Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors

Europas neuer Pförtner:

Litauen im Schatten des deutschen Asylrechts

Beat Leuthardt

INHALT

    Vorwort

  1. Einleitung: Vom «Siebtstaat» Kasachstan zum «Erststaat» Deutschland
  2. «Drittstaat»: Polen – Die sanften Handlanger Bonns
  3. «Viertstaat» Litauen: Pförtner mit Hoffnung auf einen Verwaltungsratssitz
  4. «Fünftstaaten»: Weißrußland – und Lettland – «Sichere Staaten»-Regelung macht Westeuropa für den Diktator erpressbar
  5. «Sechststaaten»: Rußland, Ukraine – und Estland – Wo die Informationen und die Abgeschobenen sich verlieren

RESSOURCEN

Vorwort von PRO ASYL

Mit dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Mai 1996 hat der lange Abschied von der Substanz des deutschen Asylrechts ein juristisches Ende gefunden. Gebilligt haben die Hüter der Verfassung auch die Konzeption und die Praxis der sogenannten Drittstaatenregelung. Der Gesetzgeber hat alle Staaten der EU kraft Verfassung als sichere Drittstaaten definiert und darüber hinaus die in einer Anlage zum Asylverfahrensgesetz bezeichneten Staaten Finnland, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz und Tschechische Republik. Wer aus diesen Staaten nach Deutschland einreist, kann sich auf das Asylrecht nicht berufen – sie gelten unwiderleglich als sichere Drittstaaten.

Schutz muß gewährt werden, aber nicht bei uns, so könnte man den Kern des Bundesverfassungsgerichtsurteils zusammenfassen. Das Bundesverfassungsgericht eröffnet dem Gesetzgeber neue Horizonte: Wenn dieser sich vom Konzept allein innerstaatlicher Asylgewährung abgewendet habe, dann, so das Gericht, um die Grundlage dafür zu schaffen, daß eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge entstehen kann.

Dieser Schutz soll gesucht und gefunden werden können in den Drittstaaten, die Deutschland umgeben. Wer sie durchquert, hätte dort Schutz finden können, dessen hat sich, so das Verfassungsgericht, der Gesetzgeber sorgfältig vergewissert. «Normative Vergewisserung» nennt das Bundesverfassungsgericht diesen Prüfungsvorgang, durch den der Gesetzgeber zu einer Liste sicherer Drittstaaten gekommen ist.

Die Karlsruher Richter haben damit die Verantwortlichkeit für die Sicherheit asylsuchender Menschen jenen Staaten übertragen, die am Fluchtweg der Betroffenen liegen und dabei die Möglichkeit ausgeschlossen, daß Flüchtlinge sich im Einzelfall darauf berufen können, für sie sei im konkreten Fall der Drittstaat nicht sicher gewesen, er habe – ein Beispiel – sie gleich in einen Nachbarstaat zurückschieben wollen.

Denn dies ist die innere Logik solcher Drittstaatenregelungen: Warum sollte der Drittstaat die Verantwortung übernehmen, ein Asylgesuch zu prüfen, läßt sich doch meistens noch ein Nachbarstaat finden, dem die Verantwortung aufzubürden wäre. Warum etwa sollte nicht Polen mit demselben Recht die deutsche Drittstaatenregelung als Modell übernehmen und Flüchtlinge an seine Nachbarstaaten weiterreichen?

So beinhaltet die Logik der Regelung sicherer Drittstaaten fast zwangsläufig, daß es hinter ihnen Viertstaaten, Fünftstaaten, Sechststaaten undsoweiter gibt. Am Horizont taucht die Gefahr auf, daß Flüchtlinge schließlich im Verfolgerstaat landen, ohne daß ein einziger Staat auf ihrem Fluchtweg sich zur Prüfung eines Asylgesuches bereitgefunden hat. Auf diese Gefahr der Kettenabschiebungen haben Flüchtlingsorganisationen bereits vor Inkrafttreten des neuen Asylrechts hingewiesen. Später wurden Einzelfälle solcher Kettenabschiebungen belegt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Gefahr der Kettenabschiebung erkannt und erörtert: «Auch ein solcher Staat, der seinerseits eine Drittstaatenregelung vorsieht…, kann gemäß Artikel 16a II 2 Grundgesetz zum sicheren Drittstaat bestimmt werden. Allerdings darf der Staat nach seiner Rechtsordnung nicht befugt sein, Ausländer in einen solchen Staat abzuschieben, in dem ihnen die Weiterschiebung in den angeblichen Verfolgerstaat droht, ohne daß dort (d.h. im «Viertstaat») in einem förmlichen Verfahren geprüft worden ist, ob die Voraussetzungen der Artikel 33 Genfer Flüchtlingskonvention, Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliegen, oder ein dementsprechender Schutz tatsächlich gewährleistet ist. Hält sich ein Staat (Drittstaat) zur Weiterschiebung von Flüchtlingen in einen anderen Staat für befugt, obwohl dort diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention im Drittstaat nicht sichergestellt.» (Seiten 61 ff des Urteils).

Das Bundesverfassungsgericht hat also den Begriff des Viertstaates eingeführt. Das Niveau des Schutzes, das dieser Staat Flüchtlingen nach der Auffassung des Gerichts mindestens gewähren muß, ist jedoch unvergleichlich niedrig. Die Formulierung «oder ein dementsprechender Schutz tatsächlich gewährleistet ist» macht deutlich, daß die Verfassungsrichter nicht erwarten, daß der Viertstaat die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat und anwendet. Damit ist das Loch für Kettenabschiebungen offen.

Andererseits sollte man das Bundesverfassungsgericht beim Wort nehmen, auch wenn es mit seiner Formulierung vom «dementsprechenden Schutz» noch unter dem Schutzniveau geblieben ist, auf das sich selbst die eher restriktiv denkenden Einwanderungsminister Westeuropas in ihren Londoner Beschlüssen vom November/Dezember 1992 geeinigt hatten. Dort hatte man als Anforderung an ein sicheres Drittland formuliert, daß der Asylbewerber dort einen «tatsächlichen Schutz gegen Aus- oder Zurückweisung im Sinne des Genfer Abkommens genießen» müsse. Dem jedenfalls widerspricht die bloße Durchbeförderung eines Flüchtlings in einen Viertstaat auf jeden Fall.

Der verfassungsgerichtlichen Theorie vom «dementsprechenden Schutz» im Viertstaat ist also die Praxis gegenüberzustellen, wie sie sich für die Flüchtlinge selbst darstellt. Dies war der Ausgangspunkt der Recherche, die dieser Schrift zugrunde liegt.

Die deutsche Konzeption der sicheren Drittstaaten schafft Grundlagen und setzt Ursachen dafür, daß asylsuchende Menschen in Gefängnis, Folter und Tod abgeschoben werden können. Dafür haben Beat Leuthardts Recherchen im „Drittstaat“ Polen und im „Viertstaat“ Litauen, sowie ein Blick in den „Fünftstaat“ Weißrußland viele Indizien erbracht.

Bernd Mesovic

1. Einleitung:
Vom «Siebtstaat» Kasachstan zum «Erststaat» Deutschland

Wenn das Rollband nur noch rückwärts läuft
Kaum noch Abschiebungen?: die weiße Methode Deutschlands – Wie zurückgewiesene Flüchtlinge mit Hilfe zweier Staaten in gewöhnliche Illegale verwandelt werden – Viert-, Fünft- und Sechststaatenregelungen auf dem Buckel der Nachbarstaaten – «Leichen» werden dorthin exportiert, wo sie nicht mehr aufzufinden sind – „Pförtnersystem“ funktioniert, die Pförtner sind loyal und spielen mit – Ukraine nächster Kandidat – Problemfall Weißrußland

Die deutsche Konzeption der sicheren Drittstaaten schafft Grundlagen und setzt Ursachen dafür, daß asylsuchende Menschen in Gefängnis, Folter und Tod abgeschoben werden können. Dafür haben unsere Recherchen im «Drittstaat» Polen, unsere vertieften Eindrücke im «Viertstaat» Litauen und ein Blick in den «Fünftstaat» Weißrußland viele Indizien erbracht.

Asylsuchende Flüchtlinge kann man bereits in Gefängnissen von Litauen nur rund tausend Kilometer von Berlin entfernt antreffen. Dasselbe gilt nach den gründlichen Untersuchungen der Berliner Forschungsgesellschaft für Migration (FFM) auch für das nahe Polen, den «sicheren Drittstaat», in den viele Flüchtlinge aus Deutschland rücküberstellt werden.

Der erste Blick zeigt, daß aus asylsuchenden Flüchtlingen an der deutschpolnischen OderNeißeGrenze sozusagen über Nacht in Polen «Illegale» werden. Auch in Litauen werden aus denselben von Polen zurückgeschobenen Asylbegehrenden «gewöhnliche Kriminelle». Das gleiche gilt für jene Flüchtlinge, die im eigenen Land aufgegriffen und inhaftiert werden. Alle dürfen sie angeblich, weil ja «bloß Kriminelle», in den Polizeistaat Weißrußland abgeschoben werden, von wo sie «meist ohne Verzug» an die belorussischrussische Grenzlinie weitergeschoben und dort direkt russischen Truppen übergeben oder indirekt in deren Machtbereich ausgeliefert werden. Inwieweit die russischen Truppen jene Abgeschobenen, die sich selber als Flüchtlinge verstehen, ohne Nachsicht in entferntere GUSStaaten Tschetschenien, Azerbaidschan, Georgien und an ferne Unrechtsregimes Iran, Irak, Afghanistan ausliefern, bleibt vorläufig offen.

Die wundersame Umwandlung Asylsuchender in Illegale und Kriminelle geschieht stets auf ähnliche Weise, ob beim Aufgriff im westpolnischen Szczeczin, im ostpolnischen Suwalki, im westlitauischen Lazdijai oder im ostlitauischen Medininkai: Die Grenzer unterlassen es, die Aufgegriffenen zu fragen, ob sie Fluchtmotive haben und um Asyl nachsuchen wollen. Sie verschaffen ihnen auch keine anderweitige Gelegenheit, selbst danach zu fragen. Erst recht gewährt man ihnen weder Rechtsbeistand noch effektive Übersetzungshilfe. So bleibt in den Amtsrapporten die nackte Tatsache: «illegaler Grenzübertritt» oder «illegaler Aufenthalt».

Einziger Unterschied: In Polen tut man dies verschämt und will («Jeder kann bei uns Asyl geltend machen») nicht dazu stehen, in Litauen dagegen tut man es sehr offen («Fluchtgründe interessieren uns nicht, das sind alles illegale Grenzverletzer», siehe unten Ziffer 3.9), ebenso in Weißrußland. Sowohl das Vorgehen Polens wie auch Litauens ist hundertfach bezeugt und im nachfolgenden eingehend belegt; es läßt sich vernünftigerweise nicht bestreiten.

An diesem Behördenverhalten der mißachteten Asylmotive wird sich nach der hier vertretenen Einschätzung nichts ändern, wenn Litauen das noch im Februar 1997 kein in Kraft gesetztes Asylgesetz kannte im Laufe des Jahres 1997 Asylverfahren tatsächlich zulassen sollte. Nichts ändert jedenfalls der erste Schritt, den Litauen schon in jene Richtung getan hat, indem es das militärisch geführte Abschiebelager von Pabrade zum 1. Januar unter die (zivile) Leitung des Innenministeriums gestellt hat. Litauens weitere Entwicklung dürfte jener von Polen folgen, das sich zwar auf das formelle Recht auf Asyl beruft, es in der Praxis aber weitgehend vereitelt.

Bonns Kalkül gegenüber Asylsuchenden scheint also aufzugehen: Aus den Augen, aus dem Sinn. Von der moralischen Mitschuld am Schicksal von Schutzsuchenden wird man sich dadurch nicht freisprechen können. Denn erst der durch Asylkompromiß und Karlsruher Urteil geschaffene Druck auf Litauen hat dessen Behörden bewogen, mit Grenzpolizei sowie einer PolizeiSpezialeinheit die Außengrenzen und das Landesinnere so dicht zu überwachen, daß seit Mai 1996 kaum mehr eine Fluchtgruppe aus Richtung Osten weiter als bis Westlitauen gelangt sein dürfte.

Wo aber die Verwandlung der Asylsuchenden in Illegale nicht mehr von polnischen Grenzbehörden vor Deutschlands Haustür an der Oder oder der Neiße getätigt wird, sondern etwa tausend Kilometer weiter östlich von litauischen Grenzbehörden, verblaßt der Skandal des den Flüchtlingen verweigerten Schutzes. Daß die vorkommenden Kettenabschiebungen von Deutschland aus initiiert wurden, ist nicht mehr sichtbar. Das Konzept scheint medienpolitisch perfekt: Zwischen dem Ursprung und der Umsetzung des Häßlichen liegt jetzt im Idealfall Polen, das natürlich offiziell ebensowenig weisungsgebunden ist wie Litauen und Weißrußland. Ein Kausalzusammenhang läßt sich im Einzelfall kaum noch herstellen.

Aus dieser Optik ist für Bonn nicht von Bedeutung, daß zwischen Abschiebestaat Litauen und Polizeistaat Weißrußland weiterhin enge Beziehungen zwischen Kaderleuten der GrenzSondereinheiten die haben zu Sowjetzeiten noch gemeinsam Dienst geleistet bestehen. Unbeachtet bleibt in Bonn auch, daß die Grenzbehörden Weißrußlands zunehmend unter den Einfluß russischer Kollegen kommen, die mittlerweile an der weißrussischlitauischen Grenze gemeinsamen Dienst leisten. Und da Weißrußland und Rußland an ihrer gemeinsamen Grenzlinie keine Grenzkontrollen kennen, gibt es für Abgeschobene auch keine Möglichkeit, an der russischen Grenze ein Asylgesuch zu stellen. Stattdessen fahren die langen Bahnzüge durch in Richtung GUSStaaten, das russische Asylrecht kann nicht mehr in Anspruch genommen werden.

Diese Vorkommnisse alles Verletzungen des Geistes der Genfer Flüchtlingskonvention zeigen letztlich, daß die sogenannte Viertstaatenregelung nur die eine, quasi offizielle Hälfte des Abschottungskonzeptes darstellt. Für die deutsche Politik der reinen Weste mitentscheidend ist eine Art politischer Klientelismus, welchen Bonn mit geldwerten Leistungen an Polen und in Litauen betreibt. Es benutzt die ökonomischen Schwierigkeiten, in welche Nachbar Polen und Polens Nachbar Litauen aufgrund der Umstellung von der Vollversorgung der Sowjetära auf die Marktwirtschaft geraten sind, und lockt mit der Aussicht auf Geld und Einfluß. Keine Gelegenheit lassen das deutsche Innen und das Außenministerium wie auch die Verantwortlichen in Brüssel, Kopenhagen, Stockholm, Oslo und Helsinki aus, um eine künftige Mitgliedschaft Polens wie auch Litauens in der Europäischen Union vom Wohlverhalten und vom Willen zu aggressiveren Kontroll und Überwachungsmustern abhängig zu machen.

Entsprechend der unterschiedlichen Ausgangslage der beiden Staaten bewegt sich Polen denn auch schon ganz EUlike und selbstbewußt, während Litauens Regierung (die aufgrund der Gesamtwahlen von Ende 1996 gewechselt hat) ihren vorauseilenden Gehorsam offen zutage treten läßt. Die ungünstige Wirtschaftslage im eigenen Land mache, so sagen sie sich in der einst stolzen Hauptstadt Vilnius (Wilna), eine gewisse Unterwürfigkeit zur Staatsdoktrin und Verpflichtung. Polen hatte mit seiner Haltung im Jahr 1993 immerhin noch 120 Millionen Mark in Bonn herausgeholt. Litauen indes verkauft sich derzeit für ein Butterbrot oder weniger: Ein paar IkeaMöbel aus Schweden, Faxpapier und andere überall sonst in den Büroräumen fehlende notwendige Dinge, und was Deutschland angeht für eine Million Mark pro Jahr «Ausstattungshilfe» und einen Kurzlehrgang in Länderdokumentation, geliefert vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg. Wenig für einen Staat, dem im Bonner und Brüsseler Abwehrkonzept eine Schlüsselposition zukommt.

Fluchtrouten und statistische Zahlen, wie es gerade beliebt:
Warteräume werden zu Gefängnissen umgewandelt
Die Nord- und die Südfluchtroute – Warteräume Minsk, Kiew, Moskau –
die Zahlen des Bundesgrenzschutzes und die Prognosen des
Auswärtigen Amtes – die Polen rechnen anders, die Balten nochmals anders – Hat Zahlenwirrwarr System?

Litauen liegt mitten auf der ost-westlichen Haupt-Fluchtroute, die aus Richtung Südostasien und der Türkei über Moskau und Minsk in den baltischen Kleinstaat führt und von da weiter durch Polen nach Westeuropa. Es dürfte an Bedeutung die übrigen Westrouten übertreffen, etwa die südlichere über Tschechien, die nördlichere über Skandinavien und die Ostsee erst recht, die südliche über Italien ebenfalls. So kommen gemäß Statistiken des Bundesgrenzschutzes vier von fünf Personen an der Ostgrenze über Polen, während zwanzig Prozent über Tschechien Deutschland erreichen.

Bei den Zahlen rechnen die Innenministerien allerdings unterschiedlich. Während im Osten der Fluchtroute angeblich «300.000 illegale Einwanderer» warten (litauische Schätzungen über den «Wartesaal Weißrußland») und an der deutsch-polnischen Oder-Grenze immer noch «Zehntausende Personen» erwartet werden (deutsche Schätzungen), hat Polen im ersten Halbjahr 1996 gerade mal rund 5.000 «Illegale» festgehalten und das östlicher gelegene Litauen sogar nur «ein paar Hundert». Zu Deutschlands Grenze drangen, zum Vergleich, an der Ostgrenze zu Polen 1995 insgesamt 23.779 Personen, im ersten Halbjahr 1996 an der gesamten Ostgrenze 11.779 Personen vor. (1)

2. «Drittstaat»: Polen
Die sanften Handlanger Bonns

Willkür an der Westgrenze – Aus Asylsuchenden werden Illegale – Inhaftierung statt Asylverfahren – Mit Kanthers Geld zu neuen Abschiebeanstalten – Durchbeförderungen von der West- zur Ostgrenze – Rückübernahmeabkommen halten Polen den Rücken frei – Polen als Vorzeigestaat – wendige Beamte – unklare Zusammenarbeit von „Spezialeinheiten“ im polnisch-litauisch-belorussischen Grenzgebiet – Polen als das Deutschland des Ostens – „Die Situation wird immer schlimmer“

2.1 Asylverfahren und Illegalität
NGOs sehen keine Spur von «sicherem Drittstaat»

Sie wollten um Asyl nachfragen, doch man erhörte sie nicht

Ist denn Polen jener «sichere Drittstaat», als den ihn Bonn bezeichnet? Die Behörden in Warschau bekräftigen dies natürlich: «Jedes Asylgesuch, das beim Aufgriff an einer Grenze gestellt wird, melden wir nach Warschau und behandeln die Person als Asylsuchenden», sagt Jaroslav Zukovicz, 40, Berater des leitenden Kommandanten und Mitglied einer Spezialeinheit gegen «illegale Migration» bei der Grenzwache, dessen blaue, wache Augen uns freundlich mustern.

Das Gegenteil trifft zu. Asylsuchende (2) werden als gewöhnliche Illegale behandelt, und zwar offenbar keineswegs bloß in Einzelfällen. Grenzbedienstete bewerten deren Asylanfrage nicht als formelles Asylgesuch oder schaffen eine Situation, in der ein Asylgesuch gar nicht gestellt werden kann. Statt in ein Asyl- gelangen Asylsuchende in ein Abschiebeverfahren. Dabei werden, im Widerspruch zur von Polen unterzeichneten Genfer Konvention, welche rassistisch oder ethnisch motivierte Unterschiede in der Behandlung der Personen untersagt, Asylbegehrende vielfach unverzüglich ausgeflogen, wenn sie aus Asien stammen, während Asylsuchende aus Südosteuropa in Abschiebehaft gelangen.

Dies jedenfalls ergibt sich, wenn man die Glaubwürdigkeit des UNHCR (Büro Warschau), der ECRE-Organisation Polska Akcja Humanitarna (Polnische Humanitäre Aktion) und der Berliner Forschungsgesellschaft für Migration (FFM) höher einstuft als einzelne Aussagen des Büros für Migration und Asylangelegenheiten sowie der Grenzpolizei in Warschau. Das UNHCR und die beiden Nichtregierungsgebundenen Organisationen (NGOs) können klare Aussagen direkt betroffener asylsuchender Flüchtlinge benennen. Diese Indizien sind bisher von den Behörden nicht oder nicht überzeugend widerlegt worden.

Zudem müssen Polens Behörden sich gefallen lassen, daß ihr klares Bekenntnis, den Umgang mit «illegalen Migranten» verschärfen zu wollen, ihre eigene Glaubwürdigkeit tiefer stuft. (3)

2.2 Die Polizeibehörden
Hundert Augenzeugen vs. zwei Spitzenbeamte

«Jedes Asylgesuch wird entgegengenommen» – Doch haben die Behörden nach eigener Auffassung ein Migrations-, kein Asylproblem – Der UNHCR sieht dies etwas anders

Demnach «gibt es an den Grenzen auf dem Papier die üblichen Rechte. Doch in der Praxis», sagt die damalige Sprecherin der Polnischen Humanitären Aktion Paulina Pilch, «entscheiden die Grenzbehörden im Einzelfall, ob ein Asylfall vorliegt, und nur dann melden sie das Asylgesuch nach Warschau zur Asylbehörde. Andernfalls behandeln sie Zurückgewiesene als illegale Migranten, geben ihnen ein Administrativvisum und lassen sie laufen. Aber es gibt auch direkte Abschiebungen von der Grenze aus.» Vielfach bestehe auch der Verdacht, daß Asylsuchende gar nicht zu Wort kommen und gar keine Gelegenheit erhalten, ihr Asylgesuch zu stellen.

Dies gilt speziell für die Situation an Polens Westgrenze zu Deutschland. Dort stellt sich den polnischen Grenzbediensteten in drei Fällen die Frage: Asylverfahren oder Illegalität? Erstens bei den vom Bundesgrenzschutz (BGS) auf deutschem Territorium angehaltenen und gemäß Rückübernahmeabkommen an Polen zurückübergebenen Personen. Zweitens bei den vom BGS direkt an der Grenze zurückgewiesenen Personen. Drittens bei jenen Personen, welche die polnische Grenzpolizei noch im polnischen Grenzraum anhält.

Auf die Kluft zwischen rund 40.000 bis 50.000 an der polnisch-deutschen Grenze jährlich gescheiterten Menschen und den wenigen dutzend bis wenigen hundert Menschen, die gemäß offizieller Statistik Einlaß ins polnische Asylverfahren gefunden haben, hat schon in ihrem umfassenden 1995er Polen-Bericht die Forschungsgesellschaft für Migration eindringlich hingewiesen.4 Ihre Vermutung, von den «statistisch Verschwundenen» seien einige unfreiwillig daran gehindert worden, in Polen ein Asylgesuch zu stellen, hat die FFM im Oktober 1996 auf eindrückliche Weise in einer Großbefragung in drei westpolnischen Arrestzentren bestätigt. Von 122 einsitzenden Abschiebehäftlingen waren offiziell bloß sechs als Asylsuchende registriert, obwohl alle samt und sonders aufgrund offizieller Äußerungen während der Verhöre nach ihrer Festnahme glaubten, einen gültigen Asylantrag gestellt zu haben.

«Kein Häftling war sich über die Art der Haft im klaren und wußte etwas über die Widerspruchsmöglichkeiten gegen die Haftanordnung», heißt es im Untersuchungspapier einen Monat später.5 Übereinstimmend sei erklärt worden, beim Übersetzen der fünf- bis fünfzehnminütigen Verhöre bei der Staatsanwaltschaft sei ihnen bei der Vorlage einer polnisch abgefaßten Abschiebehaft-Anordnung erklärt worden, es handele sich um ihren Asylantrag, weshalb sie unterzeichneten. Da sie diese «im Detail übereinstimmenden Aussagen in den verschiedenen Abschiebezentren gehört» habe, geht die FFM von einer Täuschung durch staatliche polnische Stellen aus.

Ob das deutsche Prädikat «sicherer Drittstaat» tatsächlich berechtigt ist, läßt sich auch anhand der Haftbedingungen sowie der Abschiebepraxis bezweifeln, wie sie sich aus dem FFM-Report ergibt.

Zum einen fehlten demnach sämtlichen befragten 122 Personen in Abschiebehaft – die gesetzlich bis zu drei Monaten möglich ist – einerseits Dolmetscherin oder Dolmetscher und andererseits minimalste Betreuung durch Seelsorger und Hilfsorganisationen.

Zum anderen zeigt sich offenbar, daß nicht zufällig sämtliche 122 Flüchtlinge mit einer Ausnahme aus südasiatischen Staaten (Bangladesh, Afghanistan, Pakistan, Indien, Sri Lanka) stammen. Personen aus Südasien würden bei der Registrierung ihres «illegalen Aufenthalts» direkt in Abschiebearrest genommen, der einzig der Vorbereitung der erzwungenen Abschiebung dient. Demgegenüber erhielten Personen aus Südosteuropa bei der Registrierung ihres «illegalen Aufenthalts» nur ein Administrativvisum als Ausreiseaufforderung und, nach einem Versuch der «unerlaubten Ausreise» nach Westeuropa, allenfalls eine mehrmonatige Haftstrafe. «Diese unterschiedliche restriktive Behandlung nach Hautfarbe und Herkunft halten wir für diskriminierend», ein Verstoß Polens gegen von ihm unterzeichnete Menschenrechtskonventionen sei zu prüfen, schreibt die FFM.

«Unklar», bestätigt auch das erfahrungsgemäß zurückhaltende UNHCR-Büro in Warschau, sei die Situation an den Grenzen. Sprecher Jacub Boratynsky verweist auf Fälle wie den eines aus Afghanistan angereisten Mannes, der durch Intervention der Grenzpolizei 24 Stunden festgehalten wurde, ohne daß jemand nach den Gründen seiner Anwesenheit gefragt habe. Da der UNHCR von den Grenzbehörden nicht über die Asylabläufe an den Grenzen informiert werde, würde er häufig erst von beunruhigten Verwandten im jeweiligen Heimatstaat auf das Schicksal eines Flüchtlings aufmerksam und müsse sich daraufhin beim Staatsanwalt nach dem Status der Person erkundigen.

Gegen die Annahme eines «sicheren Drittstaates» sprechen außerdem Aussagen der Verantwortlichen in Warschau selbst. Zumindest kann es nicht als überzeugende Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention gelten, wenn Krzystof Lewandowski, der stellvertretende Leiter des Büros für Migration und Flüchtlingswesen im Warschauer Innenministerium, meint: «Wer nicht von sich aus von Fluchtgründen und Asyl spricht, den fragen wir nicht und betrachten ihn als Illegalen.» Dies ist auch gemäß UNHCR-Sprecher Boratynsky «eine zweifelhafte Praxis». Wer beispielsweise im Herbst 1996 aus Afghanistan geflohen ist, zu einem Zeitpunkt also, in dem der Bürgerkrieg voll im Gange war, braucht nicht nach dem Grund seiner Anwesenheit befragt zu werden, so die offizielle Haltung Polens.

Hierzu paßt der Umstand, dass man auf dem Asyl- und Migrationsbüro – fälschlicherweise, wie zu sagen ist – den Zeitpunkt der Asylgesuchstellung mit der Berechtigung von Fluchtgründen in direkten Zusammenhang bringt. «Wir haben Leute, die, wenn sie in Abschiebehaft geraten, sofort um Asyl nachsuchen – selbst wenn sie zuvor fünf oder sechs Jahre in Polen gelebt haben», führt Lewandowski als Beispiel dafür an, daß eine restriktivere Ausländerpolitik nötig sei. Daß Personen, die aus einem Unrechtsstaat wie Afghanistan stammen, in dem Moment, indem sie in Abschiebehaft geraten, an Asylschutz denken, ist für ihn kein Gegenargument.

Andererseits wertet Lewandowski die «Tatsache, daß beispielsweise im August 1996 von all jenen Personen, die direkt an der deutschen Grenze um Asyl nachfragten und vom Bundesgrenzschutz weggeschickt wurden, rund 70 Prozent überhaupt nicht in unserem Büro in Warschau erschienen», als Zeichen für die mangelnde Lauterkeit jener «Illegalen». Argumente wie, das Verhalten des Bundesgrenzschutzes könne Betroffene entmutigen und sie in die Illegalität drängen, oder es könnte ihnen schlicht an Geld für die 500 Kilometer weite Reise nach Warschau gefehlt haben, läßt er nicht gelten.

Vor dem Hintergrund ihrer gemeinsamen Absicht, die Ausländerpolitik zu verschärfen, wirkt die Aussage der beiden Kaderleute Lewandowski und Zukovicz, jedes Asylgesuch werde gemeldet, nicht sonderlich glaubwürdig.

Der wahre Behörden-Geist kommt in jeder der Aussagen der beiden zum Tragen. «Unser Problem ist ein Migrations- und kein Asylproblem», sagt Asyl- und Migrationsbüro-Vize Lewandowski: «Wir haben heute eine dramatisch liberale Praxis gegenüber Ausländern in Polen.» Er freut sich auf das neue, verschärfte Ausländergesetz, das ihm die Mittel für «safe countries»-Regelungen – «sichere Drittstaaten», «sichere Herkunftsstaaten» – in die Hände gibt. «Alle EU-Staaten befürchten, Polen sei zu liberal in seiner Ausländerpolitik. Natürlich, wenn wir der Union beitreten wollen, müssen wir solche Bedingungen erfüllen; wir haben keine Wahl.» Von diesem Geist ist auch die Grenzpolizei durchdrungen. «Wir führen einen paneuropäischen, gemeinsamen Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität», sagt Zukovicz. Wen wundert’s. «Deutsche, Franzosen und Briten kommen zu uns nach Polen, um uns zu trainieren.» Er und seine Grenzpolizeitruppe fühlen sich geehrt.

2.3 Die Abschiebungen
Aus Flüchtlingen werden Illegale

Mit litauisch-polnischen Helikoptereinsätzen gegen Flüchtlinge – Der große Einfluß der Grenzbeamten – Ohne Asyl ist man illegal – Illegale dürfen abgeschoben werden – Wenn bloß noch das Geld für den Abschiebeflug ein Abschiebehindernis ist

Macht also Polen asylsuchende Flüchtlinge zu bloßen «Illegalen», so stehen die nachfolgenden Abschiebehandlungen im Widerspruch zum Völkerrecht und zur «safe countries»-Regelung. Geschieht dies nicht nur vereinzelt, sondern gar regelmäßig, wie obige Zeugnisse zu belegen scheinen, so sind auch die Voraussetzungen, welche die Karlsruher Verfassungsrichter an die deutsche «Viertstaatenregelung» stellen, nicht mehr gegeben. Eine Kettenabschiebung setzt die zu Unrecht als «Illegale» Bezeichneten, tatsächlich aber Asylbegehrende, allen Gefahren von Gefängnis, Folter und Tod in einem entfernteren Transitstaat oder im Herkunftsland aus.

Genau diese Bedrohung wird in Polen auf verschiedene Weise geschaffen.

Zum einen kommt es zunehmend zu Rückschiebungen potentieller Flüchtlinge als «Illegale» in ihren Herkunfts- und Verfolgerstaat. Darunter finden sich Staaten wie der Irak, Afghanistan, Pakistan und Somalia, wie Asyl-Vize Lewandowski in englisch erklärt. Dort verliert sich die Spur der Flüchtlinge, überlastete NGOs können deren ohnehin beinahe unmögliche Begleitung nicht leisten. Der deutschen und der polnischen Regierung spielt dies in die Hände; wo keine Leiche, da kein Rechtfertigungsdruck.

Zum anderen gibt es immer wieder direkte Abschiebungen (Beamtenjargon: «Durchschiebungen») von der West- zur Ostgrenze. «Wir fahren die Leute im Polizeikonvoi durch das Land und übergeben sie den Kollegen aus Litauen, der Ukraine oder Weißrußland», schildert Zukovicz. Teil der Aufgabe seiner Task Force ist es gerade, solche Rückübergaben zu ermöglichen. Daß dem Polizeistaat Weißrußland oder auch den übrigen beiden östlichen Nachbarn, in denen Menschenrechtsverletzungen und willkürliche Haft vorkommen, vertrauensvoll Menschen zur freien Verfügung gestellt werden, ficht Zukovicz nicht an, da es sich ja nach seiner Interpretation «stets um Illegale» handelt. Niemand prüft bei dieser Verfahrensweise Fluchtmotive nach. Auch nicht Andrzej Rytwinski, 30 der Leiter von Budzisko, dem Hauptgrenzamt im Osten an der Grenze zu Litauen gelegen: «Das ist Sache der Task Force.» Und für Litauens Grenzpolizei ist der Sachverhalt ohnehin klar. Sie übernimmt in solchen Fällen stets «Illegale» – fälschlicherweise nicht überprüfte Asylbegehrende, deren Asylgesuch nachzuprüfen wäre, gibt es für sie nicht.

Sache der Task Force ist es auch, Fluchtstrukturen – wie übrigens auch Strukturen der sogenannten Organisierten Kriminalität, des Drogenhandels und anderer internationaler Beteiligungsdelikte – aufzuhellen, dabei im verdeckten zu arbeiten, und dadurch die Flüchtlinge im Zwischengelände an der Ostgrenze zu Litauen, Weißrußland und der Ukraine abzufangen. Indem sie gut mit Litauens Kollegen zusammengearbeitet hätten, hätten sie «Menschenschmuggel per Helikopter» aufdecken können: Hundert Kilometer seien die Leute aus Litauen mit unnütz gewordenem Kolchose-Gerät ins Landesinnere Polens geflogen, doch habe man den Landeplatz aufstöbern und die Leute zurückschieben können. Das war 1995, und Zukovicz erzählt es uns stolz. Und auch am Grenzübergang Budzisko (mit deutschem Geld ausgebaut) und dem internationalen Grenzbahnhof von Trakiszki (mit EU-Geld ausgebaut) ist die Rückübergabe von über die Grenze Geflüchteten ständig «effizienter» geworden. Dies sagt Rytwinski und ist stolz darauf. Zuverlässige Zahlen allerdings sind auch bei ihm, wie überall, wo es um Abschiebungen geht, nicht zu erhalten.

Inwieweit auch bedroht ist, wer ohne Bewilligung in den Straßen Warschaus das eigene Glück versucht, ist etwas weniger klar. Der UNHCR-Sprecher meinte noch im Herbst, Razzien auf offener Straße oder am Hauptbahnhof kämen seines Wissens nicht vor. Andererseits gingen die polnischen Behörden schon im Juli 1996 mitten in Warschau in einer Massenaktion gegen rumänische Roma vor, verbrannten deren Hütten und sorgten für ihre Zwangsrückkehr nach Rumänien. «Eine umstrittene Aktion», sagt Lewandowski, «doch die Helsinki-Foundation kam in einem Bericht zum Schluß, wir hätten alles legal getan». Das weitere Schicksal der Roma in Rumänien ist unbekannt. Auch jene Inhaftierten, auf die die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration anläßlich ihrer Recherche gestoßen war, waren Opfer großangelegter Razzien geworden.

Bedroht ist schließlich auch, wer in polnische Abschiebehaft gerät oder wem sie angedroht wird für den Fall, daß die Ausreisefrist nicht eingehalten wird, die mit einem Administrativvisum verbunden ist. Zufällige Personenkontrollen auf offener Straße können somit stets zur Abschiebung führen, und der erklärte Wille im Innenministerium, die Abschiebepolitik gegenüber «Ausländern» zu verschärfen, vervielfacht diese Gefahr. Laut Beobachtungen der FFM wurden diese Verschärfungen in Zeitungsartikeln schon nach der Roma-Razzia publizistisch und mit der Einrichtung oder Anpassung von 23 Abschiebezentren (Stand Herbst 1996) auf den Polizei-Hauptquartieren der Woiwodschaften (polnische Bezirke) vorbereitet. Seit Oktober sind Razzien demnach voll im Gang. Das neue Vorzeigestück – eine mit deutschem Geld umgebaute ehemalige Warschaupakt-Kaserne – wurde im Sommer 1996 bei Grojec nahe Warschau eröffnet.

2.4 Polens Zukunft
Die neue Macht des Ostens?

Polens Behörden gefallen sich in der Vermittlerrolle zwischen Ost und West – «Wir sind nicht so nervös wie die anderen» – Anpassung nach unten groß geschrieben

Die neuen Härten in der Asyl- und Ausländerpolitik stimmen die Verantwortlichen im polnischen Innenministerium zuversichtlich. «Wir sind das größte Land Mitteleuropas», erklärt Lewandowski: «Und wir sind nicht nervös wegen Rußland, im Unterschied zu unseren baltischen Nachbarn.» Er könne sich eine koordinierende Rolle im Osten gut vorstellen. Bereits heute kämen seine Kollegen aus der Ukraine, aus Weißrußland und aus Moldawien, ja, sogar vom weiten Azerbaidschan und aus Georgien, um über den Umgang mit Asyl und Ausländern zu staunen.

In Zukunft könne es soweit kommen, daß die neue Rolle sein Land auch im Bereich der Migration attraktiver mache: «Bis in fünf, zehn Jahren werden wir nicht mehr Asyl-Durchgangsland sein, sondern ein Zielland, in dem man – weil Deutschland unerreichbar geworden sein wird – um Asyl nachsucht und in dem man bleiben will», sagt der Vize des Migrations- und Asylbüros. Ob bis dann die östlichen Nachbarstaaten «sichere Drittstaaten» im Sinne der neuen Ausländergesetzgebung sein werden, ist für ihn unsicher: «Heute sind sie es jedenfalls eindeutig nicht, auch nicht Litauen.» Und er zweifle sehr daran, daß es richtig war von Finnland, dessen übermächtigen Nachbarn Rußland zu einem «sicheren Drittstaat» zu erklären, um Asylsuchende unter erleichterten Umständen dorthin zurückzuschicken.

Wo Polens Selbstsicherheit herrührt? Lewandowski lobt die 120 Millionen Mark, welche Deutschland 1993 an Polen ausschüttete, damit es ihm im Gegenzug die Grenzen frei halte.6 «Vor 1993 waren wir noch ähnlich einfach eingerichtet wie unsere Freunde aus den GUS-Staaten», meint Lewandowski: «Doch das Geld aus Deutschland hat uns geholfen. Wir haben uns eingerichtet und stehen heute zu unserer Rolle. Jetzt können wir Vorbilder sein für andere östliche Staaten.» Diese Rolle nimmt Polen auch gegenüber Litauen ein. Die polnische Grenzpolizei hat Litauen 1996 neun gebrauchte Zollboote für die Küstenüberwachung in der Baltischen See überreicht und trainiert «die junge Truppe» der litauischen Grenzpolizei, wie es in Warschau väterlich-gönnerhaft heißt.

Fazit:
Kein Asyl an der Grenze – unkorrekt nicht bloß im Einzelfall

– Wer nicht von sich aus Asyl verlangt, wird nicht befragt, sondern als illegal behandelt.

– Wer um Asyl nachfragen will, wird mitunter daran gehindert oder übergangen.

– Wer es schafft, um Asyl zu fragen, muß damit rechnen, daß Grenzpolizisten vor Ort entscheiden, die Anfrage nicht als Asylgesuch zu behandeln und – statt den Antrag nach Warschau weiterzuleiten – den Flüchtling als «Illegalen» zu inhaftieren oder abzuschieben.

Ähnliche Gesetzesvorlagen wie in Litauen und Weißrußland:
Schärferes Ausländer- und Strafgesetz

Geplant sind in Polen, wie in Litauen und in Weißrußland, neben dem Asylgesetz Verschärfungen des Ausländergesetzes und des Strafgesetzes.

Das Ausländergesetz soll erstmals eine formelle Abschiebehaftregelung vorsehen, außerdem soll auch die Regelung der «sicheren Drittstaaten» aufgenommen werden. Offen ist in diesem Zusammenhang nur, ob das Parlament oder die Regierung die Liste dieser sogenannten «sicheren Drittstaaten» festlegen und ändern soll.

Das Strafgesetz soll schwerere Strafen gegen «Schleppertum» einführen.

Als Vorbild haben für das Ausländer- und Strafgesetz die entsprechenden westeuropäischen Gesetze gedient.

Bisher sieht das Ausländergesetz eine offenbar nicht verlängerbare Begrenzung der Haftdauer für «Illegale» auf drei Monate vor. (7)

Polen hat mit allen Nachbarstaaten mit Ausnahme Weißrußlands Rückübernahmeabkommen geschlossen, also auch mit Deutschland im Westen und Litauen im Osten.

3. «Viertstaat» Litauen:
Pförtner mit Hoffnung auf einen Verwaltungsratssitz

Land ohne Asylverfahren und Abschiebeverbote – Mühsam die Bevölkerung auf Weststandard trimmen – Kriminalität, das große Zauberwort – Illegale Bedingungen in Abschiebeanstalt – Spezialeinheit kämpft gegen alles „Nicht-Litauische“ – Deutsches und skandinavisches Geld soll Asylverfahren ermöglichen – «Aufbruch» soll westlichen Standard bringen – Die alten Seilschaften mit Weißrußland: Bringen sie Flüchtlingen Gefängnis, Folter und Tod?

3.1 Asylverfahren und Illegalität
Litauens eigene Willkür türmt sich auf der Willkür Polens

Ganz fixiert auf «Grenzverletzer» – Asyl 1996: «Gibt es nicht»

Von «sicherem Viertstaat» kann im Fall von Litauen nicht die Rede sein. Denn noch Anfang 1997 präsentiert sich das Land, das sich 1991 die Unabhängigkeit von der zusammenbrechenden Sowjetunion erkämpft hat, ohne Asylverfahren und ohne Abschiebeverbote in Verfolgerstaaten. Asylsuchende Flüchtlinge werden als «Illegale», als «Grenzverletzer» betrachtet und in Abschiebehaft genommen. Die Haftbedingungen im Land sind katastrophal. Abschiebungen werden wo immer möglich vorgenommen, ohne Rücksicht auf die Bedrohungssituation. Mit Nachbar Weißrußland, erklärterweise unter Präsident Alexandr G. Lukashenka zum Polizeistaat mutiert, bestehen beste informelle Beziehungen. Dieser Abschiebeweg über Weißrußland öffnet den direkten Kanal in Verfolgerstaaten wie Afghanistan, Pakistan, Indien und Sri Lanka, aber auch nach Irak und dem Iran.

Die militärisch orientierten alten Seilschaften, auch in Litauen weiterhin auf wichtigen Posten, können nichts Schlechtes dabei erkennen, so mit Flüchtlingen zu verfahren. Gegen sie kämpft eine junge, westlich gestimmte neue Elite innerhalb von Justiz-, Innen- und Außenministerium. Massive finanzielle und logistische Westhilfe hat ein Asyl-Vorzeigegesetz entstehen lassen, das im Februar 1997 anwendungsreif in der Schublade schlummerte. Am 21. Januar 1997 hat Litauen die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet und sich damit im Westen salonfähig gemacht.

Die Gefahr besteht, daß in naher Zukunft – allein aufgrund der papierenen Voraussetzungen – aus Bonn und Brüssel «alles in Butter» gemeldet wird. Wie im einzelnen mit Flüchtlingen und «Illegalen» umgesprungen wird, dürfte dann außerhalb des westlichen Focus bleiben. Es wird sich dann dieselbe Frage stellen wie schon heute, dieselbe auch, wie sie in Polen zu stellen ist: Wie hält es Litauen mit der Aufnahme ins Asylverfahren, mit der Unterscheidung in «Asylsuchende» und «Illegale»?

Die Antwort scheint klar. Auch in Zukunft wird Litauen kein «sicherer Viertstaat» sein. Denn es wird, allein schon aufgrund seiner geopolitischen Lage, Abschiebungen vornehmen, die es nach den Menschenrechtskonventionen nicht vornehmen dürfte. Nach westlichen Kriterien legal weiterreichen kann es ungeliebte Personen nämlich nicht, solange mit Nachbar Weißrußland kein Rückübernahmeabkommen möglich ist, was noch auf einige Zeit hinaus der Fall sein dürfte. Und die Ostgrenze wasserdicht zu verrammeln, um den Migrationsfluß außerhalb der Landesgrenzen zu stoppen, ist angesichts der 650 Kilometer langen Weite jener Grenze undenkbar.

So wird Litauen das Problem nicht so schnell los, sich aus innenpolitischen Gründen – dem Wunsch, in der Europäischen Union Aufnahme zu finden – auf das System der Kettenabschiebungen und Viert-/Fünft-/Sechststaatregelung einlassen zu müssen, obwohl es am vorläufigen Ende dieser Kette liegt. Allerdings vertrauen die Behörden Litauens auf jene pragmatische Lösung, bei der die als Belastung empfundene Sorge für potentielle Flüchtlinge entweder im Umfang geringer wird oder aber vom Westen – ähnlich den 120 Millionen Mark Deutschlands an Polen – entschädigt wird. Ein ganzes Stück bescheidener als Polen, begnügen sich die litauischen Behörden einstweilen mit von Schweden finanzierten Büroeinrichtungen, dänischem Know-how im Asylverfahren und deutschem Kenntnistransfer in bezug auf asylrelevante Länderdokumentation.

Doch eigentlich steht die Frage, ob Litauen dereinst als «sicherer Viertstaat» gehandelt wird, zur Zeit noch nicht im Vordergrund. Solange schon Polen nur auf dem Papier, nicht aber in der Realität ein «sicherer Drittstaat» ist, ist auch auf Litauen kein Verlaß. Denn in jedem einzelnen Fall, in dem es von Polen abgeschobene «Illegale» entgegennimmt, müßte Litauen nochmals ein Asylverfahren vornehmen oder zumindest prüfen, ob das völkerrechtliche Rückschiebeverbot im konkreten Fall eingehalten worden ist. Administrativ ist Litauen hierzu weit weniger in der Lage als Polen. Politisch ist es wenig wahrscheinlich, daß Litauen für eine Einzelfallprüfung in Fällen eintritt, die dem Land von Polen en gros zugeschoben werden.

Das wiederum läßt den Schluß zu: Weder Polen noch Litauen dürften, selbst vor dem Hintergrund des vom Bundesverfassungsgericht verlangten niedrigeren Schutzniveaus, als zuverlässige Partner im Asylverfahrensmodell Deutschlands gelten, solange sie ihre Hausaufgaben nicht erledigt haben. Diese bestehen nicht in der formalen Unterzeichnung internationaler Flüchtlingsabkommen, sondern in der Einrichtung zuverlässiger Verfahrensmechanismen, die eine Zurückweisung (refoulement) im Sinne von Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention verhindern. Wenn das Bundesverfassungsgericht seinen Gedankengang, wonach die Frage der Sicherheit von Viertstaaten auf die Sicherheit des Drittstaates zurückwirkt, wirklich ernst nimmt, so kann Polen zur Zeit auf keinen Fall sicherer Drittstaat sein, weil der bereits angesprochene «dementsprechende Schutz» in Litauen nicht existiert, es sei denn, man wolle aus innen- oder außenpolitischer Rücksichtnahme Absichtserklärungen für die Sache selbst nehmen.

3.2 Die Bevölkerung:
Frierend sich nach Grenzen sehnen

Ein Gitterzaun über dem Geleise des internationalen Schnellzuges – Die Schönheiten der westlichen Landschaft – Der Unabhängigkeitskampf hat Denkblockaden hervorgebracht – Alles zum Schutz des Westens

«Litauen ist europäisch und liegt näher bei Stuttgart als Portugal», erklärte mir eine begeisterte Kollegin, eben zurück vom «Land hinter Polen», dem westlichsten der baltischen Republiken. In der Tat: Wer den ICE besteigt, in Berlin auf den Eurocity und in Warschau auf den «Balti-Expres» wechselt, wer also mit 260 Stundenkilometer durch Deutschland und mit beachtlichen 160 kmh durch Polen fährt, ist komfortabel in weniger als 24 Stunden von Westdeutschland im Baltikum.

Selbst die Grenzkontrollen unterwegs im Zug kosten kaum Zeit, ja, sie gehen, bis der «Balti-Expres» im polnischen Grenzbahnhof von Suwalki wieder losfährt, zügiger vor sich als etwa jene in den Deutschland-Italien-Schnellzügen, die im südschweizerischen Chiasso jedesmal aufgehalten werden. Suwalkis Bahnhofgebäude selbst, proper, modern, mit hohen Perronkanten, kann sich mit jedem deutschen oder Schweizer Bahnhof messen; Gelder aus dem Phare-Programm der Europäischen Union machen den Neubau des Grenzbahnhofs von 1994 zum Vorzeigeobjekt. Und drüben über der Grenze, im litauischen Mockaba, darf die Grenzpolizei die internationalen Züge bei ihrer Kontrolle weisungsgemäß nicht mehr als dreißig Minuten verspäten: Ein hoher Standard, der die Reisenden an jeder GUS-Grenze vor Neid erblassen ließe. (8)

«Wir sind ein Kleinstaat wie die Schweiz», lassen uns litauische Bauern wissen. Landschaftlich indes, mit seinen Milchkühen, den saftigen Weiden, lichten Wäldern und flachen Ebenen, gemahnt Litauens Westen an die Schönheiten Lüchow-Dannebergs oder Mecklenburg-Vorpommerns.

Inmitten jener friedlichen Gegend im Grenzgebiet zu Polen zeigt Litauen sein zweites, häßliches Gesicht. Dem alten Grenzzaun der DDR zur Bundesrepublik gleich, zieht sich ein Maschendrahtgitter quer über die Felder, drei Meter achtzig hoch, und mündet von links und von rechts zur Bahntrasse, die das Grenzland durchschneidet. Der Zaun macht auch vor dem internationalen Schnellzug nicht halt. Ein Zug voll von Fernreisenden bleibt blockiert, bis der Grenzsoldat, in einen Gefechtsanzug gekleidet, das bleiern wirkende Zauntor aufwuchtet und über dem Geleise abgeschwungen hat. Jetzt darf der Expresszug im Schrittempo passieren, hinter ihm knallt das Zauntor wieder zu.

«Wir wollen uns nach Westen öffnen und alle unnötigen Schranken abbauen», hatte einen Tag zuvor Gintaras Švedas, 32, Staatssekretär im litauischen Justizministerium, mit gewinnendem Lächeln erzählt. Zum Thema Bahnschranke konnten wir ihn nicht mehr befragen, er hätte wohl so etwas wie «alter Zopf» gemurmelt.

Doch um es vorwegzunehmen: Wir wären in Litauen wohl die einzigen Kritiker geblieben. Nicht nur die Leute im Bahnabteil – viele aus dem nahen EU-Staat Finnland, von wo sie über Estland und Lettland nach Polen und Deutschland unterwegs sind – blieben trotz Zaun gelassen. Alle, die wir hinterher befragten, konnten ihre Verwunderung darüber, daß man den Bahnzaun mit früheren Sowjet- und DDR-Zeiten in Verbindung bringen kann, nur knapp unterdrücken.

So zeigt sich ein einfacher Grenzbediensteter beinahe beleidigt: «Wir machen das zu eurem Schutz», bedeutet er mir, «wir halten euch doch die Nicht-Europäer fern.» Bauern aus der Nachbarschaft sehen das noch etwas Deftiger: «Sonst würden sich doch nur finstere Gestalten rumtreiben.» Rosalinas, eine Angestellte in der entfernten Hauptstadt Vilnius, wird beinahe philosophisch: «Grenzen müssen doch einfach markiert sein.» Und selbst die aufgeschlossenen Medienleute des staatlichen litauischen Fernsehens, deren Gebäude 1991 zu den Zeiten der Befreiung von der Sowjetunion dramatisch umkämpft war, werben um Verständnis dafür, «daß wir unsere Unabhängigkeit nun mit Hilfe von Grenzen schützen wollen».

Unsere westlich geprägte Wahrnehmung bleibt da wie so oft krumm. Alle, ausnahmslos alle, mit denen wir in Litauen sprechen, haben ihre Probleme aufgrund der sich stetig verschlechternden Wirtschaftslage. Wohl sind die Straßen längst nicht so schlecht wie in der südlicher gelegenen, wirtschaftlich noch mehr gebeutelten Ukraine. Und in den Städten treffen wir auf junge Leute, die optimistisch dreinblicken und sich an Rap-Musik ebenso freuen wie am Besuch der neuen Pizzeria – einer der ersten in Litauen – um die Ecke.

Doch schon im Frühherbst froren alle im Kleinstaat, selbst in den Büros, weil der Staat bei der zentralen Heizung spart. Lehrkräfte fahren abends zusätzlich Taxi, damit das Salär einigermaßen ausreicht und die steigende Miete bezahlt werden kann. Selbst erfolgreiche Kleinunternehmer wie Antanas Gustys, der Organisator des vom Schweizer Uhrenkonzern Swatch und anderen Westpromotoren zu günstigen Preisen gesponserten jährlichen internationalen Jazzfestivals, leiden unter schwindender finanzieller Unterstützung einheimischer Bankinstitute, die in Zahlungsnöte und Auslandsabhängigkeit geraten sind.

Fünf Jahre, nachdem sie sich von der Sowjetunion ihre Unabhängigkeit zurückgeholt haben, kommen auch die Litauer und Litauerinnen in ihrem Kleinstaat – der flächenmäßig knapp doppelt, bevölkerungsmäßig aber knapp halb so groß ist wie Baden-Württemberg – mit dem neuen Liberalismus westlichen Zuschnitts schlecht zugange. «Wir hoffen auf die Europäische Union», sagt man uns auf den Straßen und in den Ämtern, ohne daß wir danach fragen, und am Rande spielt auch die Annäherung an die NATO mit eine Rolle. Immerhin, das wissen auch die Balten, geht es ihnen weniger schlecht als den früheren Landsleuten in den umliegenden GUS-Staaten.

3.3 Die Westgrenze:
Den Sowjetgeist noch in der Luft spüren…

Der „elektrische Zaun“ paßt nicht so recht für einen Bald-EU-Staat – Der modernste Grenzbahnhof – und nebenan muß erst der Stacheldrahtverhau vom Geleise genommen werden – Statt Kinderpsychologie Paßkontrollen – Künftig dank EU-Geldern eine «moderne» Grenze – Bauersleute geraten ins Hintertreffen

Grenzkontrollen wollen, wie gesagt, alle. Während überall Arbeitsplätze verloren gehen, werden an der Grenze neue geschaffen. «Ich bin froh darüber», sagt uns in Lazdijai die Zollbeamtin mit den sanftesten Augen, die wir je irgendwo an einem Straßenzoll gesehen haben, «doch ich möchte schon mal gern wieder in meinem angestammten Beruf arbeiten.» Elviras Matutitas, so heißt sie, war bis vor drei Jahren Kinderpsychologin, aber die Stelle gibt es nicht mehr, und so ergriff sie die Gelegenheit im Zollamt. Das geht jetzt vielerorts so in den Sozialberufen: Kramkenhäuser sind von der Schließung bedroht oder sind bereits geschlossen, Ersatz findet sich wenig.

Stattdessen wird jetzt im Westen Litauens, mit Hilfe der Europäischen Union, in den Transitbereich investiert. Eine neue «Via Baltica» wird gebaut, eine Autobahn von Ostpolen hoch durchs Baltikum nach Finnland. Ein neues Schienengleis, in der Spurweite des Westens, soll bis Kaunas – der zweitgrößten Stadt Litauens und früher Regierungssitz – weitergezogen werden: Umsteigen in Šeštokai überflüssig. Bereits ist Budzisko/Kalvarija, der Hauptübergang im Westen, zur ersten polnisch-litauischen Gemeinschaftszollanlage geworden; auch dort lassen die Ikea-Möbelchen im Chefbüro auf die nähere Herkunft der EU-Gelder schließen.

Eigentümlich altmodisch wirkt daneben die Grenzbewachung, die Litauen gegenüber Polen noch immer aufrecht hält. Ein in die EU strebender Staat hält sich eben jenen Maschendrahtzaun, der auch die Bahnlinie quert und sperrt. Über hundert Kilometer verläuft er entlang der gemeinsamen Grenze mit Polen, nirgends läßt er die Ortsansässigen durch, nur an den paar offiziellen Übergängen. Ganz in der Nähe des Grenzpostens von Dyviliškiai zeigt uns Jankauskas Sigmantas, 39, der stellvertretende Leiter der für die grüne Grenze zuständigen Einheit, stolz die Wirkung dieses Zaunes.

Er klemmt zwei einzelne Drähte zusammen, der Zaun steht leicht unter Strom, der Impuls alarmiert die Wache, und im Stil eines Sonderkommandos preschen fünf schwerbewaffnete Rekruten heran, richten ihre Gewehre auf uns und versuchen zu zweit, den deutschen Schäferhund Sodris, 3, in Schach zu halten. In militärischem Drill ziehen sie später ab, die Show ist geglückt, wir fühlen uns wie in einem schlechten Film: Hier wird Krieg gegen «Grenzverletzer» eingeübt. Später wird uns Bigelis Eduardas, 27, Hundeführer und in der früheren Sowjetarmee Kynologe, auch noch seine zweite auf den Menschen abgerichtete Waffe, den einjährigen kaukasischen Schäferhund Dzekas, vorführen.

Neben dem Zaun ist der Grenzstreifen acht Meter breit, der Sandboden soll Fußspuren sichtbar machen, und die Frage hängt einem auf den Lippen: Wovor hat dieses Land so sehr Angst?

Am Grenzposten selbst erfahren wir die Antwort nicht. Denn dort gibt es jetzt immer mehr Reisende, andererseits kürzere Abfertigungszeiten («drei, vier Stunden statt drei, vier Tage», heißt es). Die Bevölkerung geht nach Polen zum Billigshopping, weil die Waren jetzt in Litauen teils teurer sind als drüben.

Ein weites Land:
Die lange Grenze des Kleinstaates

Litauen besteht aus langen, langen Grenzabschnitten mit den Nachbarstaaten: 650 Kilometer mit Weißrußland im Osten, 576 Kilometer mit Lettland im Norden, 303 Kilometer mit Rußlands Exklave Kaliningrad (Königsberg) im Südwesten, und 103 Kilometer mit Polen im Südsüdwesten. Außerdem sind 99 Kilometer im Westen Küstengebiet des Baltischen Meeres, dessen gegenüberliegendes Ufer zu Schweden gehört.

3.4 Die Ostgrenze:
…die Festung Europa schon vor Augen

Die neue heiße Grenze im ehemaligen Niemandsland – Niemand kontrolliert, was da täglich abläuft – Wenn sie in Litauen und in Weißrußland die Köpfe zusammenstecken – Siemens-Nixdorf ist schon vor Ort – Ein Grenzbahnhof wird geteilt – Wenn Bauern zum Besuch ihrer Nachbarn plötzlich ein Visum brauchen

In Medininkai ist die offizielle Grenze. Noch vor sechs Jahren gehörte der Name bloß einem kleinen Weiler, an dem man unkontrolliert durchfuhr. Heute ist es das Kernstück der eigentlichen Ost-West-Route mit dem größten zu bewältigenden Verkehr. Jener Ort, an dem man schon die neue europäische Außengrenze spürt. Dort, wo man bei der Einreise in dieses neue Europa stundenlangen lückenlosen und schikanösen Grenzkontrollen unterworfen wird. Wir befinden uns an einem Autobahnübergang von und nach Weißrußland, inmitten von improvisierten Bürocontainern mit spärlicher Möblierung. Feuchtigkeit beschlägt den Raum, draußen regnet es in Strömen, und auch die behelfsmäßig über den Abfertigungsplatz gezogenen Eternitdächer vermögen niemanden so richtig zu schützen, am wenigsten die Vor-Kontrollposten, an denen die Fahrzeuge schon früh gestaut werden. Ein ganzes Heer von Grenzpolizisten schwärmt auf dem Areal herum.

Vor uns liegen mehrere hundert Meter Ödnis, die bis zum weißrussischen Grenzposten reicht. Selbstschußanlagen braucht man sich nicht auszumalen, die Kontrollen laufen auf Seiten von Litauen nach westlichem Muster ab, und Kommandant Aleksejus Blistivas meint: «Alles, was wir brauchen, wären etwas mehr Fahndungscomputer und Funkgeräte. Doch unser Staat ist arm und kann seine Arbeit für den Westen nicht allein verrichten.» Sein Kollege, Kommissar-Inspekteur Rimautas Simonavicius, der die Einsätze an der grünen Grenze kommandiert, hat es uns später bestätigt: Doch, doch, den Fahndungs-Großcomputer innerhalb der Europäischen Union mit Namen «Schengen» habe er schon einmal gesehen: «Toll!»

Die Offerte des am Aufbau des Schengen Informationssystems maßgeblich beteiligten bayerischen Computermultis Siemens-Nixdorf kennt Simonavicius nicht. Siemens-Nixdorf hat sich um die Einrichtung eines Grenzterminalsystems nach Schengen-Muster beworben, das in Litauen ausgeschrieben war. Es wäre ein System ähnlich jenem, das beispielsweise an der deutsch-schweizerischen Hochrheingrenze zwischen Konstanz und Basel in Betrieb ist. «Zu teuer», meint man hierzu allerdings im Innenministerium. Noch kann es sich Litauen leisten, nicht die EU-kompatibelste Fahndungs-Software und -Hardware zu beschaffen. In ein paar Jahren, vielleicht auf die nächste Computergeneration hin, wird die Kompatibilität der entscheidende Faktor sein – wie er es derzeit in Polen und Ungarn bereits ist.

Ein paar Hundert Kilometer weiter nordöstlich – vom östlichsten Punkt Litauens aus, einer Art Hochplateau mit Kartoffeläckern, die fingerartig ins weißrussische Gebiet hineinragen – weht ein steifer Wind, die Sicht ist klar und rein, sie holt die versteppten Weiten von Weißrußland auf Griffweite heran. Gut 1.500 Kilometer sind wir hier von Berlin entfernt, gut 2.000 Kilometer von Frankfurt am Main. Wir stehen am östlichen Ende der Marktwirtschaft, am Rand der Festung Europa. Noch ist von einer aufgerüsteten Grenze nichts zu sehen, von der behaupteten «Invasion Einreisewilliger» aus Moskau, St.Petersburg und Minsk erst recht nicht, obwohl der «Warteraum Minsk» weniger weit entfernt ist als Frankfurt von Köln.

Eine fremde Stille und ein fremdes Land. Ida, mit weich fallender Arbeitskleidung und großem Kartoffelkorb «ganz wie eine typisch ostlitauische Bäuerin» daherkommend, entpuppt sich als Lehrerin im nahen Kozjany, dem östlichsten Dorf Litauens. Ganz moderner Mensch und aufgeschlossen, beschämt sie uns wegen unserem Vorurteil über die vermeintliche Verträumtheit der Gegend. Ida korrigiert das Bild der Stille. Die sei trügerisch, sagt sie: «Seit einiger Zeit schwirren ständig Grenzpatrouillen herum und suchen die Äcker nach Fußspuren Illegaler von drüben ab.» Drüben ist Weißrußland. Manchmal würden die einen einheimischen Obdachlosen erwischen – diese «Nichtsnutze», wie sie sagt – «und manchmal auch Fremde aus dem Osten».

Die grüne Grenze verläuft fast ausschließlich in einem einzigen Wald- und Sumpfgürtel von mehreren hundert Metern Breite und hat eine Länge von 650 Kilometern – so lang wie die gesamte Hoch- und Oberrheingrenze vom Bodensee über Basel bis Bonn. Niemand kann sich dem kleinen Paradies entziehen, das zur Zeit noch nicht einmal eine definitive Grenzlinie kennt, weil es sie bisher nicht gebraucht hat. Bis vor fünf Jahren gingen die Menschen hin und her wie über die Grenze zweier deutscher Bundesländer. Nun aber setzen sich die Grenzpolizeichefs von Litauen und von Weißrußland an einen Tisch und handeln aus, welcher Flurweg, welcher Naturbach die neue Staatsgrenze bilden soll.

Wie eine neue Festungs-Grenze errichtet wird? Die Frage konnten wir nicht beantworten. Aber wir sind tagelang entlang den 650 Kilometern Grenzwegstrecke herumgestreunt und versuchten es herauszufinden. Das Enttäuschende ist: Alles wirkt normal und natürlich, man sieht den Kartoffeläckern die verstärkte Überwachung nicht an, die Baumwipfel erzählen nicht vom Mißtrauen, das den Grenzwächtern hier in Litauen von Seiten jener Grenzwächter drüben in Weißrußland entgegenschlagen mag. Jetzt, wo jene auf der Schattenseite und diese auf der besseren, «europäischen» Seite des einst gemeinsam genutzten Bodens stehen.

Immerhin, ein einziges Mal liefern uns der West- und der Oststaat jenes Zerrbild von neuer Grenze, das sich so plastisch darstellen läßt. Durch Adutiškis, einen kleinen Grenzort schon hoch im Nordosten, führt eine Bahn, die das litauische Vilnius mit dem belorussischen Vitebsk verbindet, die aber auch dem Regionalverkehr dient. Heute mäandert der Schienenstrang gleichsam über die künstliche neue Grenzlinie. Im Bahnhof von Adutiškis, wo der Strang sich teilt, konnten die Grenzzieher lange über den genauen Grenzverlauf streiten.

Nun hat man sich geeinigt: Je ein Bahnhofsgleis gehört jedem Land, der mittlere Bahnsteig wird außer Funktion gesetzt, und als Gegenstück zum Bahnhofsgebäude von Adutiškis, das durch die Grenzziehung Litauen zufiel, wird am entfernteren Gleis ein belorussisches Bahnhöflein gebaut. Bereits heute steht dort ein Stations-Container, und die Weißrussen nennen Adutiškis jetzt Godutiškis. So steht es in ungeschlachter Schrift auch schon am Container angeschrieben.

Seither ist nichts mehr wie früher, als die Werktätigen abends aus der Stadt ankamen und die, die im Dorfteil West wohnten, zur linken Seite ausstiegen und die aus dem Dorfteil Ost zur rechten Seite. Jetzt fährt erst ein litauischer Regionalzug ein: «Ausstieg links!», und dann ein belorussischer: «Ausstieg rechts!» Noch schmunzelt Eduard Pozniakov, 32, seit sechs Jahren Leiter des litauischen Nebengrenzpostens, als er uns diese Valentiniade schmunzelnd vorführt; doch einen Augenblick später trägt er schon wieder den harten Glanz aller Grenzer dieser Welt in seinen Augen.

Wir haben im kalten Wind, der über die Grenzebene von Medininkai fegt, noch mit vielen gesprochen. Auch mit dem Bauer Mechislaw Jelinski, 65. Sein Gut liegt am Fuß einer kleinen Wölbung, der Wind scheint daran abzurollen wie der Föhnwind in den Schweizer Alpentälern, bloß daß er hier kalt bläst, und Bauer Jelinskis Gesicht rot und blau ädert. «Doch, mir ist hier behaglich zumute», bekräftigt er. Oben am Hügelchen – er zeigt es uns mit seiner Bärentatze – beginnt das andere Land. Da gibt es eine Grenzzone von drei Kilometern, und linkerhand sieht man ein Wohnheim für Zöllner, das im Aufbau war, ehe das Geld ausging, und deshalb noch immer im Rohbau unvollendet ist. Krasnoja zname pobeda, Rote Fahne – Sieg hieß die Kolchose in russisch, als Jelinskis Gut noch vergemeinschaftet war, doch schon zuvor hatten sein Vater und sein Großvater das Gut bewirtschaftet.

Jelinski gehört, wie alle in jener Gegend, zur polnischen Minderheit, die in der nahen Hauptstadt Vilnius nicht wohl gelitten ist. Doch es geht ihm gut, und nicht nur ihm, sondern auch seinem Sohn, den Enkeln Michal und Romuald und auch Meison, dem Huskie-ähnlichen Hund. Die neu gezogene Grenzlinie stört ihn nicht, und auch nicht, daß er Kilometer weit fahren muß, um eine Bewilligung zum Besuch seiner nunmehr auf belorussischem Boden anbauenden Nachbarn einzuholen, «wir brauchen ja gar nicht hinüberzufahren», und die neue Zeit habe immerhin neue Konsumgüter gebracht, meint er.

Wir treffen auf andere, denen es dabei weniger gut ergeht, das gemeinsam alt gewordene Paar Sirojic, er 86, sie 76, beispielsweise, in einer kleinen Kate – einem einfachen Bauernhäuschen hart an der Grenze. Kasimirs Gesundheit ist angeschlagen, die eine Tochter reist Wochenende für Wochenende aus Vilnius an, die andere kommt ab und an aus Minsk jenseits der neuen Grenze, sie hat eine Art Dauerpassierschein hierzu, «aber ideal ist das nicht», meint Janina. Die unmittelbar vor der Tür angepflockte Kuh zu betreuen werde so oder so zum Problem, wenn man gebrechlich wird und der Rücken sich krümmt, «ob mit oder ohne neue Grenzen». Aber die Rente ist klein, 40 Litas (rund 16 Mark) für sie, 84 Litas (35 Mark) für ihn, die Kuh und das Schweinchen seien daher unentbehrlich. «Vor der Wende war das Leben wirklich besser als heute», sagt sie uns zum Abschied.

Die Fahndungssysteme:
Im Kleinen «effizient», daneben große Pläne

Rund 4000 Personen waren im Herbst 1996 zur Fahndung ausgeschrieben, in einem auf das eigene Land ausgerichteten elektronischen Fahndungssystem sind sie verzeichnet. Schengen, einer der europäischen Fahndungsverbünde, scheint noch weit entfernt, und an der Ostgrenze, am Hauptübergang von Medininkai, fehlen sogar noch geeignete landesinterne Abfragegeräte. Interpol-Fahndungen müssen sowieso über den Zentralcomputer in Vilnius abgewickelt werden. An der Westgrenze erfolgen die Abfragen auf einem einzigen Gerät, einem Norton-Rechner des Typs 286. Der mobile Datenaustausch scheint ausschließlich mündlich per Funkgerät zu erfolgen. Die ständig ansteigende Zahl der Bediensteten bei der Grenzpolizei soll wohl solche «Defizite» bei den Informationssystemen wettzumachen.

Inwieweit das 1996 zur Angebotsabgabe ausgeschriebene neue Grenzterminalsystem EU- oder Schengen-tauglich sein wird, bleibt unklar; Angaben hierzu sind nicht zu erhalten. Vom mitbietenden deutschen Konzern Siemens-Nixdorf hört man, daß Kompatibilität mit westeuropäischen Systemen bei der Ausschreibung nicht erste Priorität besaß.

Neben Ultraviolettgeräten zur Erkennung von Paßfälschungen scheint wenig technisches Gerät vorhanden. Auf der Wunschskizze von Grenzpolizeikommandant Jonas Lazarenka, 37, finden sich allerdings die vom deutschen Bundesgrenzschutz wohlbekannten Einrichtungen wieder: mobile Radaranlagen, Video-Geländeüberwachungsgeräte, Nachtsichtgeräte, Bodensensoren, ferner Überwachungsflugzeuge und Küstenboote, aber auch banale Dinge wie Transportfahrzeuge. Eines der Zollboote stammt aus Schweden, weitere neun gebrauchte Exemplare haben sie von Polens Küstenwache geschenkt erhalten – «rostige Dinger», so Oberkommissarin Jurga Jasiuleviciene.

3.5 Die Aufgriffe:
Staatsfeinde Migranten und Fluchthelfer

Action im Neubau: Eine Polizeihorde und ein paar eingeschüchterte Chinesen – «Niemand kommt mehr durch»: «Erfolgsmeldungen» noch und noch – Flucht, Migration, Drogenhandel, OK: alles einerlei?

«Kommen Sie, ein großer Fang», ruft uns die Sprecherin der Grenzpolizei, Oberkommissarin Jasiuleviciene, zu. Später schubst sie uns ins obere Stockwerk eines Rohbaus in Rudamina, einem polnischsprachigen Vorort von Litauens Hauptstadt Vilnius, der – noch ohne Strom, Verputz und dichte Fenster – knapp zwei Dutzend Flüchtlinge beherbergt, die uns entgeistert oder apathisch entgegenstarren, weil sie uns offensichtlich zu den Ermittlungsbeamten zählen, die, in verschiedenster Uniform, aber alle voller Wichtigkeit, den Raum im Rohbau restlos versperren.

Drei Frauen und neunzehn Männer drücken sich wie Schwerverbrecher an die Wand: Darunter drei aus dem kurdischen Norden des Irak, einer aus Sri Lanka, fünfzehn aus China. Später werden sie gefilzt und in Gruppen abgeführt, wichtige Beamte stehen weiterhin herum, ein Filmer des Sicherheitsdienstes tut seinen traurigen Job, und ein klappriger alter Schnauzenbus fährt sie zum Verhör. «Wir betrachten die illegale Einwanderung als Bedrohung für die Innere Sicherheit», hat Kadermann Lazarenka laut der zuverlässigen Quelle Migrations Europe (9) in Brüssel früher zu den Medien geäußert, und: «Unsere Regierung müßte beginnen, das Problem der heimlichen Einwanderung als Ast des Organisierten Verbrechens zu betrachten.» Politrituale, die sie schon gut ihren großen Brüdern im Westen abgeguckt haben.

Mit den armen Schluckern, die wir vor uns sahen, haben diese Worte wenig gemein. Mit deren Schicksalen, die wir uns zwei Tage später erzählen lassen können, noch weniger (siehe unten Ziffer 3.6). Diese Schicksale stehen ganz im Zeichen der Geschichte jener Staaten, aus denen sie sich nach Litauen durchgeschlagen haben.

«Illegale angehalten», wird es dennoch tags darauf in Litauens Presse heißen. Auch das ist im Jahr 1996 zum Ritual verkommen. Jede Gruppe von «Illegalen» erhält unfreiwillig Publicity, die Presse meldet fleißig, was die Polizeibehörden melden, die Meldungen selbst scheinen sich bloß in der Zahl der Betroffenen und dem Ort des Aufgriffs zu unterscheiden: «119 in Marijampole», «50 in der Region von Lazdijai», «56 in Vilkaviskis».

Litauen mag bis ins Jahr 1996 Transitland gewesen sein. Doch seither bedeutet es Endstation: «Illegale» schaffen den Weg nach Deutschland oder Schweden nicht mehr. Sie stranden im Land und machen aus der ruhigen baltischen Republik ein unfreiwilliges Zufluchtsland. Entsprechende Aussagen der Behörden, Zeitungsmeldungen und vor allem die Zeugnisse von polizeilich gestoppten Asylsuchenden über sich und ihre Reisegruppen stimmen überein und ergeben ein einheitliches Bild.

Die Wende trat möglicherweise am 7. Mai 1996 ein, als jene Gruppe von 63 afghanischen Flüchtlingen (18 Frauen, 24 Kinder, 21 Männer) noch bis ins ostpolnische Grenzgebiet durchkam, ehe sie angehalten und an Litauen ausgeliefert wurde.10 Niemand läßt sich finden, dem oder der es seither gelungen wäre, transit Litauen nach dem Westen – Deutschland – oder Norden – Schweden – zu gelangen.

Wenn man der Grenzpolizei Glauben schenken will, dann hat sie seit damals eine markante Erhöhung ihrer sogenannten Erfolgsquote gegen «illegale Migration» erreicht. Sie führt dies darauf zurück, daß die Schnelle Eingreiftruppe – im Behördenjargon «operationelle Einheit» genannt – im Mai 1996 nach zwei Jahren Aufbauarbeit erstmals so richtig Wirkung zu erzielen begann.

Seither muß es Asylsuchenden schon als Erfolg gelten, erst im Westen Litauens aufgegriffen zu werden und nicht schon im Grenzgebiet zu Weißrußland. Ungeklärt ist, warum viel öfter Aufgriffe aus Westlitauen gemeldet werden. Eine bloße Vermutung, aber immerhin keine abwegige, ist, daß dies mit der jeweiligen Bevölkerungsstruktur zusammenhänge, die im Westen und im Osten Litauens stark voneinander abweicht. Im Westen gibt es Regionen mit deutschstämmigen Familien; diese gelten gegenüber den Behörden in Sachen Flüchtlinge als sehr kooperativ. Der Ostgürtel zur Grenze indes ist polnisch besiedelt, polnisch ist dort, teilweise nur fünf Kilometer von Vilnius entfernt, auch Amtssprache. Jene polnischen Familien gelten als eher skeptisch gegenüber den Behörden, von denen sie sich häufig diskriminiert fühlen.

«An der Grenze zu Polen ist die litauische Bevölkerung viel hilfsbereiter», bestätigt Kommissar-Inspekteur Simonavicius: «Doch hier an der Grenze zu Weißrußland, die Polen, die arbeiten nicht mit uns zusammen.» Wenn ein Bauer dem anderen Kohl vom Feld stehle, dann rufe der sofort an; aber «ansonsten hören, sehen und wissen sie nichts über niemand». Er unterstreicht auch, was uns Bauer Jelinski schon erzählt hat: «Sie haben uns im Fernsehen und in den Zeitungen aufgefordert, zu melden, wenn wir illegale Migranten sehen oder davon hören, daß sie über die Grenze kommen.»

Hat Jelinski sich denn schon mal bei den Behörden gemeldet? «Nein, wir haben nie Illegale gesehen», sagt er, nicht einmal verschmitzt lächelnd. Die geografische Lage seines Gehöfts schließt eine solche Aussage beinahe zwingend aus. Ob er sich andernfalls als Denunziant fühlen würde?

Simonavicius sieht profanere Motive: «Es stößt auf Schwierigkeiten, unsere Arbeit zu tun. Viele Leute sind hier arbeitslos, die können sich nur mit Schmuggel durchbringen. Da sind die natürlich nicht sehr hilfsbereit.» Daß der Aufruf im Fernsehen – er stammt von ihm – keinen Erfolg zeitigte, bringt ihn zu neuen Überlegungen: «Man sollte den Leuten den Strom etwas verbilligen und vielleicht Telefone unentgeltlich abgeben, damit sie uns eher benachrichtigen.» Gut abgeguckt vom deutschen Bundesgrenzschutz und dessen Vorgehen im Kreis Zittau – Seifhennersdorf, Varnsburg, Rumburk – im deutsch-tschechisch-polnischen Dreiländereck. Doch vielleicht ist es gar kein entliehener Gedanke. Wir finden es nicht heraus.

Dennoch: Simonavicius ist einer der wenigen Grenzbeamten, auf die wir noch treffen werden, für die nicht jeder «Illegale» eine kleine Sensation und eine große Bedrohung darstellt.

Ansonsten ist die Denkweise in bezug auf «illegale Einwanderung» jener von westlichen Behörden vergleichbar. Mehrheitlich werden «Illegale» und ihre Helferinnen und Helfer in denselben Topf geworfen und in gleichem Maße kriminalisiert. «Grenzverletzer» gelten als kleine Staatsverbrecher. Dies ist wohl nur verständlich aus der jüngeren Geschichte des litauischen Volkes: Wer sich ständig bedroht fühlte vom «großen Bruder in Moskau», sehnt sich nach Eingrenzung und erkennt in «Illegalen» offenbar «Fremde», die über den Gartenzaun klettern und die Gartenbeete zertreten könnten.

Westlicher Denkweise ähnelt auch, daß kaum je unterschieden wird zwischen profitorientiertem «Schleppertum» oder «Schleusertum» einerseits und nicht-kommerzieller Fluchthilfe andererseits. Menschlicher Umgang mit den «Illegalen» wird nicht öffentlich diskutiert, daß einzelne unter den aufgeflogenen litauischen Passeuren ehrenwerte Motive haben mögen, läßt sich allenfalls vermuten. Eine Widerstandskultur findet sich nicht auf die Schnelle, und als wir dem vagen Hinweis nachgehen, an der Ostgrenze hätten Bauernfamilien durchgefrorenen Flüchtlingen in Gruppen Milch und Wärme hingegeben, sind aus den «Flüchtlingen» in den Schilderungen der Bauersleute «Bauarbeiter» geworden.

So werden hüben wie drüben die Strafen für «Schlepper» erhöht, während beispielsweise humanitär orientierte Rechtfertigungsgründe nicht einbezogen werden. Hierbei wie auch generell scheint es in Litauen unmöglich, innerhalb nützlicher Frist die gesetzlichen Grundlagen mit einiger Sicherheit abzuklären. (Siehe unten Ziffer 3.10)

Weniger unnachgiebig scheint man andererseits mit den eigenen Landsleuten. «Seit es die neuen Grenzkontrollen gibt, müßten die Leute aus der Bevölkerung, wenn sie ihre Verwandten «drüben» besuchen wollen, eigentlich Paß und Genehmigung aufweisen. Aber», so schildert der Herr Kommissar-Inspekteur und wird fast etwas zutraulich, «die gehen alle durch die Wälder.» Er gibt zu verstehen, daß sie auch einmal ein Auge zudrücken, «außerdem», wird er wieder offiziell, «können wir nicht die ganze lange Grenze bewachen, soviele Personen können wir gar nicht einstellen.» Derzeit seien pro diensttuender Person vier Kilometer Grenze zu überwachen.

Grenzpolizei-Kommissar «mit menschlichem Antlitz»:
«Die Illegalen haben nichts zu verlieren»

Bei Medininkai gibt es eine Burg. Sie wurde im Jahre 1410 erbaut. Der Heilige Kasimir wohnte darin. Da saßen im August 1996 43 Menschen, «darunter auch Frauen und Kinder», und sahen sehr verloren aus. Litauische Polizisten griffen sie auf und schauten nach ihnen. «Einigen konnten wir zu Essen geben, natürlich nicht allen.» Solche Auslagen gehen am sowieso schon spärlichen Budget der Grenzpolizei ab, wie alle ungefragt ständig beklagen. «Wir behandeln Illegale freundlich, denn Menschen sind überall Menschen.» Als Menschen wurden sie in der Folge nach Weißrußland zurückübergeben; russische Fahrkarten dienten als Beweis ihres Transitlandes.

Kommissar-Inspekteur Rimautas Simonavicius, der dies erzählt, outet sich als «Polizist mit menschlichem Antlitz» – auch dies im Westen wohlbekannt. Natürlich gebe es Fälle von Drogenschmuggel. Er erinnere sich an Männer aus Azerbaidschan und aus Uzbekistan, die man erwischt habe. Doch in der überwiegenden Mehrheit seien es «einfach Menschen», die sich an die Grenze verirrten: Menschen aus Sri Lanka und Indien, Pakistan, Afghanistan und Somalia. Die «Illegalen» seien ehrlich, «die sagen, was war, die machen keine Geheimnisse». Für den Beweis ihrer Durchreise durch Weißrußland und damit für eine Rückübergabe sei dies wichtig. «Die haben nichts zu verlieren. Ob sie nun dort getötet werden oder verschont bleiben. Also versuchen sie es halt Richtung Westen.»

Einen Monat alt – und schon «Grenzverletzerin»

In dicke, flaumige Decken gebauscht liegt das Menschenbündel in den Armen des jungen armenischen Paares, mitten im vom Morgentau noch feuchten und kühlen Grenzwald. Gerade einen Monat alt ist das Kleinkind, und in der Sichtweise der Grenzpolizei Litauens ist diese Victorija bereits zur «Grenzverletzerin» geworden. Die Eltern kümmert dies nicht mehr, während sie an jenem Oktobermorgen im ersten Sonnenlicht neben uns auftauchen. Sie sind froh, den litauischen Autobahn-Checkpoint von Medininkai umgangen zu haben; die weißrussischen Grenzsoldaten, deren Kontrollen noch vor uns liegen, können ihnen, die sie im Besitz von Reisepapieren eines GUS-Staates sind, nichts mehr anhaben.

Warum sie es getan haben? «Eine andere Chance, zum Begräbnis meines Vaters nach Erewan nach Hause zurückzukehren, hätten wir nicht gehabt», sagt der junge Architekt. Sechs Jahre lang hätten sie illegal im friedlichen Kleinstaat Litauen gelebt, ohne daß sich eine Behörde oder ihre Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen daran gestört hätten: «Seit einiger Zeit aber dreht man hier in Litauen an der Schraube und greift Illegale, sobald man ihrer habhaft wird, auf.» An eine legale Fahrt über den Grenzübergang Richtung Osten sei überhaupt nicht zu denken gewesen: «Ohne gültige Papiere», meint der 25jährige, «hat man in diesem Land keine Chance mehr.»

Nicht nur illegale Einreisen, auch illegale Ausreisen sind die Folge derselben Abschottungsmechanismen der neuen Ost-Festung Europas.

Die Statistiken:
Immer mehr «Grenzverletzer», immer mehr Abschiebungen

Statistiken sind grundsätzlich schwer zu erhalten. Wie Anfang der 80er Jahre in westeuropäischen Ländern werden sie heute in Litauen wie Staatsgeheimnisse behandelt. Nachfolgend dennoch die hauptsächlichsten Angaben.

Die Zahl der Aufgriffe nach «illegaler Einreise» sind in den vergangenen Jahren relativ stark angestiegen. 3.293 «Grenzverletzer» waren es offiziell im ersten Halbjahr 1996, 2.073 waren es im Jahr 1995, beides große Zahlen für das kleine Land mit seiner Bevölkerungszahl von 3,7 Millionen und verglichen mit 378 Festgehaltenen im Jahr 1992.

Im offiziellen Jahresbericht der Grenzpolizei per 1995 werden allerdings nur die Zahlen der «Bürger aus Staaten Asiens und Afrikas» ausgewiesen: 1.696 im Jahre 1995, verglichen mit 304 im Jahre 1992 – offensichtlich der Versuch, die Zahlen aus der «Ersten Welt», wohl vor allem Mittelost- und Osteuropas, auszuklammern. Diese würden gemäß Differenzrechnung 377 (1995) beziehungsweise 74 (1992) betragen. (11)

Abgeschoben («expulsé») wurden demgegenüber 1.261 im Jahre 1995, in den Vorjahren 172 (1994) und 113 (1993). 1996 wurden in den ersten acht Monaten bereits 1.078 Personen abgeschoben, darunter die mehrheitlich Flüchtlinge aus Verfolgerstaaten: 264 aus Sri Lanka, 242 aus Afghanistan, 116 aus Indien, 183 aus Bangladesh und 127 aus Pakistan. (12)

3.6 Das Abschiebecamp:
Ein Hauch von Bananenrepublik

Militärcamp neu unter ziviler Führung – «Grenzverletzer» – Staatsfeinde, die eingesperrt gehören – Menschen in Abbruch-Kasernen: ohne Rechtsbeistand und ohne Recht auf Asyl – Kranke Kleinkinder, doch die Gefängnisärztin gibt Medikamente nur gegen Bezahlung – Schicksale interessieren nicht

Pabrade liegt hinter Kasernenmauern. An diesem 30. September 1996 treffen wir auf zwischen 200 und 300 Menschen, und die Kaserne wirkt schon restlos überfüllt; doch Monate zuvor waren es auch schon 400 an der Zahl und später Anfang März 1997 würden es sogar 600 sein – eine unverantwortlich hohe Zahl. Unter den Menschen befinden sich einige Familien mit Kindern, die im entfernteren der beiden Kasernengebäude notdürftig untergebracht sind.

Wir hatten das schon in Griechenland einmal gesehen, im Abschiebecamp von Lavrion: Kasernenzimmer von rund 25 Quadratmeter Ausdehnung – einem mittleren Schulzimmer -, mit quer durch den Raum gespannten alten Tüchern. Die sollen die Intimsphäre der zwei Familien im Raum notdürftig garantieren. Am Ende des kalten, einst weißgetünchten Flurs zwei muffige Toiletten. Kein Wunder, wirken jene Leute, die wir nun im litauischen Militärcamp treffen, bleich und die Kleinkinder krank.

Alfonsas Jocys, 40, Leiter einer Art Militärpolizei-Sondereinheit, war bis Ende Dezember 1996 Kommandant des Abschiebelagers von Pabrade. Per 1997 wurde die Lagerführung ins zivile Innenministerium abgegeben. Doch weiterhin herrscht in Litauen jener Geist, den Militärkommandant Jocys gegenüber asylsuchenden Flüchtlingen in sich trägt. Deshalb ist, was er zum Thema «Illegale» und «Flüchtlinge» in Abschiebehaft zu sagen hat, beispielhaft für einen großen Teil der litauischen Gesellschaft.

«Wochen- und monatelang sind diese Kriminellen bei uns», stöhnt er, als wir sein Lager am 30. September – wenige Monate vor der Übergabe seines Amtes – besuchen können: «Und wir müssen sie durchfüttern.» Noch ist er freundlich zu uns, doch um einundzwanzig Uhr dreißig abends wird er in der Offiziersmensa immer noch auf uns warten, pikiert darüber, daß wir ihn mit seinem azerbaidschanischen Wodka so lange haben sitzen lassen, ihn, der von auswärtigen Delegationen offensichtlich nur einen kleinen Rundgang durch sein im Matsch ertrinkendes, stinkiges Camp gewohnt ist.

Kommandant Jocys:
«Bloß zehn Prozent der Illegalen sind intelligente Leute»

Der abgetretene Leiter des Abschiebezentrums von Pabrade, Alfonsas Jocys, hat seine eigene Haltung zu den «Illegalen» und ihren übereinstimmenden Aussagen, man habe sie nicht nach Asyl gefragt, habe ihren Verlangen nicht zugehört, außerdem seien Essen und Unterkunft schlecht und der Tagesablauf von militärischem Drill dominiert.

Kommandant Jocys: «Etwa zehn Prozent von denen sind intelligent, 70 Prozent sind es überhaupt nicht. Es sind Menschen, die aus unserer Sicht amoralische Dinge tun und unhöflich sind. Als die ersten von ihnen in Litauen ankamen, hatten wir Sympathien für sie. Wir dachten, daß aus Pakistan und dem Iran intelligente Leute kämen. Später trafen wir auf Leute der unterschiedlichsten Niveaus. Ich kenne diesen Typ, in sowjetischen Zeiten, als Schiffsbaumechaniker, hatte ich viel mit ihm zu tun.»

«Auch die Illegalen unterliegen der militärischen Ordnung. Sie haben eine Ausgangszone, spezielle Räume und eine Mensa. Sie kennen eine Tagesordnung, die von mir unterzeichnet wird, aber nichts gemein hat mit einer militärischen Tagesordnung. Aus den Reihen der Illegalen werden jeden Tag einzelne ausgewählt, um «das Regime» zu führen. Einer unserer Soldaten wird von uns dorthin geschickt, um nach dem Rechten zu sehen. Die Illegalen müssen zeitig aufstehen, ebenso zeitig zum Essen kommen und zum Schlafen gehen. Wer fliehen möchte, darf geschlagen werden. Dazu tragen wir hier einen langen Gummistock. Der wird allerdings nicht sehr oft benutzt.»

«Jene unter ihnen, die aus einer Arrestzelle zu uns stoßen, erklären, hier sei das nackte Paradies. Andere, die direkt aus ihrer gewohnten Umgebung kommen, empfinden die Ordnung hier als sehr schwer.»

Wir haben uns an jenem langen Tag gegen den azerbaidschanischen Whisky und für hastig erzählte Lebensgeschichten entschieden. Diese Lebensgeschichten verweisen nicht auf Kriminelle, sondern auf Flüchtlinge.

«Im Irak ist es schlimm», sagt Sami (13), 18, der zusammen mit den übrigen Männern im ersten Kasernentrakt untergebracht ist. Sein Bruder und seine Schwester seien ein halbes Jahr zuvor in Zakhu von der Armee des Kurdenführers Massoud Barzani, die ihn einziehen wollte, erschlagen worden. Da sei er geflohen, habe sich in Kiew mit illegalem Zigarettenverkauf auf dem Schwarzmarkt durchgeschlagen und sei dann bis Litauen gelangt. «Hier aber fragten sie mich bloß: Woher kommst du? Mehr nicht.» Nordirak, habe er in seinem Schulrussisch gesagt. Aber auch nach politischem Asyl hätten sie ihn nicht gefragt.

Die Frage nach Asyl wäre angesichts der Konflikte in den Herkunftsländern allerdings nicht abwegig gewesen: Neben Irakern (die Kämpfe zwischen Barzani und Herrscher Saddam Hussein einerseits, Kurdenführer Dschalal Talabani andererseits waren noch ganz aktuell) treffen wir auf Menschen aus Sri Lanka, Afghanistan (die Bilder von der Erhängung von Mohammed Najibullah finden sich am selben Tag in Litauens Zeitungen), Pakistan, Indien und Bangladesh.

«Sie werden hier niemanden finden, den sie nach Asylgründen befragt hätten», sagt Sami. «Siebzig Prozent der Leute fragten aber selber nach Asyl, wurden indes nicht gehört», ergänzt Sinclair, 22, Tamile aus Jaffna. Sinclair selbst macht geltend, während seinem Studium von den «Tamilischen Terroristen» attackiert und später aufgrund falscher Verdächtigungen von der Polizei vierzehn Tage in Haft genommen worden zu sein; er habe nirgends in Sri Lanka mehr hingehen können. Wir treffen auf Mehdi, der aus seiner mehrheitlich von Christinnen und Christen bewohnten nordirakischen Heimatstadt via Türkei und die Ukraine habe fliehen müssen.

Shimawagan hat im Punjab gelebt, wo die Polizei ihn immer wieder anhielt und für einige Tage in Haft nahm. Als einer seiner Freunde erschossen wurde, ist er abgehauen, über Delhi nach Kiew und später nach Minsk gelangt, zuletzt dreißig Kilometer zu Fuß über die belorussisch-litauische Grenze, sagt er. «Die fragten nichts, die haben auch keine Dolmetscher», erzählt er uns in englisch. «Ich erzählte, aber die verstanden nichts.» Ähnlich berichten auch Mohammed, aus Bangladesh, der deutsch spricht, und die Gruppe von Flüchtlingen aus Pakistan.

Kein besseres Bild zeigt sich im zweiten Kasernentrakt von Pabrade, wo die Frauen und die Familien untergebracht sind. Die Familie Hali, 34, 34 und 2, ist erst seit kurzem wieder zusammen: «Fünf Monate und fünfzehn Tage war ich im litauischen Gefängnis von Alytus, und meine Frau mit dem Kind in jenem von Kaunas, wie Verbrecher», sagt der Iraker. Er habe eine wilde Geschichte hinter sich, drei Jahre in Bagdad im Gefängnis, dann amnestiert, dann in der Barzani-Armee, im Iran, ehe er nach Weißrußland habe fliehen müssen. «In unserem Land ist Krieg», seit dreizehn Jahren habe er seine Eltern nicht mehr gesehen. Die Behörden Litauens habe aber nicht nur dies nicht interessiert: Als aus Schweden, wo besorgte Verwandte seiner Familie leben würden, eine offizielle Anfrage nach seinem Aufenthalt kam, «haben die Litauer mir noch das Fax gezeigt. Doch nach Schweden richteten sie nichts aus».

Das Paar aus Afghanistan, beide Anwälte, holt uns in ihre bescheidenste Zimmereck. Sie sahen es als ihre Aufgabe im Alltagsleben an, Gefangene juristisch zu unterstützen; doch jetzt sind sie selber Gefangene, eingesperrt. Und gebrochen, was den Mann angeht. In Kabul sei ihre Anwaltskanzlei während zehn Jahren unter polizeilicher Beobachtung gestanden, schildern sie uns. «Schließlich war es nicht mehr auszuhalten», sie hätten ihr Haus und alles verloren. Sie konnten sich ein Visum nach Taskent und Uzbekistan beschaffen, von dort gelangten sie legal nach Moskau und hätten eigentlich weiter nach den Niederlanden oder Deutschland gewollt. «Litauens Polizei stoppte uns dann im Landesinnern.» Beide sind Mitte fünfzig, und auf ihren Visitenkarten steht noch immer: «Dr. Meshi und Dr. Sami Nerada, lawyers, Kabul».

Und nicht unerwähnt bleiben darf der «Frisiertisch», den sich Sahra Tarhvedi, die blond gefärbte Iranerin, in der ihr zugeordneten Ecke des Kasernenzimmerchens eingerichtet hat: ein einfacher Holzschemel, den sie notdürftig mit etwas weißem Tuch verhängt und kunstvoll drapiert hat, mit knapp zwei Dutzend Flacons, Stiften für Lippen, Brauen und zum Färben, mit diversen Wassern – alles eng zusammengerückt, doch voller Würde, die ihr die Grenzsoldaten bisher nicht zu zerstören wagten.

Sahra Tarhvedi besaß in Teheran einen Frisiersalon. «Ich liebe nun mal moderne westliche Frisuren.» Sie erzählt: «Bei uns im Iran ist es schön, es gibt keine Probleme. Aber die Gesetze sind nur für Männer gemacht, die Frauen sind diskriminiert. Sie kamen immer wieder zu mir und sagten: «Wieso machst du das? Bei uns herrscht Islam, da braucht es dies nicht.» Vor vier Jahren haben sie meinen Laden geschlossen und alles kaputt gemacht.» Später, als sie mit ihrer Familie den Entschluß abzuhauen gefällt hatte, bekam sie keinen Reisepaß. Für zehntausend Dollar habe sie schließlich ausreisen können; sie habe einen Flug nach Istanbul erwischt und die Fahrt mit Bahn und Auto fortsetzen können.

Medizinische «Betreuung» in Abschiebehaft:
Ärztin nur für «vermögende» Kleinkinder?

«Meine Kleine hat Ohrenschmerzen, es geht ihr nicht gut», schildert uns Sahra Tarvhedi, als wir sie nach ihrer Tochter fragen, die bleich in der Ecke sitzt. «Die Ärztin sagte uns, sie könne keine Medikamente abgeben. Auch nicht bei einem anderen Kind hier, das unter Magenschmerzen leidet. Mein Problem ist, daß ich alles Geld für Medikamente bereits aufgebraucht habe; ich besitze keines mehr dafür.»

Die tränenden Augen der kranken Kleinkinder sind für alle sichtbar. «Zwei Ärztinnen kümmern sich um sie», wird Kommandant Jocys ärgerlich einwenden. Doch zu jenem Zeitpunkt werden wir bereits von den Müttern vernommen haben, wie diese ärztliche Versorgung aussieht. «Wenn du Geld gibst, gehe ich in die Stadt und kaufe dir Medikamente», habe die Ärztin zur Antwort gegeben: «Umsonst können wir dir nichts abgeben.» Wir sehen keinen Anlaß, die Aussage der blonden Iranerin in Zweifel zu ziehen.

Alles soll ja mit dem Jahre 1997 nun neu werden. Rukla, das neue Asylzentrum im Nordwesten des Landes, das die erste Gruppe von «Illegalen» Anfang März 97 aufgenommen hat, wirkt proper, hat Heizung und schöne Naßzellen – ein richtiges Vorzeigezentrum, was die Schweden da hingestellt haben. Rukla ist als halbgeschlossene Institution geplant worden. Deutlich wurden am informellen Treffen der «Geberländer» vom 1. Oktober 1996 die versteckten Hierarchien, mit Dänemark ganz oben und dem Leiter des litauischen Asyl- und Migrationsbüros, Vladimiras Grazulis, auf der Stufe des Befehlsempfängers. Entsprechend klar werden die – derzeit unveröffentlichten – Direktiven über die Führung des Asylzentrums Rukla lauten.

Doch wer in Pabrade war, wird mit Rukla zunächst zufrieden sein, wie zunächst wohl zufrieden war, der noch vorher als asylsuchende Person im Gefängnis von Yanaua war und später nach Pabrade verlegt wurde. Menschenverachtend sind die Haftbedingungen allemal. Dies äußert nicht nur in ungewohnt, aber lobenswert offener Weise der regionale UNHCR-Vertreter Linas Sesickas (siehe Kasten «Land im Übergang») sondern – vorsichtig, wie die NGOs hierzulande sind – auch Elvyra Battutyte, die Vertreterin des Lithuanian Center for Human Rights, dem Litauischen Menschenrechtszentrum. «Warum konnte ein Land, das jahrelang selbst Flüchtlinge hervorgebracht hat, Asylsuchende so grausam behandeln», mußte Sesickas noch Mitte 1996 festhalten.

«Land im Übergang» (14)

Linas Sesickas, UNHCR-Verbindungsmann in Litauen, schilderte Mitte 1996 die Gefängnissituation für Asylsuchende – trotz veränderter Situation bei den Haftanstalten (siehe Lauftext) ein Zeugnis von bleibender Aktualität. Nachfolgend der vollständige Abdruck.

«Ich erinnere mich lebhaft, was für ein Schock es für mich war, als ich erstmals – 130 Kilometer von Vilnius entfernt – die Zustände im Yanaua-Gefängnis sah.

Dreizehn Somalis hatte man dort drei Monate lang unter schrecklichen Bedingungen drei Meter unter der Erde im Dunkeln eingesperrt. Außer auf ihrem täglichen Rundgang hatten sie in dieser Zeit kein Tageslicht zu sehen bekommen. Sie konnten nicht mehr richtig sehen. Es war furchtbar heiß. Die Luft war stickig, und man konnte nicht atmen. An diesem Ort bekam man unweigerlich Platzangst. Die Somalis hatten vor einiger Zeit ihren zweiten Hungerstreik begonnen.

Nur vier Monate, nachdem ich vom Ernährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Program (UNDP)) an UNHCR entsandt worden war, bat mich der von diesem zweiten Hungerstreik beunruhigte litauische Innenminister, die Somalis zu besuchen, mit ihnen zu reden und zu versuchen, die Situation zu entspannen.

Natürlich war ich über die Lebensbedingungen dieser Asylsuchenden sehr bestürzt. Aber was ich am schlimmsten fand, war die Unsicherheit, mit der sie täglich fertig werden mußten.

Es ist sicher für jeden Menschen schwierig, inhaftiert zu werden, ohne ein Verbrechen begangen zu haben. Diese Somalis galten als Verbrecher, wurden aber nicht wie solche behandelt. Ein Verbrecher ist immerhin vor Gericht gestellt und zu einer festgesetzten Strafe verurteilt worden. Er weiß, daß sein Gefängnisaufenthalt eine befristete Zeit dauert. Er weiß, wann er herauskommen wird. Die Somalis wußten all dies nicht.

Es muß schrecklich sein, nicht zu wissen, was der nächste Tag bringt, nicht zu wissen, wann diese Hölle, in der man sich befindet, enden wird.

Diese Somalis waren über Moskau gekommen. Sie wollten nicht darüber sprechen, welchen Weg sie genommen hatten und wie sie letztendlich im Yanaua-Gefängnis gelandet waren. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind sie illegal über die Grenze aus Weißrußland gekommen – wie die 300 anderen illegalen Migranten, die hier in Litauen inhaftiert sind. Sie alle träumen nur von einem: weiter nach Westen zu gelangen. Gewöhnlich wollen sie in die skandinavischen Staaten und sind dafür sogar bereit, bei der Überfahrt in einem kleinen Boot über die Ostsee ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Aber diese Somalis wollten gar nicht weiter nach Westen. Sie haben in Litauen Asyl beantragt. Aber sie müssen noch warten. Es gibt noch viele Hürden, die überwunden werden müssen.

Keiner der baltischen Staaten ist der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten (dies hat Litauen dreiviertel Jahre später, am 21.1.1997, endlich nachgeholt; Anm. d. Verf.), aber Litauen hat als einziger von ihnen am 1. Juli 1995 ein neues Flüchtlingsgesetz verabschiedet. Das neue Gesetz wird dann in Kraft treten, wenn die erforderliche Infrastruktur geschaffen ist – einschließlich eines Aufnahmezentrums für Flüchtlinge, das gemeinsam von den skandinavischen Ländern, UNHCR, der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und UNDP finanziert wird.

Während ich den Somalis zugehört habe, konnte ich nicht umhin, mich immer wieder zu fragen, warum ein Land wie Litauen, das jahrelang selbst Flüchtlinge hervorgebracht hat, Asylsuchende so grausam behandeln konnte? Diese Menschen waren nicht gefährlich. Sie stellten keine Bedrohung dar. Konnte die demographische Entwicklung in dem Land als Erklärung für dieses Maß an Intoleranz herhalten? Eigentlich nicht. Während die Russen in Estland und Lettland ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, sind es in Litauen gerade einmal acht Prozent.

Ich würde die Fremdenfeindlichkeit eher darauf zurückführen, daß es den baltischen Ländern schwerfällt anzuerkennen, daß auch sie jetzt Teil einer kleiner werdenden Welt sind mit wechselseitiger Abhängigkeit. Wenn man jahrzehntelang in einer geschlossenen Gesellschaft gelebt hat, für die die Außenwelt kaum existierte, ist es nicht einfach, die Denkweise über Nacht zu ändern und zu akzeptieren, daß man nicht mehr ist als ein winziger Teil einer riesigen Welt.

Dies ist die traurige Realität von Ländern, die sich im Übergang befinden.

In Stockholm, Oslo oder Helsinki kann ein Farbiger über die Straße gehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. In den Straßen von Vilnius ist dies ungewöhnilch. Jeder hält an und starrt. Die dreizehn Somalis konnten sich nicht in dem Land bewegen, ohne aufzufallen.

Glücklicherweise wurden sie eine Woche nach meinem Besuch in eine andere Anstalt verlegt, in der die Bedingungen humaner sind: Sie hatten zumindest Tageslicht und lebten nicht mehr drei Meter unter der Erde. Sie genossen aber immer noch keine Bewegungsfreiheit.

Sie befinden sich noch immer dort und warten darauf, Ende des Jahres im neuen Aufnahmezentrum untergebracht zu werden, wo ihre Asylanträge überprüft werden sollen. Wenn sie als Flüchtlinge anerkannt werden, sollte es ihnen gestattet werden, sich in die litauische Gesellschaft zu integrieren.

Am Ende des Tunnels ist daher ein klein wenig Licht zu sehen. Vielleicht haben sie das Gefühl gewonnen, daß ihre Zukunft ein bisschen weniger ungewiß ist.»

3.7 Die Abschiebungen:
Legal, halblegal, illegal

Die Weißrußland-Grenze, die große Wand des Westens – «Ohne Rückübernahmeabkommen bleibt alles an uns Litauern hängen» – Auch mal an die grüne Grenze stellen, wenn’s nicht anders geht – Non-refoulement-Prinzip ein Fremdwort? – Ab in die Diktatur Lukashenkas, und dann weiter ins Ungewisse

Eins war noch im Herbst 1996 klar: Abschiebungen werden wo immer möglich durchgeführt. Das einzige Abschiebehindernis, das die Behörden bis dato zu kennen scheinen, ist die Unmöglichkeit, eine sogenannte illegale Person wieder loszuwerden, weil die Identität einer Person nicht genügend dargelegt ist und nicht genügend Indizien vorliegen, um einen Nachbar- oder Transitstaat zur Übernahme der Person zu bewegen. Dasselbe Problem also, unter dem Westeuropas Abschiebebehörden leiden, wie diese ständig betonen.

Besonderheiten gibt es hierzu in Litauen zwei.

Zum einen gibt es mit Nachbar Weißrußland kein formelles Rückschiebeabkommen, sodaß die litauischen Polizeibehörden noch verstärkt auf ihre persönlichen Kontakte zu den Kollegen im Polizeistaat drüben angewiesen sind. Wobei es durchaus und vermutlich häufig – Zahlen sind nicht zu erfahren – zu Rückübergaben kommt. «Ein weißrussisches Streichholz in der Tasche des Illegalen kann als Indiz genügen», heißt es bei der litauischen Grenzpolizei. Das Schicksal der Abgeschobenen verliert sich in aller Regel im belorussischen Hinterland, die Menschen sind nicht mehr aufzuspüren.

Zum anderen machten es sich Litauens Behörden bisher einfach: Ist die Identität einer Person nicht festzustellbar, beläßt man sie einfach im Abschiebegefängnis, bis sich etwas Neues ergibt. Während also etwa in Polen Abschiebehaft nach dem 1996 noch gültigen Ausländergesetz auf drei Monate beschränkt bleibt und offenbar nicht verlängerbar ist, und während in Deutschland, Österreich oder der Schweiz die längeren Abschiebehaftfristen mindestens auf dem Papier einer richterlichen Rechtskontrolle unterworfen sind, ist in Litauen die Haftdauer bisher ohne spezialgesetzliche Beschränkung geblieben. Immerhin schreibt aber das Verwaltungsverfahrensgesetz laut Staatssekretär Gintaras Švedas im Justizministerium auch Haftprüfungsverfahren vor (siehe unten Ziffer 3.10).

Faktisch allerdings kommt Litauen seinen westlichen Vorbildern sehr nahe. Wo es formell mit der Rückübergabe nicht klappen kann, fährt man die Häftlinge bei Nacht und Nebel auch schon mal an die weitläufige belorussische Grenze, drückt ihnen ein paar Litas in die Tasche und fordert sie auf, Richtung Osten abzuhauen – genau gleich, wie es etwa in der Schweiz von der Tessiner und der Berner Kantonspolizei schon aktenkundig ist. Diese Darstellung wird mit einem Schmunzeln von Grenzpolizisten selbst geliefert und kann als gesichert gelten.

Am 2. September 1996 geschah es beispielsweise, daß die dänische Delegation ganz wie vereinbart im Abschiebezentrum von Pabrade auftauchte, um die von Litauens Innenministerium eingestellten Asylbefragerinnen und Asylbefrager im Hinblick auf ein Inkrafttreten des neuen Asylgesetzes in Interviewtechnik zu trainieren. Die Dänen trafen im üblicherweise mit 300 bis 400 Personen überfüllten ehemaligen Militärcamp auf leere Räumlichkeiten. Die militärische Leitung hatte – ob mit oder ohne Wissen der neuerdings dem Innenministerium eingegliederten Grenzpolizei bleibt offen – das Lager kurzfristig geräumt. Dabei sollen Dutzende von «Abschiebehäftlingen» an die Grenze gestellt worden sein.

Auch ihre Zeugnisse lassen sich nicht mehr finden. Daß sie letztlich in Gefängnis, Folter und Tod abgeschoben wurden, läßt sich nicht ausschließen. Dies wäre angesichts der Verhältnisse in Weißrußland und der östlich liegenden GUS- und Verfolgerstaaten auch gar nicht abwegig. In Weißrußland sind sie jedenfalls der Willkür dortiger Polizei- und Militärbehörden ausgeliefert. Im besten Fall bleiben sie dort ohne Belästigung, aber auch ohne Schutz vor Weiterschiebung.

Im Gegenteil: Weißrußland scheint die in Litauen Abgeschobenen an Rußland weiterzuschieben, mit dem es eine gemeinsame, völlig offene Grenze ohne Grenzkontrollen und ohne Reisebeschränkungen für GUS-Staatsangehörige kennt. «Wer von uns abgeschoben wird, kann ungehindert nach Aserbaidschan, Kasachstan, Uzbekistan oder Tadschikistan gelangen», meint Kommissar-Inspekteur Simonavicius. Das Gegenteil ist indes jederzeit ebenfalls möglich: Russische Behörden können jederzeit eine Kettenabschiebung weiterführen.

3.8 Die Grenzpolizei:
Der Nachwuchs übt «BGS»

Junge Truppe voll im Trend – Unter den Fittichen der Nachbar-Polizeien – Das große Vorbild liegt in Deutschland – In Zukunft immer mehr Härte?

Der westlich designte vierfarbige Jahresbericht der Litauischen Grenzpolizei greift in seinem ersten Satz zurück auf die erste Zeit der Grenzüberwachung im 13. bis 18. Jahrhundert, als die Grenzen noch das fünfzehnmal größere Großherzogtum von Litauen einfaßten. Ein ähnlicher Geist muß im Jahr der Unabhängigkeit geherrscht haben, als vom 1. Oktober 1990 an junge Litauer unbewaffnet und mit improvisierten Uniformen an die Ostgrenze standen und den Sowjetsoldaten trotzten, die das Gebiet weiterhin als sowjetisch betrachteten. Ein Grenzbeamter sowie sechs Zolloffiziere und Polizeibeamte wurden von den Sowjets getötet, ehe die Grenzpolizei als eigene «Landesgarde» akzeptiert wurde. (15)

Vom Geist der Abschottung war die Grenzpolizei auch 1996 noch geprägt, und aus dem Boden gestampft wirkt die Truppe noch immer. Das macht sie nicht unsympathischer, im Gegenteil, beinahe kriegt sie noch ein menschliches Antlitz. Während der Kader großteils aus den «Beständen» der ehemaligen Sowjettruppen zu stammen scheint, mag das junge «Fußvolk» eher so volkstümlich wie eben die Bevölkerung zu empfinden. Mit dem aufgeblähten Bundesgrenzschutz-Korps hat Litauens Truppe jedenfalls kaum etwas gemein.

Der Anpassungsdruck ist bei der Grenzpolizei noch kaum spürbar. Möglicherweise sollen die Ressourcen auch gar nicht alle zur Grenzpolizei fließen, sondern zur Task Force oder Mobilen Einsatztruppe (siehe unten Ziffer 3.9), die damit zur Eliteeinheit aufgewertet würde, was sie faktisch heute schon ist, obwohl sie hierarchisch dem Grenzpolizeikommandanten und seinem Stellvertreter zu unterstehen scheint. Die Task Force weist bereits Merkmale eines Geheimdienstes auf. Unter anderem ist innerhalb des schon schwer bewachten Grenzpolizeigebäudes jener Flügel, in dem die Task Force beherbergt ist, nochmals mit schwerer Türe abgesperrt und auch dem Grenzpolizeipersonal nicht zugänglich.

Dennoch wurden Bestand und Funktionen nicht nur der Sondereinheit, sondern auch der landesweit tätigen Grenzpolizei stetig erweitert. Ihre ersten Aufgaben – Grenzbewachung und Grenzüberwachung – nimmt sie immer gründlicher wahr, gerade dort, wo es das Volk am meisten wünscht: an der Ostgrenze zu Weißrußland. Mit dem Wechsel vom (militärischen) Verteidigungs- zum (zivilen) Innenministerium am 18. Juli 1994 wurden zudem die Voraussetzungen geschaffen, auch nach außen als moderner Kontrollapparat westlichen Zuschnitts aufzutreten. Außer dem Briefkopf scheint sich allerdings nicht viel geändert zu haben.

Heute rühmt sich die Grenzpolizei ihrer engen Kontakte zur Küstenwache Schwedens sowie einer «Zusammenarbeit» mit den «Grenzdiensten» der Bundesrepublik, Ungarns und der Slowakei und der Zusammenarbeit mit dem Regionalbüro der Internationalen Organisation für Migration (IOM).16 Offiziell bekannt an Unterstützung ist Ausstattungshilfe von je drei Millionen Mark in den beiden Perioden 1992-1994 und 1995-1998, die vom Bundesinnenministerium ausgeschüttet wird.17 Wünsche nach technischem und sonstigem, insbesondere elektronischem Ausbau sind in großer Zahl vorhanden (siehe oben Kasten bei Ziffer 3.4).

Im Argen liegt unter anderem auch noch die Infrastruktur der östlichen Dienste der Grenzpolizei. Den Bediensteten im Raum Medininkai etwa, dem Hauptübergang nach Weißrußland, steht eine ehemalige Kaserne zur Verfügung, die kaum den geringsten Ansprüchen genügt: Fenster, Wasser und Elektrizität und 35 Schlafplätze sind notdürftig wieder eingerichtet worden. «Die Kleider können nicht trocknen, so übel sind die Verhältnisse», meint Kommandant-Inspekteur Rimautas Simonavicius. Die Situation der Familien sei nicht gut, die meisten seiner Männer hätten Frauen zuhause, die ihre frühere Arbeit verloren hätten. «So wie sich der Arbeitsmarkt ständig verschlechtert», meint er, «wird dies ungünstige Folgen für uns alle haben.»

Schon im jetzigen Grenzpolizeikorps finden sich viele Bürgerinnen und Bürger Litauens, die einen zivilen Beruf ausgeübt und ihn nach der Unabhängigkeit, im Rahmen der Umstrukturierung zur Marktwirtschaft, verloren hatten. Simonavicius selber war Kernkraftwerktechniker und hatte noch nach dem GAU von Tschernobyl das Atomkraftwerk Ignalina im heutigen Litauen nachzukontrollieren; später sattelte er um und ging zur sowjetischen Militärakademie.

Die Grenzübergänge:
Außengrenzen werden immer durchlässiger

Insgesamt 37 internationale Grenzübergänge kannte Litauen Ende 1995 (neueste verfügbare Zahlen), davon 5 an Flughäfen, 2 an Seehäfen, 16 Bahnübergänge und 14 Motorfahrzeugübergänge. 12 entfallen auf Grenzübergänge nach Weißrußland, 11 nach Lettland, und je 3 nach Polen und zur russischen Exklave Kaliningrad. Im Jahre 1995 überquerten 10,7 Millionen Personen die Grenze und 2,95 Millionen Fahrzeuge.

Deutsche Ausstattungshilfe:
«Drogenkuriere und illegale Zuwanderer nutzen die Kontrolldefizite auf dem Land-, Luft- und Seeweg»

Die eher monodimensionale Optik, mit der die deutsche Bundesregierung ihre «Ausstattungshilfe» – Rechnungsjahre 1995-1998 – an Litauen begründet, lautete im Berichtsjahr 1995 wörtlich so:

«Drei Jahre nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit ist Litauen bestrebt, Strukturen westlichen Standards im Bereich öffentliche Sicherheit aufzubauen. Dank der bisherigen Unterstützung durch Deutschland und anderer westlicher Staaten sind bisher gute Fortschritte erzielt worden. Der Bedarf an Beratung und materieller Unterstützung ist weiterhin groß, nicht zuletzt angesichts der rapide wachsenden organisierten Kriminalität, deren Auswirkungen auch in Deutschland deutlich zu spüren sind.

Bisherige Programmschwerpunkte: Die Republik Litauen steht am Anfang der Errichtung eigener Strukturen im Bereich der Inneren Sicherheit. Das bisherige Programm bezog sich ausschließlich auf die Unterstützung der allgemeinen Polizei im Bereich der Mobilität (Fahrzeuge und Werkstatt). Die Projektierung leidet erheblich unter den noch nicht abgeschlossenen Planungen der Polizei, was u.a. auf das Defizit an entsprechenden Fachleuten und mangelnder innerer Stabilität zurückzuführen ist. Eine Unterstützung des immer noch militärischen Grenzschutzes erfolgte bisher nicht.

Zielsetzung künftiger Programme: Das derzeitige Defizit an Öffentlicher Sicherheit und Ordnung hat zur Folge, dass die organisierte Kriminalität und der Drogenhandel das Land als Drehscheibe gewählt haben. Die Auswirkungen sind im ganzen Ostsee-Raum spürbar. Die Hafenstädte der baltischen Staaten sind de facto zu «Freihandelszonen» jeglicher illegaler Güter geworden. Synthetische Drogen werden im Land hergestellt. Drogenkuriere und illegale Zuwanderer nutzten die Kontrolldefizite auf dem Land-, Luft- und Seeweg. Unterstützungsmaßnahmen sind hier als integrierte Gesamtprogramme mit einer starken Beratungs- und Ausbildungskomponente erforderlich, die schnell und umfassend die Grundlagen für eine funktionierende Bekämpfungsstruktur aufbauen helfen. Besonderes Problem ist in allen drei Staaten die Grenzsicherung und die Kontrolle des Warenverkehrs einschließlich des illegalen Handels mit nuklearem Material.

Das BMI (Bundesministerium des Innern) strebt hier eine Arbeitsgemeinschaft mit den anderen Hauptgebern im Baltikum vor dem Hintergrund der gemeinsamen Probleme der Ostseeanrainer an. Konkrete Schritte zur Zusammenarbeit sind hier bereits mit Schweden und dem UNDCP (UN-Entwicklungsprogramm) eingeleitet.» (18)

3.9 Die Antiflüchtlings-Spezialeinheit:
«Fluchtmotive interessieren uns nicht»

Elitetruppe soll das Land aufräumen – Dem Westen und dem Osten gleichermaßen gefällig – Kanthers Feindbilder voll integriert – Kein Verständnis für Fluchtgründe

Der Anstieg der Aufgriffe «Illegaler» sowohl im Westen wie im Osten Litauens scheint in erster Linie auf die geheimnisumwitterte Mobile Eingreiftruppe zurückzugehen, die innerhalb der Grenzpolizei ein großes Eigenleben führt. Ihre Arbeit ist es, «gegen Grenzverletzer und andere Kriminelle im Rahmen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität vorzugehen». Ihr Leiter ist Vitautas Šidlauskas, 42, untersetzt und auffallend beleibt. In jedem Film bekäme Šidlauskas die Rolle des Geheimdienstchefs, von der er in Litauen nicht weit entfernt ist. Nach langem Nachfragen gewährt er uns ein Interview. In jedem seiner Sätze schimmern die Feindbilder – «Organisierte Kriminalität», «Drogenhandel», «Schleusertum», «Menschenhandel» – durch, die im Westen, speziell im Haus des deutschen Bundesinnenministers Kanther, unter dem Schlagwort «Innere Sicherheit» ebenfalls ständig abgehandelt werden.

Die litauische Task Force, im Jahr 1995 gegründet, habe die Fluchtströme aus dem Osten durch Litauen hindurch Richtung Polen und Deutschland in den Griff gekriegt, sagt er: «Wenn sich heute in Minsk ein Konvoi von Illegalen in Bewegung setzt, kriegen wir sofort Bescheid und beobachten jede ihrer Bewegungen. In unserem Land schlagen wir dann zu.» Die Arbeit seiner Sondereinheit habe dazu geführt, «daß wir seit Mai dieses Jahres nahezu hundert Prozent aller Grenzverletzer abfangen». Keine einzige Gruppe von Illegalen sei mehr über die Westgrenze nach Polen weitergelangt. Dies erklärte Vitautas Šidlauskas uns im Herbst 1996.

Und wie wenn er die damals kurz bevorstehende Volksabstimmung in der Schweiz «gegen die illegale Einwanderung» kennen würde – sie hätte unkontrolliert in die Schweiz eingereiste Personen vom Asylverfahren ausgeschlossen und hätte die Aufkündigung der Genfer Flüchtlingskonvention erforderlich gemacht -, meinte er weiter: «In Zukunft werden kaum noch Illegale über unsere Transitroute den Weg zu euren Grenzen finden.» Sein Credo entspricht jenem der Initiatoren des Schweizer Volksbegehrens: «Die Grenzverletzer sind unser großes Problem. Sie mißbrauchen auf ihrem Weg aus dem Osten nach Deutschland unser Land als Korridor. Das sind Kriminelle, die man greifen und zurückschicken oder, falls dies nicht möglich ist, halt in die Abschiebehaft stecken muß, bis wir mit ihrem Heimatstaat klarkommen.» Fluchtgründe? «Das braucht uns nicht zu interessieren, denn Grenzverletzung gehört bestraft.»

Šidlauskas‘ Grundhaltung verträgt sich ebenfalls nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention, welche Litauen im Januar 1997 unterzeichnet hat. Dies wäre aber wichtig, denn er ist eine der Hauptpersonen innerhalb Litauens Grenzpolizei. Obwohl ihm die ordentlichen Grenzpolizeitruppen nicht direkt unterstellt sind, haben diese ausführende Funktionen, während Šidlauskas‘ Schnelle Eingreiftruppe sowohl Lagebeurteilungen im Bereich der sogenannten Inneren Sicherheit durchführt als auch im «Außendienst» rasch vor Ort ist und dort entsprechend ihre Anweisungen erteilt.

Dabei nutzt Šidlauskas persönliche Kontakte im Osten, arbeitet aber auch mit dem Westen eng zusammen. «Wir stützen uns auf die Lagebeurteilungen unserer Kollegen in Westeuropa», sagt er. Er bezieht sich auf Kontakte zum Hauptquartier des Bundesgrenzschutzes in Koblenz, wo er auch schon eingeladen gewesen sei, und auf die Lagebilder des Bundesnachrichtendienstes. Darin wird Litauen als Kernland und Schmuggelgebiet der organisierten Kriminalität geschildert. Drogenkuriere und illegale Zuwanderer nutzten Kontrolldefizite auf dem Land-, Luft- und Seeweg, heißt es im 95er Bericht. Insgesamt sechs Millionen Mark zahlt Bonn, um binnen sechs Jahren eine funktionierende «Bekämpfungsstruktur» aufbauen zu helfen.

Das Herz Šidlauskas scheint allerdings eher für den Osten zu schlagen. Weißrussischen Funktionären, welche ihre Seite der litauisch-belorussischen Ostgrenze überwachen, ist er in besonderem Maße verbunden. Vor dem Zusammenbruch des Sowjetregimes dienten er und heutige Weißrußland-Funktionäre zusammen in einer Einheit. Heute tauschen sie über die neu aufgezogene Grenze hinweg intensiv Informationen aus. Berührungsängste zu den im Sold von Diktator Lukashenka stehenden und entsprechend polizeistaatlich auftretenden Kollegen jenseits der heißen Ostgrenze scheint er jedenfalls nicht zu kennen.

3.10 Das Innen- und das Justizministerium:
Tummelfeld von Karrieristen vs. Gewissen der Nation?

Ex-UdSSR-Mann und Ex-Interpol-Mann als Verantwortlicher für Migration – Das «westliche» Justizministerium

Früher diente er in der Sowjetarmee; sein Kleiderschrank im kühlen Büroraum ist noch voll von Uniformen, Dienstmützen und Abzeichen. Nach Litauens Unabhängigkeit, 1992 und 1993, konnte er dann in Lyon am Hauptsitz von Interpol Europa sozusagen den zivilen Arm seines Business erlernen. Und nun sitzt er als stellvertretender Direktor der Abteilung Migration im Innenministerium da und parliert in französisch freundlich über das neue, menschenrechtsfreundliche und prowestliche Asylgesetz, das kreiert und vom Parlament verabschiedet, aber noch nicht in Kraft gesetzt ist. Monsieur Almantas Gavenas ist jung und wird immer ein Polizist bleiben. Doch derzeit trägt er zivil.

Monsieur Gavenas weiß auch, was der Westen und dessen Presse für Ansprüche an ein aufstrebendes ehemaliges UdSSR-Land stellen. «Derzeit sind wir kein «sicheres Land» im Sinn der Asylgesetze», sagt er, und: «Im Abschiebezentrum von Pabrade herrschen keine sehr guten Bedingungen.» Er wirbt nicht einmal um Verständnis; er erklärt nur. Wenn erst das neue Asylgesetz in Kraft gesetzt sein wird…. Wir haben das alles nun schon mehrfach gehört.

An anderer Stelle bewegt er sich schon voll auf Euro-Niveau. «Wir schicken alle unsere Statistiken zur CIREFI», sagt er. CIREFI ist die neue Statistikzentrale der Europäischen Union, die sie zur politisch-taktisch-strategischen Absicherung dessen, was «Festung Europa» genannt wird, geschaffen hat. Und das Rückübernahmeabkommen, das eben dieser Tage – Herbst 1996 – mit der Ukraine geschlossen wurde, «ist in allen Teilen dem Schengen/Polen-Abkommen nachempfunden». Und damit unanfechtbar.

Alles Illegale, kein einziger Flüchtling? Er hat Verständnis für das, was uns quält, gibt aber,immer freundlich, zu bedenken, daß eben viele der Einreisenden tatsächlich gewöhnliche Illegale seien, etwa jene Somalier, die gesagt hätten, nous sommes des réfugiés somaliens, gebt uns alle Annehmlichkeiten. Solchen Leuten empfehle man freundlich, sie sollten doch freiwillig wieder ausreisen.

Später wird uns der im Arbeits- und Sozialministerium angesiedelte Leiter der Flüchtlingsbehörde, Vladimiras Grazulis, offen erzählen, es gebe «mehrere Konflikte mit dem Innenministerium», weil die Leute dort alle lernen müßten, mit Menschen zu arbeiten. Die hätten eben noch «den Blick von damals, aus den sowjetischen Zeiten, von 1968 in der Tschechoslovakei». Darum müsse heute an erster Stelle die Frage der Menschenrechte stehen. Doch das Innenministerium habe andere Prioritäten.

Ebenfalls jugendlich, aber etwas überzeugender und differenzierter als Monsieur Gavenas vom Innenministerium wirkt Gintaras Švedas, 32, Staatssekretär im Justizministerium. Er teilt die von der Task Force des Innenministeriums wiedergegebenen Einschätzungen – «Grenzverletzer» als Übel der großen Kriminalität – nicht: «Das sind eher arme Schlucker als Drogenschmuggler», winkt er ab. Und von den Schleppern gebe es nicht so viele, wie behauptet werde.

Wohl sei Kriminalität das große Thema im Land. Die Zeitungen berichten täglich in großer Aufmachung über Straftaten aller Art – «aufgeblasene Bagatellen» laut Staatssekretär Švedas, «die leider auch in den seriösen Zeitungen häufig sind». Die Kriminalitätsstatistiken würden ein durchschnittliches Bild ganz im Sinn westeuropäischer Staaten zeigen und «entgegen der öffentlichen Meinung» kaum einen Anstieg bei der Zahl der Gewaltdelikte. Ausländerinnen und Ausländer, so korrigiert er die gängige Volksmeinung, seien nicht in wesentlich stärkerem Maße an Delikten beteiligt.

Über die Haftbedingungen im Abschiebecamp von Pabrade scheint der Staatssekretär echt besorgt. «Monatelang in dieser Haft in Pabrade, dies käme bei den Menschenrechtsinstitutionen in Straßburg nicht durch», lenkt er sofort ein ( im Oktober 1996, Pabrade funktionierte noch unter dem alten Militärregime). Nur 72 Stunden darf laut litauischem Verwaltungsverfahrensgesetz ohne Haftrichter inhaftiert werden. Švedas hofft auf das 1995 vom Parlament genehmigte Asylgesetz, den vollendeten Bau des Asylzentrums, das bereits eingestellte Asylpersonal.

Sobald auch der – damals noch bevorstehende – Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention erfolgen werde, «dann wird man ein weiteres Stück westlicher humanitärer Gesinnung in unserem Land spüren. Mit Westhilfe», so der Staatssekretär, «wird alles besser werden.» Mittlerweile ist still und leise der Beitritt zur Genfer Konvention erfolgt.

Kriminalstatistik:
Kein dramatischer Anstieg der Kriminalität

Entgegen der Volksmeinung steigt die Kriminalitätsrate in Litauen nicht dramatisch, sondern eher mäßig bis gar nicht an. Dies meint der Staatssekretär im Justizministerium Gintaras Švedas. Folgenden Zahlenvergleich für die Jahre 1995 und 1994 legt er vor:

Gesamtzahl der registrierten Straftaten in Litauen per 1995: 60.819 (1994: 58.634). Davon: Tötungsdelikte 4.551 (4.433), schwere Körperverletzungen 299 (353), Vergewaltigungen 200 (165), Raub 2.837 (4.217), Diebstahl 41.618 (40.252), Drogendelikte 395 (334).

Eine besondere Häufigkeit von Ausländern begangener Straftaten, wie ebenfalls in der Öffentlichkeit häufig behauptet werde, gebe es ebenfalls nicht, sagt Švedas.

Der Bevölkerung kämen die Veränderungen bei der Kriminalitätsrate deswegen so dramatisch vor, weil sie es mit den Zahlen zur Zeit des Sowjetregimes vergleichen würden, die «sehr, sehr niedrig» awren. Verglichen mit den Statistiken westeuropäischer Staaten liege die Kriminalität in Litauen «durchaus im Rahmen». (19)

3.11 Die NGOs:
Erstes Match – und gleich auf unspielbarem Terrain

Neue Aufgaben, wenig Außenkontakte, und im Innern kaum Gehör

Ganze zehn regierungsungebundene Organisationen (NGOs) stehen im 1997er Adreßverzeichnis von United for Intercultural Action, dem Standardwerk, im Vorjahr waren es gar bloß drei NGOs. Bei keiner20 sind als Arbeitsfelder «Flüchtlingshilfe» oder «Migration» genannt. Eine ECRE-Organisation im Sinne der Polnischen Humanitären Aktion (siehe oben Ziffer 2.1) gibt es erst recht nicht, und das Litauische Zentrum für Menschenrechte, auf die wir schließlich trafen, ist noch so jung, daß es 1996 noch gar nirgends verzeichnet ist.

Selbst die arrivierten Institutionen sind dem Tempo, mit denen die Behörden Richtung Westen vorangehen, kaum gewachsen. UNHCR hat immerhin vor Ort einen Verbindungsmann, doch ist das Hauptquartier in Schweden noch immer dominant, das Helsinki-Komitee und andere Organisationen waren 1996 vor Ort gar nicht vertreten.

Schließlich kommen auch kaum grenzüberschreitende Impulse aus NGO-Büros in umliegenden Staaten, etwa aus Riga (Lettland). Alle sind mit sich selber und dem neuen Rhythmus beschäftigt, in denen die Dinge entwickelt und die Menschenrechte destabilisiert werden. Während Siemens-Nixdorf seinen neuen Billig-Produktionsbetrieb längst im Nordwesten Litauens errichtet hat und bereits wieder mit dessen Schließung droht, und während auch westliche Ministerien für Entwicklungszusammenarbeit und Auslandshilfe schon eine Vielzahl von Projekten implementiert haben, kämpfen die NGOs noch immer um Geld, Know-how und um eine erste Orientierung.

So kann es als verdienstvoll gelten, daß das Litauische Zentrum für Menschenrechte, wenn auch am Rande, mit der Situation von Asylsuchenden befaßt ist. Sein Anliegen sind die als schlimm bezeichneten Zustände in den Gefängnissen Litauens, ihr Hauptziel ist auf die Abschaffung der Todesstrafe gerichtet. Die 1996 abgegebene öffentliche Erklärung des Staatspräsidenten, die Todesstrafe nicht mehr anzuwenden, empfindet das Zentrum für Menschenrechte als unzureichend. Auch wenn Asylsuchende nur einen Teil der Gefängnisinsaßen darstellen, kam die Kritik an den Rahmenbedingungen, denen sie unterliegen, in den Worten einer der Verantwortlichen, Elvyra Battutite, zum Ausdruck.

Die meisten Impulse kamen bisher von UNHCR-Verbindungsmann Linas Sesickas. Der UNHCR hilft das neue Asylverfahren logistisch zu unterstützen, vor allem durch Beiträge an das neue Asylzentrum in Rukla, das als Grundlage für das Funktionieren des Verfahrens gilt. Der provisorische Status, den das Verbindungsbüro dabei noch nicht losgeworden ist, zeigt sich darin, daß das Einzelbüro im 2. Stock des Außenministeriums einquartiert worden ist. (21)

3.12 Neues Asylgesetz, neues Ausländergesetz, neues Strafgesetz, neues Migrationsgesetz:
Auf der Suche nach den Vorwirkungen eines biederen Gesetzes

Ein Gesetz aus der Retorte – viel Goodwill, große Erwartungen, bloß nicht an die künftige Klientel

Wo immer man hinkommt, gilt er als der «Vater des neuen Asylgesetzes», und als gemütlicher Bonhomme wird er diesem Bild auch gerecht: Vladimiras Gražulis, 50, Sozialwissenschafter und sechs Jahre lang Mitarbeiter im Sozial- und Arbeitsministerium und fünf Jahre Abgeordneter der Sozialdemokratischen Partei, ist Leiter des neuen Amtes für Flüchtlinge und Migration.

Seit 1993 arbeitet er an der Umsetzung eines Asylgesetzes. Er hat dazu erfolgreich um die Hilfe von westlichen Geberländern, vor allem der skandinavischen, geworben, und hat das Gesetz am 5. April 1995 durch das Parlament gebracht. Er sah im Moment unseres Gesprächs im Herbst 1996 gelassen jenem Augenblick entgegen, in dem das Gesetz in Kraft treten soll.

Daß es so lange dauere, meint er, liege am fehlenden Geld. Das Inkraftsetzen werde etwa drei Millionen Dollar verschlingen; im Budget Litauens seien indes nur 115.000 Dollar vorgesehen. Trotz tatkräftiger Unterstützung der Geberländer – Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen – reiche dies nicht aus. Wenn beispielsweise der zweite Block des neuen Aslyzentrums von Rukla nicht gebaut werden könne, wolle er das Gesetz noch weiter verzögern, um optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. «Erst wenn alles zusammenpaßt, fangen wir mit dem offiziellen Asylverfahren an.»

Schon heute sei aber ein Minimalprogramm gewährleistet. «Jeder soll um Asyl nachsuchen können. Wer dies nicht kann, kann sich an den neugeschaffenen Flüchtlingsrat wenden», sagt der gemütliche Grazulis. Allein, wie eine Person, die von ihrem Recht nichts weiß, dieses wahrnehmen soll, kann auch er nicht beantworten. Immerhin hat die Regierung das Innenministerium angewiesen, ab dem 3. März 1997 Asylgesuche gemäß den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und dem Zusatzprotokoll von 1967 prüfen zu lassen.

Das Asylgesetz selbst ist westlichen Vorbildern nachempfunden, sagt er: «Wir haben alle eingehend studiert, vor allem die skandinavischen, unter denen jenes von Finnland den Einfluß der Regierung höher gewichtet und jenes von Dänemark den Einfluß der Gesellschaft. Letztlich hat unser Gesetz viele finnische Elemente drin, weil dies halt auch unserer Geschichte unter dem Sowjetregime besser entspricht. Aber einzelne Elemente kennt es auch aus dem schwedischen Gesetz.»

Uneigennützig ist weder die Schaffung des Asylgesetzes selbst – «klar, daß uns das helfen soll, in der Europäischen Union Aufnahme zu finden» – noch dessen Unterstützung durch die westeuropäischen Staaten. «Ich weiß gut, daß der Westen sich seiner Flüchtlinge theoretisch entledigen könnte», sagt der Sozialwissenschafter: «Und wir sind einverstanden damit, daß die Staaten, die näher im Osten liegen, die erste Barriere gegen Illegale bilden müssen. Deshalb müssen aber auch die Illegalen wissen, daß diese «nicht-reichen» Oststaaten schwieriger zu passieren sein werden. Deswegen», so Grazulis, «werden weniger zu uns kommen.» Litauen wolle für die postkommunistischen Staaten ein Vorbild sein.

Daß Litauen als «Pufferstaat» zwischen Ost und West in Schwierigkeiten geraten werde, glaubt er nicht. «Selbstverständlich bereiten wir uns nicht darauf vor, zum Großlager von Illegalen in Europa zu werden»; er vertraue auf den Abschluß von Rückübernahmeabkommen mit Weißrußland und auch mit Rußland. Erstere verwehrten dies aber trotz Verhandlungen, letztere sprechen von einem Abschluß «in ein, zwei Jahren». Dem hält Grazulis entgegen: «Westeuropa muß eben Druck ausüben gegenüber Weißrußland.» Er hält das Land, wie auch Rußland, bereits heute für sichere Drittstaaten.

Und wenn sich dies als zu optimistisch erweisen würde? «Dann muß hier eine neue Mauer aufgebaut werden.»

Ähnliche Gesetzesvorlagen wie in Weißrußland und Polen:
Neues Asylgesetz, schärferes Ausländer- und Strafgesetz

Geplant sind in Litauen, wie in Polen und in Weißrußland, neben dem neuen Asylgesetz Verschärfungen des Ausländergesetzes und des Strafgesetzes.

Das Ausländergesetz soll erstmals eine formelle Abschiebehaft vorsehen, deren Dauer noch unklar ist.

Das Strafgesetz soll «schwere Strafen» gegen «Schleppertum» einführen.

Als Vorbild haben für das Ausländer- und Strafgesetz die entsprechenden westeuropäischen Gesetze gedient.

Bisher existiert im Ausländergesetz keine Begrenzung der Haftdauer. Laut allgemeinem Verwaltungsverfahrensgesetz muß allerdings binnen 72 Stunden ein Haftrichterentscheid ergehen, und nach 30 Tagen muß die Haftdauer richterlich verlängert werden. (22)

Rückübernahmeabkommen:
Der wunde Punkt am ganzen System

Mit allen Staaten in der Region kennt Litauen mittlerweile Rückübernahmeabkommen – mit Ausnahme von Rußland und des wichtigsten, aus dem über 90 Prozent aller «Illegalen» einreisen: mit Weißrußland. Längst hat das Justizministerium ein Abkommen in der Schublade, das jenem des Schengen/Polen-Abkommens nachempfunden ist; doch Weißrußland kennt die Eigengesetzlichkeit eines Polizeistaates. Trotz mehrerer Verhandlungsrunden ist Hinhaltetaktik angesagt,ein Abschluß ist zum Leidwesen der westlichen Fernhaltepolitiker überhaupt nicht in Aussicht.

Auch Rußland zögert ein Abkommen hinaus. Die Verhandlungsposition ist aus offizieller litauischer Sicht immerhin eine etwas Bessere. Rußland ist wegen der geografischen Lage seiner Exklave Kaliningrad, die am Baltischen Meer liegt und auf dem Landweg nur über Litauen (oder theoretisch Polen) zu erreichen ist, daran interessiert, diesen Landzugang zu behalten. Ein Rückübernahmeabkommen soll daher in ein bis zwei Jahren in Frage kommen, heißt es.

Von den weiteren Rückübernahmeabkommen, die mit skandinavischen Staaten und mit Deutschland geschlossen werden sollen, erhofft sich Litauen jeweils den Schritt zur Visumsfreiheit. Mit der Schweiz wurde ein entsprechendes Abkommen ebenso wie mit der Ukraine im Herbst 1996 unterzeichnet.

4. «Fünftstaaten»: Weißrußland – und Lettland
«Sichere Staaten»-Regelung macht Westeuropa für den Diktator erpressbar

Die Weißrußland-Diktatur nimmt die verhinderten Deutschland-Flüchtlinge «in Empfang» und schiebt sie durch – Flüchtlings- und Migrationsamt wird behindert – Schärfere Ausländerbestimmungen liegen im Trend – Menschenrechte mit Füßen getreten

4.1 Einleitung
Deutschland im Pakt mit der Diktatur?

1,18 Polizisten auf 100 Einwohnerinnen und Einwohner – Alleinherrscher Lukashenka läßt den Westen seine Muskeln spüren – Lettlands Rolle wenig bedeutend

Die Fahrt zwischen den Hauptstädten Litauens und Weißrußlands, Vilnius und Minsk, dauert, obwohl diese nur 188 Kilometer auseinander liegen und die Straße eine schnurgerade Autobahn ist, in der Regel sechs Stunden. Der Grund: die Rekruten von Alleinherrscher Alexandr G. Lukashenka, die einen bei der militärischen Grenzkontrolle warten lassen, und seine Polizeistreifen, die einen alle paar Kilometer anhalten, um Macht zu demonstrieren und gelegentlich ein Schmiergeld abzunötigen.

Jeder hundertste Bürger Weißrußlands ist ein Privatpolizist Alexandr G. Lukashenkas, des Staatspräsidenten und Alleinherrschers. Dieser mißachtet Parlament und Gesetz und regiert mit diktatorischem Gehabe. An die Spitze einer skeptischen und unterbezahlten Beamtenschaft hat er ihm treu ergebene Führungsbeamte gestellt. Drei bedeutende Oppositionelle haben im Jahre 1996 – als erste Asylsuchende aus einem Nachfolgestaat der Sowjetunion – in den USA politisches Asyl zugesprochen bekommen.

Mit Lukashenka und seinen Getreuen wird Bundesinnenminister Manfred Kanther möglicherweise bald paktieren müssen. Denn erst ein formelles Rückübernahmeabkommen zwischen Litauen und Weißrußland wird dem Westen das bringen, was er als «Entlastung in der Asylfrage» versteht. Um dieses Abkommen aber durchzusetzen, ist Litauen wirtschaftlich und politisch zu schwach; es hat Lukashenka schlicht nichts zu bieten. Wollen die Beamten des Bundesinnenministeriums also das künstliche Gebilde der Kettenabschiebungen aufrecht erhalten, so werden sie über kurz oder lang mit Lukashenka ebenso an einen Tisch sitzen müssen, wie sie es im Vorfeld des Vertragsabschlusses über ein Rückübernahmeabkommen 1992 mit Rumänien, 1993 mit Polen und 1994 mit Bulgarien und mit Tschechien taten.

Ein Ausweichen über Lettland scheint unrealistisch.

Wohl versucht der etwas kleinere baltische Nachbar Litauens ebenfalls, mit einem neuen Asylgesetz die Gunst des Westens zu erwerben. Seine gemeinsame Grenze mit Weißrußland bringt ihm außerdem ebenfalls Asylsuchende ins Land, und auch sie werden, vor allem im lettischen Gefängnis von Olaine, miserabel behandelt.

4.2 Weißrußland:
Asylbehörde im Leerlauf

Auch hier die alten sowjetischen Seilschaften – Asyl- und Migrationsamt kaltgestellt – In einer Diktatur gibt es keine Informationen

Die Stimmung in der Flüchtlingsabteilung, mitten in der Retortenstadt Minsk gelegen, ist gedrückt. Kein Wunder: Denn das Amt – ein Teil der Staatlichen Migrationsdienste innerhalb des Arbeitsministeriums – hat keine praktische Arbeit. Wie in Litauen ist zwar am 22. Februar 1995 ein Asylgesetz vom Parlament verabschiedet worden. Doch ist es weder wie vorgesehen am 1. Juli noch danach in Kraft getreten. Und ebenfalls wie in Litauen vernehmen wir, daß «die schwierige ökonomische Situation» daran schuld sei. Dies sagt Ludmila Serikova, die Leiterin der Flüchtlingsabteilung. Sie ist eine ruhige und besonnene Frau, deren lautere Absichten man nicht bezweifeln möchte.

Der Unterschied der beiden Ämter ist offenkundig. Litauen gleicht die schwierige ökonomische Situation mit Westunterstützung aus; sympathisch wirkende Staatsmänner haben in Bonn und Kopenhagen dafür gesorgt. Weißrußland hingegen entfernt sich unter seinem barschen Regenten vom Westen, Geld fließt keines, sogar internationale Kredite sind gestoppt. Ausbaden muß es die Asylbehörde und, vor allem natürlich, die betroffenen Flüchtlinge selbst.

So trainiert Ludmila Serikova mit sechs Beamtinnen und Beamten in einem Plattenbau-Hochhaus ein Asylverfahren und bezweifelt im Stillen, ob es je Realität wird. Lukashenkas Pläne sind unergründlich. Wer in seinem Staat handelt, sind die Polizisten und Grenzsoldaten; die Asylbediensteten sind zur Untätigkeit verurteilt.

Immerhin existiert die Asyl- und Migrationsbehörde weiterhin. Deren Asylabteilung brauchte jetzt dringend mehr Beamte, meint Ludmila Serikova, die Behörde als Ganzes zudem eine eigentliche Migrationsstruktur: «Wir warten darauf, daß der Präsident mehr Leute sowie Aufnahmestellen und Registrierzentren bewilligt.» Natürlich gebe es Flüchtlinge, bloß, daß diese als gewöhnliche Ausländerinnen und Ausländer behandelt würden. Immerhin sollen 4’500 von ihnen beim UNHCR registriert worden sein. Seit Februar 1997 hat die Migrationsbehörde außerdem eine Art Vorverfahren eingerichtet, auf außerordentlicher Grundlage, wie es heißt. Dabei soll abgeklärt werden, ob in dringlichen Fällen der Asylstatus an seit langem in Weißrußland anwesende Asylsuchende verliehen werden kann.

Daneben rechnet Ludmila Serikova mit rund 100.000 «illegalen Migranten» im Land, darunter «viele, die überhaupt keinen Flüchtlingsstatus brauchen, weil sie im Drogenbusiness arbeiten oder Schlepperdienste verrichten» würden.

Als Illegale müssen sie nach spätestens 48 Stunden das Land verlassen. In den Gefängnissen allerdings gibt es laut Asylbehörde keine «Illegalen», und ebensowenig komme es zu direkten Abschiebungen in den Heimatstaat; für beides sei kein Geld vorhanden. Allerdings gebe es ab und zu Polizeikonvois, mit dem «Illegale», die von Litauens Grenzpolizei übernommen oder im Grenzraum aufgegriffen werden, durch Weißrußland an die Ostgrenze zu Rußland geführt würden. «Dort», so Ludmila Serikova, «läßt man sie wohl frei», unter der Auflage, nicht mehr nach Weißrußland zurückzukehren. Genaues wisse sie allerdings nicht. Offensichtlich bleiben solche Informationen das Geheimnis der Grenzpolizei und des Grenzmilitärs.

Eine Kluft zwischen dem Repressions- und dem Sozialbereich spürt man auch in der Frage der Rückübernahmeabkommen. Im Unterschied zu allen westlichen Staaten – inklusive der Ukraine – hat Weißrußland keines abgeschlossen. Weil im Osten die Grenze offen sei, «werden wir zum Reservoir für Flüchtlinge und müssen die Schmutzarbeit für die westlichen Staaten machen», sagt die Leiterin der Flüchtlingsabteilung ohne Bitterkeit. Natürlich brauche es eine befestigte Ostgrenze, aber dem stünden die Verträge mit Rußland entgegen. Darüber, daß Lukashenka ebenso wie Rußlands Staatspräsident Boris Jelzin alles Interesse daran haben, die russisch-weißrussische Grenze offen zu lassen und dadurch einen Puffer gegen den Westen zu bewahren, schweigt sie.

Ähnliche Gesetzesvorlagen wie in Litauen und Polen:
Neues Asylgesetz, schärferes Ausländer- und Strafgesetz

Geplant sind in Weißrußland, wie in Litauen und in Polen, neben dem neuen Asylgesetz Verschärfungen des Ausländergesetzes und des Strafgesetzes.

Das Ausländergesetz soll erstmals eine formelle Abschiebehaft vorsehen, dessen Dauer indes nicht begrenzt wird.

Das Strafgesetz soll «schwere Strafen» gegen «Schleppertum» einführen, heißt es bei der Flüchtlingsabteilung im Arbeitsministerium.

Als Vorbild habe für das Ausländer- und Strafgesetz der Immigration Act der USA gedient, für das Asylgesetz jene aus den skandinavischen Ländern, vor allem aus Schweden. (23)

4.3 Lettland:
Rekord an schlechter Behandlung von Flüchtlingen?

Asylsuchende zwei Jahre ohne Verfahren eingesperrt – Asylgesetz soll jetzt Image verbessern

Seit Heiligabend 1994 waren die über 140 Asylsuchenden eingesperrt; darunter befanden sich einige Kinder. Zwei Monate hatten sie in einer Militärbaracke in Lettlands Hauptstadt Riga zu bleiben. Danach wurden sie in einen Sonderzug gepackt und zu Lettlands Landesgrenzen gefahren: Eine zweiwöchige Irrfahrt, denn in diesem menschlichen Pingpongspiel lehnten – mangels Rückübernahmeabkommen – sowohl Rußland als auch Weißrußland und Estland die Übernahme der Flüchtlinge ab. Seit Ende März 1995 blieben sie daher im alten Gefängnis von Olaine eingesperrt, dreißig Kilometer südlich von Riga.

Ihr «Vergehen» war das übliche: Nach ihrer Flucht aus dem Irak, aus Afghanistan, dem Iran und auch aus Palästina suchten sie Schutz in Schweden, wurden aber durch Schiffbruch daran gehindert und über Estland nach Lettland gebracht wo sie als «Illegale» in Abschiebehaft genommen wurden. Beinahe zwei Jahre hatten sie seither dort zu bleiben. Nach verschiedenen gescheiterten Bemühungen fanden sich zum Jahresende 1996 endlich Schweden (für 52 von ihnen), Dänemark (25), Finnland (20) und Norwegen (11) bereit, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen.

Nun wurden die Flüchtlinge noch einmal für andere Zwecke mißbraucht. Denn der Grund für den Gesinnungswechsel der skandinavischen Behörden war nicht rein humanitär, sondern die Erwartung, daß Lettland aufgrund dieser «Geste» nun rasch ein eigenes Asylverfahren einrichen werde. Das entsprechende Gesetz war ab August 1996 – also weit später als beim Nachbarn Litauen – nach skandinavischem und westlichem Muster ausgearbeitet, Ende Februar 1997 von der Regierung gebilligt und dem Parlament vorgelegt worden.

Als weitere – wenn auch unausgesprochene – Bedingung des Westens gilt das Umfunktionieren der Grenzarmee in eine zivile Einheit. Dies geschah gegen interne Widerstände zum 7. Januar 1997. Gegen noch größere Widerstände hat Lettlands Präsident die Zusicherung gegeben, die Todesstrafe – nach wie vor geltendes Recht – nicht mehr anzuwenden. (24)

5. «Sechststaaten»: Rußland, Ukraine – und Estland
Wo die Informationen und die Abgeschobenen sich verlieren

Papierenes Asylrecht, doch dem Westen gefällt’s – Abschiebungen ins Ungewisse

5.1 Einleitung
Der Abzählreim aus Karlsruhe geht nicht auf

Innerhalb der Kette Deutschland – Polen – Litauen – Weißrußland finden sich als geografisch nächstentfernte Staaten im Osten Rußland und im weißrussischen Süden die Ukraine. Zu Rußland und zur Ukraine finden sich in einem Grundlagenpapier von ECRE kurze und präzise Angaben25, die hier eher mit ein paar Angaben zum Aspekt der «Sechststaatenregelung» ergänzt werden sollen.

In Rußland scheint das Risiko für Abgeschobene hoch, willkürlichen Maßnahmen ausgesetzt zu werden. Ähnliches gilt für die Ukraine, deren Staatsgebiet trotz der Größe des Landes immerhin besser überschaubar ist.

Unabhängig vom Risiko im einzelnen Staat selbst vervielfacht sich das Abschieberisiko, welches sich aus dem mangelhaften Verhalten der «Vorausstaaten» ergibt. Denn sowohl in Rußland wie auch in der Ukraine müssen aus dem Westen abgeschobene Personen – selbst wenn sie Asyl- und Verfolgungsgründe geltend machen könnten und dabei Gehör fänden – mit dem Gegenargument rechnen, Abschiebehindernisse wären schon vom vorigen Staat geprüft worden.

5.2 Rußland:
Abschiebungen ins schwarze Loch

Formell ein Asylverfahren, materiell die reine Willkür – Abschiebungen: GUS- und GIS-Staaten als Partner?

Rußland kennt zwar ein Asylgesetz und hat 1992 schon die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Mitte des Jahres 1995 wies es gemäß verschiedenen Quellen bereits rund 60.000 offiziell registrierte Asylsuchende auf. Es orientiert sich formell auch am Aktionsprogramm, welches an der Konferenz über das Flüchtlingsproblem in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion Ende Mai 1996 in Genf verabschiedet wurde: Recht auf Asyl und auf Rückkehr der Flüchtlinge und auf Minderheitenschutz. In der Praxis scheinen allerdings dauerhafter Schutz und finanzielle Unterstützung für registrierte Asylsuchende nicht gewährleistet, wie dem ECRE-Bericht zu entnehmen ist.

Unklar ist, wie Abschiebungen vom Westen nach Rußland oder der Ukraine dort weiterbehandelt werden. Die Informationen enden an der weißrussisch-russischen Grenze. Da diese Grenze offen und ohne Grenzkontrolle ist, beginnen die Unklarheiten schon darüber, wie die Abschiebungen von Asylsuchenden vor sich gehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß es einerseits formelle Rückübergaben weißrussischer Behörden an ihre russischen Kollegen gibt, andererseits aber auch unkontrollierte oder heimliche Überstellungen der weißrussischen Behörden. Das ergeben die Aussagen der weißrussischen Asyl- und Migrationsbehörden (siehe oben Ziffer 5.2).

Es deckt sich mit den Erkenntnissen eines UNHCR-Berichts, der die russischen Behörden bei der Rücknahme von Asylsuchenden als sehr zurückhaltend bezeichnet. Daß die weißrussischen Behörden daher den Weg der heimlichen Ab- und Rückschiebung Unerwünschter über die offene Grenze zu Rußland anstreben, liegt auf der Hand. Das Risiko der willkürlichen weiteren Behandlung in Rußland und der «Durchschiebung» in entferntere potentielle Verfolgerstaaten ist in beiden Fällen unkalkulierbar.

Die Rechtssituation innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) erlaubt den visumsfreien Transfer durch die GUS-Staaten hindurch. Dies läßt einerseits Abschiebungen in Krisengebiete der GUS (Tadschikistan) selbst zu, andererseits auch «Durchschiebungen» an die Grenzen zu Krisen-«Drittstaaten» wie Afghanistan, dem Iran und China. Und theoretisch auch der Türkei.

Das entschlossene Auftreten der übermächtigen russischen Sicherheitskräfte wird zudem gefördert durch den im März 1996 geschlossenen «Integrationsvertrag» zwischen Rußland, Weißrußland, Kasachstan und Kirgisien, der unter anderem den Aufbau eines gemeinsamen Sicherheits- und Grenzschutzsystems vorsieht.26 Als dessen Folge sah man bereits im Herbst 1996 russische Grenzoffiziere in gehobener Position Dienst an der weißrussisch-litauischen Grenze versehen.

5.3 Ukraine:
Image verbessert, Risiko dasselbe?

Nur scheinbar werden Personen aus dem Osten ernst genommen

Die Ukraine kennt ihr Asylgesetz seit 1993, hat es aber erst 1996 erstmals – auf afghanische Asylsuchende – angewandt; die Genfer Flüchtlingskonvention hat sie nicht unterzeichnet. Die fürchterliche wirtschaftliche Situation hat bisher den Gedanken an einen strukturierten, rechtsstaatlichen Umgang mit Personen von außerhalb des großen Landes als Luxus betrachten lassen. Immerhin können sich Personen, die aus Richtung Osten einreisen und Asylgründe geltend machen, registrieren lassen.

In der Praxis indes fehlt der Registrierungsbehörde und den ausgegebenen Bestätigungspapieren die nötige Autorität. Von Übergriffen der Polizeiorgane trotz solcher «Zertifikate» ist häufig zu hören. Ein Schutz der asylsuchenden Personen scheint fern. Entsprechender Schutz aus westlichen Staaten – Polen, Litauen – gegenüber abgeschobenen Personen erscheint demnach noch viel illusorischer.

Zur Risikosituation gilt daher, obwohl die Ukraine überschaubarer ist, ähnliches wie beim Riesenreich Rußland.

Dennoch wird auch die Ukraine von westlichen Staaten zunehmend in die Konzeption der sicheren Drittstaaten einbezogen. So hat Österreich im Frühjahr 1997 beispielsweise die Asylanerkennung eines afghanischen Flüchtlings abgelehnt, dem zuvor bereits von UNHCR die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen worden war. Der Betroffene hatte sich beim UNHCR-Büro in Teheran als Flüchtling registrieren lassen und UNHCR hatte versucht, ein dauerhaftes Asylland zu finden. Als seine Situation prekär wurde, entschloß sich der Flüchtling schließlich, über die Ukraine nach Österreich zu flüchten. Das österreichische Innenministerium lehnte seinen Asylantrag in der Berufungsinstanz ab mit der Begründung, man sei nicht überzeugt, daß der Betroffene verfolgt würde, die Ukraine sei im übrigen ein sicheres Drittland, obgleich Asyl formell dort nicht gewährt werde. Sollte aber, so die zynische Folgerung des Ministeriums, der Flüchtling nach seiner Abschiebung in die Ukraine schließlich nach Ablauf seines Touristenvisums nach Afghanistan weitergeschoben werden, dann würde dies in Übereinstimmung mit dem ukrainischen Ausländergesetz stehen und könnte nicht als eine Verletzung des Asylrechts angesehen werden. (27)

Da außerdem der GUS-Staat Ukraine 1996 ebenfalls Mitglied der GIS-Staaten geworden ist (siehe oben Ziffer 5.2) und sich damit auf eine Art Sicherheits- und Grenzüberwachungsverbund mit Rußland, Kasachstan und Kirgisien geeinigt hat, kann nicht davon ausgegangen werden, daß an der ukrainisch-russischen Grenze nicht auch erleichterte formelle und/oder heimliche und unkontrollierte Abschiebungen vorgenommen werden.

5.4 Estland:
Aufgeschlossener als die übrigen baltischen Republiken?

Furcht vor dem großen Rußland – Schulterschluß mit dem kleinen Finnland?

Estland ist asylpolitisch keineswegs ein Musterstaat. Das Gefängnis in Tallinn ist berüchtigt, und neben Strafgefangenen wurden und werden dort auch Asylsuchende festgehalten. Im Prinzip wird jede asylbegehrende Person in Abschiebehaft genommen und, falls eine Abschiebung mangels Dokumenten oder aus anderen Gründen nicht möglich ist, dort monate-, ja jahrelang festgehalten.

Hierzu nur eine vereinzelte statistische Angabe. Rund 1.100 Asylsuchende, darunter viele Kinder, die, teils in Rettungsbooten versteckt, nach Schweden weiterzureisen versuchten, sind in der Baltischen See zwischen September 1992 und Ende 1994 aufgegriffen worden. Auch seither brechen die Meldungen über Aufgriffe in Estland nicht ab.

amnesty international kritisiert besonders scharf die Todesstrafe in Estland.

Andererseits hat das Land, unter dem Druck des Westens und dank der Unterstützung von Finnland, inzwischen ein Asylrecht entworfen, das den westlichen Asylgesetzen nachempfunden ist und am 19. Februar 1997 auch die Genfer Flüchtlingskonvention sowie das Zusatzprotokoll von 1967 unterzeichnet. Der politische Umsetzungsprozeß wirkt im Gegensatz zu Litauen eher wie ein «Schnellschuß»; über seriöse Vorbereitung und Training von Asylpersonal ist, im Unterschied zu Litauen, nichts bekannt. Bereits der Entwurf des Gesetzestextes galt als politischer Erfolg, die Genehmigung des Gesetzes durch das estnische Parlament im Februar 1997 ebenso. So gesehen ist Estland zwar beim Gesetzgebungsverfahren mindestens zwei Jahre später dran. Das bedeutet aber nicht, daß das Gesetz nicht vielleicht gar früher als jenes in Litauen in Kraft gesetzt wird.

Beim kleinen Staat Estland, der auch mit Macht in die Europäische Union drängt, stellt sich noch die Frage nach dem Einfluß von außen. Ist angesichts der Abhängigkeit von den großen Nachbarn der Einfluß von «Freund» Finnland stärker oder die Furcht vor Rußland? Und ein solcher Einfluß der Finnen, ist der nun gut oder schlecht? Immerhin hat Finnland Riesennachbar Rußland bereits als «sicheren Drittstaat» eingestuft – einer der größeren stillen Skandale in diesem Bereich. Und das wohl nicht nur zur Förderung guter freundschaftlicher und nachbarschaftlicher Beziehungen, sondern in erster Linie wegen der günstigen Gelegenheit, einen Teil der sogenannten «Asyl-Last» bequem nach Osten zu delegieren.


KARTE VON LITAUEN

Karte von Litauen | Quelle: Der Fischer Weltalmanach 1997

„EUROPAS NEUER PFÖRTNER“

Fotos: Jutta Vogel

1 Vgl. Jahresbericht 1995 des Bundesgrenzschutzes vom 29.8.1996

2

3 Vgl. die ausführlichen Befragungen der zitierten Personen vom 16.-19.9.1996

4 Forschungsgesellschaft Flucht und Migration: Polen. Vor den Toren der Festung Europa, FFM-Heft 1, Verlag der Buchläden Schwarze Risse und Rote Straße, Berlin/Göttingen 1995. Darin werden in Bezug auf Festnahmen, Rückführungen und Zurückweisungen an der Grenze insgesamt Zahlen von 44.000 (1992), 50.000 (1993) und 42.000 (1994) errechnet – polnische und nicht-polnische Bürgerinnen und Bürger zusammengenommen. FFM-Quellen: Büro für Migration und Asylangelegenheiten, Warschau; Grenzschutzdirektion Koblenz

5 Forschungsgesellschaft Flucht und Migration: Auswirkung der Festung Europa auf Polen – Für Menschen aus Südasien gilt: Statt Asyl – Haft und Abschiebung, Berlin, 11.11.1996 und Nachtrag 21.11.1996, total 16 Seiten (FFM, Gneisenaustr. 2a, D-10961 Berlin)

6

7 Mündliche Auskünfte des stellvertretenden Direktors des Büros für Migration und Flüchtlingswesen, Krzystof Lewandowski, vom 18.9.1996

8 Aussagen von Benius Talaudis, 41, Kommissar-Inspekteur, Leiter des Grenzpunktes Marijmpole, vom 27.9.1996

9 Migrations Europe, Bulletin mensuel sur les immigrés, les réfugiés et les minorités éthniques, hrsg. von A. Cruz und A. Perotti, B-Brüssel (174, rue Joseph II, B-1000 Bruxelles); Ausgaben in französisch und in englisch

10 The Baltic Times, 15.-21.5.1996

11 Für 1996 siehe: «I pusmecio Pasienio policijos departamento darbo rezultatai», für 1995 siehe: Pasienio Policija, litauisch und englisch, undatiert, mit statistischen Angaben bis 1995, beides hrsg. von der Grenzpolizei-Abteilung im Innenministerium Litauens, Kontakt: Border Police Department, Foreign. Relations Division, Savanoriu av. 2, LT-2006 Vilnius, Fax: 00370 2 / 22 63 96, und mündliche Angaben der Pressesprecherin der Grenzpolizei

12 Fax-Angaben der Abteilung Migration im Innenministerium, stellvertretender Direktor Antonios Gavenas, vom 11.10.1996. Kontakt: Dirécteur adjoint, Šventaragio g. 2, LT-2600 Vilnius, Fax: 00370 2 / 61 50 30

13 Alle Namen der «Illegalen» wurden auf deren dringenden Wunsch geändert

14 Von Linas Sesickas dem Verbindungsmann des UNHCR in Litauen. Der Text ist erschienen im UNHCR-Magazin «Flüchtlinge» Nr. II-1996

15 Pasienio Policija, a.a.O.

16 Pasienio Policija, a.a.O.

17 Quelle: Haushalt der Bundesregierung, wiedergegeben von der antimilitarismus information (ami), Berlin, wiedergegeben u.a. in der Zeitung ak Nr. 382 vom 21.9.1995 und regelmäßig thematisiert in der Zeitschrift Cbürgerrechte & Polizei / CILIP, Berlin

18 Vorlage des Auswärtigen Amtes betr. Ausstattungshilfe (Ausstattungsprogramm 1995-1998)

19 Mündliche Angaben vom 4.10.1996, Fax-Angaben vom 14.10.1996

20 Ausnahme: die Soros Foundation, die hier ausgeklammert bleiben soll

21 Kontakte: UNHCR, Verbindungsbüro, Linas Sesickas, c/o Ministry of Foreign Affairs, J. Tumo-Vaizganto 2-301, LT-2000 Vilnius, Fax: 00370 2 / 22 42 74, email: linas.sesickas@undp.org; Litauisches Zentrum für Menschenrechte, Elvira Battutite, Tel./Fax 00370 2 / 62 88 58; Lithuanian Association of Human Rights, Commission for Refugee Rights, Tel: 00370 2 / 99 20 583; Litauisches Rotes Kreuz, Tel: 00370 2 / 62 89 47

22 Mündliche Auskünfte des Staatssekretärs im Justizministerium, Gintaras Švedas vom 4.10.1996

23 Mündliche Auskünfte der Leiterin der Abteilung für Flüchtlinge im Arbeitsministerium, Ludmila Serikova, vom 2.10.1996

24 Siehe diverse Meldungen in der englischsprachigen Wochenzeitung The Baltic Times.News from Estonia, Latvia and Lithuania. Kontakt: Balasta Dambis 3, LV-1081 Riga, Latvija. Fax: 00371 2 / 463 387

25 Europäischer Flüchtlingsrat (ECRE), Wie ECRE regierungsunabhängige Organisationen für Flüchtlingshilfe in Weißrußland, Rußland und der Ukraine unterstützen kann, Machbarkeitsstudie, Anhang 3: Hintergrundbericht über Rußland, Anhang 4: Hintergrundbericht über Weißrußland, Hintergrundbericht über die Ukraine

26 «Vertrag über die Vertiefung der Integration im wirtschaftlichen und humanitären Bereich» vom 29.3.1996, der auf die Bildung der «Gemeinschaft Integrierter Staaten» (GIS) zielt. Quelle: Fischer Weltalmanach 1997, Seite 544.

27 Zeitung „Der Standard“ vom 10.3.1997 zitiert nach Migration News Sheet, April 1997.

Herausgegeben von PRO ASYL
von Loeper Literaturverlag

Nach oben