Die „Magna Charta für die Verfolgten“ wird 45 Jahre alt
Von Roland Siegloff, dpa Frankfurt/Genf (dpa)
Millionen Flüchtlingen in der Welt gibt sie die Hoffnung auf ein Leben ohne Angst vor Verfolgung, manchen Politikern bleibt sie ein Stachel im Gewissen: Die Genfer Flüchtlingskonvention, die am 28. Juli 1951 nach nur drei Wochen internationaler Verhandlungen verabschiedet wurde, bildete in den vergangenen 45 Jahren die Grundlage für den Umgang mit Verfolgten und Vertriebenen rund um den Globus.
131 Staaten haben die Konvention, das Zusatzprotokoll von 1967 oder beide unterzeichnet und damit als bindendes Recht anerkannt. „Nichts kann ein Land hindern, eine bindende Konvention zu brechen“, sagt dazu Rupert Colville, Sprecher des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Genf. Aber, fügt er hinzu, eine Regierung leide schon darunter, wenn sie als Verletzerin internationaler Abkommen an den Pranger gestellt werde.
Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl in Deutschland machen sich diesen Umstand zunutze, um etwa die nationale Asylpolitik zu kritisieren. Tatsächlich geht die Genfer Flüchtlingskonvention, der die Bundesrepublik im Jahr 1953 beitrat, weiter als das Grundgesetz oder das deutsche Asylrecht. Dem internationalen Abkommen von 1951 gilt ein Flüchtling als schutzwürdig, wenn er „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugung“ sein Land verläßt.
Ein zweites Kernstück der Genfer Konvention ist das sogenannte Non-Refoulement-Gebot, wonach kein Flüchtling in ein Verfolgerland zurückgewiesen werden darf. Die UNHCR-Vertreterin in Deutschland, Judith Kumin, bedauerte deshalb nach der Asyl-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Mai, daß die Drittstaatenregelung des neuen Asylrechts ohne echte Korrekturen akzeptiert wurde.
Pro Asyl will die Konvention als das „Herzstück des internationalen Flüchtlingsschutzes“ auf „den heutigen Stand gebracht“ und das heißt: ausgeweitet wissen. So sollten auch Frauen als „bestimmte soziale Gruppe“ im Sinne der Konvention als Flüchtlinge anerkannt werden, wenn sie wie in Ex-Jugoslawien aufgrund ihres Geschlechts schlimmer Verfolgung und Gewalt ausgesetzt seien. Und angelehnt an einen Beschluß der Organisation Afrikanischer Einheit von 1969 sollten auch Bürgerkriege und innere Unruhen als Fluchtgründe anerkannt werden.
26,1 Millionen Flüchtlingen versuche der UNHCR derzeit zu helfen, berichtet Rupert Colville, und anders als in den 50er, 60er und 70er Jahren seien die wenigsten von ihnen vor Kriegen zwischen zwei Staaten geflüchtet. Der UN-Flüchtlingskommissar als Sachwalter der Konvention kümmert sich dabei auch um jene Vertriebenen, die auf ihrer Flucht keine Staatsgrenze überschritten haben. Die Lage, sagt Colville, habe sich gewandelt: „Wir versuchen im eigenen Land zu helfen“, etwa in Ruanda oder den Flüchtlingscamps von Sar Shahi nahe dem ostafghanischen Jalalabad.
Die „Magna Charta der Verfolgten“ gilt als ein Produkt des kalten Krieges und war angesichts individueller Fluchtbewegungen vor allem auf Europa zugeschnitten. Das Zusatzprotokoll von 1967 hob diese regionale Beschränkung auf. „Beides war gut an die Zeit angepaßt“, meint Colville. Die im eigenen Land Vertriebenen der aktuellen Bürgerkriege indes seien in der Konvention nicht vorgesehen.
Flüchtlingshelfer, die eine Anpassung der Konvention an heutige Gegebenheiten wünschen, fordern eine Rückbesinnung auf deren „humanitären Denkansatz“. Bereits in den 20er Jahren hatte der Diplomat und Polarforscher Fridtjof Nansen die Bereitschaft der Staaten gestärkt, Verantwortung für die Bewältigung der Flüchtlingsproblematik zu übernehmen. Der Friedensnobelpreisträger und erste Flüchtlingskommissar des Völkerbundes ließ sich dabei von einem russischen Sprichwort inspirieren, das da lautet: „Der Mensch besteht aus einer Seele, einem Körper und einem Paß.“
dpa ff kh