TAG DES FLÜCHTLINGS 1987
Flüchtlinge suchten Gespräch mit Bürgern
INHALT
- Aufruf des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen zum Tag des Flüchtlings 1987
- Aufruf: Pro Asyl
- Abschied von einem Grundrecht
- Christen und Asyl
- „Möchten Sie das Los eines Flüchtlings…?“
- Hilfe und Schutz für Flüchtlinge in Berlin
- Sprühaktion gegen Ausländerfeindlichkeit
- Flüchtlinge suchten Gespräch mit Bürgern
- Mit Plakatwänden Gegenöffentlichkeit schaffen
- Stellungnahmen zur Asyldiskussion
Taube Ohren bei vielen Passanten
Flüchtlinge aus vielen Teilen der Welt von Vietnam und Afghanistan bis zu den Ostblockländern und verschiedenen afrikanischen Staaten versuchten gestern, am „Tag des Flüchtlings“ innerhalb der „Woche des ausländischen Mitbürgers“, ihre Not der Bonner Bevölkerung näherzubringen. In der Poststraße vor dem Hauptbahnhof und auf einem „InfoMarkt“ am Bottlerplatz hatten sie und ihre Fürsprecher ihre Stände aufgebaut.

„Ich hoffe, daß es zu vielen Gesprächen kommt“, sah Ruth Hieronymi (MdL), die Vorsitzende des Bonner Ausländerbeirates, in diesem Tag eine Chance, den Blick auf jene zu lenken, die als Flüchtlinge hier sind. Auch Marlene Lenz, die Bonner Europa‑Abgeordnete, hielt es für außerordentlich wichtig, daß die einzelnen Gruppen auf sich aufmerksam machten. Die Anregung zum „Tag des Flüchtlings“, so Franz Hartje, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Flüchtlingshilfe, kam aus der Schweiz. Dort gibt es seit Jahren einen besonderen Tag, der die Flüchtlingsnot ins Rampenlicht rückt.
Das Gespräch mit Bonner Bürgern kam allerdings nur schleppend in Gang. „Es sind immer dieselben, die sich für unsere Probleme engagieren“, bedauerte ein Vertreter der Flüchtlingsgruppen, daß seine Landsleute Einheimische nur sehr schwer für ihre Probleme interessieren können. „Die wochenlange Diskussion um das Asylrecht hat die Bevölkerung taub gemacht.“
In der neuen Beratungsstelle für ausländische Flüchtlinge des Bonner Kreisverbandes des Deutschen Roten Kreuzes dagegen gerieten sie schnell miteinander in Diskussion: Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern, aus dem Iran und aus Ungarn auf der einen und Schüler des Röttgener Gymnasiums auf der anderen Seite. Neben den Problemen in ihren Herkunftsländern wie Unfreiheit und Zukunftslosigkeit, Krieg und wirtschaftliche Not stellten die Ausländer vor allem auch ihre täglichen Schwierigkeiten mit deutschen Behörden, speziell mit dem Bonner Sozialamt dar. Morgens früh um 5.30 Uhr schon stellten sie sich dort in die Schlange, um endlich gegen 12 Uhr abgefertigt zu sein, selbst wenn sie nur einen Krankenschein brauchen, der ihnen dann sowieso mit der Post zugestellt wird.
Um den etwa 900 in Bonn lebenden Flüchtlingen zu helfen, hat das DRK seine Beratungsstelle eröffnet. Die Mitarbeiter begleiten sie bei der Wohnungssuche, bei der Beschaffung von Möbeln, bei Arztbesuchen und Behördengängen, greifen ein, wenn es mit der Sprache hapert oder wenn es bei Kindern in der Schule nicht klappt. Für 150 Ausländer haben sie kostenlose Deutschorientierungs‑ und Sprachkurse begonnen.
Auf die Notlage vieler Studenten aus Entwicklungsländern wiesen die Evangelische Studentengemeinde und der Verein „Nothilfe für ausländische Studenten“ hin. Studentenpfarrer Paul Oppenheim: „Finanziell engagiert sich die Evangelische Kirche stärker als die Länder und die Bundesregierung“. Allein die Bonner Studentengemeinde hat über 200 000 Mark aufgebracht, um ausländische Studenten zu unterstützen. Als Vorsitzender des Nothilfe Vereins rief Franz Stadelmaier die Bevölkerung auf, unverschuldet in Not geratenen Studenten aus dem Iran, Irak, dem Libanon, aus Afghanistan und anderen Entwicklungsländern finanziell zu helfen und sie auch bei der Wohnungssuche und bei ihren Anfangsschwierigkeiten zu unterstützen.
Mit verschenkten roten Rosen machte der Begegnungskreis deutscher und ausländischer Frauen aus der evangelischen Trinitatis‑Kirchengemeinde, der sich jeden zweiten Freitag im Monat trifft, auf die Probleme speziell der Ausländerinnen aufmerksam. Von amnesty international über die Gesellschaft für bedrohte Völker bis zur Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen waren fast alle Bonner Organisationen vertreten, deren Mitglieder selbst betroffen sind oder denen das Schicksal von Flüchtlingen am Herzen liegt wie das Kurdische Institut, das Vietnamesische Kulturzentrum, das Afghanistan Zentrum oder eine Gruppe von Tamilen.
aus: General‑Anzeiger, Bonn, 4.10.1986