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TAG DES FLÜCHTLINGS 1997

Die Härtefallkommission

Eine Möglichkeit zur Abschiebungsverhinderung
oder die Legitimation von Abschiebungen?

Volker Maria Hügel

Durch die Landtagswahlen 1995 in Nordrhein-Westfalen bildete sich eine rot/grüne Landesregierung. Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen und späteren Vereinbarungen wurde die Einrichtung einer Härtefallkommission verabredet. Fragen über Kompetenzen, Zusammensetzung und Arbeitsweise wurden im Jahre 1995 geklärt. Mit der konstituierenden Sitzung im Februar 1996 begann die Kommission mit der Arbeit.

Die HFK ist ein behördenunabhängiges Beratungsgremium, angesiedelt – mit einer eigenen Geschäftsstelle – beim Innenministerium. Es setzt sich aus acht stimmberechtigten Mitgliedern zusammen:

  1. Vertreter des Landesinnenministerium, gleichzeitig Vorsitzender der HFK
  2. Vertreter des MAGS (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales)
  3. Vertreter der katholischen Kirche
  4. Verteter der evangelischen Kirche
  5. Vertreterin der Liga der Wohlfahrtsverbände
  6. Vertreterin von AGISRA
  7. Vertreter/in von PRO ASYL
  8. Vertreter vom Flüchtlingsrat NRW

Inhaltlich behandelt die HFK nur Anträge von Menschen, denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen drohen. Sie kann keine Weisungen erteilen, sondern sie gibt Empfehlungen an die zuständige Ausländerbehörde. Darüber hinaus kann sie auch bei grundsätzlichen Problemstellungen oder Fragen Empfehlungen und/oder Stellungnahmen an den Innenminister abgeben, die z.B. auf einen Abschiebestopp für ein bestimmtes Herkunftsland abzielen.

Erfahrungen mit sog. Härtefallkommissionen gibt es seit sieben Jahren in Berlin. Dort arbeitet eine HFK, die nach unserer Auffassung demokratischen Spielregeln nicht entspricht, denn der Innensenator hat das Recht, sich eine sog. Vorprüfung vorzubehalten. Dennoch erschien die Möglichkeit, eine Überprüfung von Härtefällen mit Hilfe von Fachleuten aus der Flüchtlingsbewegung vornehmen zu lassen, eine Chance zu beinhalten.
Sobald ein Antrag bei der Geschäftsstelle der HFK eingeht, ist die erste Aufgabe der Geschäftsstelle, entweder die zuständige Ausländerbehörde per Fax, Brief oder Telefon zu benachrichtigen und sie zu bitten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen solange abzusehen, bis eine Empfehlung der HFK ergangen ist.
Das ist insofern von Bedeutung, da Anträge an die HFK keine »aufschiebende Wirkung« haben. Gemeint ist damit, daß ein Antrag an die HFK keinen »Rechtsbehelf« darstellt und es daher eines Erlasses des Innenministers bedurfte, der die Bitte an die Ausländerbehörden enthält, bis zur Entscheidung der HFK abzuwarten. Dennoch liegt die Kompetenz über die Abschiebung bei der zuständigen Ausländerbehörde. (Von den 86 Ausländerbehörden in NRW hält sich die überwiegende Mehrzahl an diese Bitte.)

Als folgender Schritt wird der Antrag an die HFK der zuständigen Ausländerbehörde zur Kenntnis gegeben. Diese ist dann verpflichtet, gegenüber der HFK eine Stellungnahme abzugeben und erst wenn die Stellungnahme bei der HFK eingetroffen ist, wird die gesamte Akte den Kommissionsmitgliedern zur Verfügung gestellt, so daß sie ca. eine Woche vor jeder Sitzung den kompletten Aktenvorgang vorliegen haben, über den dann in der Sitzung beraten wird.
Die Beratungen, die alle zwei Wochen stattfinden und in denen jeweils ca.15 bis 20 Anträge behandelt werden, sind im wesentlichen davon geprägt, inwieweit die Anträge über die maßgeblichen Härtefallkriterien Aufschluß geben.

Selbstverständlich stellt jede Abschiebung für die Betroffenen eine Härte dar. Da aber von der Kommission verlangt wird, daß eine rechtlich nachvollziehbare Empfehlung gegeben werden muß, kann die in den Anträgen beschriebene Härte nicht das einzige Kriterium sein, sondern es muß auch der »Lösungsweg« zur Abschiebungsverhinderung gefunden werden.

Ein wichtiges Kriterium für die Härte ist beispielsweise der Grad der Integration, den man an verschiedenen Bereichen festmachen kann, z.B. Sprachkenntnisse, Schulbesuch der Kinder, eigenständige Arbeit und somit die Sozialhilfeunabhängigkeit, eine eigene Wohnung innezuhaben, am politischen oder sozialen Leben teilzuhaben sowie die Dauer des Aufenthaltes. Sie gelten als Gradmesser für Integration.

Wenn dann in der Kommission eine Empfehlung ergeht, geht diese an die Fachaufsicht, die beim Innenministerium liegt. Erst dann geht sie an die zuständige Ausländerbehörde. Es ist ein demokratisches Manko, daß diese Benachrichtigung nicht den AntragstellerInnen zugestellt wird, sondern daß sie lediglich an die zuständige Ausländerbehörde geschickt wird.
Zu beachten ist dabei, daß die Empfehlungen der HFK für die Ausländerbehörden nicht rechtlich bindend sind. Bei den Empfehlungen gibt es für die Ausländerbehörden ein psychologisches Problem, da sie sich nicht gerne vorschreiben lassen, wie die »richtige« Auslegung des Ausländergesetzes vorzunehmen ist.

Die Behörde hatte bereits eine Entscheidung getroffen und diese wird von der HFK überprüft und dann kommt sie eventuell zu einem anderen rechtlichen Schluß. Von daher ist es auch immer eine Frage der Vermittlung, wie es ermöglicht werden kann, diese Korrektur der Entscheidungen für die Ausländerbehörden nachvollziehbar zu machen.
Die wesentliche Aufgabe, sowohl beim Aktenstudium als auch bei der Beratung, ist es, einen rechtlich nachvollziehbaren Anhaltspunkt zu finden, worin der weitere Aufenthalt begründet werden kann. Eine große Schwierigkeit stellt der § 55 Abs. 4 AuslG dar. Der besagt:
»Ist rechtskräftig entschieden, daß die Abschiebung eines Ausländers zulässig ist, kann eine Duldung nur erteilt werden, wenn die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist oder nach § 54 ausgesetzt werden soll. […]«

In der Regel liegt bei ehemaligen AsylbewerberInnen genau hierin das juristische Problem.
Tatsächliche Gründe können z.B. Reiseunfähigkeit, fehlende Transportmöglichkeiten oder fehlende Reisedokumente sein. Um dann einen weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, sind die rechtlichen Anhaltspunkte, die die Kommission hat, das Ausländergesetz und/oder die ständige Rechtsprechung. Zunehmend gewinnt auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) an Bedeutung. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die im Ausländergesetz in § 53 Abs. 4 Niederschlag gefunden hat, legt z.B. den Familienbegriff anders aus als es das deutsche Ausländerrecht tut. Zur Kernfamilie gehören nach dem Ausländergesetz die Ehegatten und die minderjährigen Kinder, keineswegs aber Geschwister, auch wenn sie im gemeinsamen Haushalt leben. Die Rechtsprechung des EuGH dagegen legt die EMRK dahingehend aus, daß Geschwister, auch wenn sie erwachsen sind, aber in gemeinsamem Haushalt leben, unter den Familienbegriff fallen. Desweiteren werden die von der EMRK definierten Abschiebungshindernisse im Artikel 3 »Niemand darf der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen werden« durch die Rechtsprechung des EuGH an Bedeutung gewinnen.
Somit bilden das Ausländergesetz, die deutsche, insbesondere die höchstrichterliche Rechtsprechung und die Rechtsprechung des EuGH den Kern der juristischen Ansatzpunkte für die Beratung in der HFK.

Desweiteren werden selbstverständlich Gutachten und Stellungnahmen beispielsweise über die medizinische Versorgung in den Herkunftsländern zu Rate gezogen, um in besonderen Fällen zu einer Empfehlung zu kommen.

Ein Beispiel: Für die meisten Ausländerbehörden ist lediglich von Bedeutung, ob jemand reisefähig ist, nicht aber, ob eine Therapie oder medikamentöse Behandlung im Heimatland sichergestellt sind. Dies ist ein wesentlicher Punkt, der in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, wenn die Ausländerbehörden erkennen, daß es auch prüfenswert ist, ob jemand in der Lage ist, in seinem Heimatland, auch aus Gründen der medizinischen Versorgung, überleben zu können.
Da dies im Ausländerrecht nicht explizit genannt ist, entsteht hier Spielraum für Empfehlungen.

Statistik

Die Ende 1995 eingerichtete Härtefallkommission hat sich im Februar 1996 konstituiert und die Zahlen bis einschließlich 31.12.1996 sollen im folgenden erläutert werden.

Insgesamt wurden 598 Anträge an die HFK gestellt. Davon sind 440 bereits bearbeitet worden. Das heißt, teilweise wurden sie beraten, z.T. gab es Ausschlußgründe, die zur »Nichtbearbeitung« führten, z.T. konnte die Kommission die Fälle wegen »freiwilliger« Ausreise bzw. wegen Vollzugs der Abschiebung nicht beraten.
Von den 440 Anträgen sind 273 in der Kommission selbst beraten worden. Es hat 51 positive Empfehlungen gegeben. Das sind 18,7%.
Wegen Petition als Ausschlußgrund (65 Anträge), wegen Vollzugs bzw. »freiwilliger« Ausreise (22 Anträge) und sonstiger Erledigungen (92 Anträge) wurden diese Fälle nicht in der HFK beraten. Eine sonstige Erledigung kann z.B. sein:

  • Antragsrücknahme,
  • Antragsbegehren betrifft nicht die Ausreise,
  • AntragstellerIn ist nicht aus NRW oder zwischenzeitlich untergetaucht und für die Behörden nicht mehr erreichbar.

Das Ausschlußkriterium des Untertauchens gilt nicht für Menschen im Kirchenasyl, solange es ein öffentliches Kirchenasyl ist, da die Betroffenen sowohl für die HFK als auch die Behörde dort erreichbar sind. Der Ausschlußgrund des Untertauchens ist generell sehr problematisch.
Hier fehlt ein wesentlicher Handlungsspielraum für die Kommission.
Menschen entziehen sich aus den unterschiedlichsten Gründen dem Zugriff der Behörden. Illegalisierte bzw. Untergetauchte haben somit keine Möglichkeit mehr, sich durch die Kommission relegalisieren zu lassen. So kann beispielsweise die Rechtslücke zwischen abgelehntem Erstasylantrag und Asylfolgeantrag und die damit verbundene Unsicherheit Menschen dazu bringen, unterzutauchen, weil sie nicht wissen, ob es überhaupt zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens kommt.

Der zweite gewichtige Arbeitsansatz der HFK besteht darin, generelle Empfehlungen an den Innenminister oder an die Politik abzugeben. Hierbei wird nicht nur auf die Kenntnisse der Kommissionsmitglieder zurückgegriffen, sondern auch die Erfahrung der Arbeit in der Kommission zugrundegelegt.
Diese perspektivische Arbeit der HFK hat auch schon Erfolge zu verzeichnen:
Auf Anregung der HFK ist die Altfallregelung des Jahres 1996, als Härtefallregelung deklariert, vom Innenministerium NRW modifiziert worden. Somit konnte der »Teufelskreis« durchbrochen werden, daß nur diejenigen unter die Altfallregelung fallen, die die Stichtagsregelung erfüllen und unabhängig von der Sozialhilfe leben. Es ist aber häufig so, daß durch die kurzen Duldungszeiten oder sogar nur die Erteilung von »Grenzübertrittsbescheinigungen« eine Arbeitsaufnahme in der Regel nahezu unmöglich gemacht wird.
Vor diesem Hintergrund hat die HFK den Innenminister gebeten, in den Fällen, in denen die Zeitschiene, also die Stichtage erfüllt worden sind, für Familien mit minderjährigen Kindern 1.7.1990 oder für die übrigen Personen 1.1.1987 die Erteilung einer »Aufenthaltsbefugnis« nicht vom Sozialhilfebezug abhängig zu machen. Statt dessen kann eine sechsmonatige Befugnis erteilt werden. Diese ermöglicht den Erhalt der »besonderen Arbeitserlaubnis«. Durch Arbeitsaufnahme werden dann die Voraussetzungen erfüllt, unter die Altfallregelung zu fallen und ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten.

Das zweite, was die HFK erreicht hat, ist ein Erlaß des Innenministers, daß bei Vorliegen tatsächlicher Abschiebungshindernisse eine »Duldung« nach § 55 Abs. 4 AuslG zu erteilen ist und somit die häufige Praxis von Ausländerbehörden, in diesen Fällen lediglich »Grenzübertrittsbescheinigungen« auszustellen, rechtswidrig ist.

Ein weiterer Erfolg der HFK: Das OVG Münster hat in einem Beschluß vom 27.8.1996 festgestellt: Ein in der BRD geborenes ausländisches Kind genießt nach § 69 AuslG zumindest für die ersten sechs Monate nach der Geburt ein Aufenthaltsrecht. Dies hat der Innenminister in Erlaßform gebracht.

Inhaltlich arbeitet die HFK desweiteren zu folgenden Themen:

  • Frauen auf der Flucht
  • Eigenständiges Aufenthaltsrecht für AusländerInnen (§ 19 AuslG)
  • Situation von Flüchtlingskindern
  • § 30 AuslG
  • Straffälligkeit bei Jugendlichen und drohende Ausweisung

Hierzu werden in Arbeitsgruppen Stellungnahmen erarbeitet. Die Stellungnahme zu »Frauen auf der Flucht« ist auch bereits dem Innenminister vorgelegt worden und dieser hat sie nicht nur in einer Presseerklärung verarbeitet, sondern auch zugesagt, die Anregungen auf der Bundesebene, sowohl bezüglich der Anhörungssituation als auch der Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl), in die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) hineinzutragen. Es wird sehr kritisch zu beobachten sein, inwieweit diese Vorgaben oder allgemeinen Empfehlungen der HFK durch den Innenminister umgesetzt werden.

Zur grundsätzlichen Kritik an der HFK, die in der Vergangenheit geübt wurde: Sowohl weite Teile der CDU und der FDP als auch ein starker Teil der SPD lehnten und lehnen die HFK ab. Einer der Hauptkritikpunkte an der HFK kam von den zehn Verwaltungsstädten in NRW, vom Städtetag NRW und von Herrn Kanther. Der HFK wurde vorgeworfen, daß sie unnütze und zusätzliche Kosten verursache, da durch sie Abschiebungen verhindert oder hinausgezögert würden.
Darüber hinaus wurde angegeben, daß die Arbeit der Kommission durchgängig rechtswidrig sei. Eines der Argumente war, daß die HFK im Ausländergesetz nicht vorgesehen sei. Hier sei auf die Praxis der Ausländerbehörden, »Grenzübertrittsbescheinigungen« zu erteilen, hingewiesen, denn auch die Grenzübertrittsbescheinigungen sind keineswegs Bestandteil des Ausländergesetzes. Kritik gibt es aber auch von der »anderen Seite«. D.h., aus dem kritischen Spektrum der Flüchtlingsbewegung wird immer wieder betont, daß die HFK das Alibi der rot/grünen Landesregierung für Abschiebungen bietet.

Aus den bisherigen Erfahrungen bleibt die Schlußfolgerung, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Die Arbeit der HFK ist vor allen Dingen auch aufgrund der sehr guten Zusammenarbeit mit den Vertretern vom Innenministerium ausgesprochen konstruktiv. Es ist der richtige Weg, Flüchtlingen auf allen Ebenen durch Warteschleifen Möglichkeiten einzuräumen, ihre persönliche Situation darzustellen, wenn die Kompetenzen für Abschiebungen bei Herrn Kanther liegen.
Aufgabe der HFK ist es, sich dann Gedanken darüber zu machen, inwieweit juristische Ansatzpunkte gegeben sind, um eine Lösung zu finden.
In Abgrenzung zum Petitionsausschuß soll noch gesagt werden, daß sich die HFK gerade im Unterschied zu ihm durch den gebündelten Sachverstand seiner Mitglieder aus der konkreten, praktischen Arbeit auszeichnet.
Dagegen werden die Anliegen im Petitionsausschuß durch gewählte VolksvertreterInnen geprüft, die mit sehr vielen verschiedenen Rechtsgebieten vertraut sein müssen.
Enttäuschend ist die Reaktion von Teilen des Petitionsausschusses, die die HFK
für überflüssig halten. Enttäuschend ist ebenfalls die nur »vorsichtig vorhandene« Unterstützung der Arbeit der HFK durch die SPD und durch den Innenminister. Die HFK wünscht sich eine stärkere Akzeptanz und Unterstützung. So wird erwartet, daß, wenn Ausländerbehörden sich nicht an Empfehlungen der HFK halten, das LMI mit seinem Gewicht versucht, die Empfehlungen mitumzusetzen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Arbeit der HFK auch sehr sachgerecht ist, da das Innenministerium den Empfehlungen nur in wenigen Fällen (vier in 1996) nicht gefolgt ist. Auch die Ausländerbehörden selbst haben sich lediglich in sehr wenigen Fällen geweigert, den Empfehlungen nachzukommen.

Positiv ist demgegenüber zu vermerken, daß einige Städte Ratsbeschlüsse gefaßt haben,daß a)die Empfehlungen der HFK abgewartet werden sollen und b) diese auch umgesetzt werden sollen.
Dies geschah in den Städten Lünen, Essen und Düsseldorf.
Grundsätzlich bleibt die Frage, ob es sinnvoll ist, diesen enormen Zeitaufwand durch Aktenstudium, Recherchen der Rechtsprechung, eventuelle Rücksprachen mit den AntragstellerInnen und / oder deren RechtsanwältInnen und die Sitzungstermine zu betreiben oder ob man diese Zeit nicht effektiver nutzen könnte.
Für die HFK lautet die Antwort eindeutig JA. Nicht weil lediglich die Auffassung vertreten wird, daß jede Person oder Familie, die über eine »Positivempfehlung« der HFK vor der Abschiebung bewahrt werden kann, ein Erfolg ist. Das reicht nicht aus, sondern jede Möglichkeit muß genutzt und ausgeschöpft werden, um dieser gnadenlosen Maschinerie, die Kanther in Gang gesetzt hat, von »Abschiebungen um jeden Preis« etwas entgegenzusetzen.
Gerade durch solche Einrichtungen, die dadurch ihren Stellenwert erhalten, daß sie beim Innenministerium angebunden sind und von den entsendenden Organisationen getragen werden, die dem Innenministerium z.T. sehr kritisch gegenüberstehen, sind langfristig Veränderungen möglich.
Die Arbeit des »Bremsers auf dem rückwärts fahrenden Zug« ist sicherlich eine gute Umschreibung für das, was in der HFK gemacht wird. Es wäre wünschenswert, daß es in allen Bundesländern Härtefallkommissionen gäbe, zumal es auch für die Arbeit der Kommission spricht, wenn nach dem »Modell NRW« in Schleswig-Holstein sich ebenfalls Ende des Jahres 1996 eine HFK aufgrund der rot/grünen Verhandlungen konstituiert hat.
Durch das Einbinden des Sachverstandes von Menschen in der MigrantInnen- und in der Flüchtlingsarbeit, vor allem aus Nichtregierungsorganisationen (NGO), das Modellcharakter hat, wird es möglich, dem bisher lediglich auf juristischen und verwaltungstechnischen Kenntnissen beruhenden Entscheidungsstrukturen des Innenministeriums und der Politik Einfluß zu nehmen.

Dem liegt ein Modell zugrunde, das sich auch auf die kommunale Ebene übertragen lassen sollte: Das sog. Trialogmodell. Damit ist das Zusammenspiel von gewählten VolksvertreterInnen auf kommunaler Ebene im Stadt- oder Gemeinderat, VertreterInnen der Verwaltung sowie VertreterInnen der in diesem Bereich tätigen Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Initiativen gemeint.
Für die Jugend-, Sozial- und Drogenarbeit ist es seit langem eine Selbstverständlichkeit, daß über die Zusammenarbeit von Sachverstand in Initiativen, in den Wohlfahrtsverbänden und der oft konträren Ansicht in der Verwaltung eine positive, befruchtende Zusammenarbeit erwächst und daß den PolitikerInnen vor Ort im Trialog eine sachgerechte Entscheidung leichter gemacht wird.
Wer hätte vor 25 Jahren daran gedacht, daß in der Bundesrepublik über Methadonprogramme, über die Freigabe von Cannabisprodukten oder über »Gesundheitsräumen« nachgedacht würde.
Dies ist ein wesentlicher Erfolg des Miteinanders nach dem Trialogmodell.
Auch bezüglich der Situation der Sozialhilfeberechtigten, der wirtschaftlich Schwachen, der Alleinerziehenden wurde der Sachverstand der Beratungsstellen miteinbezogen.
Im Flüchtlings- und Migrationsbereich fehlt genau dieses Instrument. Es gibt zwar in vielen Städten Ausländerbeiräte, aber dieses »zahnlose, politische Spielzeug« ist nicht dazu angetan, eine selbstverständliche Verzahnung aller Lebensbereiche vorzunehmen und auch nicht das zu tun, was in der HFK gemacht und was vielerorts auch kommunal geschehen müßte, nämlich in das laufende Geschäft der Verwaltung einzugreifen. Abschiebungen sind das laufende Geschäft der Verwaltung. Wer dort intervenieren will, muß auf die Verwaltung zugehen und sie bitten, die Entscheidung noch einmal zu überdenken. Hierdurch entsteht die Möglichkeit, Gründe nicht nur z.T. erstmalig vortragen zu können, sondern mit dafür zu sorgen, daß die Schicksale anders bewertet werden, als es bislang vielfach der Fall war.
Es ist davon auszugehen, daß sich langfristig auch dadurch etwas verändert, wenn die Verwaltung immer wieder dazu gebracht wird, in das Gespräch mit den Initiativen und den Betroffenen einzutreten.

Dazu ein Beispiel: Seit vielen Jahren beteiligt sich der Flüchtlingsrat NRW an den sog. Behördentagungen, die in der evangelischen Akademie in Mülheim stattfinden. Dort treffen sich VertreterInnen aus Initiativen, Ausländerbehörden und Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) sowie EinzelentscheiderInnen des BAFl, um gemeinsam Fachreferate zu Flüchtlingsherkunftsländern oder zu bestimmten Rechtsauslegungen zu hören und dann in Arbeitsgruppen darüber zu diskutieren. Dies hat dazu beigetragen, daß die Polarisierung auf der einen Seite, überspitzt formuliert, »die brutalen Menschen in der Behörde« und auf der anderen Seite die »rührseligen, nichts begreifenden HelferInnen« zwar nicht aufgehoben, aber abgemildert wird. Hierdurch wird ermöglicht, den jeweiligen Standpunkt der »anderen Seite« zu erkennen und zur Lösung des Problems beizutragen. Die anschließende Arbeit in der Praxis wird erleichtert.

Die BehördenvertreterInnen haben einstimmig erklärt, daß auch sie es für sinnvoll erachtet haben, zu erfahren, wie die unterschiedlichen Sichtweisen sein können und dies auch ihnen für die Arbeit hilfreich ist. Die MitarbeiterInnen der Initiativen haben erkennen können, daß sie, je mehr Sachverstand und Ruhe sie in der Argumentation an den Tag legten, um so eher in der Lage waren, die vermeintlich verhaßte Gegenseite zu überzeugen. Das Trialogmodell im Migrations- und Flüchtlingsbereich ist eine sinnvolle Ergänzung zur HFK. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, daß viele Anträge, die an die HFK gerichtet werden, bei etwas offeneren Gesprächen auch ohne weiteres »vor Ort« zu lösen wären.

Ein persönliches Resümee

Ich glaube, der positive Effekt eines Trialogs und einer HFK liegt in dem Lernerfolg auf beiden Seiten. Ausländerbehörden lernen, daß es nicht nur ihre Sichtweise gibt, denn das hat etwas von einer Ausschnittswahrnehmung, vergleichbar damit, daß die Polizei auch immer nur dann gerufen wird, wenn ein unangenehmer Vorfall zu verzeichnen ist, wenn eine Straftat begangen worden ist. So funktioniert auch die Wahrnehmung der MitarbeiterInnen in den Ausländerbehörden, die sich besonders an die Male erinnern, wo sie sich nicht ernst genommen fühlten oder wo sie eine schwierige Situation mit MigrantInnen hatten. Dieses wird durch offene Gespräche abgemildert, da man die andere Seite zu verstehen lernt.
Hierdurch erhält das »Handeln nach dem Gewissen« eine größere Chance.

Vor zwei Jahren ist die Geschichte eines Polizisten durch die Presse gegangen, der einen Abschiebungshäftling nach zwei Tagen Polizeigewahrsam entlassen hat, weil er meinte, daß die Unterbringung unmenschlich sei und der dafür später dienstlich gerügt worden ist und ein Verfahren durchstehen mußte.
Einzelfälle bleiben nicht solche, wenn die Bewegung beginnt, Menschen in den Behörden nicht als Gegner zu betrachten, sondern als Menschen, die u.U. entweder falsche Entscheidungen fällen oder diese Entscheidungen vor dem Hintergrund eines Rechtes fällen, das modifiziert werden müßte. Um für eine solche Modifikation Mehrheiten zu finden, bedarf es dieser Form der Auseinandersetzung und des Lerneffektes auf kommunaler und auf Landesebene, denn nur dann ist eine kaum zu bewegende Ebene wie der Bund noch beeinflußbar.
Deshalb: Härtefallkommissionen JA, Trialog JA. Das heißt nicht, daß auf Fundamentalkritik auch an rot/grünen Abschiebungen verzichtet werden soll oder daß wir uns daran beteiligen. Wir versuchen mit in diesen Entscheidungsprozeß einzugreifen, um dort, wo es möglich ist, Abschiebungen zu verhindern.

Überarbeitete Fassung eines Vortrages, gehalten am 1.10.96 bei einer Fachtagung des ISS – Institut für Sozialpädagogik und Sozialarbeit – in Frankfurt.

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