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TAG DES FLÜCHTLINGS 2000

Die Fluchtwohnung

Ein Projekt von Asyl in der Kirche Berlin
zur vorübergehenden Hilfe für mittellose und obdachlose Flüchtlinge

Hanne Garrer | Jürgen Quandt

Herausgegeben zum Tag des Flüchtlings am 29. September 2000

Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge mit freundlicher Unterstützung von: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e.V., Deutscher Caritasverband e.V., Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirche in Deutschland durch den ABP, Land Hessen.

Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger/Interkulturellen Woche (24. bis 30. September 2000) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.

INHALT

Beispiele und Anregungen

Vor zwei Monaten kam sie zu uns, Josefine mit ihrer kleinen Tochter. Wie so oft konnten wir ihrer komplizierten Geschichte nicht gleich nachgehen.
Aber eins war klar: Josefine war in Not, sie konnte an diesem Tag nicht mehr nach Hause zurückkehren.
Die Polizei hatte schon abschiebende Maßnahmen eingeleitet, eine Festnahme drohte.
Zum Glück haben wir in solchen Fällen eine Fluchtwohnung, eine Notunterkunft, wo Flüchtlinge zuerst mal in Sicherheit sind, während die Beratungsstelle Zeit hat, sich eingehend mit ihrer Problematik zu beschäftigen.

Josefine war verzweifelt, »verstand die Welt nicht mehr«, so sagte sie.
Seit zehn Jahren hält sie sich schon in Deutschland auf. Sie war verheiratet mit einem Deutschen, diese Ehe wurde geschieden. Ihre siebenjährige Tochter wurde in Berlin geboren und hat nie die Heimat ihrer Mutter gesehen. Diese kleine Berliner »Göre« sollte jetzt abgeschoben werden in ein afrikanisches Land, das sie gar nicht kennt. Sie möchte weiter in Berlin zu Schule gehen; sie ist eine fleißige Schülerin.

Josefine hat einen neuen Lebenspartner kennengelernt; sie wollen heiraten. Seit drei Jahren versuchen sie dies ohne Erfolg! Alle Papiere für die Eheschließung sind da. Diese Papiere werden bei Ehen zwischen Ausländern und Deutschen vom Kammergericht geprüft. Der zuständige Richter versucht alles zu unternehmen, um diese Eheschließung unmöglich zu machen.

Josefine ist verzweifelt, ihr Mann wütend, aber sie geben nicht auf und haben einen Rechtsanwalt beauftragt. Die Ausländerbehörde hat leider keine Geduld mehr und droht mit Abschiebung.
Hätten wir nicht die Fluchtwohnung, so wären Josefine und ihre Tochter schon längst in ein afrikanisches Land abgeschoben. In solchen Fällen nehmen wir die Menschen auf, geben ihnen 10,- DM pro Tag, damit sie sich selber verpflegen können. Oftmals leben mehrere Flüchtlinge zu gleicher Zeit in einer Fluchtwohnung.
In Josefines Fall haben wir eine Kirchengemeinde gefunden, die sich des Schicksals der beiden annimmt, ihnen Sorgen abnimmt und sich für eine schöne Zukunft einsetzt.

Seit 1995 unterhält Asyl in der Kirche Berlin die Fluchtwohnung, in der auch Josefine mit ihrem Kind untergebracht war. Die Überlegungen, ein solches Projekt ins Leben zu rufen sind entstanden, als in der kirchlichen Flüchtlingsarbeit nach der Verschärfung des Asylrechts 1993 immer deutlicher wurde, dass die illegale Zuwanderung zunimmt.
Dies wurde recht bald vor allem in der Arbeit der Flüchtlingsberatungsstellen deutlich. Immer häufiger tauchten dort Menschen auf, die obdachlos waren oder es auf Grund behördlicher Maßnahmen geworden waren, die keine Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung hatten und deren rechtliche Situation ungeklärt war.

Um diesen Menschen evtl. weiterhelfen zu können, brauchte es darum zuallererst Zeit zur Klärung vieler Fragen und in dieser Zeit mussten die Betroffenen einigermaßen menschenwürdig und sicher untergebracht und versorgt werden. Da in diesen Fällen ein Kirchenasyl nicht oder noch nicht anstand, war es sehr schwer, Kirchengemeinden zu finden, die zur Aufnahme solcher Menschen bereit waren. Es musste also eine Zwischenlösung gefunden werden. Daraus ist das Konzept für die Fluchtwohnung entstanden.
Es handelt sich dabei um eine Wohnung in einem kirchlichen Gebäude, die von Asyl in der Kirche Berlin angemietet worden ist. Es besteht dort die Möglichkeit, bis zu acht Personen zeitweilig unterzubringen. Die Aufenthaltsdauer beträgt im Durchschnitt drei bis vier Wochen, was nicht ausschließt, dass in Einzelfällen sehr viel längere Aufenthalte erforderlich sind.

Oftmals handelt es sich bei den Be- wohnern um Menschen, die schon sehr lange in der Stadt gelebt haben und die auf Grund ausländerrechtlicher Bestimmungen oder auch auf Grund behördlicher Willkür ihr Aufenthaltsrecht verloren haben und denen eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht möglich ist oder nicht zugemutet werden kann.

Es gibt eine z. Zt. zwölfköpfige Betreuergruppe, die aus Studentinnen und Studenten sowie Gemeindegliedern besteht. Diese Gruppe organisiert mit den Flüchtlingen das Leben in der Fluchtwohnung. Es gibt wöchentlich zwei Besprechungen mit den Bewohnern, an denen mindestens zwei der Betreuer teilnehmen. Bei einem Treffen stehen die finanziellen und organisatorischen Fragen des Zusammenlebens in einer Wohngemeinschaft im Vordergrund. Bei dem zweiten Treffen werden die persönlichen Probleme der Bewohner besprochen. Die Betreuergruppe begleitet die Flüchtlinge auch bei Wegen außerhalb der Wohnung, z. B. bei Arztbesuchen und zu Rechtsanwälten. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der Flüchtlingsberatungsstelle von Asyl in der Kirche in der Heilig-Kreuz-Kirche und mit der Härtefallberatungsstelle von Pax Christi. Über diese Beratungsstellen werden auch die meisten Flüchtlinge in die Fluchtwohnung vermittelt.

Die Aufnahme in die Fluchtwohnung erfolgt auf Empfehlung der Beratungsstellen. Die Entscheidung trifft ein Mitglied des Vorstandes von Asyl in der Kirche gemeinsam mit der Betreuergruppe. Beim Auszug läuft das Verfahren umgekehrt ab. Die Betreuergruppe empfiehlt, Vorstandsmitglied und Beratungsstelle entscheiden.

Probleme in der Fluchtwohnung entstehen vor allem aus dem Zusammenleben verschiedener vorher einander unbekannter Personen auf engem Raum. Da die Flüchtlinge die Wohnung selbständig bewirtschaften, gibt es viele Abstimmungsprobleme, z. B. wenn allein stehende junge Männer und eine allein stehende Mutter mit Kind oder eine kleine Familie zusammen untergebracht werden müssen. Ohne die ständige – Arbeit der Betreuergruppe wäre eine solche Einrichtung nicht lange aufrechtzuerhalten.

Die Zeit des Aufenthalts soll dazu genutzt werden, im Zusammenwirken von Bewohnern, Betreuern und Beratungsstellen eine Perspektive für die Betroffenen zu entwickeln. Das ist in vielen Fällen eine äußerst schwierige Angelegenheit und bisweilen auch erfolglos. Dennoch hat die Fluchtwohnung seit ihrem Bestehen eine wichtige Funktion im Netzwerk kirchlicher Flüchtlingsarbeit erfüllt. Seit 1995 haben etwa 160 Personen vorübergehend Aufnahme gefunden. Davon sind etwa ein Drittel anschließend zu Gemeinden ins Kirchenasyl gegangen oder wurden von Gemeinden anderweitig betreut. Ein weiteres Drittel ist mit unserer Unterstützung legal weitergewandert, entweder in andere Bundesländer, aus denen sie nach Berlin gekommen waren, oder ins Ausland bzw. ins Heimatland. Für die Übrigen konnten Aufenthaltsregelungen in Berlin erreicht werden. Einige sind auch wieder ohne Klärung ihrer Situation in die Illegalität zurückgegangen, ohne dass wir wissen, was aus ihnen geworden ist. Zwei Personen wurden in der Stadt verhaftet; sie hatten sich nicht an die verabredeten Vorsichtsmaßnahmen gehalten.

Die Kosten für die Fluchtwohnung sind erheblich. Etwa 12.000,- DM werden für Miete und Unterhalt der Wohnung benötigt. Den größten Teil dieser Mittel stellt eine nichtkirchliche Organisation, die in der Flüchtlings- und Menschenrechtsarbeit engagiert ist, zur Verfügung. Von Asyl in der Kirche wird der Unterhalt für die Bewohner aufgebracht. Die Unterstützung orientiert sich am Sozialhilfesatz. Bei einer durchschnittlichen Belegung mit sechs Personen erfordert das einen Kostenaufwand von etwa 20.000,- DM im Jahr. Diese Gelder kommen ausschließlich aus Spenden und Kollekten von Kirchengemeinden und Einzelpersonen zusammen. Der Bedarf zur Unterbringung mittelloser und obdachloser Flüchtlinge ist weitaus größer als die vorhandene Möglichkeit. Aber aus finanziellen Gründen ist an eine Ausweitung des Projekts »Fluchtwohnung« derzeit nicht zu denken.

Aus: Infobrief der BAG Asyl in der Kirche Nr. 9/99

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