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TAG DES FLÜCHTLINGS 1990

„Ich fühle mich wie ein Mann, der mit
seinen zwei Beinen in zwei verschiedenen
Booten steht“ – ein Tamile aus Sri Lanka

Flüchtlingsschicksale

Lisa Blumentrath

Der jetzt 29jährige Tamile aus dem Norden Sri Lankas, nennen wir ihn Sella, lebt seit 1984 in der Bundesrepublik, lebt d. h. schwankt seit fünf Jahren zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Angst um seine Angehörigen und Angst vor Abschiebung, zwischen hilfloser Wut über behördliche Schikanen und tiefer Hoffnungslosigkeit, wenn er an seine Zukunft denkt.

Wie viele junge Tamilen, die grundsätzlich verdächtigt wurden, separatistischen Gruppen anzugehören, wurde er 1984 von der srilankischen Armee willkürlich aufgegriffen, zwei Tage in einem Militärcamp ohne Essen und Trinken festgehalten, gefoltert und durfte dann, nachdem die Familie hohe Bestechungsgelder gezahlt hatte, unter der Auflage wieder nach Hause, jederzeit für Verhöre zur Verfügung zu stehen. Als die Militärs ihn nach einigen Tagen wieder suchten, floh die ganze Familie in ein anderes Haus auf dem Lande; das Anwesen in der Stadt wurde zerstört und geplündert. Doch auf dem Dorf gab es keine Ruhe. Es tauchten wieder Militärs auf, suchten nach ihm und verhafteten einen seiner Brüder. Sella floh nach Colombo und von dort über Berlin in die Bundesrepublik.

Vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wurde er als politisch verfolgt anerkannt, mußte aber, da der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Einspruch erhob, den Rechtsweg beschreiten. Beim Verwaltungsgericht Trier wurde sein Asylantrag mit einer für alle Tamilen etwa gleichlautenden Begründung abgelehnt: in Sri Lanka herrsche Bürgerkrieg, der srilankische Staat sei nur eine der beteiligten Parteien, habe keine hoheitlichen Machtbefugnisse mehr, eine individuelle Verfolgung liege nicht vor. Zum Oberverwaltungsgericht wurde Sella nicht mehr zugelassen, die Prozeßkostenhilfe nicht genehmigt.

Damit ist er auf die immer wieder zu verlängernde „Duldung“ durch die zuständige Ausländerpolizei angewiesen, ein rechtloser Zustand, in dem jederzeit sehr schnell abgeschoben werden kann.

Was sich hier so kurz beschreiben läßt, bedeutet für Sella seit fünf Jahren lange, schlaflose Nächte, einen zermürbenden Kampf mit den deutschen Behörden:

Von Berlin aus wurde er der Zentralen Anlaufstelle im Lager Ingelheim zugewiesen und von dort in den Kreis Trier verteilt. Im Lager lernte er eine junge Tamilin kennen und lieben; es dauerte fast ein Jahr, bis sein Antrag auf Umverteilung Erfolg hatte und er zu ihr in einen anderen Kreis ziehen durfte, obwohl eine Wohnung vorhanden war. Besuchen durften sich die beiden offiziell nur mit Ausnahmegenehmigung der Ausländerbehörden.

Als sein damals noch zweijähriges Arbeitsverbot abgelaufen war, versuchte er, Arbeit zu finden. Deutschkenntnisse hatte er sich, so gut es ging, privat angeeignet; an einem Sprachkurs durfte er nicht teilnehmen. Da er in Sri Lanka sein Studium noch nicht abgeschlossen hatte und hier kein Recht auf Ausbildung bekam, blieben ihm nur Hilfsarbeiten in der Gastronomie und bei Bauern; überall war er schnell beliebt wegen seiner Intelligenz, seiner Anpassungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft. Reguläre Arbeitsverträge erhielt er nicht, da sein Aufenthaltsrecht immer nur befristet und äußerst unsicher war.

Drei Jahre lang bemühte er sich intensiv, die zwei minderjährigen Kinder seiner Lebensgefährtin nach Deutschland zu holen; es verschlang unglaublich viel Geld und Energie, bis die Kinder, halb verhungert, krank und vom Krieg gezeichnet, endlich hier waren. Jetzt mußte eine größere Wohnung gesucht werden; mehrere Angebote scheiterten daran, daß die Vermieter ein längerfristiges Bleiberecht verlangten. Zusammen mit seiner tamilischen Lebensgefährtin, die den gleichen Rechtsstatus hat wie er, versucht er seit zwei Jahren, den Kindern in der Schule und bei der Integration zu helfen – ein schier unmögliches Unterfangen bei so wenig Hilfe von außen.

Nachdem sein Versuch gescheitert war, legal nach Australien weiterzuwandern, versuchte er zweimal, mit seiner Familie „illegal“ ins außereuropäische Ausland zu kommen; diese Versuche scheiterten an den bundesdeutschen Grenzkontrollen; er zahlt jetzt noch an den Bußgeldern.

Inzwischen wurde die Aufenthaltsbeschränkung auf den Landkreis wieder erneuert; eine Arbeitsmöglichkeit, für die er den Landkreis hätte verlassen müssen, scheitert daran. Für Besuche im Krankenhaus der nächstgrößeren Stadt, für Treffen mit Landsleuten, gelegentliche Einkäufe in einem asiatischen Spezialitätengeschäft, Teilnahme an irgendwelchen Veranstaltungen muß er jeweils eine Ausnahmegenehmigung bei der Ausländerbehörde mit einer genauen Begründung besorgen; einen Vormittag kostet das bestimmt; die Ausländerbehörde ist zur Erteilung nicht verpflichtet.

Für Arztbesuche benötigt er gesonderte Krankenscheine; Krankheiten, deren Behandlung „aufschiebbar“ ist, dürfen nicht behandelt werden; der Zahnarzt bekommt nur „Schmerzbehandlung“ erstattet.

Seit Jahren möchte Sella seine tamilische Lebensgefährtin heiraten; sie haben inzwischen ein gemeinsames Kind. Jahrelang konnten beide die nötigen Papiere aus Sri Lanka nicht besorgen; die hiesige srilankische Botschaft, eine Vertretung der singhalesischen Regierung, ignorierte alle Anfragen und Bitten. Papiere, die er besorgen konnte, liegen seit Wochen bei deutschen Behörden zur „Begutachtung“.

Gleichzeitig bekommt die Familie von der Ausländerpolizei signalisiert, daß sie damit rechnen müsse, in wenigen Monaten abgeschoben zu werden, sobald sich die Verhältnisse in Sri Lanka etwas beruhigt hätten (dafür genügen drei Wochen Kampfpause).

Aber Sella fürchtete um sein und das Leben seiner Familie in Sri Lanka: in Colombo geschehen täglich mehrere politisch motivierte Morde, Tamilen sind weiterhin gefährdet; die Straßen des Landes werden von unterschiedlichen Gruppen kontrolliert, die besonders von „europäischen“ Tamilen Lösegelder erpressen; Mädchen und Jungen schon unter 16 Jahren werden zwangsrekrutiert; weder Schulen noch Behörden arbeiten, jede wirtschaftliche Existenzgrundlage ist zerstört. Die politischen Spannungen sind in keiner Weise gelöst. Es ist noch nicht einmal gewährleistet, daß er mit seiner Familie zusammenbleiben kann, da ihn keine rechtsverbindlichen Papiere mit seiner Frau und den Kindern verbinden.

Sella kam als junger, vitaler, integrationswilliger und -fähiger Mann nach Deutschland – jetzt ist er ein vorzeitig alternder Mann, schon teilweise ergraut, mit zerrütteten Nerven und anfällig für Krankheiten. Seine Frau hatte schon einen Nervenzusammenbruch; je näher eine mögliche Abschiebung rückt, um so mehr fürchten Freunde der Familie einen zweiten.

Sella ist einer der Flüchtlinge, die „unser Asylrecht missbrauchen“ deren Leben in Angst, Hoffnungslosigkeit und Demütigung vergeht, und die längst nützliche Mitglieder unserer Gesellschaft sein könnten, wenn wir sie nicht daran gehindert hätten.


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