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05.08.1998

Die Opfer des Weißenborner Verkehrsunfalls vom 30. Juli 1998:
In Krankenhäusern abgeschottet bis zur Abschiebung
PRO ASYL kritisiert faktische Kontaktsperre
Forderung an BMI: Verzicht auf Anwendung der Drittstaatenregelung

Abschiebung per Fax – DER SPIEGEL vom 10. Oktober 1998

Einen humanen Umgang mit den Opfern des Verkehrsunfalls bei Weißenborn/Sachsen, bei dem am 30. Juli 1998 sieben Menschen ums Leben kamen und 21 zum Teil schwer verletzt wurden, fordert die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL. Was sich zur Zeit in den sächsischen Krankenhäusern abspiele, auf die die verletzten Kosovo-Albanerinnen und -Albaner verteilt worden sind, sei skandalös. Noch während BGS-Vertreter behaupteten, polizeiliche Ermittlungen hätten wegen des schlechten Gesundheitszustandes der Betroffenen nicht begonnen, wurden ansprechbare Flüchtlinge bereits in der letzten Woche am Krankenbett stundenlang vernommen. Angereisten Angehörigen und Freunden der Flüchtlinge wurde währenddessen der Zugang verwehrt. Nachdem es einer Anwältin zunächst gelungen war, zum Krankenbett eines Mandanten vorgelassen zu werden, ordnete der örtliche Landrat den Erlaß eines Besuchsverbotes durch den Chefarzt des Kreiskrankenhauses Freiberg an.

Auch in anderen Krankenhäusern besteht faktisch eine Kontaktsperre, zum Teil mit Telefonverbot. In Chemnitz wurde der örtliche Ausländerbeauftragte von BGS-Beamten gehindert, einen Verletzten zu sprechen. Nach Angaben der Initiative „Kein Mensch ist illegal“ sind in einer Dresdener Klinik auf den Krankenhausfluren Zivilfahnder unterwegs. In einer Chemnitzer Klinik liegt bei einer frisch operierten Frau die Abschiebeverfügung auf dem Nachttisch. Dort und anderswo werden die Unfallopfer von BGS-Beamten streng bewacht. Ein Münchner Anwalt, der vier der Unfallopfer vertritt, konnte keinen weiteren Kontakt zu seinen Mandanten aufnehmen und erhielt statt dessen vom BGS die Nachricht, zwei Personen seien bereits nach Tschechien abgeschoben worden, die beiden anderen habe man in ein Haftkrankenhaus überführt.

Nach dem Wortlaut des Rücknahmeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Tschechien sind die tschechischen Behörden zur Rücknahme verpflichtet, wenn ihnen die Abzuschiebenden binnen 72 Stunden nach der Einreise avisiert werden. Grundlage für die Zurückweisung der Betroffenen nach Tschechien ist § 18 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz. Demnach werden Ausländerinnen und Ausländer zurückgeschoben, wenn sie im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen werden und aus einem „sicheren Drittstaat“ kommen.

Vor dem Hintergrund der geschilderten Szenen fordert PRO ASYL Bundesinnenminister Kanther auf, von der im Asylverfahrensgesetz vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch zu machen, aus humanitären Gründen von einer Zurückschiebung abzusehen (§ 18 Abs. 4 S. 2 AsylVfG).

PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann: „Nach all dem, was die Flüchtlinge durchgemacht haben, wäre eine Abschiebung aus dem Krankenbett heraus menschlich nicht vertretbar. Einige der Verletzten haben Verwandte in Deutschland, die ihnen helfen können, ihr traumatisches Erlebnis zu überwinden. In Tschechien stünden sie vor dem Nichts.“

Kauffmann forderte darüber hinaus eine rückhaltlose Aufklärung der Umstände des Unfalls. Insbesondere müsse kritisch gefragt werden, wieso der BGS, der nach eigenen Angaben 10 km hinter der Grenze eine „Auffanglinie“ errichtet hatte, das Unfallfahrzeug kilometerlang verfolgt habe, so dass es schließlich erst 16 km hinter dieser Auffanglinie zum Unfallereignis kam. Die Beamten hätten aus der Überladung des Fahrzeuges schließen können, dass möglicherweise eine größere Zahl von Menschen durch eine Verfolgungsjagd gefährdet werden könnte. Es sei deshalb zu fragen, ob den BGS durch die Art seines Vorgehens unter Umständen eine Mitschuld an dem katastrophalen Unfall treffe.

Heiko Kauffmann: „Genauso wenig wie Polizeibeamte einem flüchtigen Bankräuber in einer belebten Fußgängerzone hinterherschießen dürfen, dürfen Grenzschützer um jeden Preis ein Fahrzeug verfolgen, wenn dabei Menschen gefährdet werden.“


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