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TAG DES FLÜCHTLINGS 1999

Europäische Asyl- und Migrationspolitik im Übergang
»von Maastricht nach Amsterdam«

Karl Kopp

Materialheft zum Tag des Flüchtlings am 1. Oktober 1999

Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
mit freundlicher Unterstützung von: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e. V., Deutscher Caritasverband e. V., Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Ev. Kirche in Deutschland, durch den ABP, Land Hessen

Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger/Interkulturellen Woche (26. September bis 2. Oktober 1999) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.

INHALT

Die Asyl- und Migrationspolitik in der Europäischen Union (EU) befindet sich aktuell in der bedeutsamen Übergangsphase von Maastricht nach Amsterdam. Der Amsterdamer Vertrag ist am 1. Mai 1999 in Kraft getreten. Damit wird in den nächsten Jahren eine weitgehende Vergemeinschaftung des Asyl- und Migrationsbereiches in der EU Realität werden. Bisher existiert kein europäisches Asylrecht. Zwar regeln das Schengener bzw. Dubliner Übereinkommen, welcher Mitgliedsstaat für die Asylprüfung zuständig ist, aber ein gemeinsames materielles Asylrecht wurde bis jetzt nicht geschaffen. Etabliert hat sich vielmehr eine gemeinsame Politik des Schengen-Clubs und der EU, die auf Fluchtverhinderung, Abschottung und Abwehr von Flüchtlingen gerichtet ist.

Der Vertrag von Amsterdam

Durch den Amsterdamer Vertrag wird die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres in der Europäischen Union neu geordnet. Mit seinem Inkrafttreten wird ein »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«, so der Vertragstext, geschaffen. Bestimmte Aspekte werden »vergemeinschaftet«, neue Bereiche und Verfahren sind hinzugekommen. Außerdem wird das »Schengener System« in den Vertrag einbezogen.

Bisher galten für die Bereiche Justiz und Inneres allein die Vorschriften der Regierungszusammenarbeit aus Titel VI des Vertrags über die Europäische Union (Vertrag von Maastricht). Nach seinem Inkrafttreten am 1. November 1993 sind u. a. die Bereiche Asyl- und Migrationspolitik in eine neugeschaffene dritte Säule der EU mit der Bezeichnung »Zwischenstaatliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rechts und der inneren Sicherheit« einbezogen worden. Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags werden diese Bereiche auf die erste und die dritte Säule aufgeteilt. Für den durch die Gemeinschaftsmethode geregelten ersten Pfeiler wird dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) ein neuer Titel IV »Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr« hinzugefügt, der die Artikel 61 bis 69 EGV umfaßt. Damit wird insbesondere die Asylpolitik in die erste Säule transferiert.

Das heißt, alle zentralen Ratsentschließungen und Maßnahmen der letzten Jahre kommen somit zur Wiedervorlage. Aus nicht bindenden Texten – »soft law« – wird in zentralen Bereichen der Asylund Migrationspolitik Gemeinschaftsrecht.

In einem Aktionsplan zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmung des Amsterdamer Vertrages vom 3.12.1998 hat der Rat folgende acht Prioritäten im asylpolitischen Bereich beschlossen:

  • Innerhalb von zwei Jahren sollten die folgenden Maßnahmen im Asylbereich ergriffen werden: – Effektivierung des Dubliner Übereinkommens,
    • Umsetzung des EURODAC- Übereinkommens (EURODAC ist ein System für den Vergleich der Fingerabdrücke von Asylsuchenden. Die Bestimmung des Staates, der für die Prüfung eines in einem EU- Mitgliedsstaat gestellten Asylantrag zuständig ist, soll mit dem EURODAC- Übereinkommen erleichtert werden. Auf Druck der Bundesrepublik werden über ein Ergänzungsprotokoll auch die Fingerabdrücke von »illegalen Zuwanderern« in Zukunft erfaßt werden. Da bereits Einvernehmen im Rat über den Inhalt des Übereinkommens und Protokolls besteht, wird EURODAC wahrscheinlich kurz nach Inkraft treten des Amsterdamer Vertrages zur Anwendung kommen.),
    • Annahme von Mindestnormen für die Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft,
    • Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern mit besonderer Berücksichtigung der Situation von Kindern.
  • So schnell wie möglich sind folgende Maßnahmen zu ergreifen:
    • Mindestnormen für den vorübergehenden Schutz von vertriebenen Personen aus dritten Ländern, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können,
    • Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme von vertriebenen Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedsstaaten.
  • Binnen fünf Jahren sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:
    • Annahme von Mindestnormen für die Anerkennung von Staatsangehörigen dritter Länder als Flüchtlinge,
    • Festlegung von Mindestnormen für den subsidiären Schutz von Personen, die internationalen Schutz benötigen.

Der fünfjährige Übergangszeitraum:
Geringe Beteiligung des Parlamentes und wenig Kontrollrechte des Gerichtshofes

Während eines fünfjährigen Übergangszeitraums bleibt das Entscheidungsverfahren wie gehabt: Der Rat entscheidet weiterhin einstimmig. Wie bisher haben sowohl die Kommission wie auch die einzelnen Mitgliedsstaaten das Recht, eigene Vorschläge in den Rat einzubringen. Das Europäische Parlament ist lediglich anzuhören.

Die Bundesrepublik hatte sich ursprünglich für Mehrheitsentscheidungen eingesetzt. Aufgrund der Angst, daß Mehrheitsentscheidungen zu einer größeren Einwanderung führen könnten, schwenkte sie auf das Einstimmigkeitsprinzip um.

Erst nach den fünf Jahren, ab 2004, kann durch einen einstimmigen Ratsbeschluß der Übergang zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit vollzogen werden.

In dieser abschließenden Abstimmung entscheidet sich die Frage, ob das Mehrheitsprinzip zum Tragen kommt, dem Europäischen Parlament mehr Beteiligungsrechte zugestanden werden und eine richterliche Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof ermöglicht wird.

Außerdem geht nach dieser Übergangszeit das Initiativrecht als Vorschlagsmonopol auf die Kommission über. Den Mitgliedsstaaten bleibt dann die Möglichkeit, ein Tätigwerden der Kommission anzuregen.

Es ist noch nicht abzusehen, ob dieser Einstimmigkeitsbeschluß zustande kommen wird. Experten gehen davon aus, daß die entfaltete Eigendynamik der Zusammenarbeit innerhalb der EU den Gebrauch des Vetos einzelner Mitglieder verhindern wird.

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der Vertrag von Amsterdam zwar eine weitgehende Verlagerung der Asylpolitik auf den ersten Pfeiler anstrebt, es aber unterlassen wurde, wirkliche Mechanismen der demokratischen und gerichtlichen Kontrolle bereits für die fünfjährige Übergangszeit zu installieren. Durch die Beibehaltung des reinen Anhörungsrechts für das Europaparlament bleibt es bei der untragbaren Situation, daß Regierungen im Rat als Legislative beschließen und Zuhause als Exekutive die Regelungen umsetzen, ohne einer demokratischen Kontrolle unterworfen zu sein.

Von Schengen nach Amsterdam

Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages wird auch das Schengen-System in die EU integriert.

Vertreter aus dem Innenministerium hoffen, daß »Amsterdam« die »Dynamik des Schengen-Prozesses« aufgreift bzw. ersetzt und sind gleichzeitig von der Angst beseelt, daß die zähere, behäbigere EU »den Schengen-Motor abwürgen« könnte.

Diese Auto-Metapher meint eine flüchtlingsfeindliche Politik nach Schengen-Modell: Grenzregimefragen, Abschottungsmaßnahmen, schnelles und effizientes Abschieben.

Die Abwehr, wie sie im Schengen-Verbund bereits praktiziert wird, umfaßt den Visumzwang für über 130 Länder, die Bestrafung von Transportunternehmen, die Passagiere ohne ausreichende Reisedokumente befördern, die Einrichtung von Gefängnissen für Flüchtlinge in den Transitzonen der Flughäfen, die Sammlung und zentrale Verwaltung von Daten Hunderttausender Ausländerinnen und Ausländer, die kontinuierlich verstärkte Grenzüberwachung mit Hubschraubern, Nachtsichtgeräten, Schnellbooten, Hundestaffeln, Kontrollen in einer 30 km breiten Grenzzone, verdachtsunabhängige Kontrollen auf Bahnhöfen und in Zügen, die Beteiligung der Bevölkerung an der Observierung des Grenzraumes, Finanzierungs- und Ausbildungshilfen für das Grenzregime der östlichen und südöstlichen Nachbarländer …

Asylpolitik wird unter Migration summiert und Migrationspolitik wiederum heißt in erster Linie: Bekämpfung der »illegalen Zuwanderung«.

Der damalige Bundesinnenminister Kanther sprach im September 1998 von dem beachtlichen Fortschritt, der dem deutschen Vorsitz im Schengen-Verbund mit der Annahme von Leitlinien für einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Zuwanderung, u. a. aus dem Kosovo und dem Maghreb, gelang. Es gehe darum zu verhindern, daß Mittel- und Westeuropa zum Zielgebiet eines Zustroms illegaler Migration und damit einhergehender Kriminalität werde.

Die Koalitionsvereinbarung der rot- grünen Bundesregierung zur europäischen Asylpolitik steht in der Kontinuität des früheren Bundesinnenministers. Die wenigen Sätze zur Harmonisierung der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik klingen eher wie ein Schlepper- und Illegalen- Bekämpfungsprogramm.

In der öffentlichen Diskussion ist es gelungen, Migration und Kriminalität miteinander zu assoziieren und den Begriff »Flüchtling« aus dem Sprachgebrauch nahezu verschwinden zu lassen. Das neue Feindbild ist der von kriminellen Schlepperorganisationen eingeschleuste »Illegale«.

EU- Strategie:
Flüchtlingsschutz in Gefahr

Ein Beispiel für diese Grundhaltung ist das »Strategiepapier zur Migrations- und Asylpolitik« aus der österreichischen EU-Präsidentschaft. In dem Strategiepapier für die EU wird die Entwicklung einer in sich geschlossenen Asyl- und Migrationsstrategie auf europäischer Ebene anvisiert.

In einer Mischung aus Technokratie und Vision werden Vorstellungen vom einheitlichen europäischen Asyl- und Migrationsraum entwickelt, geprägt von Abschottung, Kontrolle, effizienter und koordinierter Abschiebepolitik und den konzentrischen Kreisen (vgl. Strategiepapier, zweite Überarbeitung, 19.11.1998) um die Abschottungsgemeinschaft Europa.

Die Schengen- bzw. EU- Staaten bilden mit den intensivsten Kontrollmaßnahmen den inneren Kreis. Die Assoziationsstaaten der EU und möglicherweise der »mediterrane Raum« bilden den zweiten Kreis. Sie werden schrittweise in ein ähnliches System der Visa-, Grenzkontroll- und Rücknahmepolitik eingebunden. Ein dritter Kreis, der »GUSRaum, einige Balkanstaaten, die Türkei und Nordafrika«, muß vor allem die Transitkontrolle und die »Schleppereibekämpfung« gewährleisten. Der vierte Kreis besteht aus dem »Mittleren Osten, China und Schwarzafrika« und soll sich primär auf die Beseitigung von »PushFaktoren« konzentrieren.

Die Einsetzung einer säulenübergreifenden Sondergruppe »Asyl und Migration« – auf Vorschlag der Niederlande – ist ein erstes Resultat dieses Strategiepapiers.

Eine hochrangige Arbeitsgruppe unter Federführung des Bonner Auswärtigen Amtes soll

»(…) horizontale Analysen einer begrenzten Anzahl von Herkunftsländern von Asylbewerbern und illegalen Einwanderern erstellen und auf dieser Grundlage konkrete Vorschläge für Maßnahmen zur Steuerung oder Eindämmung der Migrationsströme aus diesen Ländern unterbreiten.« (Presseerklärung des Rates vom 3.12.1998)

Die Aktionspläne zu den festgelegten Herkunftsländern – Afghanistan/ Pakistan, Albanien / Kosovo, Somalia, Marokko und Sri Lanka – sollen bis zum EU- Sondergipfel im Oktober 1999 in Tampere/ Finnland vorliegen. Auch wenn die Aktionspläne unter Einbeziehung von UNHCR und NGOs erstellt werden, muß befürchtet werden, daß sie im Resultat dem Vorbild »Aktionsplan Irak und benachbarte Regionen« aus dem Jahr 1998 und damit dem Konzept Fluchtverhinderung, Regionalisierung und Abschottung der EU folgen werden.

Der ursprüngliche Text des Strategiepapiers vom Juli 1998 ist aufgrund der Kritik von Mitgliedsstaaten, UNHCR und Nichtregierungsorganisationen mehrfach überarbeitet worden, wobei insbesondere der Frontalangriff auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zurückgenommen bzw. modifiziert wurde.

Aktuell soll die GFK »ergänzt« werden um ein »gemeinsames Konzept für den internationalen Schutz von Personen, für die die Garantien der Konvention nicht gelten, wie beispielsweise Personen, die aus Krisenregionen oder vor Angriffen lokaler terroristischer Gruppierungen fliehen.« (Presseerklärung des Rates vom 3.12.1998)

Der Verfasser des Strategiepapiers, Dr. Manfred Matzka vom österreichischen Innenministerium, präzisiert Vorstellungen über ein »neues Flüchtlingsrecht« in der EU:

»Letztendlich ist in einem künftigen umfassenden Rechtsakt auch die Frage zu klären, ob sich das in Europa in ganz anderen verwaltungsrechtlichen Zusammenhängen entwickelte Rechtsstaatskonzept und das Modell rechtsförmig durchsetzbarer subjektiver Rechte tatsächlich noch für den Flüchtlingsbereich als einziges Instrument eignet. An die Stelle von individuellen Bescheidverfahren könnte ein ausgeweitetes Kontingentaufnahmeverfahren treten, das sich im übrigen auch noch relativ leicht mit neu zu entwickelnden Lastenteilungsmechanismen kombinieren ließe.« (Manfred Matzka: Zur Notwendigkeit einer europäischen Einwanderungspolitik, S. 21, Trier, 18.02.1999)

Diese Vorstellungen zur Flüchtlingspolitik, die letztendlich darauf abzielen, den nicht mehr zeitgemäßen »Ballast« (Genfer Flüchtlingskonvention, Einzelprüfungsverfahren etc.) abzuwerfen, drükken aus, wohin die Reise gehen soll: Unter den gängigen Begriffen »schlanker, effizienter und innovativer«, mit freundlicher Erwähnung der GFK, wird der noch bestehende Flüchtlingsschutz zur Disposition gestellt.

In der letzten Fassung des Strategiepapiers wird zwar nicht mehr explizit davon gesprochen, daß die GFK ersetzt werden soll, aber inhaltlich wird nichts anderes gefordert. Es ist nun vielmehr von einer Neukonzipierung des Asylrechts die Rede, wobei es aber nicht um eine Auswei tung der Verfolgungsgründe der GFK geht. Der Anspruch auf Asyl nach der GFK soll nur mehr in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen. Wenn im Strategiepapier von Mißbrauch des Asylrechts und der Unanwendbarkeit der GFK gesprochen wird, dann kommt damit klar der politische Wille zum Ausdruck:

»Übergang von ausschließlich rechtsstaatsorientierten zu auch politisch orientierten Schutzkonzepten.«

Für die Verfolgten bedeutet das, daß ihre individuelle politische Verfolgung irrelevant für ihr Schutzrecht wird. Aus einem subjektiven Recht wird ein Gnadenrecht – und das wäre das Ende des bestehenden Asylrechts.

Asylpolitik nach Amsterdam

Auf europäischer Ebene wird in den nächsten Jahren der Erhalt eines Flüchtlingsschutzes, der diesen Namen noch verdient, im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen.

So wie die Debatte innerhalb der EU verläuft, schafft das Sprachwirrwarr um die verschiedensten Formen des Schutzes – Schutz nach der GFK, »ergänzender Schutz«, »vorübergehender Schutz« – nicht mehr Schutz für Flüchtlinge, sondern läßt eher eine Ausweitung der Schutzlücke befürchten.

PRO ASYL wendet sich gegen jede Form der Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes. Die uneingeschränkte Geltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention muß in Deutschland und Europa wieder oberste Priorität haben.

Dabei müssen die Beschlüsse des Exekutiv-Komitees für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (EXCOM) zwingend beachtet werden: auch Opfern nichtstaatlicher Verfolgung muß Schutz entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention zugewährt werden.

Es ist nicht Aufgabe der EU zu definieren, wer unter die GFK fällt. Die Überwachungsfunktion obliegt allein dem UNHCR und dem internationalen Gerichtshof. Die EU muß die universellen UN- Standards akzeptieren und darf nicht als regionaler Zusammenschluß die Konvention nach eigenem Gusto auslegen.

Die Interpretation einiger Mitgliedsstaaten, wie zum Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, Verfolgung sei nur dann als politische Verfolgung zu werten, wenn sie vom Staat ausgehe oder ihm zurechenbar sei, entspricht nicht dem Geist der Konvention und steht im Widerspruch zu den EXCOM-Beschlüssen.

Auf maßgeblichen Druck der Bundesrepublik wurde diese restriktive Auslegung der GFK in den gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 4.3.1996 betreffend die harmonisierte Anwendung des Begriffes »Flüchtling« eingeführt. Wenn diese nichtbindende Position in ein Rechtsinstrument überführt werden soll, ist diese Kontroverse erneut zu führen. Verfolgung, auch nichtstaatliche, bleibt Verfolgung. In dem zu schaffenden Rechtsinstrument ist dies klarzustellen.

Die korrekte Auslegung der GFK muß wiederum Ausgangspunkt sein, wenn es um die Frage eines Instituts »subsidiären bzw. ergänzenden Schutzes« geht.

Solange aber einem großen Teil der De-facto-Flüchtlinge in der EU der ihnen zustehende Flüchtlingsschutz nach der GFK vorenthalten wird, läuft die anstehende Gesetzgebungsdiskussion über »ergänzenden Schutz« Gefahr, weiterer Aushöhlung des bestehenden Flüchtlingsschutzes Vorschub zu leisten.

Eine gute Grundlage zur Diskussion bietet der Bericht über »die Harmonisierung der den Flüchtlingsstatus ergänzenden zusätzlichen Schutzmaßnahmen in der Europäischen Union«, der am 10. Februar 1999 vom Europaparlament angenommen wurde.

Darin wird klargestellt, daß »das Genfer Abkommen ebenfalls auf Personen Anwendung finden muß, die von nichtstaatlichen Kräften bedroht werden, wenn der Staat selbst nicht imstande ist seine Bürger zu schützen«.

Dieses Konzept von »ergänzendem Schutz« steht nicht in Konkurrenz zur GFK, sondern versucht das rechtliche Vakuum zwischen den Bestimmungen des Genfer Abkommens einerseits und der Regelung des »vorübergehenden Schutzes« andererseits zu schließen.

Ein Institut »vorübergehender Schutz« der EU ist zu schaffen für Kriegs- und Krisensituationen, im Falle einer Massenflucht. Es soll die koordinierte Aufnahme von Flüchtlingen ermöglichen. Grundvoraussetzung, um überhaupt in den Genuß von »vorübergehendem Schutz« zu kommen, wären Evakuierungsmaßnahmen oder die Möglichkeit der Einreise in die EU, ohne Visabeschränkungen, Drittstaatenregelungen, Abschottungsmaßnahmen an der Grenze etc. Den Begünstigten des zu schaffenden Instituts muß aber jederzeit der Weg in ein Asylverfahren offenstehen. In diesem ist zu prüfen, und zwar in einem rechtsstaatlichen Einzelprüfungsverfahren, ob sie Flüchtlinge nach der GFK oder Begünstigte nach den Regeln des »ergänzenden Schutzes« (Schutz nach Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention oder aufgrund des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die Folter) sind.

Allen Flüchtlingen, sowohl den Begünstigten des »vorübergehenden« als auch des »ergänzenden Schutzes«, sind Rechte in Anlehnung an die GFK zu gewähren. Das heißt: Recht auf Familienzusammenführung, Recht auf Wohnung, Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung etc. In diesem Kontext zwischen Genfer Flüchtlingskonvention und »ergänzendem Schutz« ist die Frage des sogenannten »vorübergehenden Schutzes« anzusiedeln.

Momentan gilt in der EU die Devise »Flüchtlinge müssen draußen bleiben«, möglichst in der Region. Schaffen sie dennoch den Weg in die EU, auf zunehmend teuren und lebensgefährlichen Wegen, mutieren sie in der öffentlichen Wahrnehmung zu »illegalen Einwanderern«, die allenfalls zu bekämpfen und zurückzuweisen sind.

Eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik der EU, nach innen wie nach außen, wird sich gerade an dem menschenwürdigen Umgang mit Schutzsuchenden messen lassen müssen.

ECRE, der Europäische Flüchtlingsrat, hat die wichtigsten Positionen zu einer fairen Implementierung der asylrelevanten Vertragsteile von Amsterdam in einem alternativen Aktionsplan zusammengefaßt. Darin fordert ECRE u. a.:

  • daß ein neues Rechtsinstrument, welches die existierende Flüchtlingsdefinition interpretiert, nicht einfach den gemeinsamen Standpunkt des Rates vom März 1996 bezüglich der harmonisierten Anwendung der Flüchtlingsdefinition in Artikel 1 der Genfer Konvention übernimmt. ECRE fordert, eine Gesetzesänderung im Einklang mit den UNHCRRichtlinien vorzunehmen. Es muß klargestellt werden, daß auch Flüchtlinge aufgrund nichtstaatlicher Verfolgung Schutz gemäß der Genfer Konvention erhalten können.
  • die Schaffung eines neuen Rechtsinstruments innerhalb der nächsten zwei Jahre, das eine ergänzende Flüchtlingsdefinition für Europa beinhaltet, aus der eine harmonisierte ergänzende Schutzformel abgeleitet werden kann.
  • die Rechtsinstrumente, die unter anderen Vertragsartikeln bezüglich der verfahrenstechnischen Harmonisierung und sozialer Integration von Flüchtlingen entwickelt werden, gleichermaßen auf diesen ergänzenden Schutz anzuwenden.
  • die schnellstmögliche Annahme eines Rechtsinstruments, das den vorübergehenden Schutz in Massenfluchtsituationen regelt.
  • so schnell wie möglich eine Übereinkunft bezüglich einer europäischen Verantwortungsteilung zu entwickeln. Dabei ist finanziellen Ausgleichszahlungen Vorrang vor Verteilung von Flüchtlingen zu geben. Außerdem ist ein Europäischer Flüchtlingsfonds für eine erweiterte Europäische Union zu schaffen.
  • die Rückführung in einen sicheren Drittstaat solange einzustellen, bis zusätzliche Garantien eingeführt werden. Es müssen gemeinsame EU-Kriterien und -Verfahren geschaffen werden zur Bestimmung, inwieweit ein Drittstaat »sicher« ist.
  • die Beseitigung des Protokolls zum Amsterdamer Vertrag, welches EU- Bürger von der Asylantragsstellung ausschließt.
  • sicherzustellen, daß kein Asylbewerber von einem fairen und effizienten Asylverfahren ausgeschlossen wird, weil man ein Herkunftsland oder einen Landesteil als sicher erklärt.
  • in einem neuen Rechtsinstrument »Mindestgarantien im Asylverfahren« Bestimmungen aufzunehmen, die die Notwendigkeit qualifizierter Asylentscheidungen betonen. Außerdem müssen den Asylanträgen bestimmter Flüchtlingsgruppierungen (z. B. Frauen, Kindern und Traumatisierten) und eindeutig »wohlbegründeter Fälle« Priorität eingeräumt werden. Das Asylverfahren selbst darf aber nicht beschleunigt durchgeführt werden.
  • die Durchführung von EURODAC unter Datenschutzbedingungen, wie sie in der Datenschutzkonvention des Europarates von 1981 im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte des einzelnen bei der automatischen Verarbeitung persönlicher Daten festgelegt wurden.

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