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Frankfurter Rundschau
24. September 1998

„Die verfluchte Gewöhnung an Unrecht muß ein Ende haben“

Menschenrechtler fordern vom neuen Bundestag Entscheidungen für Flüchtlingskinder
Bündnis stellt Wahl-Prüfstein auf

Von Ullrich Fichtner

Weltweit sind nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen mindestens sechs Millionen Kinder allein auf der Flucht. Bis zu 10.000 „unbegleitete“ Minderjährige befinden sich derzeit in Deutschland. Sie geraten ungeachtet ihrer besonderen Notlage in die Mühlen des Asyl- und Ausländerrechts – und sogar in Abschiebehaft.

BERLIN, 24. September. Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft „Pro Asyl“ erwartet vom neuen Bundestag und der künftigen Bundesregierung klare Entscheidungen für den Schutz minderjähriger Flüchtlinge. Es dürfe nicht länger hingenommen werden, daß das Wohl dieser Kinder der derzeitigen „Abschottungs- und Abschreckungsideologie“ untergeordnet werde, sagte Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann am Donnerstag in Berlin.

Gemeinsam mit Vertretern anderer Initiativen, darunter „Asyl in der Kirche“, Pax Christi und Berlin-Brandenburger Flüchtlingsrat, erläuterte Kauffmann der Frankfurter Rundschau die Notwendigkeit einer neuen Migrationspolitik im Sinne der betroffenen Kinder. Sie sei ein wesentlicher „Prüfstein“ für die Wahl am kommenden Sonntag.

Oberstes Ziel müsse die uneingeschränkte Umsetzung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) sein, sagte Kauffmann. Der in dieser Konvention vorgeschriebene „angemessene Schutz“ von Kindern werde in Deutschland derzeit nicht gewährt. Auch mühten sich die Behörden keineswegs „in größtmöglichem Umfang um das Überleben und die Entwicklung des Kindes“, wie es im UN-Vertrag geschrieben stehe.

Die Wirklichkeit sehe so aus, daß „12jährige nach Vietnam, 14jährige nach Rumänien und 16jährige Kurden ohne jede Begleitung in die Türkei abgeschoben werden“, sagte der Pro-Asyl-Sprecher. Allein in Berlin säßen derzeit über 80 Kinder, zum Teil erst 14 Jahre alt, in Abschiebehaft. Es sei an der Zeit, so Kauffmann, „die Kluft zwischen Humanität und Recht endlich zu überbrücken“.

Die Flüchtlingsinitiativen fordern

  • den absoluten Schutz der Kinder bis zu deren 18. Lebensjahr (nach geltendem Recht seien Jugendliche vom 16. Lebensjahr an „verfahrensmündig“ und würden deshalb nach dem Ausländerrecht für Erwachsene behandelt);
  • ein Aufenthaltsrecht für minderjährige Flüchtlinge unabhängig vom Asylverfahren (Kinder seien – nach häufig traumatischen Flucht- und Verlusterfahrungen – selten in der Lage, ihr Asylbegehren „bürokratisch sauber“ zu begründen);
  • die sofortige Aussetzung der „Drittstaaten-Regelung“ für Kinder (derzeit würden auch Minderjährige schon an der Grenze oder an den Flughäfen unterschiedslos abgewiesen, wenn sie aus einem „sicheren Drittstaat“ kommen);
  • die „kindgerechte“ Unterbringung und Betreuung minderjähriger Flüchtlinge außerhalb von Sammellagern für Erwachsene;
  • die Bestellung kompetenter Vormünder für die Jugendlichen – und die bessere Vernetzung von Jugendämtern, Kinderärzten, Dolmetschern und Jugendhilfeeinrichtungen.u deren 18. Lebensjahr (nach geltendem Recht seien Jugendliche vom 16. Lebensjahr an „verfahrensmündig“ und würden deshalb nach dem Ausländerrecht für Erwachsene behandelt);

Diese Forderungen seien durch einfache Gesetzesänderungen umzusetzen, sagte Kauffmann. Der künftige Bundestag sei daran zu messen, ob er das herrschende „himmelschreiende Unrecht“ beende. „Wir erwarten sofort nach der Wahl ein Signal für die Flüchtlingskinder.“ Die „verfluchte Gewöhnung an Unrecht“ müsse ein Ende haben.


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