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Frankfurter Rundschau
13.11.1998 (Berlin)

Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt

Zahlreiche Bezirke streichen Flüchtlingen die Sozialhilfe ganz und gar, um sie zur Ausreise zu bewegen

Von Heike Kleffner

Obdachlos ist Bedri M. aus Pristina noch nicht. Das Sozialamt Wedding zahlt dem albanischen Gas-Wasser-Installateur, seiner Ehefrau und den beiden fünf und sechs Jahre alten Kindern die Unterkunft. Ein weißgetünchtes Zimmer, knapp 20 Quadratmeter, in einer ehemaligen NVA-Kaserne in einem Ostberliner Randbezirk. Vier genormte Stahlbetten mit dünnen Decken, ein Schrank, ein Tisch und vier Stühle. Der Linoleumfußboden ist sauber gewischt. Erst beim zweiten Blick fällt der Unterschied zu anderen Zimmern in der Flüchtlingssammelunterkunft auf. Keine Einkaufstüten von Billigdiscountern, im Regal fehlen die Lebensmittel, nicht einmal eine Packung Tee neben dem Wasserkocher. Nur zwei Flaschen Mineralwasser, für 79 Pfennig, stehen auf dem Tisch. Auf der Wachstuchdecke stapeln sich Behördenbriefe in serbokroatisch und deutsch. Das wichtigste Stück Papier hat Bedri M. oben hingelegt: In einem Brief hatte das Bezirksamt Wedding die Familie am 22. September aufgefordert, beim jugoslawischen Konsulat Paßersatzpapiere zu beantragen, um ihre Identität nachzuweisen. Ansonsten werde ihnen die beantragte Sozialhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz „teilweise“ gestrichen.

Das war drei Wochen, nachdem Bedri M. und seine Familie in Berlin angekommen waren. Eigentlich dachten sie, sie hätten alle notwendigen Schritte getan. Die Familie hatte sich bei der Ausländerbehörde gemeldet und dort ihre jugoslawischen Personalausweise abgegeben. Als Beweis seiner Identität besitzt Bedri M. seitdem nur noch eine Kopie. Eine Duldung als Kriegsflüchtling erhielt der Kosovo-Albaner nicht. Dadurch sind M. und seine Familie automatisch aus dem Kreis der rund 30 000 Flüchtlinge ausgeschlossen, denen die Berliner Bezirksämter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eine um 25 Prozent gekürzte Sozialhilfe und ein monatliches Taschengeld von 80 Mark zahlen. Seit dem 1. September ermöglicht eine Änderung des Gesetzes die Einschränkung sämtlicher staatlicher Leistungen auf das „unabweisbar Gebotene“, wenn davon ausgegangen wird, daß ein Flüchtling nur zum Bezug von Sozialhilfe eingereist ist. Oder wenn er seine Ausreise – beispielsweise durch die Vernichtung von Identitätsdokumenten – aktiv behindert. Was unabweisbar geboten ist, darüber streiten sich in Berlin die Sozialverwaltung unter Senatorin Beate Hübner (CDU), Flüchtlingshilfeorganisationen und die Bezirksämter.

Für die Sachbearbeiterin der Familie M. im Bezirksamt Wedding ist der Fall klar: Sie geht davon aus, daß die Familie jederzeit nach Kosovo zurückreisen kann. Und sie behauptet, daß Bedri M. seine Identität nicht nachgewiesen hat. Zwar hatte er sich nach ihrer Aufforderung, Paßersatzpapiere zu beschaffen, sofort auf den Weg zum Konsulat gemacht. Er legte die Kopie seines Personalausweises vor – und erhielt eine Bescheinigung, vorgesprochen zu haben. Aber keinen Paß. Die Bescheinigung gab Bedri M. der Sachbearbeiterin im Bezirksamt. Sie stellte daraufhin ab dem 13. Oktober die Leistungen für die Familie ein, „da ihre Identität nicht nachgewiesen ist“. Die jugoslawischen Personalausweise seien leicht zu fälschen, heißt es in der Ausländerbehörde. Daß M. außerdem seine Heiratsurkunde und die Geburtsurkunden der Kinder abgegeben hat, nutzt ihm auch nichts.

Monika Knoch, zuständige Amtsleiterin im Bezirksamt Wedding, hält das Vorgehen ihrer Behörde für gerechtfertigt. Warum? „Es ist der gesetzgeberische Wille, die Leute zur Ausreise zu bringen“, sagt sie. Daß der Berliner Innensenat Abschiebungen nach Kosovo bis auf weiteres ausgesetzt hat, reicht nicht. „Es ist mir egal, wie du zurückkommst“, beschreibt Bedri M. die Reaktion der Sachbearbeiterin auf seine Nachfrage. Einen offiziellen Abschiebestopp, der Kosovo-Albanern den Status von Kriegsflüchtlingen geben würde, hat die Innenministerkonferenz bisher nicht diskutiert. Und so entscheiden in Berlin Angestellte in Bezirksämtern über die Rückkehr. Bedri M. erinnert sich an ein Gespräch mit der Sachbearbeiterin: „Sie sagte, für euch reicht es aus, wenn ihr ein Dach über dem Kopf habt.“

Seitdem bezahlt das Bezirksamt Wedding das ehemalige Kasernenzimmer. Und keinen Pfennig mehr. Wovon lebt die Familie? Bedri M. guckt auf den leeren Tisch, zuckt mit den Schultern. Seine Ehefrau erzählt von der Hilfe anderer Flüchtlingsfamilien. „Sie geben uns Brot oder Wurst.“ „Einige Männer leihen mir Geld, zehn Mark, zwanzig Mark“, ergänzt M. „Das reicht immer für ein oder zwei Tage.“ Und macht Kopfschmerzen, die chronisch werden. Die Kinder sind erkältet. Vom Fensterbrett gucken sie dem Ballspiel auf dem Spielplatz zu. Krankenscheine sind auch gestrichen. Daß der Vater das Geld für die Fahrten mit der U-Bahn zwischen Bezirksamt, Konsulat und Ausländerbehörde nicht hat, erscheint ihm fast nebensächlich.

Kein Geld und die Jagd nach immer neuen Papieren. Vorsichtig holt Bedri M. eine Bestätigung der serbischen Polizei, daß er in Pristina gelebt hat, aus einem Umschlag. Ein weiterer, kostbarer Beweis seiner Identität. Einen Paß hat Bedri M. nie besessen, auch nicht, als Schlepper die Familie für 6000 Mark nach Deutschland lotsten. Das Geld hatten Verwandte aufgebracht, als die Familie vor der serbischen Polizei fliehen mußte, weil sich M. für die albanische Unabhängigkeit eingesetzt hatte. Schon einmal, im Sommer 1992, waren sie nach Deutschland geflohen, nachdem Bedri M. mehrfach inhaftiert und mißhandelt worden war. Die Tochter wurde in Deutschland geboren. Die Ablehnung des Asylantrags kam 1995. Im Juni diesen Jahres wurde Bedri M. nach Belgrad abgeschoben.

Zurück in Kosovo gingen die Schikanen von vorne los: „Die serbische Polizei nahm mich zwei Tage lang mit. Sie schlugen mich so lange, bis ich mich an nichts mehr erinnern konnte“, erzählt der Mann. Gedankenverloren streicht er mit den Händen über den Oberkörper, den Kopf, zeichnet die Spuren der Schläge nach. Als auch noch die Ehefrau und die Kinder vorgeladen wurden, fiel die Entscheidung, wieder nach Deutschland zu fliehen. Ende August kam die Familie in Berlin an.

Bedri M. würde „am liebsten sofort“ wieder nach Kosovo zurückkehren, sagt er. „Doch das geht erst, wenn der Krieg vorbei ist.“ Aber dieses Leben in Berlin? Zum ersten Mal wird Bedri M. lauter. „Manchmal bin ich so verzweifelt, daß ich zur Polizei gehen und einfach nur sagen könnte: Macht mit uns, was ihr wollt.“

Noch will er die Hoffnung nicht aufgeben. Der Sozialarbeiter hat ihm geholfen, einen Antrag beim Verwaltungsgericht zu stellen. Es soll die Entscheidung des Bezirksamts aufheben. Die Erfolgsaussichten dafür seien eher gering, fürchtet Flüchtlingsberater Georg Classen. Über zweihundert Fälle hat Classen dokumentiert, „in denen nach dem Muster ,aushungern, obdachlos machen und illegalisieren‘ vorgegangen wird“, wie er sagt. Es trifft vor allem Kosovo-Albaner, aber auch Palästinenser und Bosnier. „Seit der Änderung des Gesetzes unterstellen die meisten Bezirksämter, daß die Flüchtlinge nur hier sind, um Sozialhilfe zu kassieren.“ Dann werden alle Leistungen gestrichen. Der Berater berichtet von Fällen, in denen Flüchtlinge erfolglos das Verwaltungsgericht angerufen haben. Bei anderen reichte eine Klageandrohung, um die Ämter zum Einlenken zu bewegen. Pro Asyl, der Flüchtlingsrat und die Liga der Wohlfahrtsverbände fordern von Rot-Grün in Bonn die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes; zumindest eine Rücknahme der Novelle vom 1. September.


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