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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV FOTOSERIEN 2000 :::

Thomas Uwer, WADI e.V.

EU-Aktionspläne – Irak

Kohärenz Innen- und Aussenpolitik

INHALT
Arbeitsgruppe
Kohärenz von Innen- und Außenpolitik
– Aktionspläne –

RESSOURCEN
siehe auch: Asylpolitik in der EU – Tagung 1. – 3. September 2000 in der Evangelischen Akademie Arnoldshein

Die Europäische Flüchtlingspolitik ist dabei, sich von einer traditionellen, nationalstaatlichen Asylpolitik zu verabschieden und beansprucht zunehmend auch Hoheitsrechte auf ein Terrain, das sich der innenpolitischen Regulierung entzieht. Was noch auf der Tagung der europäischen Staats- und Regierungschefs 1992 in Edinburgh unter dem Begriff der „Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme“ als reine Willensbekundung erscheinen mochte, hat sich in der Praxis längst niedergeschlagen. Die Maßgaben der Flüchtlingspolitik wirken weit in die Bereiche der Außen- und Entwicklungspolitik hinein. Wenn im Irak Decken verteilt und Krankenhäuser gebaut werden sollen, dann ist dies sicherlich nicht neues. Wenn diese Maßnahmen in eine koordinierte Flüchtlingspolitik eingebunden und mit dem Aktionsplan Irak zur Leitlinie erklärt werden, dann bedeutet dies, daß die Fluchtabwehr das Ressort gewechselt hat: Von der Innen zur Außen- und Entwicklungspolitik.

Als „Querschnittsaufgabe von Außen-, Wirtschafts-, Asyl- und vor allem Entwicklungspolitik“ sollen humanitäre Soforthilfe, langfristige Entwicklungshilfe, diplomatischer Druck und zur Not die militärische Erzwingung sog. Schutzzonen ineinandergreifen und der repressiven Fluchtabwehr zur Seite gestellt werden. Wie diese Ressort übergreifende, „kohärente“ europäische Flüchtlingspolitik gegenüber Regionen funktioniert, in denen nichts mehr funktioniert, zeigt beispielhaft der Aktionsplan Irak.

1997 wurde der Aktionsplan Irak auf Drängen der deutschen Regierung und auf der Grundlage von Untersuchungen, die der deutsche Bundesgrenzschutz in Südosteuropa durchgeführt hatte als erster europäischer Aktionsplan in die Welt gesetzt. Er stellt somit den ersten konkreten Entwurf für eine Flüchtlingspolitik dar, die von der defensiven Fluchtabwehr zur offensiven politischen Regulierung kompakter Flüchtlingsbewegungen gelangen will.

Der Aktionsplan Irak ist zuerst einmal ein Papier aus der Praxis. Entworfen von Beamten des Bundesgrenzschutzes, fortgeführt von europäischen Beamten, steht die konkrete Abwehr von irakischen Flüchtlingen im Vordergrund des Papiers. Fraglos waren es nicht Entwicklungen vor Ort, sondern die statistische Häufung irakischer Asylbewerber einerseits und verfahrenstechnische Probleme der Grenzbehörden andererseits, die den Aktionsplan auf die Tagesordnung brachten. Entsprechend orientiert sich das Papier am Status Quo. Die maßgeblichen von der High Level Working Group geforderten Maßnahmen sind entweder bereits umgesetzt oder waren eingeleitet, lange bevor die Arbeit an der heutigen Fassung des Aktionsplans begann. Sowohl die Region im kurdischen Nordirak, die fälschlicherweise oft als Schutzzone bezeichnet wird, als auch das europäische Programm für humanitäre Hilfe unter Leitung von ECHO existierten bereits seit Beginn der Neunziger Jahre. Selbst die vorgelagerte Grenzabschottung wurde von der Türkei schon seit 1992 aus nationalem Eigeninteresse durchgesetzt. Entsprechend bietet der Aktionsplan auch auf der faktischen Ebene nichts Neues: In der euphemistischen Darstellung der irakischen Verfolgungspraxis unterscheidet er sich kaum von der deutschen Vorlage, dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes (wenn er zum Beispiel angesichts der gegen Kurden gerichteten Verfolgungsmaßnahmen, die mehr als 200.000 Menschen das Leben kosteten, konstatiert, die irakische Innenpolitik sei gekennzeichnet von der ethnischen Heterogenität des Landes).

Die wirkliche Leistung der High Level Working Group besteht also vor allem darin, die vorhandenen Akteure von der türkischen Polizei, über die kurdischen Milizen bis hin zu den Hilfsagenturen unter dem Mantel europäischer Flüchtlingspolitik zusammenzuführen. Im Zentrum dieses Unternehmens steht die Konstruktion einer sicheren Fluchtalternative im kurdischen Nordirak, als der Schlüssel, mit dem der unter Embargo stehende und international isolierte Irak für die Fluchtabwehr geöffnet werden soll. Die insgesamt in der Flüchtlingspolitik geforderte ressort- und länderübergreifende Verschmelzung von Außen- und Sicherheitspolitik, sowie Fluchtabwehr und humanitärer Hilfe ist dort seit Jahren als alltagspraktische Notstandsverwaltung Realität. Nicht der Aktionsplan Irak, vielmehr der kurdische Nordirak selbst und die dort durchgeführte „humanitäre Intervention“ ist der Modellfall, an dem sich europäische Flüchtlingspolitik orientiert. Der Beitrag der High Level Working Group besteht darin, die Entwicklung der Region, die von vielen Menschen vor Ort als desaströses Scheitern der „Befreiung“ von 1991 gesehen wird, in einen flüchtlingspolitischen Erfolg umzumünzen. Ein Blick darauf, was vor Ort geschah, mag dies verdeutlichen.

In Folge des Golfkrieges flohen 1992 mehr als zwei Millionen Kurden aus dem Irak in die benachbarten Länder Türkei und Iran. Beide Staaten weigerten sich, eine massenhafte Aufnahme irakischer Flüchtlinge zu akzeptieren. Die Türkei, an deren Grenzen die meisten der Flüchtlinge Zuflucht suchten, riegelte ihre Grenze militärisch ab und verweigerte den Flüchtlingen Einlaß ins sichere Landesinnere. Als Reaktion auf den nicht vorhergesehenen Unfall am Rande der großen Politik richtete die Anti-Irak-Koalition einen Safe Haven ein, der in etwa die Provinz Dohuk umfasste; ein Bruchteil lediglich der kurdischen Region. Dieser Safe Haven verfolgte nur ein Ziel: Die Rückführung der Flüchtlinge in den Irak, um eine befürchtete Destabilisierung der Nachbarländer zu verhindern. Weder war die Region in die die Flüchtlinge zurückgeführt wurden sicher – noch als die ersten westlichen Journalisten im Geleit der Flüchtlinge nach Dohuk gelangten befanden sich irakische Sicherheitskräfte in der Stadt – noch durch irgendeine UN-Resolution gedeckt. Der viel beschworene Safe Haven im kurdischen Nordirak begann als militärische ad-hoc-Maßnahme zur Flüchtlingsrückführung, die mit nahezu allen bis dato gültigen Grundsätzen der Flüchtlingspolitik aufräumte, beispielsweise, daß Flüchtlinge nicht in Kampfregionen zurückgeführt werden dürfen. Diese Recht- und Schutzlosigkeit setzte sich in den Folgejahren konsequent fort: Zwar zog sich die irakische Armee aus weiten Teilen der kurdischen Region zurück, mit ihr verschwanden aber auch die militärischen Schutztruppen der Anti-Irak-Koalition, ohne daß eine gültige Regelung der sogenannten Schutzzone erfolgt wäre. Kein Beschluß einer UN-Institution, nicht einmal ein Antrag wenigstens zur Feststellung der seit 1991 praktisch gültigen Demarkationslinie zwischen dem zentralirakischen und dem irakisch-kurdischen Territorium, hat jemals existiert. De jure wie de facto ist die Region im kurdischen Nordirak also integraler Bestandteil des irakischen Staates und weder eine Resolution, geschweige denn eine militärische Schutzmacht bewahren sie vor der Gefahr, bereits morgen wieder gewaltsam unter die Kontrolle des irakischen Regimes gebracht zu werden.

Die neuartige Rechtlosigkeit, aus der die sogenannte Schutzzone entstand, ist konstituierend für die gesamte Entwicklung der Region. Alle Versuche der entstehenden kurdischen Selbstverwaltung scheiterten im Ansatz schon daran, daß sie ein international anerkanntes politisches Mandat nicht besaßen. In Ermangelung eines gültigen rechtlichen Rahmens wurde die Region unter das Kuratel internationaler Hilfe gestellt. Bis heute ist das gegen den Gesamtirak verhängte Wirtschaftsembargo auch gegenüber dem kurdischen Nordirak gültig und beinahe zehn Jahre nach der „Befreiung“ ist die Region noch immer vollständig abhängig von Hilfslieferungen von außen. Das politische Problem Irakisch-Kurdistan wurde nicht gelöst, sondern in ein humanitäres umdefiniert. Anstelle einer funktionsfähigen lokalen Regierung ist die Notstandsverwaltung durch Hilfsagenturen und die die Verteilung organisierenden kurdischen Partei- und Milizverbände getreten. Diese Verbände leben weitgehend von der Akkumulation internationaler Hilfsmittel und den Einnahmen aus dem illegalen Grenzverkehr und verfolgen mit Gewalt jede Regung, die ihren Interessen zuwiderläuft. Seit 1995 ist die Region in verschiedene Hoheitsgebiete kurdischer Parteien gespalten, die sich gegenseitig bekämpfen. Rund 250.000 Menschen wurden von der UN als innerkurdische Flüchtlinge in Folge dieser Auseinandersetzungen gezählt. Die Region überlebte bislang einzig dank des Good Will der benachbarten Staaten und der Tatsache, daß eine Wiedereingliederung in den irakischen Staatsverband der Baghdader Regierung weder ökonomisch, noch politisch bislang sinnvoll erschien. Verwaltet wird dieses Überleben von Milizen und Hilfsorganisationen, finanziert unter anderem von der europäischen Hilfsagentur ECHO.

Was also im Aktionsplan Irak als Erfolgskonzept verkauft wird, ist ein seit beinahe zehn Jahre anhaltendes Scheitern internationaler Politik, zumindest wenn man unter Politik die planvolle Steuerung und Regelung gesellschaftlicher Entwicklung versteht. Die Politik gegenüber dem kurdischen Nordirak zeichnet sich seit 1992 vor allem durch den vollständigen Mangel an langfristiger Planung aus, ein Mangel, der alleine schon durch den ungeklärten Status der Region vorgegeben ist. Diese Planlosigkeit, die sich in der Verwaltung des aktuellen Notstandes erschöpft, wird im Aktionsplan Irak zum flüchtlingspolitischen Konzept geadelt.

Der kurdische Nordirak zeigt zugleich, wie das hochgradig ideologisch aufgeladene Konzept der „Kohärenz“ in der Praxis funktioniert. Eingebunden in das Programm europäischer Fluchtabwehr dient auch die humanitäre Hilfe nicht der strukturellen Verbesserung der Lebensbedingungen, sondern lediglich einer Anhebung des Lebensniveaus soweit, daß die Gefahr, die eine Flucht mit sich bringt größer erscheint, als das Verweilen vor Ort. Die gerne als Hilfsaktion dargestellte Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme funktioniert nur in Verbindung mit grenzpolizeilicher Repression. Daß die Zahl jener, die dennoch den Weg durch Minenfelder wagen oder auf seeuntüchtigen Booten in der Ägäis kentern nicht kleiner wird, sagt einiges über den Erfolg dieser Maßnahmen aus.

Einzig an diesem Punkt, der repressiven Fluchtabwehr, reicht der Entwurf der High Level Working Group denn auch über das Bestehende hinaus. Türkische Grenzer sollen künftig bereits im Vorfeld der EU Flüchtlinge aus der Region abfangen und registrieren. Diese Registrierung dient einerseits der Identifikation von Personen und sie von einer Wiederholung der Flucht abschrecken. Andererseits hilft sie, im Falle einer geglückten erneuten Flucht, Fluchtwege erkennbar zu machen. Dem zur Seite sollen künftig Vorbefragungen im Sinne eines noch zu schaffenden gemeinsamen europäischen Asylrechts treten. Einige dieser Maßnahmen werden von der türkischen Regierung höchst freiwillig bereits seit Jahren umgesetzt. So versucht sich die Türkei seit 1992 gegen den Zustrom irakischer Flüchtlinge zu schützen und führt beispielsweise regelmässig Razzien in den Elendsquartieren und typischen Unterschlüpfen von Flüchtlingen in den westtürkischen Städten durch, um, der Flüchtlinge habhaft geworden, diese umgehend in den Irak zurückzuschieben. Bei der Grenzsicherung zum Irak setzt die türkische Polizei schon seit spätestens 1996 Infrarot-Hightech ein, den übrigens ein deutscher Hermeskredit bescherte und zum Aufspüren kurdischer Grenzgänger dient: Flüchtlinge genauso wie Kämpfer der türkisch-kurdischen PKK. Bislang allerdings folgt die Türkei vorwiegend nationalen Interessen – irakische Flüchtlinge sollen vor allem nicht im Lande bleiben – und weigert sich daher auch, als Durchschiebestation für abgelehnte irakische Asylbewerber zu dienen. Eine Haltung, die kein gutes Licht auf den „Modellfall kurdischer Nordirak“ wirft. Die Einbindung der Türkei in die konkreten Planungen der europäischen Fluchtabwehr, mit Ausbildungshilfe und Technologie, dient sicherlich auch der Auflösung dieser nationalen Barriere.

Wie eine ironische Widerspiegelung der alten entwicklungspolitischen Forderung, man habe die Fluchtursachen zu bekämpfen, nicht die Flüchtlinge, dient der Aktionsplan Irak also lediglich dazu, daß die Fluchtabwehr bereits dort einsetzt, wo Flüchtlinge entstehen und diese nach Möglichkeit innerhalb der Region zu halten und zu versorgen. Und wer möchte schon in Abrede stellen, daß die Bewohner des Irak, wie jene der anderen sog. Herkunftsstaaten der Peripherie, dringend humanitärer Unterstützung benötigten. Im kurdischen Nordirak wie erst jüngst im Kosovo hat sich aber gezeigt, wie die Vertreter der Hilfsagenturen, Militärs und Politiker kaum mehr von einander zu unterscheiden waren. Sie sind eine – von scheinbarer praktischer Notwendigkeit diktierte – Verbindung eingegangen, die sowohl die Ziele, als auch die Methoden zu verwischen scheint. Diese oft unfreiwillige Allianz aus Nothilfe und Fluchtabwehr muß daher grundsätzlich in Frage gestellt werden.

Die Verlagerung fluchtverhindernder Maßnahmen nach Außen zieht zugleich eine grundsätzliche Neudefinition der Flüchtlingspolitik nach sich, die mir von großer Bedeutung für die auf dieser Tagung diskutierte „Harmonisierung“ der europäischen Asylpolitik zu sein scheint. Traditionell wurde Asylpolitik weitestgehend als ein nationales, innenpolitisches und rechtliches Problem begriffen. Dies resultiert nicht zuletzt aus dem von der GFK grundsätzlich geregelten Verhältnis, in dem der Flüchtling dem Aufnahmestaat gegenüber tritt: Als individuelles Rechtssubjekt, dem Schutz garantiert wird, wenn er aus Furcht vor Verfolgung in einem anderen, als seinem Heimatland vorstellig wird. Flüchtlinge wurden dann zum Gegenstand politischer Regulation, wenn sie im Aufnahmeland erschienen und als Rechtssubjekt Schutz einforderten. Traditionelle Asylpolitik reagierte also auf einen bereits eingetretenen Tatbestand. Die als Regionalisierung und kohärente Politik euphemisierte ausgelagerte Fluchtabwehr nun kehrt dieses Verhältnis grundsätzlich um: Gegenstand der asylpolitischen Regulation vor Ort ist nicht das Individuum, sondern die kompakte Volksgruppe, die zum Empfänger humanitärer Hilfsgüter oder politisch-militärischer Protektion wird. Der rechtliche Schutz wie das Schicksal des Einzelnen sind weder Gegenstand, noch Interesse von Hilfsmaßnahmen, geschweige denn das militärischer Intervention.

Es scheint absehbar, daß die Logik der militärischen und entwicklungspolitischen Praxis auf die Rechtsgrundlage einer Asylpolitik im Inneren der Festung Europa zurückwirkt und das grundsätzliche Verhältnis zwischen Flüchtling und Aufnahmestaat verändert. Orientiert sich Flüchtlingspolitik erst einmal an einer Praxis, die innerhalb der Koordinaten Volk und Territorium sich bewegt, dann droht der Status des Flüchtlings als Rechtssubjekt gleichsam zu verschwinden. Eine Gefahr, die um so größer ist, als – wie sich am Beispiel des Irak zeigt – die von der EU avisierte Alternative einer heimatnahen Flüchtlingsversorgung auch praktisch nicht funktioniert.


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