Flughafen Frankfurt: Abschiebung ins Ungewisse
VG Frankfurt schickt afghanische Familie auf den
5.000 km langen Landweg nach Afghanistan
Vater direkt aus stationärer Behandlung zur Abschiebung gebracht
Unbeschreibliche Szenen der Verzweiflung spielten sich auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen gestern nachmittag gegen 15.00 Uhr ab, als die fünfköpfige afghanische Familie S. vom Bundesgrenzschutz in ein wartendes Flugzeug der Air Moldowa gebracht wurde. Ziel des Fluges war die moldawische Hauptstadt Kishinew, die die Familie auf ihrer Flucht vor den Taliban-Milizen in Afghanistan durchquert hatte. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der zuständige Einzelrichter der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main hatten den Asylantrag der Familie zuvor als „offensichtlich unbegründet“ qualifiziert und auch keine Abschiebehindernisse gesehen. Nach dem Inhalt einer Auskunft des Auswärtigen Amtes, so der Einzelrichter, seien „alle Städte innerhalb Afghanistans auf dem Landweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln von den benachbarten Staaten aus erreichbar. Von daher ist es den Antragstellern auch möglich, von Moldawien aus in den Norden Afghanistans, in das Gebiet General Dostums“ zu reisen. Gefahren jeder Art seien zur Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen.
Mit dieser Entscheidung wird die Familie mitsamt ihrer Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren ins Ungewisse geschickt. Moldawien ist der Genfer Flüchtlingskonvention nicht beigetreten. Einen effektiven Rechtsschutz für Flüchtlinge gibt es dort in keiner Weise. Der Familie wird so vom Verwaltungsgericht ein mehr als 5.000 km langer Landweg angetragen, den sie schon mangels entsprechender Geldmittel nicht bewältigen kann. Die völlig verzweifelte Frau S. und ihr Ehemann werden ihren Kindern auf diesem Weg nur unzureichend beistehen können. Herr S. war im Juli zweimal mit einem akuten Kreislauf- und Nervenzusammenbruch zur stationären Behandlung in das Waldkrankenhaus Köppern gebracht worden, u. a. weil er krampfte und sich erbrach. Aus der stationären Behandlung heraus wurde Herr S. direkt zur Abschiebung gebracht, obwohl Ärzte zuvor von einer weiteren stationären Behandlung von voraussichtlich 2 bis 4 Wochen ausgegangen waren. Wie ein am Vortag mit akuten Beschwerden in stationäre Behandlung eingelieferter Patient bereits am nächsten Tag gesundheitlich in der Lage sein soll, eine Flugreise durchzustehen, und welche Ärzte und Stellen die entsprechenden Untersuchungen durchgeführt haben, bedarf nach Auffassung von PRO ASYL weiterer Aufklärung. PRO ASYL hatte Kapitän und Crew des Fluges nach Kishinew noch vor dem Abflug auf diese Ungereimtheiten hingewiesen und die Befürchtung geäußert, daß sich die Erkrankung des vermutlich unter medikamentösem Einfluß stehenden Herrn S. in der Streßsituation des erzwungen Zurückweisungsfluges erneut krisenhaft zuspitzen könnte. Nach internationalen Regularien liegt die letzte Entscheidung über die Mitnahme eines Passagiers beim Kapitän. Weder das erneut angerufene Verwaltungsgericht noch das Personal der Air Moldowa sahen jedoch Hinderungsgründe für die Abschiebung.
„Mit ungeheurer Kaltschnäuzigkeit entledigt sich das Verwaltungsgericht jeder Ver-antwortung für das Schicksal von Eltern und Kindern“, so PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann. Ob die Familie in Moldawien strande oder ihre angepriesene sichere Zuflucht tatsächlich erreichen könne, sei dem Richter offensichtlich ganz egal gewesen.
Kauffmann wies weiter darauf hin, daß sich Ablehnungen afghanischer Asylsuchender mit der Begründung, ihnen stehe eine sog. „interne Fluchtalternative“ in Nordafghanistan zur Verfügung, häuften. In Textbausteinen werde der usbekische Warlord Dostum als politischer Realist beschrieben, der sogar mit einem britischen Konsortium über die Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen ins Geschäft gekommen sei.
Kauffmann abschließend: „Die Konstruktion dieser internen Fluchtalternative in die Arme des Generals Dostum hat Methode. Während Bundesaußenminister Kinkel Vertreter der Taliban-Milizen in Deutschland hofiert, wertet gleichzeitig das Bundesamt einen weiteren Kriegsherrn zum angeblichen Garanten der Sicherheits- und Versorgungslage auf. Die wirtschaftliche und geostrategische Interessenlage der Bundesrepublik muß genau beobachtet werden. Auf keinen Fall darf es sein, daß Flüchtlinge zum Spielball solcher Interessen werden.“
(siehe auch: Pressemitteilung vom 22.7.)