassen, weil er sie misshandelt, droht ihnen die Ausweisung.
- v Abgelehnte Asylbewerber, die aus Angst vor Abschiebung untertauchen
- v Eltern oder andere Verwandte von rechtmäßig hier lebenden Ausländern, denen das Ausländergesetz wegen seines engen Familienbegriffs keine Chance auf Familienzusammenführung lässt: Sie reisen per Touristenvisum ein und bleiben.
Illegalisierte sind weitgehend rechtlos: Sie sind nicht krankenversichert, können sich nicht gegen Verbrechen, Mietwucher, vorenthaltenen Lohn wehren. Und sie können nicht legal arbeiten – was dazu führt, dass in Deutschland nach Schätzungen einige hunderttausend Ausländer »schwarz« arbeiten, vor allem am Bau und in Hotels und Gaststätten. Die Politik stempelt sie gern zu Sündenböcken, obwohl sie eher Opfer sind: Ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis arbeiten sie zu Minilöhnen unter nicht selten menschenunwürdigen Bedingungen. Werden sie bei Razzien entdeckt, werden sie abgeschoben – während die Arbeitgeber mit einem Bußgeld davon kommen. Eine konsequente Bekämpfung der illegalen Beschäftigung findet – entgegen anders lautenden Beteuerungen – nicht statt.
Andere europäische Staaten haben Menschen ohne Aufenthaltsrecht wiederholt mit großangelegten Legalisierungskampagnen zu Rechtssicherheit verholfen. In Italien etwa kamen auf diese Weise in den vergangenen zehn Jahren etwa 800.000 Menschen zu gültigen Aufenthaltspapieren. In der Bun- desrepublik gibt es bisher keine Anzeichen für derartige Weitsicht.
Zuzugszahlen
In den vergangenen Jahren wurde immer wieder vor großen »Fluchtwel- len« und vor »Überfremdung« gewarnt. Davon kann keine Rede sein. Seit Jahren rückläufig ist zunächst die Zahl eingereister Spätaussiedler und Asylbewerber: Sie sank im Jahr 1999 auf jeweils weniger als 100.000. Das ist ein dramatischer Rückgang, nachdem noch Anfang der 90er Jahre rund 480.000 Asylbewerber pro Jahr nach Deutschland kamen. Außerdem sind nach Angaben des Ende 1999 von der Bundesregierung erstmals vorgelegten Migrationsberichtes in den Jahren 1997 und 1998 sogar deutlich mehr Nichtdeutsche aus Deutschland weg- als zugezogen. So standen 1998 rund 605.000 Zuzügen fast 640.000 Fortzüge gegenüber.
Interviews mit Flüchtlingen
und Informationen zu Fluchtgründen enthält das Buch »Flüchtlingsgeschichten« von Elisa Heinrich und Lukas Hanau wider, erschienen im Papyrossa-Verlag Köln 1999, Preis: 24,80 DM, Bezug über den Buchhandel