Ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer:
PRO ASYL: „Ergebnis eines mörderischen Abschottungskonzepts“
Deutsche Bundesregierung und Behörden trifft „moralische Mitschuld“
Nach Eigenrecherchen der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL über das Schiffsunglück im Mittelmeer, bei dem nach Agenturmeldungen vor der Jahreswende ca. 280 als „illegale Immigranten“ bezeichnete Flüchtlinge ertrunken sein sollen, wirft die Organisation den deutschen Ausländerbehörden eine „unverantwortliche Hinhalte- und Abschreckungstaktik“ gegenüber berechtigten Anliegen von Angehörigen legal in Deutschland lebender Flüchtlingsfamilien vor. Wie der Sprecher der Organisation, Heiko Kauffmann, am Freitag in Frankfurt mitteilte, hätten sich unter den Ertrunkenen auch Flüchtlinge befunden, deren Ziel Deutschland gewesen sei.
Kauffmann berichtete von dem Fall eines knapp 18-jährigen Tamilen, der seit Ende 1995 bei der deutschen Botschaft in Colombo um Familiennachzug zu seinem in München lebenden Vater und seinen hier als asylberechtigt anerkannten Geschwistern nachgesucht hatte, ohne je eine Entscheidung zu erhalten. Noch im November 1996 mahnte der vom Vater eingeschaltete Anwalt die zuständige Ausländerbehörde, endlich die erforderliche Stellungnahme abzugeben, deren Ausbleiben von der deutschen Botschaft als Grund für die „Verzögerung“ angegeben worden war. Inzwischen vertraute sich der Heranwachsende, ganz offensichtlich von der Hinhaltetaktik deutscher Behörden frustriert und vom „legalen Weg“ enttäuscht, Schleppern an, die ihm die langersehnte Familienzusammenführung „versprachen“. Dies kostete den jungen Mann nicht nur viel Geld, sondern vermutlich auch sein Leben.
Kauffmann dazu: „Der wahrscheinliche Tod des jungen Tamilen und auch der anderen ertrunkenen Flüchtlinge an den Toren Europas ist das Ergebnis eines mörderischen Abschottunskonzepts. Die Bundesregierung und die deutschen Behörden trifft eine moralische Mitschuld am Tod dieser Menschen. Denn sie sind die treibende Kraft, Europa zu einer Festung auszubauen. Das Schicksal verfolgter und verzweifelter Menschen wird nur noch als „polizeiliches“, nicht als humanitäres Problem wahrgenommen.“ Dazu passe auch, daß in den deutschen Medien nur wenig über dieses Schiffs-unglück berichtet worden sei. Der Tod Hunderter von Menschen an den Grenzen Europas errege, wenn es sich um Flüchtlinge handele, offensichtlich in Deutsch-land kaum jemanden.
Nach Mitteilung der griechischen Ermittlungsbehörden gegenüber PRO ASYL sind bei der Havarie am 2. Weihnachtsfeiertag tatsächlich 300 Menschen ertrunken, als die an Bord eines Frachtschiffes nach Europa gebrachten Flüchtlinge aus Sri Lanka, Indien und Pakistan bei schwerem Seegang versuchten, über Strickleitern in ein Fischerboot umzusteigen.
160 Überlebende seien nach Griechenland gebracht worden, darunter 57 Tamilen, die sich jetzt in griechischem Polizeigewahrsam befänden. Sechs Flüchtlinge hätten sich der Verhaftung entziehen können. Inzwischen sei gegen vier griechische Seeleute Anklage wegen Mordes erhoben worden.
Michael Stenger, der Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrates und Mitglied bei PRO ASYL, recherchiert weiterhin in direktem Kontakt mit den griechischen Behörden und im Auftrag des Münchner Rechtsanwalts Hubert Heinhold das Schicksal des 18-Jährigen und weiterer Flüchtlinge, deren Ziel Deutschland war.
PRO ASYL fordert die Abgeordneten von Bundestag und Europaparlament auf, Untersuchungsausschüsse zur Aufklärung des Flüchtlingsdramas im Mittelmeer und zu den Folgen einer rigiden und inhumanen europäischen Abschottungspolitik einzurichten.